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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.09.2001
Aktenzeichen: XII ZB 81/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234
ZPO § 85 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 81/01

vom

5. September 2001

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Fuchs und Dr. Ahlt

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 8. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. März 2001 aufgehoben.

Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Teilurteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Langenfeld vom 2. November 2000 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Beschwerdewert: bis 14.000 DM.

Gründe:

I.

Gegen das ihm am 8. November 2000 zugestellte Teilurteil des Familiengerichts, durch das er zur Zahlung von Kindesunterhalt verurteilt wurde, legte der Beklagte am 22. Dezember 2000 Berufung ein und beantragte zugleich, ihm wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs trägt der Beklagte unter Vorlage entsprechender eidesstattlicher Versicherungen vor, zwischen seiner erstinstanzlichen und seinem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten bestehe seit Jahren eine Absprache, derzufolge dieser alle ihm erteilten Berufungsmandate annehme, sofern nicht ausnahmsweise eine Interessenkollision bestehe, was er gegebenenfalls rechtzeitig mitteilen werde. Da sich die Kanzlei des zweitinstanzlichen Bevollmächtigten in Düsseldorf befinde, seine Privatwohnung aber ebenso wie die Kanzlei der erstinstanzlichen Bevollmächtigten in Langenfeld, sei weiterhin vereinbart, daß diese ihm die Berufungsmandate nebst zugehörigen Handakten jeweils in die Wohnung bringe oder durch eine Kanzleiangestellte bringen lasse, wo sie von seiner Ehefrau in Empfang genommen und auf den Schreibtisch seines Arbeitszimmers gelegt würden, so daß er sie abends nach Rückkehr aus der Kanzlei vorfinde, wenn er dort seine Aktenmappe abstelle. Seine Ehefrau sei über die Bedeutung der mit diesen Berufungsmandaten verbundenen Fristen informiert und weise ihn zudem jedesmal darauf hin, wenn im Laufe des Tages wieder eine solche Sendung eingegangen sei.

Im vorliegenden Fall habe die erstinstanzliche Bevollmächtigte den Berufungsanwalt am 28. November 2000 angerufen und gefragt, ob er das Mandat in dieser Sache auch dann annehme, wenn in erster Instanz auf der Gegenseite Rechtsanwalt S., mit dem er ebenfalls zusammenarbeite, tätig gewesen sei. Dies habe er bejaht.

Am 29. November 2000 habe die erstinstanzliche Bevollmächtigte ihm daraufhin durch eine Kanzleiangestellte ein Paket mit den Handakten überbringen lassen. Diese habe das Paket in den frühen Abendstunden dem knapp 16-jährigen Sohn des Berufungsanwalts übergeben, den sie vor der Haustür angetroffen habe. Der Sohn und die Ehefrau des Berufungsanwalts seien zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt gewesen, zur Abholung bestimmten Sperrmüll auf den Bürgersteig zu stellen. Da der Sohn weitere Gegenstände aus einem selten benutzten Anbau habe holen wollen, habe er das Paket dort abgelegt, statt es in das Arbeitszimmer zu bringen. Er habe seiner Mutter jedoch sogleich mitgeteilt, daß wieder ein Paket "von der Anwältin" abgegeben worden sei. Beide hätten das Paket in der Folgezeit vergessen. Erst am 11. Dezember 2000 habe die Ehefrau des Berufungsanwalts es in dem Anbau vorgefunden und ihren Mann sofort benachrichtigt.

Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und die beantragte Wiedereinsetzung mit der Begründung abgelehnt, es könne dahinstehen, ob den zweitinstanzlichen Bevollmächtigten ein Organisationsverschulden treffe. Jedenfalls müsse der Beklagte sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden seiner erstinstanzlichen Bevollmächtigten zurechnen lassen, die es versäumt habe, sich die Mandatsübernahme bestätigen zu lassen. Dies sei ungeachtet der getroffenen Abrede erforderlich gewesen, weil wegen des gewählten Wegs der Übersendung der Akten in die Privatwohnung des Berufungsanwalts Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, daß mit der Mandatsübermittlung etwas nicht in Ordnung gehen könne. Das Fehlen einer Eingangskontrolle durch geschultes und zuverlässiges Büropersonal berge nämlich eine Vielzahl von Gefahren, unter anderem der Art, wie sie sich hier verwirklicht hätten, die eine Überwachung der rechtzeitigen persönlichen Annahme des Auftragsschreibens durch den Berufungsanwalt notwendig gemacht hätten.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde, mit der der Beklagte sein Wiedereinsetzungsgesuch weiterverfolgt.

II.

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg. Dem Beklagten ist die - rechtzeitig innerhalb der Frist des § 234 ZPO - beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, weil diese Frist ohne ein ihm zuzurechnendes Verschulden nicht eingehalten wurde.

1. Ein dem Beklagten zuzurechnendes Verschulden seiner erstinstanzlichen Bevollmächtigten liegt nicht vor. Aufgrund der allgemeinen Absprache über die Annahme von Berufungsmandaten bestand für sie kein Grund, von sich aus die Berufungsfrist zu überwachen (vgl. BGHZ 105, 116, 120; BGH, Beschluß vom 19. September 1994 - II ZB 7/94 - NJW 1994, 3101, 3102), zumal der Berufungsanwalt das Mandat in der vorliegenden Sache bereits fernmündlich angenommen hatte (vgl. Senatsbeschluß vom 30. November 1983 - IVb ZB 110/83 - VersR 1984, 166, 167).

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht aus dem hier gewählten Weg der Aktenübersendung. Richtig ist zwar, daß in der Regel Gefahren entstehen, wenn Schriftstücke in der von der Kanzlei räumlich entfernten Privatwohnung eines Anwalts abgegeben werden, der dort normalerweise keine beruflichen Schriftstücke empfängt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1951 - IV ZR 61/51 - LM Nr. 6 zu § 232 ZPO). Hier hatte der Berufungsanwalt sich indes im Rahmen der mit der erstinstanzlichen Bevollmächtigten getroffenen Absprache ausdrücklich bereit erklärt, Mandatsunterlagen in seiner Privatwohnung entgegenzunehmen, und zugleich Vorkehrungen getroffen, die geeignet waren zu gewährleisten, daß von seiner Ehefrau entgegengenommene Sendungen ihn zuverlässig noch am Abend desselben Tages erreichten. Der Umstand, daß dies außerhalb seiner Kanzleiorganisation erfolgte und somit zu diesem Zeitpunkt noch keine Eingangskontrolle durch geschultes Büropersonal möglich war, ist jedenfalls der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten nicht mehr zuzurechnen, da der Berufungsanwalt mit der Eröffnung dieses Übermittlungsweges zugleich die persönliche Verantwortung für die Fristüberwachung von dem Zeitpunkt an übernahm, in dem sich die Unterlagen in seinem Bereich befanden. Die weitere Behandlung der Sache fiel dann nicht mehr in den Verantwortungsbereich der erstinstanzlichen Bevollmächtigten (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1975 - V ZR 99/73 - NJW 1975, 1125, 1126).

Es kann auch dahinstehen, ob ein Verschulden der erstinstanzlichen Bevollmächtigten in Betracht kommt, weil nicht vorgetragen ist, daß diese ihre mit dem Botengang beauftragte Kanzleiangestellte angewiesen hat, das Paket nur dem Berufungsanwalt oder seiner Ehefrau persönlich auszuhändigen, nicht aber sonstigen Familienangehörigen oder Hausangestellten. Denn selbst wenn darin ein schuldhaftes Versäumnis zu sehen wäre, wäre dies für die Versäumung der Berufungsfrist nicht ursächlich gewesen. Zwar ist das Paket dem Sohn des Berufungsanwalts übergeben worden, ohne daß der sofortigen Beschwerde zu entnehmen ist, ob auch dieser über die Fristgebundenheit eingehender Mandate belehrt worden war und als Jugendlicher hinreichend zuverlässig war. Er hat seine Mutter aber sogleich vom Eingang des Pakets benachrichtigt, so daß auch diese mit dieser Information zugleich die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Sendung erlangte, so als wäre sie ihr persönlich übergeben worden.

2. Auch ein dem Beklagten zuzurechnendes Verschulden seines zweitinstanzlichen Bevollmächtigten liegt nicht vor.

Für Verrichtungen einfachster Art wie etwa Botengänge darf sich der Anwalt nicht nur seines Büropersonals, sondern auch anderer, nicht angestellter Personen bedienen, sofern diese ihm persönlich bekannt sind, hinreichend unterrichtet wurden und sich mehrfach in ähnlichen Fällen als zuverlässig erwiesen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 1988 - VIII ZB 24/88 - VersR 1989, 166 und vom 13. Februar 1985 - IVa ZB 15/84 - VersR 1985, 455).

Insoweit macht es keinen Unterschied, ob der Anwalt eine solche Hilfsperson als Boten einschaltet, um fristwahrende Schriftsätze zum Gericht bringen zu lassen, oder ob er sich ihrer als Empfangsboten bedient, um Schriftstücke in Fristsachen für ihn in Empfang zu nehmen. Dies gilt auch, wenn solche Schriftstücke weisungsgemäß nicht an die Kanzlei des Anwalts, sondern an diesen selbst in dessen Privatwohnung weitergeleitet werden sollen. Zwar ist dann die umgehende Eintragung der zu beachtenden Fristen durch geschultes Büropersonal nicht gewährleistet. Dies hat indes lediglich zur Folge, daß es dem Anwalt persönlich obliegt, diese Fristen zu überwachen, wie auch in den Fällen, in denen er eine fristgebundene Sache zur häuslichen Bearbeitung aus dem Bürogang herausnimmt.

Auf die Frage, wie der zweitinstanzliche Bevollmächtigte des Beklagten die Überwachung der Fristen bei in seiner Privatwohnung eingehenden Mandaten der erstinstanzlichen Bevollmächtigten sicherstellt, kommt es hier nicht an, weil etwaige Mängel dieser organisatorischen Maßnahmen hier für die Versäumung der Berufungsfrist nicht ursächlich geworden sind. Vielmehr ist die Versäumung der Frist darauf zurückzuführen, daß ihm die Akten infolge einer Unachtsamkeit seiner als Empfangsbotin eingeschalteten Ehefrau nicht rechtzeitig vorgelegt wurden. Deren Verschulden braucht der Beklagte sich nicht zurechnen zu lassen, da die Ehefrau seines zweitinstanzlichen Bevollmächtigten nicht seine Vertreterin im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO ist.

Der Beklagte hat glaubhaft gemacht, daß sich die Ehefrau seines zweitinstanzlichen Bevollmächtigten über Jahre hinweg bei der Weiterleitung ihr unter der Privatanschrift übergebener Schriftstücke als zuverlässig erwiesen hat. Hingegen kann dahinstehen, ob der zweitinstanzliche Bevollmächtigte auch seinen Sohn entsprechend unterrichtet hat und ob dieser angesichts seines Alters bereits als hinreichend zuverlässig angesehen werden konnte. Läge insoweit ein Organisationsverschulden des zweitinstanzlichen Bevollmächtigten vor, weil er - etwa bei Abwesenheit seiner Ehefrau - auch mit der Entgegennahme von Mandaten der erstinstanzlichen Bevollmächtigten durch seinen Sohn hätte rechnen müssen, wäre dies jedenfalls im vorliegenden Fall nicht ursächlich geworden, weil der Sohn seine Mutter von dem Eingang der Sendung sofort benachrichtigt hat. Ihre Aufgabe wäre es daher gewesen, sich zu vergewissern, ob er das Paket auf den Schreibtisch seines Vaters gelegt hatte, und dies gegebenenfalls sofort selbst nachzuholen. Daß sie dies nicht getan und ihren Ehemann auch nicht über den Eingang informiert hat, ist als einmaliges Augenblicksverschulden anzusehen, das nicht geeignet ist, ihre bisherige Zuverlässigkeit in Frage zu stellen.

3. Dem zweitinstanzlichen Bevollmächtigten ist schließlich kein eigenes Verschulden zur Last zu legen, weil er sich im Anschluß an die telefonische Annahme des Mandats nicht bei seiner Ehefrau nach einem entsprechenden Eingang erkundigt hat. Aufgrund der von ihm getroffenen Vorkehrungen durfte er sich darauf verlassen, daß ihm ein solcher Eingang rechtzeitig vorgelegt werden würde.

Ende der Entscheidung

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