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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.09.2003
Aktenzeichen: XII ZR 184/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1572
BGB § 1573 Abs. 4
BGB § 1576
a) Der Unterhaltsanspruch aus § 1576 BGB ist gegenüber demjenigen aus § 1572 BGB subsidiär.

b) Zur Beurteilung der nachhaltigen Sicherung des nachehelichen Unterhalts (§ 1573 Abs. 4 BGB).

c) Zur Anwendung des § 1576 BGB in Fällen krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit des Unterhaltsbedürftigen, in denen ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB lediglich am Einsatzzeitpunkt scheitert.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XII ZR 184/01

Verkündet am: 17. September 2003

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dr. Ahlt

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat vom 15. Juni 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte für die Zeit ab 1. Juli 2000 zur Zahlung monatlichen Unterhalts von mehr als 1.325 DM (1.175 DM Elementarunterhalt und 150 DM Altersvorsorgeunterhalt) verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Beide Parteien begehren Abänderung des Scheidungsverbundurteils, soweit der Beklagte zur Zahlung nachehelichen Unterhalts an die Klägerin verurteilt worden ist.

Die am 17. August 1968 geschlossene Ehe der Parteien, aus der ein 1974 geborener Sohn hervorgegangen ist, wurde durch Verbundurteil des Amtsgerichts vom 19. Januar 1998, rechtskräftig seit 18. März 1998, geschieden. Im Frühjahr 1998 brach der Sohn ein vor der Trennung der Parteien aufgenommenes Studium ab. In der Zeit von Oktober 1998 bis August 1999 war er erwerbstätig; seit September 1999 absolvierte er eine Lehre als Hotelfachmann. Er lebt im Haushalt des Beklagten.

Die am 28. Februar 1948 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Während der Ehe war sie überwiegend nicht erwerbstätig. Aus einer etwa 1989 aufgenommenen Teilzeitbeschäftigung im Umfang von zehn bis zwölf Wochenstunden erzielte sie Einkünfte im versicherungsfreien Bereich. Die betreffende Beschäftigung übte die Klägerin - mit einer Unterbrechung von September 1997 bis Juli 1998 - bis einschließlich September 1999 aus. Von Oktober 1999 bis Juni 2000 war sie aufgrund eines zunächst bis März 2000 befristeten und später um drei Monate verlängerten Arbeitsverhältnisses halbschichtig bei der Firma R. tätig. Ihr Bruttoeinkommen belief sich zunächst auf monatlich 1.400 DM und betrug ab Mai 2000 monatlich 1.500 DM jeweils zuzüglich Weihnachts- und Urlaubsgeld. Wegen einer Tumorerkrankung war die Klägerin seit Juli 2000 erwerbsunfähig.

Der 1947 geborene Beklagte ist als Meister für Netz- und Regelungstechnik bei der Firma B. beschäftigt. Er bewohnt seit Ende Mai 1998 die frühere Ehewohnung, eine etwa 100 qm große Wohnung im Anwesen seiner Mutter, an der für ihn ein Nießbrauch bestellt ist. Diese Wohnung hatte zuvor die Klägerin genutzt.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin Abänderung des Verbundurteils begehrt, durch das ihr nachehelicher Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit in Höhe von monatlich insgesamt 1.413,31 DM (852,76 DM Elementarunterhalt - nach Kürzung um monatlich 500 DM wegen des Wohnvorteils -, 186,71 DM Krankenvorsorgeunterhalt und 373,84 DM - nicht: 383,84 DM - Altersvorsorgeunterhalt) zuerkannt worden war. Zur Begründung hat sie ausgeführt, infolge des Auszugs aus der vormaligen Ehewohnung sei der mit monatlich 500 DM auf den Elementarunterhalt angerechnete Wohnvorteil entfallen. Darüber hinaus sei die Unterhaltsverpflichtung des Beklagten gegenüber dem gemeinsamen Sohn weggefallen. Mit Rücksicht auf diese Umstände stehe ihr ab Juni 1998 ein um monatlich 500 DM höherer Elementarunterhaltsanspruch zu. Ab November 1998 könne sie Elementarunterhalt von 1.141 DM, Krankenvorsorgeunterhalt von 305,50 DM und Altersvorsorgeunterhalt von 459,38 DM - jeweils monatlich - verlangen; insoweit sei das Ausgangsurteil abzuändern.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat widerklagend Abänderung des Verbundurteils dahin begehrt, daß er von August 1999 an nicht mehr zur Zahlung nachehelichen Unterhalts verpflichtet sei. Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin müsse ihren Unterhaltsbedarf durch Aufnahme einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit selbst decken. Da sie sich nicht ausreichend um eine solche Tätigkeit bemüht habe, seien ihr die hieraus erzielbaren Einkünfte fiktiv anzurechnen. Damit könne sie ihren eheangemessenen Bedarf bestreiten.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat der Klage für die Zeit ab Juli 1998 teilweise stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten, mit der er sein erstinstanzliches Begehren - bezüglich der Widerklage für die Zeit ab 10. September 1999 - weiterverfolgt hat, hat das Oberlandesgericht die Klage in weitergehendem Umfang abgewiesen und der Widerklage teilweise stattgegeben. Für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2000 hat es das Verbundurteil dahin abgeändert, daß der Beklagte nur monatlichen Unterhalt von insgesamt 1.325 DM (1.175 DM Elementarunterhalt und 150 DM Altersvorsorgeunterhalt) zu zahlen hat, während es für die Zeit ab 1. Juli 2000 das angefochtene Urteil, nach dem der Beklagte monatlichen Unterhalt von insgesamt 1.755,61 DM (1.312,66 DM Elementarunterhalt, 217,89 DM Krankenvorsorgeunterhalt und 225,06 DM Altersvorsorgeunterhalt) entrichten muß, aufrecht erhalten hat. In Nr. V des Entscheidungssatzes hat das Oberlandesgericht die Revision für den Beklagten zugelassen, "soweit er seine Verurteilung zur Zahlung von (ergänzendem) Unterhalt gemäß § 1576 BGB ab Juli 2001 zur Überprüfung durch den Bundesgerichtshof stellen will". Hierzu hat es in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Revision werde zugelassen, soweit ab Juli 2000 neben dem Anspruch auf Krankheitsunterhalt aus § 1572 Nr. 4 BGB in Höhe des bis dahin bestehenden Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB (monatlich insgesamt 1.325 DM) ein (ergänzender) Krankheitsunterhalt gemäß § 1576 BGB zuerkannt worden sei. Die Frage, ob und inwieweit ein Unterhaltsanspruch nach § 1576 BGB gegeben sei, soweit ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB an dem erforderlichen Einsatzzeitpunkt scheitere, sei von grundsätzlicher Bedeutung.

Der Beklagte hat Revision eingelegt; er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit er für die Zeit vom 1. Juli 2000 an zur Zahlung höheren Unterhalts als monatlich 1.325 DM verurteilt worden ist, und insoweit nach seinen zweitinstanzlichen Anträgen zu erkennen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Revision ist mit dem gestellten Antrag zulässig.

Die unter Nr. V des Urteilstenors enthaltene Beschränkung der Revisionszulassung auf die Zeit ab Juli 2001 beruht - wie sich aus den Ausführungen in den Entscheidungsgründen ergibt - offensichtlich auf einem Schreibfehler; gemeint war die Zulassung der Revision in dem angegebenen Umfang für die Zeit ab Juli 2000.

Die insoweit vorgenommene Beschränkung ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wirksam.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Zulassung der Revision rechtswirksam auf einen rechtlich und tatsächlich selbständigen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, über den abgetrennt vom übrigen Verfahren im Wege eines Teilurteils nach § 301 ZPO oder eines Grundurteils nach § 304 ZPO gesondert hätte entschieden werden können oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (BGHZ 76, 397, 399; 101, 276, 278; 111, 158, 166; Senatsurteil vom 25. Januar 1995 - XII ZR 195/93 - BGHR ZPO § 546 Abs. 1 Satz 1 Revisionszulassung, beschränkte 15, jeweils m.N.). Es kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Fall die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß eines entsprechenden Teilurteils gegeben waren. Jedenfalls hätte der Beklagte die Abänderung des Verbundurteils für die Zeit bis Juni 2000 insgesamt und für die Zeit danach in Höhe eines monatlichen Unterhalts von 1.325 DM hinnehmen und nur die darüber hinausgehende Unterhaltsabänderung angreifen können. Schon daraus ergibt sich die Wirksamkeit der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Beschränkung der Zulassung.

Dieser Beurteilung steht die Formulierung der Revisionszulassung im Urteilstenor nicht entgegen. Soweit dort von der Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von (ergänzendem) Unterhalt gemäß § 1576 BGB die Rede ist, war damit keine - unzulässige - Beschränkung auf eine von mehreren Anspruchsgrundlagen gemeint. Aus der Begründung der Zulassung in den Entscheidungsgründen wird vielmehr ersichtlich, daß eine Beschränkung der Revisionszulassung auf den monatlich 1.325 DM übersteigenden Unterhalt beabsichtigt war und damit auf einen ziffernmäßig konkretisierten Teil des Urteils (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10. Januar 1979 - IV ZR 76/78 - FamRZ 1979, 233 f.; Senatsurteil vom 21. April 1982 - IVb ZR 741/80 - FamRZ 1982, 684 f.), soweit dieses die Zeit ab 1. Juli 2000 betrifft. Mit Rücksicht darauf ist es der Revisionserwiderung auch nicht verwehrt, Gegenrügen anzubringen, die nicht die vom Berufungsgericht als rechtsgrundsätzlich angesehene Frage betreffen, sondern für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sind, ob der Klägerin ein über monatlich 1.325 DM hinausgehender Gesamtunterhalt eventuell aus anderen Erwägungen zusteht.

II.

In der Sache führt die Revision im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

1. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in FamRZ 2002, 821 ff. veröffentlicht ist, hat angenommen, daß der Klägerin für die Zeit ab 1. Juli 2000 ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 Nr. 4 BGB in Höhe von monatlich insgesamt 1.325 DM (Elementarunterhalt: 1.175 DM, Altersvorsorgeunterhalt: 150 DM) und in Höhe von weiteren 430,61 DM nach § 1576 BGB zustehe. Dazu hat es ausgeführt: Der Klägerin habe es in der Zeit von November 1998 bis Juni 2000 oblegen, eine vollschichtige Erwerbstätigkeit auszuüben. Nach den insoweit bindenden Feststellungen des Verbundurteils seien ihr zwar "mindere ausbildungsunabhängige Tätigkeiten" unzumutbar. Eine Auslegung dieser Formulierung ergebe jedoch, daß der Klägerin Tätigkeiten hätten zugemutet werden sollen, die einerseits nicht zwingend eine Berufsausbildung voraussetzten, anderseits aber nicht minderer Art seien, wie die einer Hilfsarbeiterin oder Reinigungskraft. Deshalb könne sie sich nicht darauf zurückziehen, sie habe mangels Berufungsausbildung keine ihr zumutbare Beschäftigung erreichen können. Da sie sich nicht hinreichend um eine solche Tätigkeit bemüht habe und nicht ausgeschlossen werden könne, daß sie bei ausreichenden Bemühungen eine geeignete Arbeitsstelle habe finden können, müsse sie sich fiktive Einkünfte aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zurechnen lassen. Wegen der bereits im Ausgangsurteil aufgezeigten besonderen Umstände, zu denen noch der auf Drängen des Beklagten im Mai 1998 erfolgte Auszug aus der früheren Ehewohnung und der Umzug in eine Mietwohnung hinzugekommen seien, liege eine Verletzung der Erwerbsobliegenheit erst ab November 1998 vor. Erst von da an entfalle deshalb der Unterhaltsanspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB. Der Klägerin verbleibe aber ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB), da die ihr zuzurechnenden fiktiven Einkünfte nicht ausreichten, um ihren nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Unterhaltsbedarf zu decken. Mit Eintritt ihrer Erwerbsunfähigkeit im Juli 2000 sei der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt entfallen und an seine Stelle ein Anschlußunterhaltsanspruch nach § 1572 Nr. 4 BGB getreten. Dieser bestehe jedoch nur in dem Umfang weiter, wie er zum Zeitpunkt des Wegfalls der Voraussetzungen des Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt bestanden habe, also in Höhe der Differenz zwischen den fortgeschriebenen - fiktiven - Einkünften aus der vollschichtigen Erwerbstätigkeit und dem eheangemessenen Bedarf. Die Voraussetzungen für einen weitergehenden Anspruch nach § 1572 Nr. 4 BGB seien dagegen nicht gegeben, weil es insoweit an dem erforderlichen Einsatzzeitpunkt fehle. Ein Unterhaltsanspruch nach § 1573 Abs. 1 BGB habe bei Eintritt der krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit nicht mehr bestanden. § 1573 Abs. 4 BGB komme für den Einsatzzeitpunkt ebenfalls nicht in Betracht, weil die Erwerbsunfähigkeit erst zu einem Zeitpunkt eingetreten sei, in dem eine im November 1998 aufgenommene Tätigkeit, die wegen Verletzung der Erwerbsobliegenheit zu unterstellen sei, der Klägerin bereits eine nachhaltige Sicherung des Unterhalts durch eigene Einkünfte ermöglicht hätte. Eine im November 1998 aufgenommene Erwerbstätigkeit hätte im Juli 2000 bereits ein Jahr und acht Monate bestanden. Umstände, die einen Verlust der Arbeitsstelle hätten befürchten lassen, seien nicht ersichtlich; zumindest habe die Klägerin solche nicht hinreichend dargetan. Neben dem Unterhaltsanspruch aus § 1572 Nr. 4 BGB habe die Klägerin allerdings ab Juli 2000 einen ergänzenden Unterhaltsanspruch nach § 1576 BGB.

2. Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Ein Unterhaltsanspruch nach §1576 BGB kommt nur insoweit in Betracht, als das Unterhaltsbegehren nicht auf die Bestimmung des § 1572 BGB gestützt werden kann. Denn § 1576 BGB ist gegenüber § 1572 BGB subsidiär.

Die Frage, in welchem Verhältnis § 1576 BGB zu den Unterhaltstatbeständen der §§ 1570 bis 1573 und § 1575 BGB steht, hat der Senat bisher nur für § 1570 BGB entschieden. Er hat die Auffassung vertreten, daß insoweit eine Anspruchskonkurrenz ausgeschlossen sei, mithin Subsidiarität des Billigkeitsanspruchs gegenüber dem Anspruch wegen Kindesbetreuung besteht (Senatsurteil vom 25. Januar 1984 - IVb ZR 28/82 - FamRZ 1984, 361, 362 f.). Die hierzu angestellten Erwägungen, die sich insbesondere auf den Wortlaut des § 1576 BGB, dessen Stellung im Gesetz sowie die unterschiedlichen Tatbestandsstrukturen der §§ 1570 bis 1573 und § 1575 BGB einerseits und des § 1576 BGB andererseits stützen, gelten für das Verhältnis von § 1576 BGB zu § 1572 BGB gleichermaßen. Zudem entspricht dem Verständnis des § 1576 BGB als eines subsidiären Unterhaltstatbestandes auch der Gesetzeszweck: Die Vorschrift soll nach Art eines Auffangtatbestandes Regelungslücken schließen und Härten vermeiden, die sich aus dem enumerativen Tatbestandskatalog der §§ 1570 bis 1573 und § 1575 BGB ergeben könnten. Deshalb ist § 1576 BGB auch gegenüber § 1572 BGB als subsidiär anzusehen (ebenso: Soergel/Häberle BGB 12. Aufl. § 1576 Rdn. 11; Staudinger/Verschraegen BGB 12. Aufl. § 1576 Rdn. 38; MünchKomm/Maurer BGB 4. Aufl. § 1576 Rdn. 21; RGRK-Cuny BGB 12. Aufl. § 1576 Rdn. 8; Wendl/Gerhardt Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 5. Aufl. § 4 Rdn. 165; Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts Kap. IV Rdn. 380; Göppinger/Bäumel Unterhaltsrecht 8. Aufl. Rdn. 1007). Daher muß ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB zu verneinen sein, bevor ein solcher aus § 1576 BGB zum Tragen kommen kann.

b) Das hat auch das Berufungsgericht so gesehen. Seine Ausführungen, mit denen es einen über den Betrag von monatlich 1.325 DM hinausgehenden Unterhaltsanspruch nach § 1572 Nr. 4 BGB abgelehnt hat, begegnen indessen, wie die Revisionserwiderung zu Recht geltend macht, rechtlichen Bedenken.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung insofern darauf gestützt, daß der Unterhalt der Klägerin durch die ihr angesonnene Tätigkeit nachhaltig gesichert gewesen sei, als sie krankheitsbedingt erwerbsunfähig wurde. Deshalb fehle es auch unter Heranziehung des § 1573 Abs. 4 BGB an dem für die Anwendbarkeit des § 1572 Nr. 4 BGB notwendigen Einsatzzeitpunkt des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach § 1573 BGB.

aa) Nach § 1573 Abs. 4 BGB kann der geschiedene Ehegatte Unterhalt verlangen, wenn die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit wegfallen, weil es ihm trotz seiner Bemühungen nicht gelungen war, den Unterhalt durch die Erwerbstätigkeit nach der Scheidung nachhaltig zu sichern. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß derjenige Ehegatte, dessen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit nachhaltig gesichert ist, auf eine nachwirkende eheliche Solidarität später nicht mehr zurückgreifen können, sondern alle Folgen der noch ungewissen künftigen Entwicklung allein tragen soll. Für die Beurteilung, ob der Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit nachhaltig gesichert erscheint, ist maßgebend, ob diese im Zeitpunkt ihrer Aufnahme nach objektiven Maßstäben und allgemeiner Lebenserfahrung mit einer gewissen Sicherheit als dauerhaft angesehen werden kann oder ob befürchtet werden muß, daß der Bedürftige sie durch außerhalb seiner Entschließungsfreiheit liegende Umstände in absehbarer Zeit wieder verliert. Dabei sind auch solche Umstände in die Beurteilung einzubeziehen, die zwar schon zu diesem Zeitpunkt bestehen, aber erst später zutage treten (Senatsurteile vom 16. März 1988 - IVb ZR 40/87- FamRZ 1988, 701, 702 und vom 6. Mai 1987 - IVb ZR 61/86 - FamRZ 1987, 689). Es obliegt dem Unterhalt begehrenden Ehegatten darzulegen und notfalls zu beweisen, daß eine nachhaltige Sicherung seines Unterhalts nicht zu erreichen war (Senatsurteil vom 9. Oktober 1985 - IVb ZR 56/84 - FamRZ 1985, 1234). Entsprechendes gilt grundsätzlich auch dann, wenn dem Anspruchsteller lediglich fiktive Einkünfte zugerechnet werden. Auch solche können - fiktiv - zu einer nachhaltigen Sicherung im Sinne des § 1573 Abs. 4 BGB führen; andernfalls würde derjenige Unterhaltsberechtigte, der eine Erwerbsobliegenheit verletzt, in ungerechtfertigter Weise bessergestellt (Kalthoener/Büttner/Niepmann Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 8. Aufl. Rdn. 436).

bb) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe Umstände, die einen Verlust der Arbeitsstelle hätten befürchten lassen, nicht dargetan, solche seien auch nicht ersichtlich, berücksichtigt indessen nicht die Besonderheiten der hier gegebenen Fallgestaltung. Da die Klägerin tatsächlich keiner vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachging, konnte sie zur Nachhaltigkeit der Unterhaltssicherung durch bestimmte Erwerbstätigkeiten keine Angaben machen. Sie war vielmehr darauf beschränkt, auf diejenigen Umstände hinzuweisen, die unter Berücksichtigung ihrer konkreten Situation gegen die betreffende Annahme sprechen konnten. Das hat sie insoweit auch getan, als sie verschiedene Gesichtspunkte angeführt hat, die die Aufnahme einer ihr zumutbaren Beschäftigung zumindest erschwert und bisher nicht zu einer dauerhaften Einstellung geführt hätten. Diese Umstände sind aber gleichermaßen für die Beantwortung der Frage heranzuziehen, ob der Klägerin durch die Aufnahme einer angemessenen Erwerbstätigkeit eine nachhaltige Unterhaltssicherung hätte gelingen können. Insofern kommt einerseits sowohl dem Alter der Klägerin, ihrer fehlenden Berufsausbildung und dem Umstand, daß ihr nach Auffassung des Berufungsgerichts angesichts der Lebensstellung der Parteien nicht jedwede Tätigkeit zumutbar ist, und andererseits der Tatsache Bedeutung zu, daß sie in der Vergangenheit nur eine Aushilfsbeschäftigung im sozialversicherungsfreien Bereich ausgeübt bzw. einer - wenn auch um drei Monate verlängerten - zeitlich befristeten Tätigkeit nachgegangen ist. Ob angesichts dieser Situation unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktverhältnisse für die Klägerin eine nachhaltige Sicherung des Unterhalts durch Erwerbstätigkeit zu erreichen war, ist in tatrichterlicher Verantwortung zu prüfen. Dabei wird auch zu beachten sein, daß das Berufungsgericht aufgrund der der Klägerin zugestandenen Vermittlungsschwierigkeiten erst für die Zeit ab November 1998 von der Aufnahme einer zumutbaren vollschichtigen Tätigkeit ausgegangen ist. Solche Schwierigkeiten können sich aber im Fall der Notwendigkeit eines Arbeitsplatzwechsels infolge unverschuldeten Verlusts einer Arbeitsstelle wiederholen, was ebenfalls der Annahme einer nachhaltigen Unterhaltssicherung entgegenstehen könnte.

cc) Danach kann jedenfalls derzeit nicht ausgeschlossen werden, daß der Tatbestand des § 1573 Abs. 4 BGB für die Zeit ab 1. Juli 2000 erfüllt war und zu einem Anschlußunterhaltsanspruch nach § 1572 Nr. 4 BGB führen kann. Das angefochtene Urteil kann deshalb mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben.

3. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO a.F.). Denn erst wenn feststeht, daß ein Unterhaltsanspruch aus § 1572 Nr. 4 BGB als Anschlußunterhalt nach einem Anspruch aus § 1573 Abs. 4 BGB nicht gegeben ist, wird über einen Unterhaltsanspruch aus Billigkeitsgründen nach § 1576 BGB zu befinden sein.

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anschlußunterhaltsanspruch der Klägerin nach § 1572 Nr. 4 BGB bestehe nur in dem Umfang weiter, wie er zum Zeitpunkt des Wegfalls der Voraussetzungen für den Anspruch auf Aufstockungsunterhalt bestanden habe, steht mit der Rechtsprechung des Senats in Einklang (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 2001 - XII ZR 135/99 - FamRZ 2001, 1291, 1294).

b) Danach kommt, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, ein Anschlußunterhaltsanspruch bezüglich des Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt in Betracht, der sich ausgehend von den fortgeschriebenen Einkünften der Klägerin aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit und dem eheangemessenen Bedarf bemißt. Insofern wird allerdings die sich auf die Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse auswirkende geänderte Rechtsprechung des Senats zur Anwendung der sogenannten Anrechnungsmethode zu beachten sein (Senatsurteil vom 13. Juni 2001 - BGHZ 148, 105 ff.). Diese Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat zu einer neuen Rechtslage geführt, die auch bei der Abänderung eines Unterhaltsurteils für den Unterhaltszeitraum zu berücksichtigen ist, der der Verkündung des die bisherige Rechtsprechung aufgebenden Urteils des Senats folgt. Für die Zeit davor verbleibt es dagegen hinsichtlich der Unterhaltsbemessung bei der früheren Rechtslage (Senatsurteil vom 5. Februar 2003 - XII ZR 29/00 - FamRZ 2003, 848, 851 f.). Die Berücksichtigung dieses Abänderungsgrundes dürfte zur Folge haben, daß der Klägerin bereits als Anschlußunterhalt in bezug auf den Aufstockungsunterhalt ein über dem Gesamtbetrag von 1.325 DM liegender Unterhalt zusteht.

c) Was die Erwägungen des Berufungsgerichts zu dem Unterhaltsanspruch aus § 1576 BGB anbelangt, so dürften diese keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken begegnen. Das Berufungsgericht hat insofern ausgeführt: In einer Erkrankung könne ein schwerwiegender Grund im Sinne der vorgenannten Bestimmung gesehen werden, der die Annahme zu rechtfertigen vermöge, die Versagung von Unterhalt sei unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig. Vorliegend erscheine die Nichtgewährung eines über insgesamt monatlich 1.325 DM hinausgehenden Unterhalts unbillig, da der zuzuerkennende Elementarunterhalt den notwendigen Eigenbedarf der Klägerin nicht abdecke, der Altersvorsorgeunterhalt so gering sei, daß damit eine nennenswerte Altersversorgung nicht aufgebaut werden könne, und Krankenvorsorgeunterhalt überhaupt nicht berücksichtigt sei. Bei der Abwägung der Belange der Ehegatten sei insbesondere die Ehedauer von knapp 28 Jahren bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags bzw. knapp 30 Jahren bis zur Rechtskraft der Scheidung zu berücksichtigen sowie der Umstand, daß die bei Eheschließung erst 20 Jahre alte Klägerin aufgrund der gemeinsamen Lebensplanung der Parteien die Betreuung und Erziehung des gemeinsamen Sohnes und die Haushaltsführung übernommen habe und daher eine eigene berufliche Entwicklung nicht habe erfahren können. Dies begründe eine erhöhte nacheheliche Mitverantwortung des Beklagten gegenüber der Klägerin. Es widerspräche jeglichem Gerechtigkeitsempfinden, der Klägerin einen weitergehenden Unterhalt zu versagen, zumal der Beklagte unschwer in der Lage sei, den zur Deckung des Bedarfs der Klägerin notwendigen Unterhalt zu zahlen. Deshalb sei es gerechtfertigt, es bei dem vom Amtsgericht zuerkannten Betrag von insgesamt 1.755,61 DM monatlich zu belassen, der hinter dem eheangemessenen Unterhalt zurückbleibe.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 1576 BGB entsprechend ihrer Ausgestaltung als allgemeine Härteklausel weder im Verhältnis zum Regelungsbereich der §§ 1570 ff. BGB auf gegenständlich andere als die dort genannten Gründe begrenzt noch sonst Beschränkungen auf bestimmte Unterhaltstatbestände unterworfen. Außerdem müssen die in § 1576 BGB vorausgesetzten schwerwiegenden Gründe für die Unzumutbarkeit der Erwerbstätigkeit und die daraus resultierende Bedürftigkeit nicht ehebedingt sein (Senatsurteil vom 11. Mai 1983 - IVb ZR 382/81 - FamRZ 1983, 800, 801). Mit Rücksicht auf diese Erwägungen hat der Senat bereits in vergleichbaren Fallgestaltungen den Hinweis für geboten gehalten, die Voraussetzungen des § 1576 BGB seien zu prüfen, sofern die Zubilligung eines Unterhaltsanspruchs wegen Krankheit lediglich am Einsatzzeitpunkt scheitere (vgl. Senatsurteile vom 31. Januar 1990 - XII ZR 36/89 - FamRZ 1990, 496, 499 und vom 23. März 1983 - IVb ZR 370/81 - veröffentlicht bei Juris) und die zusätzliche Voraussetzung der groben Unbilligkeit erfüllt sei. Insofern dürfte es der Heranziehung der genannten Bestimmung nicht entgegenstehen, wenn eine krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit nicht bereits zu einem der in § 1572 BGB genannten Einsatzzeitpunkte vorlag. Anders als andere Unterhaltstatbestände sieht § 1576 BGB Einsatzzeitpunkte nicht vor. Der Senat neigt allerdings mit einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum dazu, daß es sachgerecht erscheint, den Umstand, daß ein nach der Scheidung mit einem Unterhaltsanspruch nicht belasteter Ehegatte mit fortschreitender Dauer immer weniger mit einer Inanspruchnahme auf Unterhalt zu rechnen braucht, bei der zu treffenden Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen (vgl. hierzu etwa Schwab/Borth aaO Kap. IV Rdn. 368; Johannsen/Henrich/Büttner Eherecht 3. Aufl. § 1576 Rdn. 5; Soergel/Häberle aaO § 1576 Rdn. 7; MünchKomm/Maurer aaO § 1576 Rdn. 17; Göppinger/Bäumel aaO Rdn. 1008; anderer Ansicht: Kalthoener/Büttner/Niepmann aaO Rdn. 455).



Ende der Entscheidung

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