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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.07.2003
Aktenzeichen: XII ZR 339/00
Rechtsgebiete: BGB, BSHG


Vorschriften:

BGB § 1601 ff.
BSHG § 91 Abs. 2 Satz 2 i.d.F. des FKPG vom 23. Juni 1993
a) Der Übergang des Unterhaltsanspruchs eines behinderten Kindes auf den Träger der Sozialhilfe kann nicht nur nach der konkretisierten Härteregelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. BSHG, sondern auch nach der allgemeinen Härteregelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. BSHG ausgeschlossen sein.

b) Zum Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. BSHG, wenn ein behindertes Kind, für das Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt worden ist, von einem Elternteil in dessen Haushalt gepflegt wird.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XII ZR 339/00

Verkündet am: 23. Juli 2003

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dr. Ahlt

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 13. Zivilsenats - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz vom 27. November 2000 wird zurückgewiesen.

Auf die Revision der Beklagten wird das vorgenannte Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden ist.

Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die klagende Stadt macht als Trägerin der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht Unterhaltsansprüche des am 12. Juni 1955 geborenen schwerbehinderten Jürgen D. gegen die Beklagte geltend.

Jürgen D. ist der Sohn der Beklagten aus deren geschiedener Ehe; der Vater ist verstorben. Bis Anfang März 2000 lebte der Sohn im Haushalt seiner Mutter und wurde von ihr versorgt und gepflegt. Er leidet seit seiner Geburt an einer Hirnschädigung, die zu einer ausgeprägten körperlichen Behinderung und psychischen Beeinträchtigung, u.a. einem Schwachsinn mittleren Grades mit gravierender Sprachbehinderung, geführt hat. Er kann allenfalls einige Schritte alleine gehen und benötigt deshalb einen Rollstuhl. Außerdem bedarf er der physischen Versorgung sowie der Betreuung und Beaufsichtigung und ist auch sonst in allen Lebensbereichen auf die Hilfe anderer angewiesen.

Die 1931 geborene Beklagte war bis zum 30. April 1994 erwerbstätig. Seit dem 1. Mai 1995 befindet sie sich im Ruhestand und verfügt über Renteneinkünfte von monatlich rund 2.700 DM.

Die Klägerin gewährte Jürgen D. seit dem 1. Januar 1983 - neben Hilfe zur Pflege und Krankenhilfe - Hilfe in besonderen Lebenslagen in unterschiedlicher Höhe. Sie hat die Beklagte bereits in der Vergangenheit aus übergeleitetem bzw. übergegangenem Recht auf Unterhaltszahlungen für ihren Sohn in Anspruch genommen. In den hierüber geführten Rechtsstreiten ist die Beklagte verurteilt worden, für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis 31. Dezember 1985 7.775,03 DM, für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis 28. Juli 1989 8.499,55 DM, für die Zeit vom 2. Dezember 1989 bis 31. Dezember 1990 4.589,54 DM und für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 31. Dezember 1993 11.020 DM an die Klägerin zu zahlen.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin aus übergegangenem Recht Unterhaltsansprüche für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 30. November 1999 in Höhe von insgesamt 50.021,55 DM zuzüglich Zinsen geltend. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre Inanspruchnahme sei wegen Vorliegens einer unbilligen Härte ausgeschlossen.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das angefochtene Urteil teilweise abgeändert und die Verurteilung der Beklagten nur in Höhe von 38.299,20 DM zuzüglich Zinsen aufrecht erhalten. Dagegen richten sich die - zugelassenen - Revisionen beider Parteien. Die Klägerin erstrebt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils; die Beklagte begehrt weiterhin Klageabweisung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Revision der Beklagten führt dagegen in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2001, 1237 veröffentlicht ist, hat angenommen, daß der Unterhaltsanspruch des Jürgen D. gegen seine Mutter weder dem Grunde noch der Höhe nach im Streit sei. Er belaufe sich unter Berücksichtigung der von dem Einkommen der Beklagten vorzunehmenden Abzüge und des ihr zu belassenden Selbstbehalts auf die von der Klägerin errechneten Beträge von monatlich 961,32 DM für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 30. April 1995, auf monatlich 810,31 DM für die Zeit vom 1. Mai 1995 bis 31. Dezember 1995 und auf monatlich 610,31 DM für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 30. November 1999. Ein Forderungsübergang auf die Klägerin, die in der betreffenden Zeit laufend Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt habe, und zwar bis zum 30. November 1994 in geringerer und seit dem 1. Dezember 1994 in einer den Unterhaltsanspruch jeweils übersteigenden Höhe, sei jedoch vom Beginn des Ruhestandes der Beklagten am 1. Mai 1995 an nur noch teilweise erfolgt. Nach § 91 Abs. 2 Satz 2 BSHG in der seit dem 27. Juni 1993 geltenden Fassung sei der gesetzliche Forderungsübergang ausgeschlossen, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Das sei ab 1. Mai 1995 zum Teil der Fall. Das bereinigte Einkommen der Beklagten belaufe sich nach Abzug der von der Klägerin anerkannten Belastungen auf monatlich 2.410,31 DM; über Vermögen verfüge sie nicht. Deshalb lägen - wie auch schon während der Zeit der Erwerbstätigkeit der Beklagten - keine außergewöhnlich guten Einkommens- oder Vermögensverhältnisse vor. Die Beklagte habe ihren Sohn von seiner Geburt an gepflegt und versorgt, wobei sie teilweise die Mithilfe von Familienangehörigen bzw. ihr nahestehenden Personen (zunächst ihrer Mutter, später ihres Lebensgefährten) in Anspruch genommen habe, weil sie selbst - nachdem ihre Ehe schon bald nach der Geburt des Kindes geschieden worden sei - eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe, um den Lebensunterhalt für sich und den Sohn sicherzustellen. Dadurch habe sie über lange Jahre eine erhebliche Doppelbelastung auf sich genommen, indem sie neben ihrer Arbeitstätigkeit jede freie Minute dem behinderten Kind gewidmet und ihr ganzes Leben auf dieses abgestellt habe. Zugleich habe sie der Allgemeinheit Sozialhilfeleistungen erspart, die andernfalls für sie und den Sohn zur Deckung des Lebensbedarfs hätten aufgebracht werden müssen. Im Hinblick auf die erhebliche Betreuungsbedürftigkeit des Sohnes, der in allen Lebensbereichen (z.B. Anziehen, Waschen, Essen, Toilettenbesuche) auf fremde Hilfe angewiesen sei und sich infolge der geistigen Behinderung auch nicht alleine beschäftigen könne, sondern der Überwachung und Beaufsichtigung bedürfe, habe die Beklagte viele Jahre überobligationsmäßig gearbeitet und sich weit über das Maß ihrer Unterhaltspflicht hinaus um den behinderten Sohn gekümmert. Im Verhältnis zu Eltern eines gesunden Kindes habe sie damit vor ihrer Verrentung deutlich mehr als zehn Jahre länger Barunterhalt (wenn davon ausgegangen werde, daß ein Studium mit 27 Jahren abgeschlossen sei) und mehr als 20 Jahre länger Betreuungs- und vor allem umfangreiche Pflegeleistungen erbracht. Nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben habe sie die Pflege und Betreuung des Sohnes in dem hier maßgeblichen Zeitraum fortgesetzt und nicht ihren Ruhestand genossen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß allgemein die Spannkraft und Belastbarkeit eines Menschen mit zunehmendem Alter nachlasse und die Beklagte aufgrund der besonderen psychischen und physischen Belastungen gesundheitlich angeschlagen gewesen sei. Wenn sie gleichwohl die aufopferungsvolle Pflege fortgesetzt habe und zusätzlich den vollen Unterhaltsanspruch erfüllen müsse, werde sie in einem so weit über das übliche Maß hinausgehenden Umfang belastet, daß dies eine unbillige Härte bedeute. Diese Beurteilung führe zwar nicht dazu, daß für die Zeit ab 1. Mai 1995 ein Forderungsübergang überhaupt nicht stattfinde, die Beurteilung sei aber bei der Quote zu berücksichtigen, zu der der Beklagten ein Einsatz ihres Einkommens zuzumuten sei. Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte sei es angemessen, ihr ein Drittel ihres über den angemessenen Eigenbedarf hinausgehenden für den Unterhalt des Sohnes einsetzbaren Einkommens zu belassen, so daß ihr eine Entlastung im Ruhestand zuteil werde. Die Beklagte habe deshalb einen Betrag von insgesamt 38.299,20 DM aufzubringen, nämlich entsprechend der nicht bestrittenen Auflistung und Berechnung der Klägerin 18.854,50 DM für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 30. April 1995 und 23.444,70 DM (35.167,05 DM : 3 x 2) für die Zeit vom 1. Mai 1995 bis 30. November 1999.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

2. a) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, daß die Beklagte ihrem Sohn gegenüber nach den §§ 1601 ff. BGB dem Grunde nach unterhaltspflichtig ist, da er aufgrund seiner schweren Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen; der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf (§ 1610 BGB).

b) Was die Höhe des Unterhaltsanspruchs anbelangt, ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, zwischen den Parteien sei nicht umstritten, daß diese mit den von der Klägerin angesetzten Beträgen zugrunde zu legen sei. Das begegnet rechtlichen Bedenken.

Die Höhe des Unterhaltsanspruchs und damit dessen konkretes Bestehen stellt keine Tatsache dar, die die Parteien im Sinne des § 138 Abs. 3 ZPO unstreitig stellen könnten. Vielmehr handelt es sich um das Ergebnis einer dem Gericht obliegenden rechtlichen Prüfung, für die es maßgeblich auf den Bedarf des Unterhaltsberechtigten einerseits und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten andererseits ankommt. Im Hinblick darauf waren entsprechende Feststellungen des Berufungsgerichts nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte dem Vorbringen der Klägerin zu der behaupteten Höhe des Unterhaltsanspruchs nicht entgegengetreten war.

Zu der Leistungsfähigkeit der Beklagten hat die Klägerin vorgetragen, deren um die anzuerkennenden Abzüge bereinigtes Einkommen belaufe sich, etwa für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 30. April 1995, auf 2.561,32 DM. Der angemessene Eigenbedarf der Beklagten sei in dem betreffenden Zeitraum nach der herangezogenen Düsseldorfer Tabelle mit 1.600 DM anzusetzen, so daß sie monatliche Unterhaltszahlungen von 961,32 DM, nach der durchgeführten sozialhilferechtlichen Vergleichsberechnung sogar in höherem Umfang, erbringen könne.

Zum Unterhaltsbedarf des Jürgen D. hat die Klägerin indessen keine Angaben gemacht. Sie ist vielmehr davon ausgegangen, der Unterhaltsanspruch bestehe ohne weiteres in Höhe der Leistungsfähigkeit der Beklagten bzw. der zeitweise in etwas geringerem Umfang geleisteten Hilfe zum Lebensunterhalt. Beides ist indessen nicht zwingend der Fall: Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen kann höher sein als der Unterhaltsbedarf des Berechtigten. Auch der nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen errechnete Bedarf, der für die gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt maßgebend ist, deckt sich nicht zwangsläufig mit dem nach unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten ermittelten Bedarf. Das wird im vorliegenden Fall auch aus der Entscheidung des Senats vom 25. November 1992 (- XII ZR 164/91 - FamRZ 1993, 417 ff.) deutlich, die das Unterhaltsbegehren der Klägerin gegen die Beklagte für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis 28. Juli 1989 betrifft. Seinerzeit hatte das Oberlandesgericht im Anschluß an den Vortrag der Klägerin den monatlichen Gesamtbedarf des Jürgen D. in Höhe von 1.910 DM festgestellt. Er setzte sich aus dem Normalbedarf eines volljährigen Kindes von (damals) 750 DM monatlich, einem Pflegebedarf von 960 DM monatlich und einem behinderungsbedingten Mehrbedarf von 200 DM monatlich zusammen. Für den Zeitraum vom 1. September 1987 bis 30. Juni 1989 verblieb hiervon nach Abzug des bedarfsdeckend anzurechenden Pflegegeldes nach dem Landespflegegeldgesetz von 750 DM monatlich und des Wertes der von der Beklagten persönlich unter Mithilfe ihres Lebenspartners erbrachten Pflegeleistungen von monatlich 835 DM ein offener Bedarf von 325 DM, während die geleistete Hilfe zum Lebensunterhalt - für die Zeit von September 1988 bis Juni 1989 - monatlich 656,81 DM betrug. Ausgehend von dieser Entscheidung hat die Klägerin für die Folgezeit jeweils Unterhaltsansprüche in Höhe des ungedeckten Bedarfs des Jürgen D. geltend gemacht, zuletzt für Dezember 1993 - wie auch schon zuvor - in Höhe von monatlich 325 DM. Aus welchen Gründen sich der Unterhaltsanspruch für den darauffolgenden Monat Januar 1994 auf den Betrag der geleisteten Hilfe zum Lebensunterhalt von 912,90 DM belaufen soll, ist dem Vorbringen der insofern darlegungspflichtigen Klägerin nicht zu entnehmen.

Feststellungen zu dem Unterhaltsbedarf des Jürgen D. in der hier maßgeblichen Zeit hat das Oberlandesgericht demzufolge nicht getroffen. Deshalb sind die Unterhaltsansprüche nicht rechtsfehlerfrei ermittelt worden. Aus diesem Grund kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben, soweit die Verurteilung der Beklagten aufrechterhalten worden ist. In welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch des Jürgen D. gegen die Beklagte besteht, wird sich erst beurteilen lassen, nachdem das Berufungsgericht - nach Ergänzung des Sachvortrags - die erforderlichen Feststellungen nachgeholt hat.

3. Soweit das Berufungsgericht auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen hat, hält die Entscheidung indessen der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Revision der Klägerin erweist sich deshalb als unbegründet.

a) Zutreffend und von der Revision der Beklagten nicht angegriffen ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Übergang des Unterhaltsanspruchs nicht bereits nach § 91 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. BSHG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 (FKPG, BGBl. I S. 944) ausgeschlossen ist. Nach dieser Bestimmung liegt eine den Anspruchsübergang ausschließende unbillige Härte in der Regel bei unterhaltspflichtigen Eltern vor, soweit einem Behinderten, einem von einer Behinderung Bedrohten oder einem Pflegebedürftigen nach Vollendung des 21. Lebensjahres Eingliederungshilfe für Behinderte oder Hilfe zur Pflege gewährt wird. Voraussetzung für die Anwendung dieser im Gesetz konkretisierten Härteregelung ist mithin u.a., daß dem behinderten Kind Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen oder Hilfe zur Pflege gewährt wurden. Ist dies - wie hier bezüglich der von Jürgen D. bezogenen Hilfe zur Pflege - der Fall, erfolgt die Freistellung indessen nur wegen dieser Hilfe. Die Härteregelung gilt dagegen nicht für die - hier allein in Rede stehende - Hilfe zum Lebensunterhalt, wie sich aus der Formulierung "... soweit Hilfe zur Pflege gewährt wird" ergibt. Deshalb läßt die Bestimmung von ihrem Wortlaut her ein Absehen von der Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen nicht schlechthin wegen jeder Art von Sozialhilfeleistungen zu, die einem Pflegebedürftigen gewährt werden. Da die Freistellung von der Heranziehung Unterhaltspflichtiger von dem generellen Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BSHG) Ausnahmecharakter hat, ist es auch nicht zulässig, den Tatbestand des § 91 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BSHG umfassend auf Fälle der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt auszudehnen; das ist vielmehr Sache des Gesetzgebers (BVerwG FEVS Bd. 42, 309, 310 = NJW 1993, 150, 151; FEVS Bd. 49, 529, 531 f.; Schellhorn BSHG 16. Aufl. § 91 Rdn. 93; Oesterreicher/Schelter/Kunz BSHG § 91 Rdn. 139; Schaefer in Fichtner BSHG § 91 Rdn. 44; Mergler/Zink BSHG 4. Aufl. § 91 Rdn. 84; vgl. auch Münder in LPK-BSHG 6. Aufl. § 91 Rdn. 44).

b) Das Berufungsgericht hat allerdings angenommen, für die Zeit seit dem Eintritt der Beklagten in den Ruhestand führe die allgemeine Härteregelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. BSHG nur zu einem teilweisen Anspruchsübergang auf die Klägerin. Diese Auffassung begegnet aus Rechtsgründen keinen Bedenken zum Nachteil der Klägerin.

aa) Entgegen der Ansicht der Revision der Klägerin kann für Eltern behinderter Kinder nicht nur eine der allgemeinen Härteregelung vorgehende besondere Härte i.S. des § 91 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. BSHG vorliegen. Vielmehr kann auch im Rahmen der Inanspruchnahme von Eltern behinderter Kinder im Einzelfall der Übergang des Unterhaltsanspruchs wegen der allgemeinen Härteregelung ausgeschlossen sein (BVerwG FEVS Bd. 42, 309, 310 f.; Bd. 49 aaO 531 f.; Schellhorn aaO § 91 Rdn. 93; Oesterreicher/Schelter/Kunz aaO § 91 Rdn. 139; Günther Münchner Anwaltshandbuch § 13 Rdn. 57; Hänlein Die Heranziehung Unterhaltspflichtiger bei langjähriger pflegebedürftiger Volljähriger S. 88; Müller Der Rückgriff gegen Angehörige von Sozialhilfeempfängern S. 110 f.; Göppinger/van Els Unterhaltsrecht 8. Aufl. Rdn. 1757; OLG Köln FamRZ 1997, 53; vgl. auch Mergler/Zink aaO § 91 Rdn. 84; Münder aaO § 91 Rdn. 41; a.A. Schaefer aaO § 91 Rdn. 44). Das kommt auch in der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Neufassung des § 91 Abs. 2 BSHG durch das SGB IX vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046) zum Ausdruck, ohne daß insofern eine inhaltliche Änderung erfolgt ist. Seitdem findet sich die allgemeine Härteregelung in Abs. 2 Satz 2, während die konkretisierte Härteregelung in Abs. 2 Satz 5 angesiedelt ist.

bb) Nach § 91 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. BSHG in der Fassung des FKPG bzw. nach § 91 Abs. 2 Satz 2 BSHG in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung ist der Übergang des Unterhaltsanspruchs gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen ausgeschlossen, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Das genannte Beurteilungskriterium stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, dessen Anwendung der vollen Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (BVerwGE 41, 26, 30 für den Begriff der besonderen Härte; Schellhorn aaO § 91 Rdn. 89; Oesterreicher/Schelter/Kunz aaO § 91 Rdn. 130).

Was unter dem Begriff der unbilligen Härte zu verstehen ist, unterliegt den sich wandelnden Anschauungen in der Gesellschaft. Was in früheren Zeiten im Rahmen des Familienverbandes als selbstverständlicher Einsatz der Mitglieder der Familie ohne weiteres verlangt wurde, wird heute vielfach als Härte empfunden. Dabei kann diese Härte in materieller oder immaterieller Hinsicht bestehen und entweder in der Person des Unterhaltspflichtigen oder in derjenigen des Hilfeempfängers vorliegen. Bei der Auslegung der Härteklausel ist in erster Linie die Zielsetzung der Hilfe zu berücksichtigen, daneben auch die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe, insbesondere der Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 7 BSHG). Darüber hinaus ist auf die Belange und die Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen. Neben den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen der Beteiligten zueinander kommt es auf die soziale Lage an. Eine Härte liegt deshalb vor, wenn mit dem Anspruchsübergang soziale Belange vernachlässigt würden. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassung kann eine Härte insbesondere dann angenommen werden, wenn der Grundsatz der familiengerechten Hilfe ein Absehen von der Heranziehung geboten erscheinen läßt, z.B. weil hierdurch das weitere Verbleiben des Hilfeempfängers im Familienverband gefährdet erscheint, wenn die Heranziehung in Anbetracht der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen zu einer unbilligen Härte führen würde, vor allem mit Rücksicht auf Schwere und Dauer des Bedarfs, oder wenn der Unterhaltspflichtige vor Eintreten der Sozialhilfe den Hilfeempfänger über das Maß seiner Unterhaltsverpflichtung hinaus betreut und gepflegt hat (BVerwGE 41 aaO 28; 58 aaO 209, 211 ff.; Schellhorn aaO § 91 Rdn. 86 ff.; Oesterreicher/Schelter/Kunz aaO § 91 Rdn. 131 f.; Schaefer aaO § 91 Rdn. 41 f.; Münder aaO § 91 Rdn. 41 f.; Schellhorn FuR 1993, 261, 266 f.).

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen begegnet die Beurteilung des Berufungsgerichts aus den hierzu im einzelnen angeführten Erwägungen keinen rechtlichen Bedenken zum Nachteil der Klägerin. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, daß die Beklagte ihren Sohn vor dem Eintritt der Sozialhilfe Anfang 1983 über das Maß ihrer - durch ihre eingeschränkte Leistungsfähigkeit begrenzten - Unterhaltspflicht hinaus bereits viele Jahre betreut und gepflegt hat, ihren physisch anstrengenden und psychisch belastenden Einsatz zugunsten des Sohnes in der Folgezeit fortgesetzt und diesem damit die vertrauten Lebensverhältnisse erhalten hat. Gleichzeitig ist sie einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen und mußte aus ihren Einkünften in der Vergangenheit bereits Sozialhilfeleistungen in Höhe von knapp 32.000 DM erstatten, so daß sie angesichts ihrer allenfalls durchschnittlichen Einkommensverhältnisse keine Rücklagen für ihr Alter bilden konnte. Deshalb würde auch nach Auffassung des Senats eine unbillige Härte vorliegen, wenn die Beklagte sogar für die Zeit nach dem Eintritt in den Ruhestand von der Klägerin noch in voller Höhe der Unterhaltsansprüche zur Zahlung herangezogen werden könnte. Insofern stellt der Eintritt in den Ruhestand, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, einen Umstand dar, der bei Berücksichtigung der gesamten Lebensumstände - nicht nur in seiner Auswirkung auf die wirtschaftlichen Verhältnisse - Bedeutung verdient (vgl. BVerwGE 56, 220, 227).

Auch die Höhe, in der ein Anspruchsübergang verneint worden ist, erscheint, soweit sie sich zulasten der Klägerin auswirkt, rechtsbedenkenfrei. Unter Berücksichtigung aller den vorliegenden Fall kennzeichnenden Umstände wäre es vielmehr unbillig, wenn die Beklagte für die Zeit ab 1. Mai 1995 von den angeblichen Unterhaltsansprüchen von insgesamt 35.167,05 DM mehr als allenfalls 23.444,70 DM aufzubringen hätte. Dies würde - die Berechtigung der geltend gemachten Unterhaltsansprüche unterstellt - ohnehin nur dazu führen, daß ihr für die Zeit von Mai bis Dezember 1995 ein monatliches Einkommen von rund 1.870 DM und danach von 2.000 DM monatlich verbliebe.

Die Revision der Klägerin ist deshalb unbegründet, ohne daß es darauf ankommt, ob die Unterhaltsansprüche in der behaupteten oder - was daneben allein in Betracht kommt - in geringerer Höhe bestehen.

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

a) Wie die Revision der Beklagten zu Recht ausgeführt hat, brauchten Eltern, die ihr über 21 Jahre altes behindertes Kind in ein Heim gegeben haben, nach der bis zum 31. Dezember 2001 bestehenden Rechtslage gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BSHG grundsätzlich (etwas anderes kann bei guten oder sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern gelten, vgl. BVerwGE 56 aaO 223 f.) nicht mit einer finanziellen Inanspruchnahme - auch nicht wegen der geleisteten Hilfe zum Lebensunterhalt - zu rechnen, weil die in einem Heim gewährte Hilfe in besonderen Lebenslagen (in Form der Hilfe zur Pflege) auch den in der Einrichtung gewährten Lebensunterhalt einschließlich der einmaligen Leistungen umfaßt (§ 27 Abs. 3 BSHG). Das Berufungsgericht, das diesen Gesichtspunkt ebenfalls gesehen hat, ist der Auffassung, der Umstand, daß Eltern bei einer Heimunterbringung ihres Kindes gegenüber Eltern, die ihr Kind zu Hause pflegen, kostenmäßig privilegiert würden, rechtfertige es nicht, die Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. BSHG auf die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt zu erstrecken; dies sei Aufgabe des Gesetzgebers. Es ist indessen fraglich, ob die unterschiedliche Behandlung der Pflege im Heim und derjenigen zu Hause einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies bejaht und ausgeführt, ein Verstoß gegen die Menschenwürde, den allgemeinen Gleichheitssatz oder das Sozialstaatsprinzip könne in der gesetzlichen Regelung nicht gesehen werden; die je nach Haus- oder Heimpflege unterschiedlichen Ergebnisse beruhten auf der Entscheidung des Gesetzgebers in § 27 Abs. 3 BSHG, den in der Einrichtung gewährten Lebensunterhalt der Hilfe in besonderen Lebenslagen zuzuordnen (BVerwG FEVS Bd. 49 aaO S. 532). Im Schrifttum ist diese Regelung, die auch dem Grundsatz des Vorrangs der offenen Hilfe (§ 3 a BSHG) widerspricht, teilweise als unbefriedigend empfunden, teilweise als ohne durch sachliche Differenzierungskriterien gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung beurteilt worden (vgl. Mergler/Zink aaO § 91 Rdn. 79; Müller aaO S. 110; Zeitler NDV 2001, 318, 319; Münder aaO § 91 Rdn. 43; vgl. auch Hänlein aaO S. 88 f.). Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung kann allerdings im vorliegenden Fall offen bleiben, weil nicht festgestellt worden ist, ob Jürgen D. Hilfegewährung in einer der in § 27 Abs. 3 BSHG genannten Einrichtungen hätte beanspruchen können und im übrigen offen ist, in welcher Höhe Unterhaltsansprüche bestehen und inwieweit die Beklagte unter Berücksichtigung der folgenden Ausführungen überhaupt noch in Anspruch genommen werden kann.

b) Soweit bei häuslicher Pflege die konkretisierte Härteregelung nicht eingreift, kann im Einzelfall der Übergang des Unterhaltsanspruchs wegen der allgemeinen Härteregelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. BSHG ausgeschlossen sein (BVerwG FEVS Bd. 49 aaO S. 531). Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, unterliegt es den sich wandelnden Anschauungen in der Gesellschaft, was unter dem Begriff der unbilligen Härte zu verstehen ist. Insofern könnte dem Gesichtspunkt Bedeutung zukommen, daß Jürgen D. nach dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (BGBl. I 2001, 1335) Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung haben dürfte, ohne daß Unterhaltsansprüche gegen die Beklagte zu berücksichtigen wären (§§ 1 Nr. 2, 2 Abs. 1, 3 GSiG). Diesem Umstand könnte eventuell ein sich schon länger abzeichnender Wandel der gesellschaftlichen Anschauung zugrunde liegen.

Darüber hinaus wird zu erwägen sein, ob dem Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 7 BSHG) und dem Vorrang der offenen Hilfe (§ 3 a BSHG) im Rahmen des § 91 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. BSHG nicht weitergehende Bedeutung beizumessen ist, weil auf eine solche Weise vermieden werden kann, daß der Hilfeempfänger seine vertraute Umgebung verläßt und sich - falls möglich - für eine Heimpflege entscheidet. Letztlich erscheint es auch zweifelhaft, ob die in der langjährigen aufwendigen und kräftezehrenden Pflege des Jürgen D. liegenden Leistungen der Beklagten in ausreichendem Umfang berücksichtigt worden sind. Insoweit wird erneut zu prüfen sein, ob nicht zum einen schon für die Zeit vor der Verrentung und zum anderen in weiterem Umfang von einer unbilligen Härte des Anspruchsübergangs auszugehen ist.



Ende der Entscheidung

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