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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 30.10.1997
Aktenzeichen: 13 RJ 31 /97
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 136 Abs 1 Nrn 5 und 6 iVm § 153
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 30. Oktober 1997

in dem Rechtsstreit

Az: 13 RJ 31 /97

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bahnversicherungsanstalt, Bezirksleitung Berlin, Schöneberger Ufer 1-3, 10785 Berlin,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 30. Oktober 1997 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gagel, die Richter Dr. Loytved und Mütze sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Schneider und Weniger

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Landessozialgerichts Berlin vom 12. November 1996 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Altersrente des Klägers; insbesondere geht es darum, ob bei der Rentenberechnung für die Zeit vom 1. März 1971 bis 31. Dezember 1973 ein 600 M der DDR übersteigender Verdienst zu berücksichtigen ist. Im Revisionsverfahren ist vorrangig zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung an einem Verfahrensmangel leidet.

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat durch Beschluß vom 12. November 1996 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 8. Februar 1996 zurückgewiesen. Die "Entscheidungsgründe" dieses Beschlusses haben folgenden Wortlaut:

"Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Auf das gerichtliche Schreiben vom 24. September 1996 wird Bezug genommen.

Der Senat konnte die Berufung gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - durch Beschluß zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG nicht gegeben sind."

Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger im wesentlichen eine Verletzung von § 136 Abs 1 Nrn 5 und 6 iVm § 153 SGG. Dazu trägt er vor:

Das LSG habe vollständig von der Aufnahme eines Tatbestandes abgesehen: Auch die Möglichkeit des § 153 Abs 2 bzw Abs 4 SGG entbinde das LSG nicht, iS von § 136 SGG eine gedrängte Darstellung des Tatbestandes vorzunehmen. Ausdrücklich bestimme § 136 Abs 2 Satz 2 SGG, daß in jedem Falle die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben seien. Ein solcher Mangel im schriftlichen Urteil beinhalte als Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift einen Verfahrensfehler, der auch wesentlich sei, weil er einen absoluten Revisionsgrund iS des § 551 Nr 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO) darstelle. Der Beschluß des LSG stehe auch begründungslos da, weil es das LSG unterlassen habe, ausdrücklich auf die Begründung des SG Bezug zu nehmen. Insoweit liege eine Verletzung von § 136 Abs 1 Nr 6 SGG vor, was gemäß § 202 SGG iVm § 551 Nr 7 ZPO ebenfalls ein absoluter Revisionsgrund sei.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl § 124 Abs 2 SGG).

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, weil der angefochtene Beschluß keine taugliche Grundlage für eine Sachprüfung durch das Bundessozialgericht (BSG) darstellt. Das LSG hat zwar verfahrensfehlerfrei den Weg einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluß gewählt (vgl § 153 Abs 4 SGG), der Inhalt dieser Entscheidung genügt jedoch - wie der Kläger zutreffend geltend macht - nicht den an sie zu stellenden formalen Anforderungen.

Entgegen der Ansicht des Klägers liegt allerdings kein Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nrn 2 und 6 SGG vor. Danach enthält das Urteil ua die gedrängte Darstellung des Tatbestandes und die Entscheidungsgründe. Diese Vorschrift bezieht sich mithin zunächst nur auf den Inhalt von Urteilen, nicht aber von Beschlüssen. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 142 Abs 1 SGG gilt § 136 SGG ausschließlich für Beschlüsse entsprechend, die nach mündlicher Verhandlung ergehen, also gerade nicht für solche nach § 153 Abs 4 SGG (aA offenbar Bernsdorff in Hennig, SGG, § 153 Rz 69). Die letztgenannte Vorschrift selbst enthält - anders als § 105 Abs 1 Satz 3 SGG für Gerichtsbescheide - ebenfalls keine besondere Bestimmung, welche eine entsprechende Anwendung des § 136 SGG vorsieht.

Einschlägig ist vielmehr § 142 Abs 2 SGG (ebenso Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 5. Aufl, § 153 Rz 22; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur SGb, § 153 SGG Rz 54; vgl auch Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> Buchholz 310 § 138 Ziff 6 Nr 15 <§ 122 Abs 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung>). Danach sind Beschlüsse zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über ein Rechtsmittel entscheiden. Dies ist bei Beschlüssen nach § 153 Abs 4 SGG in beiderlei Hinsicht der Fall. Zum einen können sie gemäß § 153 Abs 4 Satz 3 iVm § 158 Satz 3 SGG wie ein Berufungsurteil, also - ggf über eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde - mit der Revision (vgl § 160 Abs 1 SGG), angefochten werden, zum anderen entscheiden sie über die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil.

Aus dem somit für Beschlüsse nach § 153 Abs 4 SGG geltenden Begründungserfordernis ergibt sich, daß die Beschlußgründe erkennen lassen müssen, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgebend gewesen sind (vgl BVerwG Buchholz 310 § 138 Ziff 6 Nr 15). Insbesondere bedarf es im Hinblick auf § 163 SGG auch eines Mindestmaßes an Tatsachenfeststellungen, um überhaupt in eine revisionsgerichtliche Überprüfung eintreten zu können. Daran fehlt es hier.

Im vorliegenden Fall ist es nicht möglich, zur Bestimmung des Inhalts der Begründung des angefochtenen Beschlusses auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils zurückzugreifen. Zwar kann das LSG gemäß §153 Abs 2 SGG in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist. Unabhängig davon, ob diese Vorschrift im Rahmen des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG entsprechend anzuwenden ist (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 5. Aufl, § 153 Rz 22; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur SGb, § 153 SGG Rz 54), hat das LSG von einer derartigen Möglichkeit hier jedenfalls nicht ordnungsgemäß Gebrauch gemacht. Wenn es sich auf die Gründe der vorinstanzlichen Entscheidung stützen wollte, hätte es dies nämlich deutlich zum Ausdruck bringen müssen (vgl BVerwG Buchholz 310 § 138 Ziff 6 Nr 15).

Als Begründung der vom LSG getroffenen Sachentscheidung verbleibt somit nur die Bezugnahme auf das "gerichtliche Schreiben vom 24. September 1996". Darin hatte der Berichterstatter des Berufungssenats die damaligen Bevollmächtigten des Klägers auf die Möglichkeit des § 153 Abs 4 SGG hingewiesen und weiter ausgeführt:

"Die von Ihnen zur Begründung Ihrer Berufung eingereichten "Vorschläge" zur Novellierung des Rentenüberleitungsgesetzs (RÜG) der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED), insbesondere der von Ihnen in Bezug genommene Punkt I.2 und die dort dazu gegebene Begründung, beweisen, daß die vom Kläger gewünschte Rechtsfolge sich aus dem geltenden Recht nicht herleiten läßt, vielmehr erst eine Novellierung bzw Ergänzung des § 256a SGB VI erforderlich macht. Da der Gesetzgeber § 256a SGB VI mit Wirkung vom 1. Januar 1996 durch das Gesetz zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S 824) novelliert hat, ohne die ihm bekannte Situation bei den Eisenbahnern der DR in der Zeit vom 1. März 1971 bis 31. Dezember 1973 zu berücksichtigen, können die Gerichte nicht den Gesetzgeber ersetzen. Die Berufung müßte, deshalb zurückgewiesen werden.

Sie erhalten Gelegenheit, binnen vier Wochen nach Erhalt dieses Schreibens zur beabsichtigten Verfahrensweise, aber auch in der Sache selbst, Stellung zu nehmen."

Auch wenn zur Begründung einer Gerichtsentscheidung die Bezugnahme auf während des Verfahrens angefallene, den Beteiligten also bekannte Schriftstücke allgemein als zulässig anzusehen sein mag (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 5. Aufl, § 136 Rz 7a), reichen die in dem Schreiben vom 24, September 1996 enthaltenen kurzen Hinweise zur Rechtslage jedenfalls nicht aus, um dem Begründungsgebot des § 142 Abs 2 SGG Genüge zu tun. Weder wird daraus ersichtlich, welcher Anspruch aufgrund welchen Sachverhaltes zweitinstanzlich geltend gemacht worden ist, noch mit welcher konkreten Begründung das LSG diesen verneint hat.

Da der Kläger das Fehlen ausreichender Beschlußgründe ordnungsgemäß gerügt hat, kommt es nicht darauf an, ob dieser Mangel nach § 559 Abs 2 ZPO, der gemäß § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend gilt, bereits von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Der nicht mit hinlänglichen Gründen versehene Beschluß ist auch als auf der Verletzung des Gesetzes (vgl § 162 SGG) beruhend anzusehen (vgl § 202 SGG iVm § 551 Nr 7 ZPO). Demnach ist die angefochtene Entscheidung gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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