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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 28.08.1997
Aktenzeichen: 14/10 RKg 11/96
Rechtsgebiete: SGB X, BKGG


Vorschriften:

SGB X § 103
SGB X § 110 iVm § 20 Abs 1 BKGG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 28. August 1997

in dem Rechtsstreit

Az: 14/10 RKg 11/96

Stadt Wiehl, Bahnhofstraße 1, 51674 Wiehl,

Klägerin und Revisionsbeklagte,

Bevollmächtigte:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit - Kindergeldkasse -, Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsklägerin,

beigeladen:

Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. August 1997 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ladage, die Richter Dr. Naujoks und Schriever sowie die ehrenamtlichen Richter Leingärtner und Koch

für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts NordrheinWestfalen vom 28. Juli 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die klagende Stadt macht in ihrer Eigenschaft als Trägerin der Sozialhilfe gegen die beklagte Bundesanstalt für Arbeit/Kindergeldkasse einen Anspruch auf Erstattung eines Betrages von 60,00 DM geltend.

Die Beigeladene bezog seit 1989 von der Klägerin für sich und ihre in ihrem Haushalt lebende, 1981 geborene Tochter laufend Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Dabei kürzte die Klägerin den Sozialhilfeanspruch im Wege der Einkommensanrechnung monatlich jeweils um 50,00 DM, da die Beigeladene von der Beklagten für ihre Tochter in dieser Höhe Kindergeld (Kg) erhielt. Dies geschah auch bei den am 29. November 1991, 21. Januar 1992 und 19. Februar 1992 angewiesenen Sozialhilfezahlungen für die Monate Januar bis März 1992. Durch das Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 <StÄndG 1992>) vom 25. Februar 1992, das am 28. Februar 1992 verkündet worden ist (BGBl I S 297), hob der Gesetzgeber rückwirkend zum 1. Januar 1992 das Kg für das erste Kind von 50,00 auf 70,00 DM an (Art 25 Nr 1, Art 40 Abs 2 StÄndG 1992). Dieses erhöhte Kg hat die Klägerin bei der Berechnung der ab April 1992 gezahlten Sozialhilfe berücksichtigt.

Für die vorangegangenen drei Monate begehrt die Klägerin die Erstattung der Sozialhilfe in Höhe von 60,00 DM. Den mit Schreiben vom 5. März 1992 (Eingang 10. März 1992) erhobenen Erstattungsanspruch hat die Beklagte mit Schreiben vom 7. April 1992 zurückgewiesen. Sie hat ausgeführt, die laufende Zahlung des erhöhten Kg an die Beigeladene habe sie im April 1992, erstmalig am 6. April 1992 für den Bezugszeitraum März/April 1992, fristgerecht und im Einklang mit der Zahlungsfristregelung des § 20 Abs 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) aufgenommen, so daß es an den Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs für den Monat März 1992 nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fehle. Hinsichtlich der Nachzahlung des Kg für die Monate Januar und Februar 1992 sei ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zwar grundsätzlich gegeben. Er betrage jedoch nur 40,00 DM und falle daher unter die Bagatellregelung des § 110 Satz 2 SGB X. Gegenüber der Beigeladenen hat die Beklagte die Zahlung des Erhöhungsbetrages von 40,00 DM für Januar und Februar 1992 unter Hinweis auf die Erfüllungsfiktion der nicht verminderten Sozialhilfezahlungen nach § 107 Abs 1 SGB X bindend abgelehnt (Bescheid vom 7. April 1992).

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 24. Januar 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juli 1995). Es hat einen auf § 103 SGB X, hilfsweise auf § 104 SGB X zu stützenden Erstattungsanspruch der Klägerin auch für den Monat März 1992 bejaht, so daß die Bagatellgrenze des § 110 Satz 2 SGB X überschritten war. Der Sozialhilfeanspruch der Beigeladenen sei, so das LSG, im März 1992 ebenso wie in den zwei Monaten davor durch den erhöhten Kg-Anspruch teilweise, nämlich um jeweils 20,00 DM, iS des § 103 Abs 1 SGB X nachträglich entfallen. Es sei glaubhaft, daß die Klägerin ebenso wie andere Sozialhilfeträger mindestens sieben Werktage Vorlauf benötige, um sicherzustellen, daß die Sozialhilfe den Berechtigten pünktlich zum Monatsanfang auf ihren Konten zur Verfügung stehe. Die Klägerin habe daher die Sozialhilfe für März 1992 zu Recht schon am 19. Februar 1992 angewiesen und bei der Verkündung des StÄndG 1992 am 28. Februar 1992 keinen Einfluß mehr auf die Höhe und die Zahlungsrichtung dieser Leistung gehabt. Auch die den Monat März 1992 betreffende Erhöhung des Kg sei somit erst nach der Leistung der - ungekürzten - Sozialhilfe für diesen Monat, also nachträglich iS des § 103 Abs 1 SGB X, eingetreten. Von den um 20,00 DM überhöhten Sozialhilfezahlungen für Januar bis März 1992 habe die Beklagte durch das Schreiben der Klägerin vom 5. März 1992 und damit vor Erlaß des Bescheides an die Beigeladene vom 7. April 1992 und der darauf beruhenden Kg-Zahlung für März/April 1992 erfahren. Die Beklagte hätte daher die Kg-Zahlung an die Beigeladene für März 1992 um 20,00 DM kürzen können und müssen.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 103, 104 und 110 SGB X iVm § 20 Abs 1 BKGG in seiner bis zum 31. Dezember 1995 gültigen Fassung (aF). Sie hält an ihrer im Schreiben vom 7. April 1992 geäußerten Rechtsansicht fest und meint, es könne nicht zu ihren Lasten gehen, wenn der Gesetzgeber die Sozialhilfe als eine bereits zu Beginn des Bezugszeitraums in voller Höhe zu zahlende Leistung und das Kg nach dem BKGG aF demgegenüber als eine erst im Laufe des zweimonatigen Bezugszeitraums (§ 20 Abs 1 BKGG aF) zu zahlende, also bis zum letzten Tage dieser Frist iS des § 104 SGB X rechtzeitig erbringbare Leistung ausgestaltet habe, so daß Überzahlungen bei der Sozialhilfe in Situationen wie der vorliegenden vorprogrammiert seien, ohne daß in den §§ 103 ff SGB X Vorsorge für derartige Fälle getroffen worden sei. Eine noch vor dem Ende der gesetzlichen Zahlungsfrist erfolgte Überweisung einer laufenden Sozialleistung, wie hier die Kg-Zahlung für März 1992, schließe jedenfalls einen Erstattungsanspruch, der sich stets nur gegen einen nicht rechtzeitig leistenden Träger richten könne, aus.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 1995 und des Sozialgerichts Köln vom 24. Januar 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen

Sie verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.

Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. SG und LSG haben der erhobenen Leistungsklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Der Erstattungsanspruch ist nach § 104 Abs 1 SGB X begründet. Die Vorschrift des § 103 Abs 1 SGB X, die die Vorinstanzen für einschlägig halten, scheidet als Rechtsgrundlage hingegen aus.

Nach § 103 Abs 1 SGB X gilt: Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit er vor Kenntnis von der Leistung des anderen Leistungsträgers nicht bereits selbst geleistet hat. Diese Vorschrift kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, weil der Anspruch auf die gewährte Sozialhilfe nicht nachträglich entfallen ist. Die Gewährung von Sozialhilfe knüpft an das Bestehen einer aktuellen Notlage an (§§ 4, 5 BSHG). Diese aktuelle Notlage wird durch die nachträgliche Erbringung einer anderen Sozialleistung nicht rückwirkend behoben. Der Gesetzgeber könnte dies mit der Regelungstechnik der Fiktion zwar formal bestimmen, hat dies in vorliegendem Zusammenhang aber nicht getan. Wie die Entstehungsgeschichte des § 103 SGB X zeigt, sollte die Vorschrift allein den Fall erfassen, daß konkurrierende Ansprüche gegen zwei institutionell gleichrangige Sozialleistungsträger vorgelegen haben und der Gesetzgeber diese Konkurrenz in der Weise gelöst hat, daß er einer Leistung ausdrücklich den Vorrang eingeräumt hat. Ausgangspunkt für die Regelung des § 103 SGB X war § 183 Reichsversicherungsordnung (RVO), der mit Wirkung ab 1. Januar 1989 durch Art 5 Nr 2 Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) aufgehoben worden ist (Hauck-Haines, SGB X/3, Stand Juli 1996, § 103 RdNrn 8, 9). § 183 RVO löste das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Anspruch auf Krankengeld und Berufsunfähigkeitsrente (Abs 5) bzw Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld (Abs 3) in der Weise auf, daß vom Tage der Zubilligung der letztgenannten Leistungen der Anspruch auf Gewährung von Krankengeld endete. Da die Rentenversicherungsträger die Voraussetzungen des Anspruchs auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente aufgrund des aufwendigen Verwaltungsverfahrens in der Regel erst nach Eintritt des die Fälligkeit des Anspruchs begründenden Versicherungsfalls feststellen können, die Arbeitsunfähigkeit hingegen feststeht, kommt es häufig zu einer nachträglichen Kumulation von Leistungen der Krankenversicherung (Fortzahlung des Krankengeldes) und der Rentenversicherung (Nachzahlung der Rente mit Wirkung ab Eintritt des Versicherungsfalls). Für diese Konstellation bestimmt § 103 SGB X, daß der in diesem Sinne vorleistende Träger der Krankenversicherung von dem letztlich leistungspflichtigen Träger der Rentenversicherung die Erstattung der durch die Zahlung des Krankengeldes ersparten Aufwendungen verlangen kann. Dies gilt in allen vergleichbaren Konstellationen, in denen das Gesetz beim Zusammentreffen zweier Leistungen den vollständigen oder teilweisen nachträglichen Wegfall der zuerst erbrachten Leistung anordnet. § 103 SGB X soll sicherstellen, daß der schneller entscheidende und leistende Träger, dessen Nichtzuständigkeit sich nachträglich herausstellt, vom später entscheidenden, aber eigentlich zuständigen Träger dasjenige erstattet verlangen kann, was dieser infolge der Vorleistung erspart hat.

Die Regelung des § 104 Abs 1 SGB X besagt demgegenüber: Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne daß die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2). § 104 SGB X ist an die Stelle des zum 1. Juli 1983 durch Art II § 3 Nr 1 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I S 1450) aufgehobenen § 1531 RVO getreten. Diese Vorschrift normierte allein Erstattungsansprüche zwischen Trägern der Sozialhilfe und Trägern der Sozialversicherung. § 104 SGB X gilt deshalb ebenfalls im Verhältnis zwischen einem mit Leistungen eingetretenen Sozialhilfeträger, einem Träger der Jugendhilfe oder Träger der Kriegsopferfürsorge einerseits und einem Träger der Sozialversicherung oder einem sonstigen vorrangigen Träger (zB Bundesanstalt für Arbeit, Versorgungsverwaltung) andererseits, wenn und soweit der Vorleistende erkennbar auf eine eigene Verbindlichkeit leistet (anderenfalls § 102 SGB X). Es handelt sich um die Fälle des institutionellen Nachrangs bzw der "Systemsubsidiarität" (Eichenhofer in Wannagat, SGB X/3, Stand Oktober 1996, § 104 RdNr 5; Bley DOK 1981, 143, 149). Daneben gilt § 104 SGB X ausnahmsweise auch bei institutioneller Gleichrangigkeit zweier Träger, wenn und soweit die Vorleistung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung als subsidiär festgelegt worden ist, also in Fällen der "Einzelfallsubsidiarität" (BSGE 57, 146 = SozR 1300 § 103 Nr 2; BSGE 58, 119 = SozR 1300 § 104 Nr 7; BSGE 70, 186 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BSG, Urteil vom 29. April 1997 - 8 RKn 29/95 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; Eichenhofer aaO RdNr 6; Hauck/Haines aaO § 104 RdNr 15 ff; Schellhorn, GK SGB X/3, § 104 RdNr 22 ff; Schroeder-Printzen SGB X, 3. Aufl 1996, § 103 RdNr 8 und § 104 RdNr 6; Bley aaO). Hierzu zählen zB Erstattungsansprüche der Bundesanstalt für Arbeit, die eine Vorleistung in Form der - wie die Sozialhilfe nur bei Bedürftigkeit zu gewährenden und daher von der Leistungsart her nachrangigen - Arbeitslosenhilfe (§ 134 Abs 1 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz <AFG>) erbracht hat, gegenüber einem anderen Träger der Sozialversicherung. Schließlich gilt § 104 SGB X ungeachtet der institutionellen Gleichrangigkeit der Träger und der Gleichrangigkeit der Leistungsarten, wenn der Gesetzgeber die Anwendung des an sich einschlägigen § 103 SGB X ausgeschlossen und die Anwendung des § 104 SGB X ausdrücklich angeordnet hat, wie zB in § 18 Abs 4 des Gesetzes zur Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG), § 71 b Bundesversorgungsgesetz (BVG) und § 38 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFöG). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich die Erstattungspflicht unter institutionell gleichrangigen Trägern grundsätzlich nach § 103 SGB X und die Erstattungspflicht unter institutionell verschiedenrangigen Trägern nach § 104 SGB X beurteilt. Unter institutionell gleichrangigen Trägern richtet sich die Erstattungspflicht nur ausnahmsweise statt nach § 103 Abs 1 SGB X nach § 104 Abs 1 SGB X, wenn der Gesetzgeber dies speziell angeordnet hat oder die in Vorleistung erbrachte Einzelleistung aufgrund ihrer Ausgestaltung (zB Anknüpfung an die Bedürftigkeit des Berechtigten) gegenüber der anderen Sozialleistung nachrangig ist (Eichenhofer aaO RdNr 11; Hauck/Haines aaO RdNr 15; Schellhorn aaO RdNrn 22 - 26).

Erstattungsansprüche von Sozialhilfeträgern gegen andere Leistungsträger richten sich somit in Fällen wie dem vorliegenden nach § 104 SGB X. Es ist insoweit nicht danach zu differenzieren, ob der vorrangig verpflichtete Leistungsträger eine Nachzahlung oder eine laufende Leistung zu erbringen hat. Die in § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X angeordnete Ausnahmeregelung, nach der diese Vorschrift nicht anzuwenden ist, wenn die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen (und statt dessen unmittelbar auf § 103 Abs 1 SGB X zurückzugreifen ist), trifft auf Nachzahlungen von Sozialleistungen ebenfalls nicht zu. Dem Berechtigten ist aufgrund einer konkreten Bedürfnislage Sozialhilfe gewährt worden. An dieser Bedürfnislage ändert sich nachträglich nichts, wenn dem Berechtigten zu einem späteren Zeitpunkt eine andere Sozialleistung zufließt. Im Falle der Auszahlung einer solchen Nachzahlung an den Berechtigten verbessert sich seine Einkommens- bzw Vermögenslage nur mit Wirkung für die Gegenwart und die Zukunft, nicht aber rückwirkend für die Vergangenheit. Da dem Berechtigten die Leistung damals, in der konkreten Bedürfnislage, tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden hat, fällt der vom Sozialhilfeträger befriedigte Anspruch auf die Sozialhilfe nicht nachträglich ganz oder teilweise weg, wie es § 103 Abs 1 SGB X aber verlangt.

Mit dieser Rechtsansicht weicht der Senat allerdings von einer Entscheidung des 10. Senats des BSG ab. Dieser hat in seinem Urteil vom 3. April 1990 - 10 RKg 29/89 (SozR 3-5870 § 11a Nr 1) die Auffassung vertreten, im Falle der Nachzahlung eines Kindergeldzuschlags (§ 11 a BKGG aF) an einen Berechtigten, der im fraglichen Zeitraum Sozialhilfe bezogen hat, sei der Anspruch auf Sozialhilfe aufgrund der Anrechnungsfähigkeit des Kindergeldzuschlags (§ 76 Abs 1 BSHG) und der daraus resultierenden Verringerung der Bedürftigkeit des Berechtigten nachträglich teilweise entfallen. Der Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers gegen die Kindergeldkasse richte sich daher hinsichtlich dieser Nachzahlung nach § 103 Abs 1 SGB X. Nur soweit es um die laufende Zahlung eines vorläufigen Kindergeldzuschlags nach § 11a Abs 8 BKGG aF gehe, könne für den Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers § 104 Abs 1 SGB X herangezogen werden. Diese Abweichung zwingt jedoch nicht zur Anfrage beim 10. Senat, ob er an seiner Rechtsansicht festhalte, und nicht zur Anrufung des Großen Senats (§ 41 SGG), da, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, die Klage sowohl unter Heranziehung des § 103 Abs 1 SGB X als auch bei Anwendung des vom erkennenden Senat für einschlägig erachteten § 104 Abs 1 SGB X begründet ist und sich insofern die differierenden Rechtsansichten im konkreten Fall nicht unterschiedlich auswirken.

Die Voraussetzungen des § 104 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X sind erfüllt. Die Beigeladene besaß für den gesamten in Betracht zu ziehenden Zeitraum (1. Januar bis 31. März 1992) nebeneinander einen Anspruch auf Sozialhilfe gegen die Klägerin und einen Anspruch auf Kg gegen die Beklagte. Da Sozialhilfe nur insoweit zu zahlen ist, als der Berechtigte nicht über einzusetzendes Einkommen oder Vermögen verfügt (§§ 2 und 76 BSHG) und Kg als Einkommen anspruchsmindernd auf die Sozialhilfe anzurechnen ist (BSG SozR 3-5870 § 11a Nr 1; BVerwGE 60, 18 = Buchholz 436.0 § 86 BSHG Nr 2; BVerwGE 94, 326 = Buchholz 436.0 § 22 BSHG Nr 19; BVerwG ZfSH/SGB 1986, 218; Piel ZfSH/SGB 1986, 386), besteht ein Vorrang des Kg-Anspruchs gegenüber dem Sozialhilfeanspruch ("Systemsubsidiarität", § 2 BSHG). Es handelt sich somit um einen Erstattungsanspruch eines Sozialhilfeträgers gegen einen vorrangig verpflichteten Leistungsträger, der nach § 104 SGB X zu beurteilen ist.

Die Leistung der Klägerin war auch rechtmäßig (ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 104 SGB X, vgl BSGE 58, 119, 123 = SozR 1300 § 104 Nr 7; BSGE 70, 186, 195 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 8; Schroeder-Printzen aaO § 104 RdNr 9). Der Sozialhilfeanspruch der Beigeladenen für die Monate Januar bis März 1992 bestand dem Grunde nach und auch in der bewilligten Höhe. Er war aufgrund der Tatsache, daß der Beigeladenen zum Monatsanfang tatsächlich nur 50,00 DM statt 70,00 DM Kg zur Verfügung gestanden haben, in diesen Monaten um jeweils 20,00 DM höher als bei einer Zahlung des Kg in der aus dem StÄndG 1992 vom 25. Februar 1992 sich ergebenden Höhe. Für den Monat März 1992 gilt dabei nichts anderes, da das Kg für diesen Monat zum 1. März 1992 noch nicht gezahlt war und der Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, der - in der Praxis regelmäßig monatlich - im voraus (vgl §§ 5 Abs 1 und 22 Abs 3 BSHG) zu erbringen ist (Schulte/Trenk-Hinterberger, Sozialhilfe, 2. Aufl 1986 S 363; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 14. Aufl 1993, § 4 RdNrn 41, 46; Schoch, Sozialhilfe, S 71, 72), nicht schon zu diesem Zeitpunkt um 70,00 statt 50,00 DM verringert war.

Dies war erst mit der Entscheidung der Beklagten über die Gewährung des erhöhten Kg (Bescheid vom 7. April 1992) der Fall.

Die Gewährung der Sozialhilfe für März 1992 ist in Höhe von 20,00 DM auch nicht deshalb rechtswidrig, weil vor Beginn des Bezugszeitraums, dem 1. März 1992, das StÄndG 1992 mit der Neuregelung des Kg vom Gesetzgeber verabschiedet (25. Februar 1992), mit der Bekanntgabe im BGBl (28. Februar 1992) in Kraft getreten war und der neue Kg-Anspruch der Beigeladenen damit feststand. Zwar sind bei der Berechnung eines Sozialhilfeanspruchs auch gesicherte, alsbald realisierbare Forderungen anspruchsmindernd zu berücksichtigen (BSGE 70, 186, 195 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BVerwG NJW 1983, 2954, 2955; BVerwGE 21, 208, 212 jeweils mwN). Die Klägerin hätte daher den Kg-Anspruch von 70,00 DM für März 1992 bei der Berechnung des Sozialhilfeanspruchs der Beigeladenen für diesen Monat berücksichtigen müssen, wenn er ihr im Zeitpunkt der Berechnung bekannt gewesen wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Da die Sozialhilfe rechtzeitig vor Monatsbeginn berechnet und angewiesen werden muß, konnte die Klägerin damit nicht bis zum 28. Februar 1992 warten, sondern war gehalten, dies im Laufe des Februar 1992 zu tun. Am Tage der Anweisung der Sozialhilfeleistung für März 1992, dem 19. Februar 1992, konnte sie aber den zu diesem Zeitpunkt noch ungewissen, weil gesetzlich noch nicht bestehenden neuen Kg-Anspruch der Beigeladenen nicht anspruchsmindernd ansetzen.

Die Beklagte hat ihre vorrangige Leistungspflicht in der gesetzlichen Höhe von 70,00 DM in allen drei Monaten nicht iS des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X "rechtzeitig" erfüllt. "Rechtzeitig" erbracht waren lediglich Teilleistungen des Kg in Höhe von monatlich 50,00 DM. Dabei kommt es nicht darauf an, aus welchem Grunde eine Behörde eine Leistungsverpflichtung "verspätet" erfüllt. Insbesondere ist es nicht entscheidend, ob der Behörde Verschulden vorzuwerfen ist. Es reicht aus, wenn - wie hier - ein erhöhter Sozialhilfeanspruch darauf zurückzuführen ist, daß der Gesetzgeber eine auf die Sozialhilfe anzurechnende Sozialleistung erst mit rückwirkender Kraft anhebt und der zuständige Träger die Leistung erst nach Bekanntgabe der neuen gesetzlichen Grundlage im BGBl überhaupt gewähren konnte. Von daher hat die Beklagte ihre grundsätzliche Erstattungspflicht für die Monate Januar und Februar 1992, hinsichtlich derer das erhöhte Kg erst im April 1992 hatte zur Verfügung gestellt werden können (Bescheid vom 7. April 1992), im Ergebnis zu Recht nicht bezweifelt.

Eine iS des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X "nicht rechtzeitige" Zahlung des erhöhten Kg liegt aber auch bezüglich des Monats März 1992 vor. Die Beklagte kann sich der Erstattungsverpflichtung nicht mit dem Hinweis auf § 20 Abs 1 BKGG aF entziehen, wonach das Kg in Zweimonatszeiträumen zu zahlen und die Leistung nur innerhalb dieser Frist zu erbringen war, die Beklagte also berechtigt gewesen wäre, das Kg für März/April 1992 auch erst am letzten Tag der Frist (30. April 1992) zu zahlen. Die Rechtzeitigkeit der Erfüllung einer Leistungsverpflichtung iS des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X hängt nicht von der Fälligkeit der Leistung oder dem Verzug der Behörde ab. Entscheidend ist allein die Übereinstimmung der Anspruchs- bzw Bezugszeiträume. Dieses Verständnis entspricht der Zweckbestimmung des Erstattungsrechts, die Vermeidung zweckidentischer Doppelleistungen für gleiche Bezugszeiträume und die nachträgliche Entlastung des rechtmäßig vorleistenden Trägers durch den vorrangig zuständigen Träger. "Rechtzeitig" bedeutet also nur, daß der Anspruch zu Beginn des jeweiligen Leistungszeitraums, für den er gesetzlich vorgesehen ist, auch erfüllt wird, so daß keine Notlage im Sinne des Sozialhilferechts eintreten kann. Mit dieser Auslegung des Begriffes der "rechtzeitigen" Erfüllung der Leistungsverpflichtung iS des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X steht der Senat allerdings im Gegensatz zu Äußerungen des 7. Senats des BSG, wie der Revision einzuräumen ist. In seinen Urteilen vom 19. März 1992 - 7 RAr 26/91 - (BSGE 70, 186 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4) und 25. Januar 1994 - 7 RAr 42/93 - (SozR 3-1300 § 104 Nr 8) hat dieser Senat die Auffassung vertreten, eine laufende Leistung sei ungeachtet übereinstimmender Leistungszeiträume iS. des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X vom vorrangig verpflichteten Leistungsträger dann "rechtzeitig" erbracht, wenn er die ihm vom Gesetz- oder Verordnungsgeber eingeräumten Zahlungstermine oder Zahlungsfristen einhalte. Ein Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers scheide in solchen Fällen aus. Die Bundesanstalt für Arbeit erfülle den Anspruch auf das wöchentliche Arbeitslosengeld (§ 114 Satz 1 AFG) rechtzeitig, wenn sie es nach Ablauf des "in der Regel" zwei Wochen betragenden Zahlungszeitraumes (§ 122 Satz 1 AFG iVm § 4 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit vom 15. Dezember 1978, Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit <ANBA> 1979, 409) überweise. Sie handele ferner rechtzeitig, wenn sie die grundsätzlich monatlich zu zahlenden Fahrkosten für Teilnehmer an einer Rehabilitationsmaßnahme (§ 56 Abs 3 Nr 4 AFG), wie in § 58 Abs 2 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (RehaAnO) vom 31. Juli 1975 (ANBA S 994) vorgesehen, jeweils zum 20. des Anspruchsmonats auszahle.

Trotz dieser Ausführungen war der erkennende Senat an seiner Entscheidung nicht gehindert. Eine Divergenz, die zur Anrufung des Großen Senats führen kann, liegt nicht vor. Die Ausführungen des 7. Senats waren für seine Entscheidung nicht tragend (vgl BSGE GrS 51, 23, 25). Sie waren vielmehr lediglich rechtliche Hinweise an die Tatsacheninstanz, welche nachzuholenden Feststellungen nach der Rückverweisung des Rechtsstreits entscheidungserheblich sein könnten. Der 7. Senat hat ausreichende Tatsachenfeststellungen zu zahlreichen rechtlichen Gesichtspunkten vermißt. Er hat es insbesondere für möglich gehalten, daß der Sozialhilfeträger in jenen Fällen zu Unrecht eingetreten ist, weil wegen der laufenden Leistungserbringung durch das Arbeitsamt keine Hilfebedürftigkeit bestanden hat. Aus den Ausführungen des 7. Senats läßt sich danach nicht herleiten, daß er trotz einer Notlage, die infolge einer erst nachträglichen, wenn auch rechtlich so spät zulässigen Leistung aufgetreten ist, einen Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers versagen würde.

Den Erstattungsanspruch über 60,00 DM hat die Klägerin gegenüber der Beklagten rechtzeitig iS des § 104 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB X geltend gemacht. Als das Schreiben vom 5. März 1992 bei der Beklagten einging (10. März 1992), hatte diese das Kg für März/April 1992 noch nicht gezahlt. Das Kg ist erst am 6. April 1992 zur Zahlung angewiesen worden. Damit steht zugleich fest, daß der Erstattungsanspruch hinsichtlich der Nachzahlung des Kg auch unter Heranziehung des § 103 Abs 1 SGB X (BSG SozR 3-5870 § 11a Nr 1) begründet gewesen wäre, der in seinem letzten Halbsatz eine mit der Regelung in § 104 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB X inhaltsgleiche Tatbestandsvoraussetzung aufweist und weitere Voraussetzungen nicht enthält.

Der Erstattungsanspruch ist auch durchsetzbar. Er übersteigt mit 60,00 DM die Bagatellgrenze von "voraussichtlich weniger als 50,00 DM" (§ 110 SGB X) und ist mit dem Schreiben vom 5. März 1992 innerhalb der Ausschlußfrist von zwölf Monaten nach Ablauf des Bezugszeitraumes (§ 111 SGB X) wirksam geltend gemacht worden.

Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Klägerin die Sozialhilfe für März 1992 bei deren Anweisung (19. Februar 1992) mit Blick auf das kurz vor dem Abschluß stehende Gesetzgebungsverfahren zum StÄndG 1992 von vornherein um 20,00 DM hätte kürzen und dadurch die Doppelleistung der 20,00 DM hätte vermeiden können, ist, wie oben ausgeführt, zu verneinen. Die Frage, ob die Klägerin den Betrag von 20,00 DM als Darlehen (vgl § 15b BSHG) hätte gewähren können, kann dahingestellt bleiben. Da dies in ihrem Ermessen gestanden hätte, hat sie mit der vollen Leistung der Sozialhilfe als Zuschuß nicht rechtswidrig gehandelt. Deshalb liegt auch keine rechtswidrige Überzahlung der Sozialhilfe für März 1992 vor, die mit nachfolgenden Sozialhilfezahlungen hätte verrechnet werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Ende der Entscheidung

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