Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 28.08.1997
Aktenzeichen: 14/10 RKg 28/96
Rechtsgebiete: BKGG


Vorschriften:

BKGG § 11a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 28. August 1997

in dem Rechtsstreit

Az: 14/10 RKg 28/96

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch die Oberfinanzdirektion Koblenz - Zentrale Besoldungs- und Versorgungsstelle -, Emil-Schüller-Straße 12, 56068 Koblenz,

Beklagter und Revisionsbeklagter.

Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 28. August 1997 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter Dr. L a d a g e , die Richter Dr. U d s c h i n g und Dr. N a u j o k s sowie die ehrenamtlichen Richter L e i n g ä r t n e r und K o c h für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen den Beschluß des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Oktober 1996 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten:

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf einen Kindergeldzuschlag (KgZ) nach § 11a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für das Jahr 1993 hat.

Der Kläger bezieht Kindergeld (Kg) für seine Tochter J. (J). Nach dem Einkommensteuerbescheid für 1993 verblieb von den Einkünften des Klägers und seiner Ehefrau nach Abzug von Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen ein Einkommen von 17.492,- DM und nach Abzug eines Kinderfreibetrags in Höhe von 4.104,- DM sowie einem Abzug nach § 46 Einkommensteuergesetz (EStG) von 205,- DM ein zu versteuerndes Einkommen von 13.183,- DM. Daraus ergab sich nach der Splittingtabelle eine tarifliche Einkommensteuer von 368,- DM, die zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums auf Null DM gemindert wurde.

Daraufhin beantragte der Kläger auch den KgZ nach § 11a BKGG. Zur Begründung führte er aus, der Kinderfreibetrag habe sich bei der Festsetzung der Einkommensteuer nicht ausgewirkt, weil das festgestellte Einkommen 1993 wegen der Anwendung von § 32d EStG auch ohne Abzug eines Kinderfreibetrages steuerfrei gewesen sei. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 14. April 1994 und Widerspruchsbescheid vom 5. September 1994 ab, weil das gemäß § 2 Abs 5 EStG zu versteuernde Einkommen von 13.183,- DM nicht geringer als der 1993 noch maßgebliche Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Nr 1 EStG in Höhe von 11.232,- DM sei.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. September 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluß vom 24. Oktober 1996), die Revision zugelassen und ausgeführt: Der Kläger habe auch unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellten Verfassungswidrigkeit von § 32a EStG keinen Anspruch auf den begehrten KgZ. Der Gesetzgeber sei nach dieser Entscheidung vor dem 1. Januar 1996 nur verpflichtet gewesen, bei der Einkommenbesteuerung bereits ab dem Veranlagungszeitraum 1993 sicherzustellen, daß jedem Steuerpflichtigen von seinen Erwerbsbezügen das nach den vom BVerfG festgelegten Grundsätzen zu ermittelnde Existenzminimum steuerfrei verbleibe. Dem Gesetzgeber habe demnach freigestanden, ob er dieses Ziel durch Festlegung entsprechend höherer Freibeträge in § 32a EStG oder durch Absenkung der unter Berücksichtigung von § 32a EStG in der bisherigen Fassung zu ermittelnden Steuer erreichen will. Da er sich für den letztgenannten Weg entschieden habe, sei § 32a EStG trotz der vom BVerfG festgestellten Verfassungswidrigkeit bis zu einer Neuregelung weiter anzuwenden gewesen.

§ 11a BKGG verweise auf § 32a EStG. Da das zu versteuernde Einkommen des Klägers nach Abzug des Kinderfreibetrages den nach § 32a EStG für ihn geltenden Grundfreibetrag übersteige, sei ein Anspruch auf KgZ nach § 11a BKGG nicht gegeben. Beim KgZ wie beim KG handele es sich um eine aus Steuermitteln finanzierte staatliche Leistung, hinsichtlich deren Ausgestaltung der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum habe. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet gewesen, die durch die Übergangsregelung des § 32d EStG herbeigeführte Minderung der tariflichen Einkommensteuer zum Zwecke der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums zugleich in die Regelung des § 11a BKGG zu übernehmen. Ein Verfassungsverstoß sei deshalb nicht zu erkennen, so daß eine Aussetzung des Rechtsstreits und Vorlage an das BVerfG nicht in Betracht komme.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 11a BKGG) und trägt dazu vor: Das LSG habe im Wege der verfassungskonformen Auslegung von § 11a BKGG den in Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG) angeordneten Schutz der Familie berücksichtigen und zu dem Ergebnis kommen müssen, daß es für den Anspruch gemäß § 11a BKGG auf die Grundfreibetragsregelung des § 32d EStG ankomme. Insoweit gehe der aus Art 6 Abs 1 GG resultierende Schutz der Familie dem Interesse des Staates an Einsparungen vor.

Der Kläger beantragt,

den Beschluß des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Oktober 1996, das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 25. Juli 1995 sowie den Bescheid vom 14. April 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. September 1994 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ihm für seine Tochter J. ab 1. Januar 1993 den Kinderzuschlag zu zahlen, zuzüglich 4% Zinsen ab der jeweiligen Fälligkeit.

Das beklagte Land beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Es beruft sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat für das Jahr 1993 keinen Anspruch auf KgZ.

Nach § 11a Abs 1 Satz 1 BKGG (in der Neufassung vom 30. Januar 1990, BGBl I S 149) erhöht sich das Kg für diejenigen Kinder, für die dem Berechtigten der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs 7 EStG (idF des Gesetzes vom 25. Februar 1992, BGBl I S 297) zusteht, um einen Zuschlag, wenn das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs 5 EStG) geringer als der Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Nr 1 EStG (idF des Gesetzes vom 25. Februar 1992, BGBl I S 297) ist. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, denn das zu versteuernde Einkommen war im Jahr 1993 höher als der Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Nr 1 EStG. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

Die Tatsache, daß sich der Kinderfreibetrag beim Kläger nicht steuermindernd ausgewirkt hat, weil die im Veranlagungszeitraum 1993 tariflich festzusetzende Einkommensteuer wegen der Übergangsregelung in § 32d Abs 1 Satz 1 EStG (eingefügt zunächst als § 32c durch Art 19 Nr 3 des Gesetzes zur Umsetzung des förderalen Konsolidierungsprogramms <FKPG> vom 23. Juni 1993, BGBl I S 944) auch ohne Berücksichtigung des Kinderfreibetrags auf Null DM festzusetzen gewesen wäre, während die Steuerersparnis bei voller Berücksichtigung des Kinderfreibetrages 780,- DM (19% von 4.104,- DM) betragen hätte, führt zu keinem anderen Ergebnis. § 11a BKGG läßt auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben eine Auslegung, die den Anspruch des Klägers als begründet erscheinen läßt, nicht zu (1.). Die Vorschrift ist insoweit auch nicht verfassungswidrig (2.).

1. § 11a Abs 1 BKGG verweist wegen des Anspruchs auf KgZ auf die Regelung des Grundfreibetrags in § 32a Abs 1 Nr 1 EStG, die das BVerfG mit Beschluß vom 25. September 1992 (BVerfGE 87, 153, 154f) für verfassungswidrig erklärt hat, weil durch die in dieser Vorschrift vorgesehenen Grundfreibeträge nicht gewährleistet ist, daß bei der Einkommenbesteuerung dem Steuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinen Erwerbsbezügen soviel verbleibe, wie er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und - unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG - desjenigen seiner Familie bedürfe (Existenzminimum). Hierdurch ist in § 11a Abs 1 Satz 1 BKGG jedoch keine Regelungslücke entstanden, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung im Sinne des Klägers geschlossen werden könnte.

Der Gesetzgeber hat die vom BVerfG in der genannten Entscheidung aufgestellten Forderungen umgesetzt. Hierzu zählte bis zum Ablauf des Jahres 1995 eine Änderung des § 11a BKGG nicht. Das BVerfG hatte § 32a Abs 1 Nr 1 EStG bis zu einer Neuregelung, die spätestens bis zum 1. Januar 1996 zu erfolgen hatte, für weiterhin anwendbar erklärt. Es mußte lediglich sichergestellt werden, daß mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1993 die Erwerbsbezüge insoweit von der Besteuerung freigestellt wurden, als sie zur Deckung des existenznotwendigen Bedarfs benötigt werden. Der Gesetzgeber hat dieser Forderung dadurch entsprochen, daß er im FKPG § 32c in das EStG eingefügt hat, der durch das Standortsicherungsgesetz vom 13. September 1993 (BGBl I S 1569) inhaltsgleich zu § 32d EStG geworden ist. Danach wird die tariflich festzusetzende Einkommensteuer (§ 2 Abs 6 EStG) zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums entweder entsprechend § 32d Abs 1 Satz 2 EStG gemindert oder bei Unterschreitung der in § 32d Abs 1 Satz 1 EStG genannten Beträge auf Null DM reduziert.

Hieraus folgt jedoch nicht, daß die an § 32a Abs 1 Nr 1 EStG anknüpfende Regelung des § 11 a Abs 1 Satz 1 BKGG, die der Gesetzgeber trotz der Entscheidung des BVerfG zu § 32a EStG unverändert gelassen hat, seit der Einfügung des § 32d EStG keinen vollständigen und eindeutigen Regelungsgehalt aufweist. Dies aber wäre Grundvoraussetzung einer verfassungskonformen Auslegung. Sie ist nur zulässig, wenn eine Norm unter Berücksichtigung des Wortlauts, des Sinn und Zwecks und der Entstehungsgeschichte mehrere Auslegungen zuläßt. In diesem Fall sind diejenigen Auslegungen auszuschließen, die der Verfassung nicht entsprechen (vgl BVerfGE 30, 129, 148; 32, 373, 383). Diese Voraussetzungen liegen in bezug auf § 11a Abs 1 BKGG nicht vor.

Die vom Kläger im Ergebnis angestrebte Lösung, daß die Sozialgerichte die Verweisung in § 11 a Abs 1 Satz 1 BKGG dahingehend modifizieren (auslegen), daß nicht mehr die vom BVerfG für verfassungswidrig erklärte Grundfreibetragsregelung des § 32a Abs 1 Nr 1 EStG anzuwenden sei, sondern daß sich der Grundfreibetrag aus § 32d Abs 1 Satz 1 EStG ergebe, würde eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung darstellen, da sie gegen den eindeutigen gesetzgeberischen Willen verstößt. Dieser kommt bereits in der Tatsache zum Ausdruck, daß die in Satz 1 des § 11a Abs 1 BKGG enthaltene Verweisung auf § 32a Abs 1 Nr 1 EStG auch nach der Einfügung von § 32d EStG bewußt (vgl hierzu: Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, BT-Drucks 12/7028 S 2) nicht abgeändert wurde. In Anbetracht des eindeutigen gesetzgeberischen Willens bleibt für eine hiervon abweichende - verfassungskonforme - Auslegung kein Raum. Es käme nur eine Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG in Betracht, wenn der Senat - im Hinblick auf die ab 1. Januar 1993 neugeschaffene Steuerminderungsregelung zur Freistellung des Existenzminimums - von der Verfassungswidrigkeit des § 11 a Abs 1 BKGG überzeugt wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.

2. § 11 a BKGG war - auch nach dem Inkrafttreten des § 32d EStG - nicht verfassungswidrig. Dem Kläger ist zuzugestehen, daß der KgZ nunmehr seiner ursprünglichen sozialpolitischen Zielrichtung nicht mehr voll gerecht werden konnte. Der KgZ wurde aus Gründen "sozialer Gerechtigkeit" für denjenigen Personenkreis als Ausgleich geschaffen, bei dem sich mangels hinreichenden Einkommens der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs 6 EStG steuerlich nicht oder nicht voll auswirkte (BT-Drucks 10/2886 S 7). Der KgZ stellt damit einen weiteren Teil des vom Gesetzgeber in einem dualen System ausgestalteten Familienlastenausgleichs (BT-Drucks 9/1240 S 77) dar. Einerseits sollte durch die allgemeine Sozialleistung des Kg die wirtschaftliche Belastung teilweise ausgeglichen werden, die Eltern durch die Sorge für ihre Kinder entsteht. Andererseits war der steuerliche Kinderfreibetrag dazu bestimmt, im Steuerrecht zu berücksichtigen, daß die Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen durch den Unterhalt ihrer Kinder gemindert wird. Mithin trug das Einkommensteuerrecht zusammen mit dem Kg und zugleich wie dieses dazu bei, daß dem Steuerpflichtigen wirtschaftlich das steuerlich zu verschonende Existenzminimum (BVerfG, Beschluß vom 25. September 1992 - BVerfGE 87, 153, 169f) verblieb. In den Fällen, in denen es wegen geringen Einkommens ganz oder teilweise unmöglich war, den zustehenden Kinderfreibetrag auszuschöpfen, übernahm der KgZ als rechtlich selbständiger Teil des Kg auch diejenige Seite des Familienlastenausgleichs, die bei höheren Einkommen über die steuerliche Entlastungsfunktion des Kinderfreibetrages erreicht wurde. Durch den KgZ wurde somit nicht die Funktion des Kg als allgemeine Sozialleistung, sondern seine auf das Einkommensteuerrecht bezogene Entlastungsfunktion im dualen System des Familienlastenausgleichs ergänzt (vgl hierzu eingehend: BSG, Urteil vom 3. Dezember 1996 - 10 RKg 12/95 - mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Da der KgZ danach als Ersatz für den nicht oder nicht voll ausgeschöpften steuerlichen Kinderfreibetrag allein von den Regelungen des Steuerrechts abhing, wäre es zwar konsequent gewesen, das Kindergeldrecht insoweit mit dem geänderten Steuerrecht zu harmonisieren und den KgZ allen Berechtigten zu gewähren, bei denen sich der Kinderfreibetrag bei der Festsetzung der Einkommensteuer nicht (voll) auswirkte. Aus der Tatsache, daß sich der Gesetzgeber nicht für diese Lösung entschieden hat, ergeben sich jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, die eine Aussetzung des Rechtsstreits und eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG begründen.

Ein Verstoß gegen Art 6 Abs 1 GG ("Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung") kommt ebensowenig in Betracht wie eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG), denn ein Anspruch des Klägers auf eine kindbezogene staatliche Förderung gleich welcher Art läßt sich aus diesen Grundgesetznormen nicht ableiten (vgl BVerfG, Beschluß vom 29. Mai 1990 - BVerfGE 82, 60, 99 f). In Anbetracht des Beschlusses des BVerfG vom 25. September 1992 (BVerfGE 87, 153) war der Gesetzgeber - zur Wahrung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner Familie - lediglich gehalten, mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1993 sicherzustellen, daß dem Steuerpflichtigen bei der Einkommenbesteuerung die Erwerbsbezüge belassen wurden, die er zur Deckung eines existenznotwendigen Bedarfs benötigte. Um dieser Forderung zu genügen, mußte in kürzester Zeit allein für diesen Bereich eine Übergangsregelung geschaffen werden. Wegen der tiefgreifenden Auswirkungen der Entscheidung auf die öffentlichen Haushalte hat das BVerfG dem Gesetzgeber für eine umfassende Neuordnung aber ausdrücklich eine Frist bis zum Ablauf des Jahres 1995 eingeräumt. Dies gilt auch für die Auswirkungen der Steuerfreistellung des Existenzminimums auf den Familienlastenausgleich, die im Jahressteuergesetz 1996 umfassenden neu geregelt wurden.

Die unterbliebene Anpassung der Voraussetzungen für die Gewährung des KgZ verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Dieser ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st Rspr des BVerfG, zB Beschluß vom 29. Mai 1990 - BVerfGE 82, 60, 86 mwN). Zu vergleichen ist hier diejenige Gruppe von Steuerpflichtigen, deren steuerpflichtiges Einkommen unter der Grundfreibetragsgrenze des § 32a Abs 1 Nr 1 EStG lag und die demzufolge, da sie den Kinderfreibetrag nicht oder nicht voll ausnutzen konnte, in den Genuß des KgZ kam, mit der Gruppe von Steuerpflichtigen, deren steuerpflichtiges Einkommen über dieser Grenze lag, die wegen der Übergangsregelung in § 32d Abs 1 EStG jedoch tatsächlich - auch ohne Berücksichtigung des Kinderfreibetrages - keine oder nur so geringe Steuern zu entrichten hatten, daß sich der Kinderfreibetrag nicht oder nicht voll auswirkte.

Ein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen beiden Gruppen ergibt sich bereits daraus, daß die zuletzt genannte Gruppe über ein höheres Einkommen verfügte. Der Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Nr 1 EStG betrug 5.616,- DM (bei Alleinstehenden) bzw 11.232,- DM (bei Verheirateten), derjenige nach § 32d EStG lag 1993 bei 11.000,- DM (für Alleinstehende) bzw 22.000,- DM (für Verheiratete). Der Unterschied in der Höhe des Einkommens hatte früher zur Folge, daß Bezieher von Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages die Kinderfreibeträge nicht oder nicht voll ausnutzen konnten, während sich die Kinderfreibeträge bei Beziehern von höherem Einkommen voll steuermindernd auswirkten. Dieser Unterschied ist durch die steuerliche Neuregelung bis zu der neugeschaffenen Steuerentlastungsgrenze zwar entfallen. Daraus allein folgt jedoch nicht, daß auch eine Gleichbehandlung hinsichtlich des KgZ von Verfassungs wegen geboten ist. Die Neuregelung hat die Rechtsstellung der Bezieher von Einkommen zwischen dem alten Grundfreibetrag und der neuen Steuerentlastungsgrenze nicht verschlechtert, sondern verbessert. Sie bekommen zwar nach wie vor keinen KgZ, zahlen gegenüber dem früheren Rechtszustand jedoch weniger oder überhaupt keine Einkommensteuer mehr. Demgegenüber ist die Lage derjenigen, die bereits früher mit ihrem Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages lagen, unverändert geblieben: Sie erhalten nach wie vor KgZ in der früheren Höhe. Das Begehren des Klägers, dessen Existenzminimum durch die Neuregelung entsprechend den Vorgaben des BVerfG steuerfrei gestellt worden ist, läuft somit darauf hinaus, den Gesetzgeber zu verpflichten, die einmal getroffene sozialpolitische Grundentscheidung, eine fehlende oder unvollständige Ausnutzung des steuerlichen Kinderfreibetrages durch Gewährung eines KgZ zu kompensieren, in Zukunft an jede Änderung des Steuersystems anzupassen. Dies läßt sich jedoch bei einer Sozialleistung wie dem KgZ, die nicht wie die Sozialhilfe der Wahrung des Existenzminimums dient, nicht aus der Verfassung ableiten. Im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, ein bestimmtes, von ihm selbst geschaffenes sozialpolitisches Konzept beizubehalten und bei geänderten Rahmenbedingungen gegebenenfalls fortzuentwickeln.

Selbst wenn man in der beibehaltenen Anknüpfung des § 11a BKGG an § 32a Abs 1 Nr 1 EStG im Hinblick auf das sozialpolitische Ziel des KgZ einen Systembruch sieht, stellt dies allein noch keine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG dar. Die systemwidrige Ungleichbehandlung einer Gruppe von Betroffenen kann nur ausnahmsweise als Indiz dafür gewertet werden, daß die maßgebende Regelung gegen das Willkürverbot verstößt (st Rspr des BVerfG, vgl BVerfGE 9, 20 [28]; 81, 156 [207]). Eine solche Ausnahme liegt im Hinblick auf die unterbliebene Anpassung des § 11a Abs 1 BKGG an die nur als Übergangsregelung konzipierte Grundfreibetragsregelung des § 32d Abs 1 EStG nicht vor. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber nur zur Steuerfreistellung des Existenzminimums verpflichtet war; ihm aber bei der Einräumung weiterer Vergünstigungen ein Gestaltungsspielraum zusteht. Er kann grundsätzlich stets frei bestimmen, ob, ab wann, in welcher Höhe und gegenüber welchem Personenkreis er eine bestehende Sozialleistung ausweitet, solange er sich nicht von unsachlichen Erwägungen leiten läßt (BSG SozR 3-5870 § 11a Nr 6 mwN; vgl auch; BVerfGE 39, 148, 153 ff mwN). Die Forderung des Klägers, der Gesetzgeber müsse im Interesse sozialer Gerechtigkeit stets strikte Gleichförmigkeit schaffen, begründet tendenziell die Gefahr, daß Reformen, die sich vor allem aus finanziellen Gründen nur schrittweise verwirklichen lassen, von vornherein unterbleiben (BVerfGE 40, 121, 140; 69, 272, 304). Der Gesetzgeber hat der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte den Vorrang gegenüber einer durch Ausweitung von Sozialleistungen eintretenden Vergrößerung des ohnehin durch den Ausfall von Steuern entstandenen Finanzbedarfs eingeräumt. Damit hat er sich innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums bewegt, den er mit der gänzlichen Neuregelung des Kindergeldrechts im Jahressteuergesetz 1996 (vom 11. Oktober 1995, BGBl I S 1250) nur weiter ausgefüllt hat.

3. Mangels Anspruchs auf eine Geldleistung entfällt auch der geltend gemachte Zinsanspruch (§ 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.



Ende der Entscheidung

Zurück