Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 19.03.1997
Aktenzeichen: 5/4 RA 113/94
Rechtsgebiete: AVG


Vorschriften:

AVG § 28 Abs 1 Nr 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 19. März 1997

in dem Rechtsstreit

Az: 5/4 RA 113/94

Klägerin und Revisionsklägerin, Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin, Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 1997 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. B a I t z e r , die Richter B e n d e r und B a u m a n n sowie die ehrenamtliche Richterin D i e d r i c h und den ehrenamtlichen Richter B i s w a n g e r

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. August 1994 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 13. November 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Anerkennung von Ersatzzeiten, die nach ihrer Ansicht während eines Rentenbezugs und einer gleichzeitigen Berufstätigkeit in der ehemaligen Sowjetunion entstanden sind. Die im März 1925 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin ist Deutsche. Nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik im Oktober 1988 wurde ihr der Vertriebenenausweis A ausgestellt und eine Internierungszeit von August 1941 bis Januar 1946 bescheinigt. In der Sowjetunion war sie von 1939 an zunächst als Melkerin altersversichert. Seit ihrer zwangsweisen Umsiedlung in den Kaukasus war sie von 1942 bis 1947 Angehörige der Trud-Armee (Arbeitseinheit), anschließend wieder als Melkerin oder Köchin in Kolchosen versichert. Zwischenzeitlich wurden ihre sechs Kinder geboren. Ab 26. April 1975 bezog sie von der sowjetischen Sozialverwaltung Altersrente wegen Kinderreichtums auf Lebenszeit. Seit 1976 bis zur Übersiedlung arbeitete sie weiter in einem Altersheim und entrichtete Beiträge.

Die Beklagte gewährte der Klägerin antragsgemäß ab 1. April 1990 Altersruhegeld (Bescheid vom 30. Mai 1990, Neufeststellungsbescheid vom 7. September 1990 und Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 1991 ), lehnte es jedoch ab, ihr die Zeit als Ersatzzeit anzurechnen, in der sie neben ihrem in der Sowjetunion bezogenen Altersruhegeld Beiträge entrichtet hatte. Diese Zeit rechnete die Beklagte zu einem Sechstel als Ersatzzeit an. Mit weiterem Bescheid vom 17. Dezember 1991 bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersruhegeld für langjährig Versicherte ab Übersiedlungsdatum. Beide Bescheide sind Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Klage geworden.

Das SG hat die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 27. April 1975 bis zum 22. Oktober 1988 als Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 3 AVG ununterbrochen anzuerkennen (Urteil vom 13. November 1992). Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. August 1994). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Nach § 19 Abs 3 FRG (in der zur Zeit des Versicherungsfalles geltenden Fassung) dürfe die während des Bezugs einer ausländischen Altersrente zurückgelegte Beitragszeit nur für die Hinterbliebenenrente, nicht aber für die deutsche Altersrente angerechnet werden.

Andererseits sei eine Ersatzzeit der Verschleppung nicht für die Altersrente anzurechnen, soweit eine Beitragszeit bestehe. Die Beitragszeit verdränge hier die Ersatzzeit und sei erst bei einem späteren Versicherungsfall (Hinterbliebenenrente) zu berücksichtigen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor, es könne nicht rechtens sein, daß die Zeit der Verschleppung Ersatzzeit sei, wenn gleichzeitig eine russische Altersrente bezogen worden sei, dies aber nicht gelte, wenn während der Verschleppung und während des Bezugs der russischen Altersrente eine Beitragszeit erfüllt worden sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. August 1994 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 13. November 1992 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das SG hat der Klägerin zutreffend für ihr Altersruhegeld die Zeit ab 27. April 1975 als Ersatzzeit anerkannt. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG ist daher zurückzuweisen, das abweichende Urteil des LSG aufzuheben.

Auf die Klage ist noch das vor Inkrafttreten des SGB VI geltende Recht anzuwenden (§ 300 Abs 2 SGB VI).

Nach § 28 Abs 1 Nr 3 AVG (= § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO) wurden als Ersatzzeiten Zeiten angerechnet, in denen der Versicherte während oder nach Beendigung eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus dem Ausland oder aus den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten verhindert gewesen oder dort festgehalten worden ist. Dieser Tatbestand ist bei der Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat nach § 163 SGG gebunden ist, für die fraglichen Zeiten erfüllt.

Die Berücksichtigung als Ersatzzeiten entfällt nicht deshalb, weil die Klägerin seinerzeit Altersrente wegen Kinderreichtums bezogen und zugleich aufgrund einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung Beiträge gezahlt hat. Zwar enthält das Gesetz keine diesen Fall ausdrücklich regelnde Vorschrift. Die Anrechenbarkeit der Ersatzzeiten auch bei einer solchen Häufung rentenversicherungsrechtlich erheblicher Zeiten ergibt sich aber als Fortführung und Weiterentwicklung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG in Verbindung mit problemnahen Gesetzesbestimmungen anderen Inhalts.

Bereits durch die Rechtsprechung geklärt ist, daß der Bezug einer dem deutschen Altersruhegeld entsprechenden Leistung im Verschleppungsland nicht der Anrechnung einer Ersatzzeit wegen Verschleppung iS der § 28 Abs 1 Nr 2 AVG, § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO entgegensteht (BSG, Urteile vom 20. April 1983 - 5a RKn 26/81, SozR 2200 § 1251 Nr 101 - und vom 21. Juni 1983 - 4 RJ 69/82, SozR 2200 § 1251 Nr 102 -, jeweils mwN).

Die hier zur Begründung angestellten Überlegungen gelten auch für den im vorliegenden Fall maßgebenden Rückkehrverhinderungstatbestand des § 28 Abs 1 Nr 3 AVG (= § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO).

Die somit neben einer Auslandsaltersrente bestehenbleibenden Ersatzzeiten wurden auch nicht durch gleichzeitige ausländische Pflichtversicherungs-/Beitragszeiten verdrängt. Zwar regelte § 28 Abs 2 Satz 1 AVG (= § 1251 Abs 2 Satz 1 RVO) die Konkurrenz grundsätzlich dahin, daß neben Pflichtversicherungszeiten keine Ersatzzeiten angerechnet wurden. Der Grundsatz wurde jedoch durch § 19 Abs 3 FRG (in der vor Inkrafttreten des RRG geltenden und damit auf die Klage anzuwendenden Fassung) für Personen modifiziert, auf die das FRG Anwendung findet. Die Vorschrift lautete: "Beitragszeiten, die während des Bezugs einer dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung zurückgelegt sind, werden für die Hinterbliebenenrenten zusätzlich angerechnet." Durch das BSG (Urteile vom 23. März 1972 - 5 RJ 378/70, BSGE 34, 132, 133 = SozR Nr 6 zu § 19 FRG - und vom 31 März 1976 - 1 RA 87/75, SozR 5050 § 19 Nr 4 mwN -) ist die Norm dahin interpretiert worden, daß fremde Beitragszeiten erst bei der Hinterbliebenenrente zusätzlich angerechnet werden konnten, nicht aber schon vorher für das Altersruhegeld berücksichtigt werden durften. Die Beitragszeiten waren also für andere Versicherungsleistungen als Hinterbliebenenrenten im Ergebnis ohne Bedeutung, sie wurden gleichsam als rechtlich nicht existent behandelt. Die folgerichtige Weiterführung dieser Rechtsprechung bedeutete in bezug auf die Grundsatzregelung des § 28 Abs 2 Satz 1 AVG (= § 1251 Abs 2 Satz 1 RVO), daß die Beitragszeiten auch hier als unerheblich zu betrachten waren, dh bezogen auf die Ersatzzeiten gemäß Abs 1 der Bestimmung ebenfalls nicht die verdrängende Wirkung hatten, die ihnen diesen gegenüber sonst zukam. Im Versicherungsfall des Alters blieben damit einem Versicherten die Ersatzzeiten als zu berücksichtigende Zeiten erhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.



Ende der Entscheidung

Zurück