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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 09.06.1998
Aktenzeichen: B 1 KR 18/96 R
Rechtsgebiete: SGG, GG


Vorschriften:

SGG § 164 Abs. 2 Satz 3
SGG § 62
SGG § 128 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 9. Juni 1998

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 18/96 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Gärtner-Krankenkasse, Danziger Straße 15, 20099 Hamburg,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 1998 durch den Präsidenten von Wulffen und die Richter Steege und Dr. Dreher sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Bröckers und Geppert

für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Juni 1996 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist, ob die beklagte Ersatzkasse die Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung zu tragen hat.

Dem 1953 geborenen Kläger wurde im Kindesalter der rechte Hoden operativ entfernt. Im Zusammenhang damit entwickelte sich in der Folge eine Persönlichkeitsstörung mit hypochondrischer Fixierung, die zuletzt im Herbst 1992 einen mehrwöchigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik erforderlich machte. In der Zeit vom 10. bis 17. November 1992 befand sich der Kläger zur stationären Behandlung im Klinikum der Stadt Ludwigshafen, wo ihm am 11. November 1992 ein künstlicher Hoden implantiert wurde. Zugrunde lag eine Verordnung des Urologen und Vertragsarztes Dr. F. vom 30. Oktober 1992, in der dieser die Krankenhauseinweisung mit dem Wunsch des Patienten nach einer Hodenprothese begründet hatte. Die Beklagte erhielt von dem Vorgang erstmals am 12. November 1992 Kenntnis, als ihr die Verordnung zusammen mit einem Kostenübernahmeantrag des Krankenhauses zuging. Nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) lehnte sie zunächst gegenüber dem Klinikum und sodann mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. März 1993 (Widerspruchsbescheid vom 20. April 1993) auch gegenüber dem Kläger die Übernahme der durch die Krankenhausbehandlung entstandenen Kosten in Höhe von 3.737,52 DM ab, weil eine behandlungsbedürftige organische Erkrankung nicht vorgelegen habe und operative Eingriffe zur Behebung oder Linderung einer psychischen Störung nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen fielen.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens die Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Kostentragung verpflichtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe sich in stationäre Behandlung begeben, ohne die Beklagte zu informieren und eine Bewilligungsentscheidung abzuwarten. Die Voraussetzungen, unter denen eine Krankenkasse nach § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausnahmsweise Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten habe, seien nicht erfüllt. Weder habe es sich bei der Operation um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt noch sei die Entstehung der Kosten darauf zurückzuführen, daß die Beklagte die Gewährung der Behandlung abgelehnt habe. Darauf, ob der Eingriff medizinisch indiziert gewesen sei, komme es nicht an. Besorge sich der Versicherte eine Leistung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges, bestehe auch dann kein Kostenerstattungsanspruch, wenn die Behandlung als Sachleistung hätte gewährt werden müssen.

Mit der Revision rügt der Kläger Verstöße gegen formelles und materielles Recht. Das LSG habe die Unaufschiebbarkeit der umstrittenen Behandlung ohne ausreichende eigene Sachkenntnis verneint. Des weiteren habe es seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt; denn zu der erstmals im angefochtenen Urteil aufgestellten Behauptung, er sei auf die Notwendigkeit der vorherigen Unterrichtung der Krankenkasse hingewiesen worden, habe er sich nicht äußern können. In der Sache verstoße die Entscheidung gegen § 13 Abs 3 SGB V. Für den Kostenerstattungsanspruch müsse es ausreichen, daß die Klinik noch am Tag der Krankenhausaufnahme einen Kostenübernahmeantrag an die Beklagte gerichtet habe. Abgesehen davon könne die angeblich verspätete Antragstellung nicht als Ablehnungsgrund ins Feld geführt werden, nachdem die Beklagte die Übernahme der Behandlungskosten allein aus medizinischen Gründen abgelehnt und sich den vom Berufungsgericht eingenommenen formalen Standpunkt nicht zu eigen gemacht habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Juni 1996 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 23. September 1994 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Seine auf Freistellung von den Kosten der Krankenhausbehandlung gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage ist allerdings zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Nach den Feststellungen des LSG hat der Krankenhausträger den Kläger auf Bezahlung der Behandlungskosten in Anspruch genommen, nachdem die Beklagte ihrerseits eine Kostenübernahme abgelehnt hatte. Ob ein Anspruch des Krankenhauses gegen den Kläger besteht und ob der Kläger die ihm übersandte Rechnung bezahlt hat, ist für das Rechtsschutzbedürfnis unerheblich; allein die faktische Inanspruchnahme begründet ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Klärung der Leistungspflicht der Beklagten. Angesichts dessen kann dahingestellt bleiben, ob allein im Hinblick auf die durch die ablehnende Entscheidung der Krankenkasse geschaffene formale Beschwer ein Rechtsschutzinteresse auch dann bejaht werden könnte, wenn das Krankenhaus erklärt hätte, es werde den Kläger nicht in Anspruch nehmen, wie dies in dem vom 4. Senat des BSG mit Urteil vom 23. Oktober 1996 (BSGE 79, 190, 191 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 12 S 56) entschiedenen Fall geschehen war.

In der Sache kann der Kläger mit seinem Begehren nicht durchdringen. Ihm steht, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, kein Anspruch auf Übernahme der Krankenhausbehandlungskosten gegen die Beklagte zu. In der Begründung vermag der Senat dem angefochtenen Urteil allerdings nicht zu folgen.

Das LSG hat offengelassen, ob die Voraussetzungen für einen Krankenhausbehandlungsanspruch nach den §§ 27, 39 SGB V vorgelegen haben. Darauf komme es nicht an, weil eine Kostenerstattung aus anderen Gründen ausscheide. Die stationäre Behandlung müsse außer in Notfällen vor ihrem Beginn bei der Krankenkasse beantragt und von ihr bewilligt werden, worauf der Kläger ausdrücklich hingewiesen worden sei. Da er diesen vorgeschriebenen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe, komme nur ein Anspruch nach § 13 Abs 3 (damals Abs 2) SGB V in Betracht. Dessen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, denn die Implantation einer Hodenprothese sei weder unaufschiebbar gewesen noch sei die Entstehung der Behandlungskosten darauf zurückzuführen, daß die Beklagte die Behandlung abgelehnt habe.

Dieser rechtlichen Bewertung kann nicht zugestimmt werden. § 13 Abs 3 SGB V gibt einen Kostenerstattungsanspruch für den Fall, daß der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen ist, sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen Weges selbst zu beschaffen. Die Vorschrift ist somit auf Fälle zugeschnitten, in denen der Anspruchsteller sich bewußt außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln läßt, indem er einen nicht zugelassenen Leistungserbringer aufsucht oder mit einem zugelassenen Leistungserbringer vom öffentlich-rechtlichen Leistungsrahmen abweichende privatrechtliche Vereinbarungen trifft (vgl Urteil des 3. Senats des BSG vom 21. November 1991 - BSGE 70, 20, 23 = SozR 3-2500 § 39 Nr 1 S 4). Dagegen greift § 13 Abs 3 SGB V nicht ein, wenn die Behandlung sowohl von seiten des Leistungserbringers als auch von seiten des Versicherten erkennbar als Sachleistung zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden soll und lediglich bei der Abwicklung gegen Grundsätze des Leistungsrechts verstoßen wird. Weigert sich die Krankenkasse bei einer solchen Konstellation, die Kosten der erbrachten Leistungen zu tragen, so geht es nicht um Kostenerstattung, sondern um die Erfüllung des Sachleistungsanspruchs und die Freistellung von etwaigen Vergütungsforderungen des Leistungserbringers. Die Rechtsgrundlage dafür findet sich nicht in § 13 Abs 3, sondern in den §§ 27 ff SGB V, die den Umfang der von der Kasse geschuldeten Krankenbehandlung regeln.

Die genannten Grundsätze finden hier Anwendung. Die umstrittene Krankenhausbehandlung war von einem Vertragsarzt als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet worden. Das Krankenhaus hat sie, wie der an die Beklagte gerichtete Kostenübernahmeantrag zeigt, als Kassenleistung erbringen wollen. Der Kläger schließlich hat sie als Kassenpatient in Anspruch genommen, es allerdings versäumt, sich die Leistung vorab bewilligen zu lassen. Sein früherer wie sein jetziger Vortrag geht dahin, daß ihm die Beklagte die konkret durchgeführte Behandlung im Klinikum der Stadt Ludwigshafen gemäß § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 39 Abs 1 SGB V als Sachleistung hätte gewähren müssen; auf die Durchsetzung der daraus resultierenden Freistellungsverpflichtung richtet sich die Klage.

Der so gekennzeichnete Anspruch scheitert nicht schon deswegen, weil der Kläger sich in stationäre Behandlung begeben hat, ohne die Beklagte zu informieren und eine Bewilligungsentscheidung abzuwarten. Dieser Umstand, dem für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V maßgebende Bedeutung zukommt, schließt die Gewährung der Sachleistung nicht von vornherein aus. Das LSG geht allerdings zu Recht davon aus, daß die Krankenhausbehandlung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich einen Antrag des Versicherten erfordert. Dieser ist zwar keine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung. Im Hinblick darauf, daß Sachleistungen nicht nachträglich gewährt werden können, entfaltet er aber eine vergleichbare Wirkung. Rechtsprechung und Literatur stehen gleichwohl auf dem Standpunkt, daß eine geringfügig verspätete Antragstellung die Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht hindert. Das ist bei Notfalleinweisungen ohnedies selbstverständlich, gilt aber auch sonst, wenn der Antrag aus zeitlichen oder anderen triftigen Gründen der Krankenkasse nicht rechtzeitig zur Kenntnis gebracht werden kann (BSG USK 87136; Krauskopf, aaO, § 39 SGB V RdNr 8; Höfler, aaO, § 39 SGB V RdNr 37 ff). Ob solche Gründe beim Kläger - etwa wegen seines psychischen Zustandes - vorgelegen haben, ist von den Vorinstanzen nicht geprüft worden. Letztlich muß das auch nicht geklärt werden, denn die Beklagte hat den am 12. November 1992 bei ihr eingegangenen Kostenübernahmeantrag des Krankenhauses als rechtzeitigen Leistungsantrag gelten lassen und sich zu keinem Zeitpunkt auf die Säumnis berufen. Hieran muß sie sich auch im Gerichtsverfahren festhalten lassen.

Umgekehrt ist der Klage nicht allein deshalb stattzugeben, weil die Krankenhausbehandlung von einem Vertragsarzt verordnet und der Kläger vom Krankenhaus als Kassenpatient aufgenommen wurde. Bei der stationären Behandlung wird die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht durch die vertragsärztliche Verordnung und auch nicht durch die Aufnahmeentscheidung des Krankenhauses (vgl jetzt: § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V idF des GSG) begründet. Vielmehr verbleibt die Entscheidung über die Leistungsbewilligung bei der Krankenkasse selbst. Das BSG hat dies zum Rechtszustand unter der Geltung der RVO bereits entschieden (Urteil des 3. Senats vom 11. Oktober 1988 - 3/8 RK 20/87 in USK 88157 = NJW 1989, 2350 = ErsK 1991, 378). Für das geltende Recht gilt nichts anderes.

Das SGB V und das ihm nachgeordnete Recht enthalten keine Bestimmungen, durch die es dem Vertragsarzt oder einem im System der gesetzlichen Krankenversicherung tätigen Krankenhausarzt überlassen würde, eine Rechtsentscheidung über die Leistungspflicht der Krankenkasse zu treffen. Der Vertragsarzt ist allerdings dazu berufen, mit der Einleitung der aus seiner Sicht notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen einschließlich der Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie erforderlichenfalls von Krankenhauspflege (§ 73 Abs 2 Nr 7 SGB V) den vom Gesetz als Rahmenrecht ausgestalteten Leistungsanspruch des Versicherten in fachlich-medizinischer Hinsicht zu konkretisieren. Er hat dabei einen weiten Entscheidungsspielraum, der nur durch die für ihn geltenden Bestimmungen des Leistungserbringungsrechts begrenzt wird. Wählt er eine bestimmte Behandlungsmethode, so kann ihm die Krankenkasse regelmäßig nicht entgegenhalten, daß eine andere Vorgehensweise zweckmäßiger gewesen wäre. Insofern hat seine Entscheidung auch rechtliche Bedeutung, denn damit wird festgelegt, für welche konkrete Behandlung die Krankenkasse einzustehen hat. Deren Mitwirkung bei der Leistungserbringung in der Form einer vorherigen Bewilligungsentscheidung ist angesichts der großen Zahl von Behandlungsfällen nicht praktikabel und deshalb in den die vertragsärztliche Versorgung regelnden Vorschriften nur ausnahmsweise vorgesehen. Im Regelfall kann die Krankenkasse vorschriftswidrige oder unwirtschaftliche Behandlungen daher nicht verhindern; ihre Einwirkungsmöglichkeit beschränkt sich auf die nachträgliche Überprüfung und gegebenenfalls den Rückgriff gegen den Arzt wegen der von diesem rechtswidrig verursachten Kosten. All das bedeutet aber nicht, daß der Arzt anstelle der Krankenkasse oder als deren Vertreter über das rechtliche Bestehen von Leistungsansprüchen zu befinden oder gar hierüber Verwaltungsakte zu erlassen hätte. Das ist weder seine Aufgabe noch ist er dazu aufgrund seiner Ausbildung in der Lage. Soweit der Senat im Urteil vom 24. September 1996 (BSG SozR 3-2500 § 30 Nr 8 S 32 f) vereinfachend davon gesprochen hat, durch die Anordnung von Behandlungsmaßnahmen entscheide der Vertragsarzt mit Wirkung für die jeweilige Kasse verbindlich über die Ansprüche des Versicherten, meinte dies nichts anderes. Die Einstandspflicht der Krankenkasse für Maßnahmen des Arztes beruht nicht darauf, daß dieser Rechtsentscheidungen über Leistungsansprüche zu treffen hätte, sondern darauf, daß die Kasse die im Rahmen der Therapiefreiheit liegenden Behandlungsentscheidungen des Arztes gegen sich gelten lassen und - wie nachfolgend darzulegen ist - bei vorschriftswidrigen Leistungen das Vertrauen des Versicherten in die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung beachten muß.

Mit der Verordnung von Krankenhauspflege trifft der Vertragsarzt keine die Krankenkasse bindende Therapieentscheidung. Denn die Krankenhausbehandlung gehört zu den Leistungen, für die außer in Notfällen ausdrücklich eine vorherige Bewilligung durch die Krankenkasse zusätzlich zu der vertragsärztlichen Verordnung vorgeschrieben ist. Aus den insoweit maßgebenden Bestimmungen des § 11 Abs 1 Satz 2 Arzt-/Ersatzkassenvertrag vom 13. September 1990 (DÄBl 1990, C 1752) iVm Nr 1.1 Satz 3 der Krankenhauspflege-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 26. Februar 1982 (Beilage zum BAnz Nr 125) ergibt sich, daß die Leistungspflicht der Krankenkasse bei stationärer Behandlung nicht durch die vertragsärztliche Verordnung, sondern durch die Einzelfallentscheidung (Kostenübernahmeerklärung) der Kasse begründet wird. Der Genehmigungsvorbehalt zugunsten der Krankenkasse ist auch auf dem Vordruck "Verordnung von Krankenhausbehandlung" (Muster 2 der Vordruck-Vereinbarung als Anlage 2 zum EKV-Ä und Ziffer 5 der Vordruck-Erläuterungen hierzu) vermerkt. Aus demselben Grunde bindet auch die Krankenhausaufnahme die Kasse grundsätzlich nicht.

Von der Frage der rechtlichen Verbindlichkeit einer Konkretisierung des Rahmenrechts ist die Frage zu trennen, ob durch das Verhalten des behandelnden Arztes oder des Krankenhauses ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird, aus dem der Versicherte Rechte herleiten kann. Eine Verpflichtung der Krankenkasse, den Versicherten von den Kosten einer Behandlung freizustellen, kann sich, wie zuletzt der 4. Senat des BSG entschieden hat, auch daraus ergeben, daß der ärztliche Leistungserbringer die ihm kraft Zulassung übertragenen öffentlich-rechtlichen Informationspflichten gegenüber dem Versicherten nicht oder schlecht erfüllt und dadurch bewirkt hat, daß der Versicherte die vom ärztlichen Leistungserbringer veranlaßte objektiv ungerechtfertigte Leistung in schutzwürdigem Vertrauen als Kassenleistung in Anspruch genommen hat (BSGE 79, 190, 194 = SozR 3-2500 § 13 Nr 12). Allerdings sieht der erkennende Senat die Rechtsgrundlage für einen derartigen Freistellungsanspruch im Unterschied zum 4. Senat nicht in § 13 Abs 3 SGB V, sondern in der auf Grundsätzen der Rechtsscheinshaftung beruhenden Einstandspflicht der Krankenkasse für Maßnahmen und Entscheidungen der in ihrem Auftrag (§ 2 Abs 2 Satz 2 SGB V) handelnden Leistungserbringer. Hat der Arzt gegenüber dem Versicherten zum Ausdruck gebracht, die von ihm durchgeführte oder veranlaßte Behandlung werde im Rahmen des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung kostenfrei erbracht, muß die Krankenkasse sich dieses Verhalten zurechnen und die Leistung als Sachleistung gegen sich gelten lassen. Soweit die Leistungsvoraussetzungen tatsächlich nicht vorgelegen haben, kann sie sich auf eine mögliche Pflichtverletzung des Leistungserbringers nur diesem gegenüber berufen (vgl bereits Senatsurteile vom 23. April 1996 - BSGE 78, 154, 156 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 3 S 9 f und vom 24. September 1996 - SozR 3-2500 § 30 Nr 8 aaO).

Die genannten Grundsätze gelten indessen nicht, wenn der Versicherte wußte oder wissen mußte, daß der Leistungsanspruch nicht bestand oder daß die Entscheidung über die Leistungsgewährung der Krankenkasse vorbehalten war. Zumindest das letztere war hier der Fall, denn der Kläger war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf die Notwendigkeit einer vorherigen Einschaltung der Beklagten ausdrücklich hingewiesen worden. Das LSG bezieht sich dabei ersichtlich auf die bei den Akten befindliche und im Urteil erwähnte schriftliche Verordnung der Krankenhausbehandlung durch den Urologen Dr. F. vom 30. Oktober 1992. Diese Verordnung, die der Kläger nach eigenen Angaben von seinem behandelnden Arzt ausgehändigt erhalten und später dem Krankenhaus vorgelegt hat, enthält den vorgedruckten Hinweis:

"Die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem Krankenhaus bleibt der Krankenkasse vorbehalten; deshalb bitte diese Verordnung vor Aufsuchen des Krankenhauses der zuständigen Krankenkasse vorlegen.

Geschieht das nicht, so kann die Kostenübernahme durch die Krankenkasse abgelehnt werden; es sei denn, es liegt ein Notfall vor, und ein Leistungsanspruch besteht."

Aus der angefochtenen Entscheidung ist zwar nicht zu ersehen, ob der Kläger die Belehrung gelesen und zur Kenntnis genommen hat. Es begegnet aber keinen rechtlichen Bedenken, wenn ihm entgegengehalten wird, daß er das Erfordernis einer vorherigen Leistungsbewilligung durch die Krankenkasse jedenfalls hätte erkennen müssen. Das gilt um so mehr, als der behandelnde Urologe die Einweisung nicht mit der medizinischen Notwendigkeit der geplanten Operation, sondern ausschließlich mit dem eigenen Wunsch des Klägers nach einer Hodenprothese begründet hatte. Auch aufgrund der näheren Umstände des Zustandekommens der Krankenhauseinweisung konnte der Kläger deshalb von vornherein nicht davon ausgehen, daß die Beklagte an die Verordnung gebunden sein werde und die Kosten des stationären Aufenthalts werde tragen müssen.

Die Angriffe der Revision gegen die Feststellung des LSG, daß der Kläger über das Erfordernis einer Bewilligung der Krankenhausbehandlung durch die Krankenkasse belehrt worden ist, beinhalten keine zulässige Verfahrensrüge. Insbesondere entspricht das Vorbringen, mit dem eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird, nicht den Formerfordernissen des § 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn danach muß die Revisionsbegründung bei Verfahrensrügen die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Dazu gehört auch die Darlegung, daß und warum die angefochtene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann. Für die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG; §§ 62, 128 Abs 2 SGG) gelten insoweit keine Besonderheiten. Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist im sozialgerichtlichen Verfahren kein sogenannter absoluter Revisionsgrund, bei dessen Vorliegen die Entscheidung stets als auf einer Gesetzesverletzung beruhend anzusehen ist. Im Unterschied zu § 138 Nr 3 Verwaltungsgerichtsordnung und zu § 119 Nr 3 Finanzgerichtsordnung ist die Beeinträchtigung des Anspruchs auf rechtliches Gehör weder im SGG noch in der entsprechend anwendbaren ZPO unter den absoluten Revisionsgründen aufgeführt worden (BSG SozR 1500 § 160 Nr 31; BSGE 53, 83, 84 = SozR 1500 § 124 Nr 7 S 14). Zwar kann es Fallgestaltungen geben, bei denen darauf verzichtet werden kann, daß die Ursächlichkeit des Verfahrensverstoßes für die getroffene Entscheidung im einzelnen dargelegt wird, weil sie nach den Umständen des Falles ohne weiteres auf der Hand liegt. Die Rechtsprechung hat dies insbesondere angenommen, wenn einem Beteiligten keine Gelegenheit gegeben worden war, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (BSGE 53, 83, 85 = SozR 1500 § 124 Nr 7 S 15). Wird die Verfahrensrüge indessen wie hier darauf gestützt, daß der Beteiligte zu einem bestimmten Punkt der Entscheidungsbegründung nicht Stellung nehmen konnte, muß dargelegt werden, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann. Das ist nicht geschehen.

Der Kläger macht geltend, die Feststellung, er sei darüber belehrt worden, daß die vertragsärztliche Verordnung der Krankenhausbehandlung vor dem Aufsuchen des Krankenhauses der Krankenkasse vorgelegt werden müsse, sei für ihn überraschend gekommen. Der genannte Gesichtspunkt habe im gesamten Prozeß keine Rolle gespielt und sei vom LSG auch nicht in die mündliche Verhandlung eingeführt worden, so daß er dazu nicht habe Stellung nehmen können. Aus diesem Vorbringen wird nicht deutlich, daß und warum bei einer das rechtliche Gehör wahrenden Vorgehensweise des Berufungsgerichts die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung bestanden hätte. Der Kläger hat, obwohl die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung nochmals auf das Verordnungsformular und die darauf angebrachte Belehrung hingewiesen hat, nicht dargetan, daß die Feststellung des LSG unzutreffend sei und welches entscheidungserhebliche Vorbringen ihm durch die behauptete Verweigerung des rechtlichen Gehörs abgeschnitten worden sein soll.

Das Schicksal der Klage hängt nach alledem davon ab, ob dem Kläger nach materiellem Recht ein Anspruch auf die durchgeführte Krankenhausbehandlung zustand. Diese Frage ist zu verneinen. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils und dem Ergebnis des vom SG eingeholten Gutachtens wird die Notwendigkeit der Implantation einer Hodenprothese damit begründet, daß auf diesem Wege die psychische Störung des Klägers möglicherweise günstig beeinflußt werden könne. Die in dieser Weise gestellte Operationsindikation vermag indessen eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu begründen. Der Senat hat mit Urteil vom 10. Februar 1993 (BSGE 72, 96 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14) entschieden, daß die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet sind, zur Behebung einer psychischen Störung die Kosten für den operativen Eingriff (dort: Beinverlängerung) in einen im Normbereich liegenden Körperzustand zu tragen. Hieran hält er nach erneuter Prüfung fest. Die von den Kassen geschuldete Krankenbehandlung umfaßt grundsätzlich nur solche Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzen. Bei psychischen Störungen beschränkt sich der Heilbehandlungsanspruch deshalb im allgemeinen auf eine Behandlung mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie und schließt jedenfalls operative Eingriffe selbst dann nicht ein, wenn wegen der - krankheitsbedingten - Ablehnung einer Psychotherapie durch den Versicherten keine andere Möglichkeit der ärztlichen Hilfe besteht. Diese Rechtsgrundsätze sind auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Das Fehlen eines Hodens begründet nach den gutachterlichen Feststellungen, auf die das LSG Bezug genommen hat, keinerlei körperliche Beeinträchtigung, weil die Funktion des fehlenden Organs durch den anderen Hoden übernommen wird. Abgesehen davon könnte ein etwaiges Funktionsdefizit durch einen künstlichen Hoden nicht ausgeglichen werden, so daß die Operation den bestehenden Defekt nicht beseitigen konnte. Daß vorliegend im Unterschied zu dem Fall der Beinverlängerung eine körperliche Anomalie als Auslöser der psychischen Störung in Betracht kommt, kann keine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, nachdem die Anomalie ihrerseits keine Behandlungsbedürftigkeit begründet. Bei nur mittelbarer Beeinflussung einer Erkrankung sind Maßnahmen zur gezielten Krankheitsbekämpfung nicht mehr hinreichend von sonstigen wegen einer Krankheit notwendig werdenden Hilfen im Bereich der Lebensführung zu unterscheiden, für welche die Krankenversicherung nicht aufzukommen hat (vgl mwN: BSG SozR 3-2500 § 27 Nr 6 S 18 f).

Die Revision war danach mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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