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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 11.12.2003
Aktenzeichen: B 10 A 1/02 R
Rechtsgebiete: SGB IV


Vorschriften:

SGB IV § 89 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 10 A 1/02 R

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 11. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, den Richter Masuch und die Richterin Knickrehm sowie die ehrenamtlichen Richter Gerner und Dr. Grieshaber

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Beigeladenen auch die notwendigen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides des Beklagten, der die klagende landwirtschaftliche Alterskasse verpflichtet, Schadensersatzansprüche gegen den Beigeladenen rechtshängig zu machen.

Durch Urkunde vom 25. März 1992 wurde der Beigeladene, seinerzeit hauptamtlicher Geschäftsführer der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (LBG) O. und M. , durch den Beklagten gemäß § 37 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) bis zur Wahl der Selbstverwaltungsorgane zum Errichtungsbeauftragten der S (S) bestellt und gleichzeitig mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Geschäftsführers eines Versicherungsträgers betraut (§ 36 SGB IV). Nach der Konstituierung der Selbstverwaltungsorgane der (S) beschloss die Vertreterversammlung am 16. März 1994 dem Beigeladenen die Geschäftsführung zu übertragen, unter Aufrechterhaltung seines Dienstverhältnisses zur Anstellungskörperschaft. Gleichzeitig wurde der Vorstand beauftragt, mit dieser eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen, was in der Folgezeit nicht gelang. Auch zwischen der (S) bzw der Klägerin und dem Beigeladenen kam kein förmliches Dienst- oder Beschäftigungsverhältnis zu Stande. Unabhängig davon führte der Beigeladene tatsächlich die Geschäfte der Klägerin.

Die Klägerin erbrachte in der Zeit ab 1. Januar 1995 auch Leistungen nach dem Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG). Wegen der Auslegung der insoweit maßgeblichen Rechtsvorschriften kam es zwischen den zuständigen Bundesministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) sowie für Arbeit und Sozialordnung (BMA) auf der einen Seite und den im Beitrittsgebiet zuständigen Versicherungsträgern (darunter auch der Klägerin) auf der anderen Seite zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen, die zur Erarbeitung von Auslegungsgrundsätzen führten. Auf der Grundlage einer durch die Vorprüfungsstelle des BML erfolgten örtlichen Prüfung des Vollzugs des FELEG wies der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 7. Juni 1996 auf die nicht mit der Rechtsauffassung des Bundes übereinstimmende Verwaltungspraxis bezüglich der Bewilligung von Ausgleichsgeld hin und forderte eine entsprechende Änderung. Mit Datum vom 14. März 1997 erlies das BMA allgemeine Grundsätze zur Bewilligung von Ausgleichsgeld nach dem FELEG.

Nach Auffassung des BML hatte die Klägerin über einen längeren Zeitraum rechtswidrig Ausgleichgeld (§§ 9 und 13 FELEG) gewährt. Dadurch sei dem Bund ein Schaden entstanden, der mit Hilfe konkreter Ersatzansprüche gegen den Beigeladenen ausgeglichen werden müsse (zuletzt Schreiben des BML vom 13. November 1998 an den Beklagten). Unter Beifügung des Schreibens des BML vom 13. November 1998 forderte der Beklagte die Klägerin am 19. November 1998 und später nochmals am 15. Dezember 1998 zur Stellungnahme auf. Dem zweiten Schreiben war eine Übersicht von Fällen beigefügt, die nach Ansicht des Beklagten eine Haftung des Beigeladenen begründen könnten. Mit Schreiben vom 19. Januar 1999 forderte der Beklagte die Klägerin auf, die Prüfung von Regressansprüchen zum Abschluss zu bringen und im Falle der Bejahung der Begründetheit dieser Ansprüche die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Zugleich stellte er die Möglichkeit einer aufsichtsrechtlichen Verpflichtung in Aussicht. Die Klägerin vertrat in ihrer Stellungnahme vom 11. Februar 1999 die Auffassung: Aus den genannten Beispielsfällen ergebe sich weder unzweifelhaft eine fehlerhafte Rechtsanwendung noch sei daraus ein hinreichend eindeutiges Verschulden des Beigeladenen abzuleiten. Zudem sei die Rechtsgrundlage eines Schadensersatzanspruches fraglich, so dass die Verfolgung von Haftungsansprüchen gegen den Beigeladenen nicht für vertretbar gehalten werde.

Ohne näher auf die Stellungnahme der Klägerin einzugehen, verpflichtete der Beklagte diese durch Bescheid vom 19. März 1999, innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Bescheides die Rechtshängigkeit der gegen den Beigeladenen bestehenden Schadensersatzansprüche in Höhe von 3.268.963,72 DM herbeizuführen. Mit Schreiben des Beklagten vom 4. Oktober 1999 wurde die Schadenshöhe auf 3.164.651,53 DM berichtigt.

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) Leipzig hat den Bescheid vom 19. März 1999 aufgehoben (Urteil vom 11. April 2000). Mangels Verschuldens des Beigeladenen fehle es an der hinreichenden Erfolgsaussicht eines entsprechenden Schadensersatzprozesses. Die Klägerin sei daher nicht verpflichtet, ein derartiges Verfahren zu betreiben. Die Berufung des Beklagten hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) im Wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen (Urteil vom 20. Dezember 2001): Es fehle bereits an den formellen Voraussetzungen des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV, da die Verpflichtung nicht mit dem Gegenstand der vorausgegangenen Beratung übereinstimme. Der Beklagte sei zudem nicht auf die abweichende Rechtsauffassung der Klägerin eingegangen. Auch materiell sei der Aufsichtsbescheid rechtswidrig. Es fehle an einer hinreichenden Rechtsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch gegen den Beigeladenen. Zudem lägen die Voraussetzungen einer persönlichen Regresshaftung des Beigeladenen (eigener Schaden des Dienstherrn oder vorherige Übernahme des Schadens eines unmittelbar geschädigten Dritten) nicht vor. Die Geltendmachung eines Schadens des Bundes im Wege der Drittschadensliquidation sei durch den Aufsichtsbescheid hingegen nicht beabsichtigt gewesen.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 89 Abs 1 SGB IV. Zur Begründung trägt er vor: Das LSG überdehne die an eine Beratungspflicht gestellten Anforderungen. Die erforderliche sachliche und rechtliche Übereinstimmung der Beratungsschreiben mit der Verpflichtungsanordnung sei gegeben. Eine weitere Beratung hätte zudem ihren Zweck, eine Aufsichtsmaßnahme zu vermeiden, nicht erfüllen können, da die Klägerin die Aufforderungen in den Beratungsschreiben offensichtlich habe leer laufen lassen wollen. Der dem Bund entstandene Schaden könne und müsse im Wege der Drittschadensliquidation geltend gemacht werden. Schließlich sei es nicht Aufgabe der Sozialgerichtsbarkeit, im Aufsichtsprozess die Prüfung der Begründetheit der gegen den Beigeladenen gerichteten Ansprüche durch die dafür zuständigen Gerichte vorwegzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Sächsischen LSG vom 20. Dezember 2001 sowie des SG Leipzig vom 11. April 2000 aufzuheben und die Klage gegen den Aufsichtsbescheid vom 19. März 1999 abzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Aufsichtsbescheid vom 19. März 1999 rechtswidrig ist.

1. Die Klage ist zulässig (§ 54 Abs 3 SGG). Die Klägerin wird durch die Aufforderung in dem Bescheid des Beklagten vom 19. März 1999, Schadensersatzansprüche gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer rechtshängig zu machen, in ihrer Rechtsposition als Selbstverwaltungskörperschaft und Anstellungsbehörde betroffen. Es handelt sich nicht um eine Weisung im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung, die von der Klägerin nicht ohne weiteres im Klagewege angefochten werden könnte (vgl Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand: Juli 2002, § 54 RdNr 97 mwN; BVerfGE 81, 310, 332 ff).

Das FELEG wird zwar im Auftrag des Bundes (Bundesauftragsverwaltung nach Art 85 Grundgesetz <GG>) ausgeführt. Dies ergibt sich aus Art 104a Abs 3 Sätze 1 und 2 GG iVm § 19 Abs 1 FELEG, der vorsieht, dass der Bund die Leistungsaufwendungen nach diesem Gesetz trägt. Unter Beachtung des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland und in Übereinstimmung mit der Regelung des Art 85 Abs 1 GG, wonach auch bei der Bundesauftragsverwaltung die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder bleibt, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen, legt § 17 Satz 1 FELEG die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Alterskassen für die Durchführung des FELEG fest.

Die Bundesauftragsverwaltung stellt auch eine Form der Landesverwaltung dar (BVerfGE 81, 310, 331), wobei die Landesbehörden zwar den fachlichen Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden (Art 85 Abs 3 GG) unterstehen, jedoch keine nachgeordneten Behörden des Bundes sind. Die Weisungsbefugnis erstreckt sich auf Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung (vgl Art 85 Abs 4 Satz 1 GG) und kann die gesamte Vollzugstätigkeit erfassen - von der Vorbereitung der Entscheidung über die Festlegung einer bestimmten Gesetzesauslegung bis hin zur abschließenden Entscheidung einschließlich der Bestimmung des Inhaltes von Ermessensentscheidungen und der Entscheidung über die Aufhebung von Verwaltungsakten (vgl Janz, Das Weisungsrecht nach Art 85 Abs 3 GG - Inhalt, Grenzen und haftungsrechtliche Dimensionen, Schriften zum öffentlichen Recht, Band 911, 2003, S 142 ff). Davon erfasst wird auch die Befugnis zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Dritte, die sich auf den Gegenstand der Auftragverwaltung beziehen (vgl dazu BGHZ 73, 1; BVerwGE 106, 272).

Entsteht jedoch durch einen fehlerhaften Gesetzesvollzug ein Schaden beim Bund, so unterfällt die Frage der Geltendmachung von entsprechenden Schadensersatzansprüchen gegen einen verantwortlichen Mitarbeiter der Landesbehörde nicht mehr der Bundesauftragsverwaltung. Aus dieser folgt nämlich keine Befugnis des Bundes zur Dienstaufsicht über die Landesbehörden (vgl Maunz-Dürig, GG, Komm, Band IV, Art 85 RdNr 5). Ist allein das Dienstrechtsverhältnis zwischen dem Mitarbeiter und seiner Anstellungskörperschaft berührt, wie bei der Haftung für Folgen der Nicht- oder Schlechterfüllung von Dienstpflichten, so handelt es sich um einen Bereich, der in die Verantwortung des Landes fällt.

Dieses Ergebnis wird gestützt durch die Trennung der Verantwortungs- und Kostenbereiche zwischen Bund und Ländern im Rahmen der grundgesetzlichen Ausgestaltung der Bundesauftragsverwaltung und des Finanzwesens. Der Bund trägt danach nur die Sachausgaben (Art 104a Abs 1, 2, 5 Satz 1 GG und § 19 FELEG), die im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung anfallen. Gemäß Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG tragen hingegen Bund und Länder die jeweils bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben. Die durch Verwaltungsfehler verursachten Mehrkosten sind in dieser Systematik Verwaltungskosten (vgl BVerwGE 96, 45, 52; Jarass/Pieroth, GG, Komm, 5. Aufl 2000, Art 104a RdNr 13; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Komm zum GG, 9. Aufl 1999, Art 104a RdNr 28), da sie im Gegensatz zu den Sachausgaben nicht der Verwirklichung des Verwaltungszweckes dienen (Janz, aaO, S 453 ff). Für sie haben demnach die Länder aufzukommen, wenn die Fehler in ihrem Bereich gemacht worden sind.

Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer fällt auch nicht deswegen aus dem Bereich der Dienstaufsicht heraus, weil er Organ der Selbstverwaltungskörperschaft ist. Der Geschäftsführer steht gleichwohl in einem Dienstverhältnis zum Versicherungsträger (§ 36 Abs 5 SGB IV). An dieser Zuordnung ändert der Umstand nichts, dass es hier an einer wirksamen Bestellung des Beigeladenen zum Geschäftsführer mangelt. Insoweit reicht es aus, dass er im Einvernehmen mit der SLBG sowie der Klägerin tatsächlich die Aufgaben eines Geschäftsführers wahrgenommen, also eine von beiden Seiten gewollte Beschäftigung ausgeübt hat. Das Beschäftigungsverhältnis wurde übereinstimmend in Vollzug gesetzt. Dabei kann dahinstehen, ob die Einigung auf die Begründung eines Arbeits- oder eines Dienstverhältnisses gerichtet war (vgl zum faktischen Arbeitsverhältnis BSGE 87, 53, 59 f, BAGE 93, 310, 315 f). Es bestand jedenfalls ein faktisches Beschäftigungsverhältnis, aus welchem gegenseitige Rechte und Pflichten erwachsen sind. Mithin richtet sich der fragliche Schadensersatzanspruch nicht gegen einen externen Dritten.

2. Der angefochtene Aufsichtsbescheid vom 19. März 1999 ist rechtswidrig, da der Beklagte das nach § 89 Abs 1 SGB IV vorgeschriebene Verfahren nicht hinreichend beachtet hat. Diese Bestimmung sieht in ihrem Satz 1 vor: Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Träger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde ihn nach § 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Zwar war der Beklagte grundsätzlich befugt, durch seine oberste Verwaltungsbehörde (§ 90 Abs 2 SGB IV) Aufsichtsmaßnahmen gegen die Klägerin zu ergreifen. Der Erlass eines Aufsichtsbescheides hat jedoch in einem abgestuften Verfahren zu erfolgen (BSG SozR 3-2400 § 89 Nr 4 S 12), wobei die Durchführung einer Beratung grundsätzlich Voraussetzung der Rechtmäßigkeit einer Verpflichtungsanordnung ist (BSGE 61, 254, 257 = SozR 7223 Art 8 § 2 Nr 3 S 4; BSGE 67, 85, 87 = SozR 3-2400 § 89 Nr 1 S 3). Hier mangelt es an einer dem Gesetz entsprechenden Beratung.

Durch den Bescheid des Beklagten vom 19. März 1999 wird der Klägerin aufgegeben, die Rechtshängigkeit von Schadensersatzansprüchen gegen den Beigeladenen herbeizuführen. Dem liegt die Auffassung des Beklagten zu Grunde, die Klägerin sei zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Beigeladenen verpflichtet und verletze durch ihre Ablehnung, diese rechtshängig zu machen, das für sie maßgebende Recht (§ 87 Abs 1 Satz 2 SGB IV). Hierüber hat der Beklagte die Klägerin mit den allein maßgeblichen Schreiben vom 19. November und 15. Dezember 1998 sowie 19. Januar 1999 nicht ordnungsgemäß beraten. Dabei ist streng zwischen den Fragen zu unterscheiden, ob der Beigeladene wegen fehlerhafter Rechtsanwendung auf Schadensersatz haftet und inwiefern die Klägerin zur Geltendmachung eines solchen Schadensersatzanspruches verpflichtet ist.

a) Nach dem Wortlaut des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV setzt bereits das Aufsichtsmittel der Beratung eine Rechtsverletzung durch den Versicherungsträger voraus. Eine ordnungsgemäße Beratung erfordert daher einen die individuellen und speziellen Verhältnisse des beratenen Versicherungsträgers berücksichtigenden und entsprechend begründeten Hinweis darauf, dass und aus welchen Gründen gerade durch sein Handeln oder Unterlassen das Recht verletzt worden ist, und dem folgend eine Darlegung der dem Versicherungsträger möglichen Maßnahmen, mit welchen er in rechtlich zulässiger Weise die nach Meinung der Aufsichtsbehörde vorliegende Rechtsverletzung beheben kann (BSGE 61, 254, 258 = SozR 7223 Art 8 § 2 Nr 3 S 4 f; BSGE 67, 85, 87 f = SozR 3-2400 § 89 Nr 1 S 4).

Eine mit dem Inhalt des Aufsichtsbescheides korrespondierende Rechtsverletzung der Klägerin hat der Beklagte in den der Aufsichtsmaßnahme vorausgegangenen Schreiben nicht festgestellt. Er hat der Klägerin darin vielmehr den Auftrag erteilt, zu prüfen und dazu Stellung zu nehmen, ob Regressansprüche gegen den Beigeladenen bestehen. Diese tatsächliche und rechtliche Prüfung der Voraussetzungen einer Haftung des Beigeladenen war nach dem zwischen den Beteiligten erfolgten Schriftwechsel bis zum Erlass des Aufsichtsbescheides nicht abgeschlossen. Dementsprechend hatte der Beklagte der Klägerin gegenüber im Rahmen der Beratung auch noch nicht festgestellt, dass und aus welchen Gründen das Unterlassen der Rechtshängigmachung eines Schadensersatzanspruches gegen den Beigeladenen eine aufsichtsrechtlich zu beanstandende Rechtsverletzung darstelle. Die Anordnung, Schadensersatzansprüche gegen den Beigeladenen geltend zu machen, war mithin durch keines der drei genannten Schreiben des Beklagten ausreichend vorbereitet.

Mit dem ersten Schreiben vom 19. November 1998 hat der Beklagte zwar auf die Rechtsauffassung des Bundes - unter Beifügung des Schreibens des BML vom 13. November 1998 - hingewiesen, ihm sei durch die rechtswidrige Gewährung von Ausgleichsgeld nach dem FELEG ein Schaden entstanden und dieser sei durch entsprechende Regressansprüche geltend zu machen. Auf eine mögliche Rechtsverletzung der Klägerin wird jedoch nicht eingegangen. Vielmehr befasst sich das Schreiben des BML mit der Auslegung des FELEG und der möglichen Rechtsgrundlage einer Haftung des Beigeladenen. Aus dem Schreiben vom 19. November 1998 ist zudem nicht ersichtlich, dass sich der Beklagte diese Ausführungen des Bundes bereits inhaltlich zu Eigen gemacht hatte. Die dem Schreiben des Beklagten vom 15. Dezember 1998 beigefügten konkreten Fälle fehlerhafter Anwendung des FELEG dienten lediglich dazu, der Klägerin eine substantiierte Stellungnahme zu erleichtern. In dem dritten Schreiben vom 19. Januar 1999 wird die Klägerin schließlich aufgefordert, die Prüfung des Bestehens von Regressansprüchen zum Abschluss zu bringen und über das Ergebnis der Prüfung zu berichten. Nur für den Fall, dass die Klägerin selbst die Begründetheit derartiger Ansprüche bejahe, sollten die notwendigen Maßnahmen zur Durchsetzung derselben vorgenommen werden.

b) Überdies fehlt es auch an einer inhaltlichen Auseinandersetzung des Beklagten mit den Argumenten und Bedenken der Klägerin. Die nach § 89 Abs 1 SGB IV erforderliche Beratung ist nach der Rechtsprechung des BSG Ausdruck des Bemühens um partnerschaftliche Kooperation zwischen Selbstverwaltung und Aufsicht, also Teil einer geistigen Auseinandersetzung zwischen ernsthaft im Interesse der versicherten Bevölkerung um optimale Lösungen bemühten Partnern. Dabei ist eine auf die speziellen Verhältnisse des betroffenen Versicherungsträgers abgestellte Individualisierung der Beratung unumgänglich. Das Beratungsverfahren erschöpft sich demnach nicht in der Darlegung der Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörde. Dem Versicherungsträger muss die Möglichkeit eröffnet werden, von sich aus die Rechtslage zu prüfen und der Aufsichtsbehörde seinen gegebenenfalls abweichenden Rechtsstandpunkt darzulegen mit dem Ziel, dass sie sich diesen ihrerseits zu Eigen macht und von weiteren Aufsichtsmaßnahmen Abstand nimmt. Insgesamt bezweckt die Beratung als Ausgangspunkt eines möglichen Dialogs zwischen Versicherungsträger und Aufsichtsbehörde gerade die Vermeidung aufsichtsbehördlicher Anordnungen (BSGE 67, 85, 87 = SozR 3-2400 § 89 Nr 1 S 3). Von einem derartigen Dialog kann aber nur gesprochen werden, wenn die Beteiligten auf das gegenseitige Vorbringen substantiiert eingehen. Die Stellungnahme der Klägerin vom 11. Februar 1999, in der sie ihre abweichende Rechtsauffassung näher dargelegt hat, hätte den Beklagten daher grundsätzlich zunächst veranlassen müssen, eine weitergehende, individualisierte Beratung vorzunehmen.

c) Vorliegend ist auch keine atypische Fallgestaltung gegeben - § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV ist eine Sollvorschrift -, die eine vorherige Beratung des Versicherungsträgers durch die Aufsichtsbehörde ausnahmsweise entbehrlich gemacht haben könnte. Das kann zB dann der Fall sein, wenn (1) die Behebung der Rechtsverletzung keinen Aufschub duldet, (2) der Versicherungsträger vorsätzlich und in Kenntnis einer gegenteiligen Auffassung der Aufsichtsbehörde eine rechtswidrige Maßnahme vornimmt oder (3) die Umstände im Einzelfall ergeben, eine Beratung werde keinen Erfolg haben (vgl Gleitze/Krause/von Maydell/Merten, Gemeinschaftskomm zum Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, GK-SGB IV, 1992, § 89 RdNr 10; Peters, Sozialgesetzbuch IV, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, Komm, Stand: 1. Dezember 1998, § 89 RdNr 13; Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, Viertes Buch (IV) Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, Komm, § 89 RdNr 6; Wannagat, Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften, Komm, Stand: Oktober 2001, § 89 RdNr 8; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch SGB IV, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, Komm, Stand: Oktober 2002, § 89 RdNr 4).

Anhaltspunkte für das Vorliegen einer dieser Fallgruppen oder einer sonstigen Ausnahmesituation sind hier nicht ersichtlich. Unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage eine Haftung des Beigeladenen beruhen könnte und welche Verjährungsfristen sich daraus ergäben, ist jedenfalls der Beklagte selbst bei Erlass des Verpflichtungsbescheides nicht davon ausgegangen, die Behebung der Rechtsverletzung dulde keinerlei Aufschub mehr. Auch stand zum damaligen Zeitpunkt nicht sicher fest, dass der mit der Beratung verfolgte Zweck nicht mehr erreicht werden konnte. Insbesondere lässt das Schreiben der Klägerin vom 11. Februar 1999 nicht erkennen, dass sie sich von vornherein aus sachfremden Erwägungen ihren Pflichten als Versicherungsträger und damit einem ordnungsgemäßen Beratungsverfahren entziehen wollte. Angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Unklarheiten des Falles ist es nicht auszuschließen, dass der Erlass eines Aufsichtsbescheides durch eine weiter gehende Beratung hätte vermieden werden können, sei es dadurch, dass sich die Klägerin von der Erforderlichkeit einer Klageerhebung gegen den Beigeladenen überzeugt hätte oder aber dadurch, dass der Beklagte zu der Auffassung gelangt wäre, eine Klageerhebung sei nicht erfolgversprechend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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