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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 10.02.2005
Aktenzeichen: B 10 EG 13/03 R
Rechtsgebiete: BErzGG


Vorschriften:

BErzGG § 1 Abs 1
BErzGG § 1 Abs 4 Nr 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 10 EG 13/03 R

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat am 10. Februar 2005 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, die Richter Dau und Masuch sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Klasen und Senske

beschlossen:

Tenor:

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft wird gemäß Art 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ergibt sich aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht (insbesondere aus Art 7 Abs 2 der Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Nr 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft), dass es der Bundesrepublik Deutschland verwehrt ist, eine in einem anderen Mitgliedstaat wohnende Angehörige jenes Staates, die in Deutschland eine geringfügige Beschäftigung (zwischen 3 und 14 Stunden je Woche) ausübt, von dem Bezug des deutschen Erziehungsgeldes auszuschließen, weil sie in Deutschland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat?

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Bundeserziehungsgeld (Erzg).

Die Klägerin ist niederländische Staatsangehörige. Sie lebte mit ihrem deutschen Ehemann in den Niederlanden, als am 18. Dezember 1997 ihr Sohn Jordi geboren wurde. Ihr Ehemann war dort auch erwerbstätig. Bis zum Beginn des Mutterschutzes vor der Geburt ihres Sohnes übte die Klägerin - zT nebeneinander - abhängige Beschäftigungen in den Niederlanden und Deutschland aus; im Anschluss an den Mutterschutz war sie ausschließlich in Deutschland beschäftigt, wobei die Wochenarbeitszeit im ersten Lebensjahr des Kindes zwischen 3 und 14 Stunden und der Wochenverdienst zwischen 40,00 und 168,87 DM schwankte.

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin vom 2. Juni 1998 auf Gewährung von Erzg für das 1. Lebensjahr von Jordi durch Bescheid des Beklagten vom 5. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2000 ab, weil sie weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt und auch nicht in einem Arbeitsverhältnis von mindestens 15 Stunden gestanden habe; als geringfügig Beschäftigte sei sie auch nicht Arbeitnehmerin iS der Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71).

Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Münster <SG> vom 6. Mai 2002 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen <LSG> vom 24. Oktober 2003). Das LSG hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Der Klägerin stehe Erzg auch unter ergänzender Heranziehung des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht zu. Aus der EWGV 1408/71, Art 4 Abs 1 Richtlinie Nr 79/7 vom 19. Dezember 1978 und Art 5 der Richtlinie Nr 76/207 vom 9. Februar 1976 könne die Klägerin keinen Anspruch herleiten. Die Beschränkung des Erzg-Anspruchs für Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft (EG), die ihren Wohnsitz nicht in Deutschland hätten, auf mehr als geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer beruhe darauf, dass eine ausreichend enge Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt bestehen solle, um eine Ausnahme vom Territorialitätsprinzip zu rechtfertigen; das habe nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun. Auch aus Art 7 Abs 2 Verordnung des Rates der EWG Nr 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (EWGV 1612/68) ergebe sich kein Recht der Klägerin auf Erzg. Der darin - ebenso wie in Art 48 (jetzt: Art 39) Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) - niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz solle offene und verdeckte Formen einer Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit verhüten. Die Unterscheidung nach dem Wohnsitz des (deutschen oder ausländischen) Anspruchstellers im In- oder Ausland sei jedoch dann nicht als verbotene Diskriminierung zu werten, wenn sie - wie hier - durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 1 Abs 1 und Abs 4 Nr 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) iVm dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Auf Grund der Einstufung des Erzg als Familienleistung iS der EWGV 1408/71 stehe der ausländische einem inländischen Wohnsitz gleich. Als Grenzgängerin werde sie nicht durch die Definition des Arbeitnehmerbegriffs in Anhang I Teil I Abschnitt C EWGV 1408/71 betroffen. Unter Berücksichtigung des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechts auf Freizügigkeit könnten Grenzgänger auch dann nicht vom Erzg ausgeschlossen sein, wenn sie als Arbeitnehmer in Deutschland nicht für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert seien. Im Übrigen beanspruche sie Erzg als so genannte soziale Vergünstigung iS des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68; ihre Benachteiligung werde nicht durch die vom LSG angeführten Gründe gerechtfertigt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Urteile des LSG vom 24. Oktober 2003 und des SG vom 6. Mai 2002 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 5. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2000 zu verurteilen, ihr für das erste Lebensjahr ihres am 18. Dezember 1997 geborenen Sohnes Jordi Erzg zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das Berufungsurteil mit näheren Darlegungen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.

II

Die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage zur Auslegung und Anwendung des europäischen Gemeinschaftsrechts ist entscheidungserheblich und klärungsbedürftig.

Allein nach § 1 Abs 1 BErzGG in der hier einschlägigen Fassung vom 31. Januar 1994 (BGBl I, 180; im Folgenden: aF) hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erzg. Allerdings scheitert eine Erzg-Berechtigung nicht an den in § 1 Abs 1 Nr 2 bis 4 BErzGG aF aufgeführten Voraussetzungen. Zum Vorliegen der Nr 2 und 3 aaO (Haushaltsgemeinschaft mit dem Kind, Betreuung und Erziehung des Kindes) hat das LSG zwar keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen, nach den Umständen des Falles ist jedoch davon auszugehen, dass sie gegeben sind. Aus dem Umfang der für den streitigen Zeitraum (18. Dezember 1997 bis 17. Dezember 1998) festgestellten Beschäftigung der Klägerin ergibt sich ferner, dass sie entsprechend § 1 Abs 1 Nr 4 BErzGG aF keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt hat. Mit ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 3 bis 14 Stunden überschritt sie die 19-Stunden-Grenze des § 2 Abs 1 BErzGG aF nicht. Dagegen fehlt es an einem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (vgl § 68 Nr 15 iVm § 30 Abs 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB I>), wie er in Nr 1 aaO gefordert wird. Die Klägerin fällt auch nicht unter § 1 Abs 4 BErzGG aF, der für EG-Angehörige und Grenzgänger aus den unmittelbaren Nachbarstaaten Deutschlands einen Anspruch vorsah, sofern sie eine mehr als geringfügige Beschäftigung in Deutschland ausübten. Gemäß § 8 Abs 1 Nr 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) in der damals geltenden Fassung (aF) vom 13. Juni 1994 (BGBl I, 1229) liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn sie regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße iS von § 18 SGB IV (1997: 610,- DM; 1998: 620,- DM) nicht übersteigt. Das war bei der Klägerin (3 bis 14 Stunden/Woche; 40,- bis 168, - DM Wochenentgelt) nach den das Bundessozialgericht (BSG) insoweit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) der Fall; sie überschritt die Geringfügigkeitsgrenze mithin nicht.

Was das Europäische Gemeinschaftsrecht anbelangt, so enthält die EWGV 1408/71 in der hier anzuwendenden konsolidierten Fassung (ABl EG C335/1 vom 10. Dezember 1992, geändert durch Verordnungen Nr 3095/95 und Nr 3096/95 vom 22. Dezember 1995, ABl EG L335/1 und 10 vom 30. Dezember 1995) keine Grundlage, auf die sich der Erzg-Anspruch der Klägerin stützen ließe. Nach der ständigen Rechtsprechung (stRspr) des EuGH (vgl Slg 1996, I-4895 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8; Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22) und des erkennenden Senats (Senatsurteile vom 27. Mai 2004 - B 10 EG 1/04 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und - B 10/14 EG 1/01 R -, SGb 2004, 421) wird das Erzg allerdings als Familienleistung vom sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung erfasst (vgl Art 1 Buchst u Ziff i, Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71).

Der persönliche Geltungsbereich der EWGV 1408/71 erstreckt sich nach ihrem Art 2 Abs 1 insbesondere auf Arbeitnehmer (vgl dazu die Begriffsbestimmung in Art 1 Buchst a EWGV 1408/71). Wegen der Beschäftigung der Klägerin in Deutschland wäre an sich eine Anwendbarkeit des BErzGG gegeben (vgl Art 13 Abs 2 EWGV 1408/71). Ist jedoch - wie hier - ein deutscher Träger für die Gewährung einer Familienleistung zuständig, so gilt nach Anhang I Teil I Abschnitt C Buchst a EWGV 1408/71 iS des Art 1 Buchst a Ziff ii EWGV 1408/71 als Arbeitnehmer, wer für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist oder im Anschluss an diese Versicherung Krankengeld oder entsprechende Leistungen erhält. Diese Regelung gilt für die Klägerin auch in ihrer Eigenschaft als Grenzgängerin, da der Begriff "Grenzgänger" voraussetzt, dass jemand Arbeitnehmer oder Selbständiger iS der EWGV 1408/71 ist (vgl Art 1 Buchst b EWGV 1408/71). Als geringfügig Beschäftigte erfüllt sie die genannten Voraussetzungen nicht (vgl § 27 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch <SGB III>). Der EuGH hat die Einschränkung des Arbeitnehmerbegriffs in Anh I Teil I Abschnitt C EWGV 1408/71 mehrfach für mit dem primären Gemeinschaftsrecht vereinbar gehalten (vgl EuGH, Urteil vom 12. Juni 1997 - C-266/95 -, Slg 1997, I-3279 = SozR 3-6050 Art 73 Nr 11; Urteil vom 5. März 1998 - C-194/96 -, Slg 1998, I-895 = SozR 3-6050 Art 73 Nr 12; Urteil vom 12. Mai 1998 - C-85/96 -, Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22).

Ob sich ein Anspruch der Klägerin auf Erzg aus der EWGV 1612/68 iVm Art 48 EGVtr (jetzt Art 39 EGVtr) herleiten lässt, ist zweifelhaft; dies allerdings nicht deshalb, weil die EWGV 1408/71 als speziellere Norm für die in ihr geregelten Gegenstände - darunter das Erzg als Familienleistung - die EWGV 1612/68 verdrängt, wie dies zT in der Literatur angenommen wird (Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1. Aufl 1999, Rz 101; vgl auch Huster, NZS 1999, 10, 13, 15 f). Diese Frage ist durch den EuGH (vgl Urteile vom 10. März 1993 - C-111/91 -, Slg 1993, I-817, RdNr 21, und vom 27. Mai 1993 - C-310/91 -, Slg 1993, I-3011, RdNr 17; dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache C-254/94, Slg 1996, I-4895, RdNr 85) aber bereits dahin geklärt, dass beide Verordnungen nebeneinander anzuwenden sind (vgl zur Prüfungsreihenfolge EuGH, Urteil vom 27. März 1985, Rs 122/84, Slg 1985, 1027, RdNr 16; Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache C-57/96, Slg 1997, I-6689, RdNr 8 ff). Der Senat sieht keine Veranlassung, diese Rechtsprechung in Zweifel zu ziehen.

Nach Art 7 Abs 1 EWGV 1612/68 darf ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Erholung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer. Gemäß Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 genießt er dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer.

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das Erzg eine soziale Vergünstigung iS des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 (vgl Urteil vom 12. Mai 1998 - C-85/96 -, Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 106). Die in dieser Bestimmung vorausgesetzte Arbeitnehmereigenschaft ist nicht identisch mit dem Arbeitnehmerbegriff, der im Bereich der EWGV 1408/71 gilt (EuGH SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 107). Im Rahmen des Art 48 EGVtr und der EWGV 1612/68 ist als Arbeitnehmer anzusehen, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei blieben nur Tätigkeiten außer Betracht, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl EuGH, Urteil vom 26. Februar 1992 - C-3/90 -, Slg 1992, I-1071; Urteil vom 8. Juni 1999 - C-337/97 -, Slg 1999, I-3289). Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert der Betreffende grundsätzlich die Arbeitnehmereigenschaft, wobei jedoch zum einen diese Eigenschaft nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch gewisse Folgewirkungen haben kann und zum anderen derjenige, der tatsächlich eine Arbeit sucht, ebenfalls als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist (vgl EuGH SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 107; Senatsurteil vom 27. Mai 2004 - B 10/14 EG 1/01 R -).

Der Senat hat keine Zweifel, dass die Klägerin gemessen an diesen Kriterien im streitigen Zeitraum in einem echten Arbeitsverhältnis gestanden hat. Dies ergibt sich schon aus dem auf Dauer angelegten Charakter ihrer Beschäftigung. Der Umstand, dass die Klägerin ihrer Erwerbstätigkeit in Deutschland als Grenzgängerin von ihrem niederländischen Wohnsitz aus nachgegangen ist, wirft allerdings die Frage auf, ob sie sich in Bezug auf das deutsche Erzg uneingeschränkt auf Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 berufen kann.

Der Begriff der sozialen Vergünstigung, auf den Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 verweist, deckt nach der stRspr des EuGH (vgl SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 106 mwN) alle Vergünstigungen, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - an inländische Arbeitnehmer hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität zu erleichtern. Dieser weit gefasste Begriff könnte bei Grenzgängern, die als solche auch durch die EWGV 1612/68 begünstigt werden (vgl EuGH, Urteil vom 27. November 1997 - C-57/96 -, Slg 1997, I-6689), zu Unzuträglichkeiten führen, die eine einschränkende Auslegung als sachgerecht erscheinen lassen könnten.

Schon Wortlaut und Kontext des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 legen es nahe, nur diejenigen Leistungen als soziale Vergünstigungen zu qualifizieren, die einen Bezug zur Tätigkeit eines Arbeitnehmers aufweisen oder mit dieser verbunden sind (vgl Huster aaO S 10 f unter Hinweis auf EuGH Slg 1973, 457, 463). Der Senat sieht an dieser Stelle davon ab, die Entwicklung des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 zu einer Auffangnorm jenseits der Rechtswirkungen der EWGV 1408/71 allgemein zu problematisieren (so aber Huster aaO S 10, 11 mwN zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH). Immerhin könnte bereits das Fehlen von Koordinierungsregelungen in der EWGV 1612/68 für eine begrenzte Anwendung des Art 7 Abs 2 dieser Verordnung gerade bei Grenzgängern sprechen, die regelmäßig auch in ihrem Wohnsitzstaat Zugang zu sozialen Vergünstigungen haben. Dazu lässt sich feststellen, dass das persönliche Anknüpfungsmerkmal der Arbeitnehmereigenschaft im als Diskriminierungsverbot gefassten Art 7 EWGV 1612/68 noch keinen unmittelbaren Anspruch auf innerstaatliche Leistungen verschafft. Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 gebietet auch nicht ausdrücklich den Export der von ihm erfassten Leistungen in einen anderen Mitgliedstaat, sondern bewirkt lediglich über das Diskriminierungsverbot faktisch einen Export (vgl näher Huster aaO S 11 f). Wenn in Fällen wie hier der Export sozialer Vergünstigungen vom nationalen Gesetzgeber grundsätzlich nicht gewollt ist, erscheint es erwägenswert, ihn gemeinschaftsrechtlich nur zu erzwingen, soweit die begehrte Leistung auf dem Beschäftigungsverhältnis selbst beruht (vgl dazu auch Schlussantrag des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache C-57/96, Slg 1997, I-6689, RdNr 58).

Selbst wenn der EuGH einer derartigen Auslegung des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 bei Grenzgängern näher treten wollte, fragt es sich, ob diese Begrenzung im vorliegenden Zusammenhang greifen würde. Zwar knüpft das BErzGG nach den Grundvoraussetzungen (§ 1 Abs 1 aaO) eine Leistungsberechtigung nicht an ein Arbeitsverhältnis, vielmehr steht eine zu umfangreiche Erwerbstätigkeit einem Erzg-Anspruch sogar entgegen (vgl dazu BSG SozR 4-6720 Art 38 Nr 1 S 3). Gerade bei einem Leistungsexport hat ein in Deutschland verankertes gegenwärtiges oder früheres Beschäftigungs- oder Dienstverhältnis aber doch Bedeutung (vgl § 1 Abs 2 und 4 BErzGG aF).

Kann sich die Klägerin auf Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 berufen, so ist zu prüfen, ob der Ausschluss vom Erzg für sie eine danach verbotene Diskriminierung darstellt. Ihre Anspruchsberechtigung scheitert einerseits an dem Fehlen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland (vgl § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG aF) und andererseits an der Geringfügigkeit ihrer Beschäftigung in Deutschland (vgl § 1 Abs 4 BErzGG aF).

Eine unmittelbare Diskriminierung iS von Art 7 EWGV 1612/68 liegt hier nicht vor, weil die Differenzierung nicht nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit erfolgt. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH verbietet der sowohl in Art 48 EGVtr als auch in Art 7 EWGV 1612/68 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz jedoch nicht nur offene Diskriminierungen auf Grund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, diskriminiert mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf fremde Arbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie fremde Arbeitnehmer besonders benachteiligt (vgl zB EuGH, Urteil vom 27. November 1997 - C-57/96 -, Slg 1997, I-6689).

Die einem Erzg-Anspruch der Klägerin entgegenstehenden Voraussetzungen wirken sich eher auf fremde als auf inländische Arbeitnehmer aus. Das Erfordernis eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland können deutsche Arbeitnehmer regelmäßig leichter erfüllen als ausländische (vgl dazu zB EuGH SozR 3-6050 Art 73 Nr 11 S 43). Zwar hat der bundesdeutsche Gesetzgeber den diskriminierenden Charakter dieses Kriteriums offenbar erkannt, jedoch für Wanderarbeitnehmer mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat nur unter der Bedingung Abhilfe geschaffen, dass diese in Deutschland mehr als geringfügig beschäftigt sind. Auch die in § 1 Abs 4 BErzGG vorgesehene Geringfügigkeitsgrenze betrifft besonders fremde Arbeitnehmer, da deutsche typischerweise im Inland wohnen.

Der erkennende Senat hat Zweifel, ob die Regelungen in § 1 Abs 1 Nr 1, Abs 4 BErzGG aF, soweit die Klägerin davon betroffen ist, objektiv gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.

Der Gesetzgeber hat in Bezug auf das Erzg nicht uneingeschränkt an das Territorialitätsprinzip angeknüpft, sondern Ausnahmen für den Leistungsexport zugelassen (vgl § 1 Abs 2 und Abs 4 BErzGG aF). Nur soweit die dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt werden, tritt das durch das Territorialitätsprinzip ausgelöste Exportverbot wieder in den Vordergrund. An sich gibt es gute Gründe für diese Leistungsbegrenzung, die aus Natur und Zweck der Leistung abzuleiten sind.

Durch den Bezug von Erzg soll ermöglicht oder erleichtert werden, dass sich ein Elternteil in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase eines Kindes dessen Betreuung und Erziehung widmet (Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 10/3792, S 1). Die Zahlung dient der Anerkennung der Erziehungsleistung junger Familien (vgl BT-Drucks 10/3792, S 13) und der Förderung der Geburtenrate, wobei sie die Entscheidung für das Kind und gegen den Schwangerschaftsabbruch erleichtern soll (vgl aaO S 1 ff). Im Vordergrund steht der Zweck, Eltern die eigene Betreuung ihrer Kinder durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder durch deren Einschränkung zu ermöglichen (vgl Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 1 BvR 2515/95 RdNr 33; vergleichbare Argumentation auch bei EuGH, Urteil vom 11. Juni 1998 - C-275/96 -, Slg 1998, I-3419; siehe auch Becker, Die Koordinierung von Familienleistungen - Praktische und rechtliche Fragen der Anwendung der VO 1408/71, in: Schulte/Barwig, Freizügigkeit und Soziale Sicherheit, 1999, S 191, 199 ff). Dem liegt als Motiv des Gesetzgebers auch der Gedanke zu Grunde, dass durch das Aufziehen eines Kindes in Deutschland ein Beitrag zur künftigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz der Gesellschaft in diesem Staat geleistet wird (vgl BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 - 14 REg 4/94 -, SozR 3-7833 § 1 Nr 13 S 57, 60; Senatsurteil vom 23. September 2004 - B 10 EG 2/04 R -; zum Bundeskindergeldgesetz bereits BSGE 53, 294 = SozR 5870 § 1 Nr 10; BSGE 63, 47 = SozR 5870 § 1 Nr 14; dazu näher Felix, ZAR 1994, 124, 130 mwN). Dementsprechend ist der Gesetzgeber in der Weise vorgegangen, dass er den Anspruch auf Erzg bei Ausländern mit Inlandswohnsitz (vgl dazu § 1 Abs 1a BErzGG aF) auf jene begrenzt hat, von denen zu erwarten ist, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben (vgl Senatsurteil aaO mit Hinweis auf BT-Drucks 12/4401, S 46); ebenso hat er sich nicht verpflichtet gesehen, den Leistungsbezug zuzulassen, wenn bei Auslandswohnsitz eine vergleichbare Verbindung durch einen Beitrag zum Arbeitsmarkt oder zur innerstaatlichen Gesellschaft fehlt.

Fraglich ist demnach, ob die Forderung einer verstärkten Bindung an den deutschen Arbeitsmarkt - wie hier in Gestalt einer mehr als geringfügigen Beschäftigung - durch die mit der Leistung von Erzg als sozialer Vergünstigung verfolgten Ziele gerechtfertigt werden kann. Das Kriterium eines Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze iS von § 8 SGB IV aF (vgl § 1 Abs 4 BerzGG aF) knüpft den Zugang zur Erzg-Leistung bei Auslandswohnsitz an das Bestehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland. Erst die mehr als geringfügige Beschäftigung vermittelt grundsätzlich die Sozialversicherungspflicht des Arbeitsverhältnisses (vgl nur Merten in GK-SGB IV § 8 RdNr 5); der Sozialversicherungspflichtigkeit des Arbeitsverhältnisses (und der damit verbundenen Beitrags- und Lohnsteuerzahlung) könnte in vorliegendem Sachzusammenhang eine vergleichbare Bedeutung als Anspruchsvoraussetzung zukommen wie der Prognose dauernden Inlandsaufenthalts bei in Deutschland wohnenden Ausländern iS von § 1 Abs 1a BErzGG aF. So gesehen wäre es unerheblich, dass das Erzg keine Versicherungsleistung ist, sondern aus Steuermitteln finanziert wird (vgl § 11 BErzGG), und dass auch für geringfügig Beschäftigte eine pauschale Einkommensteuer abgeführt wird (vgl § 40a Abs 2 Einkommensteuergesetz).

Beim gegenwärtigen Stand des europäischen Gemeinschaftsrechts ist es Sache des für die Sozialpolitik zuständigen nationalen Gesetzgebers, die zur Verwirklichung seiner sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen zu wählen (vgl EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - C-317/93 -, Slg 1995, I-4625, RdNr 33). Daher mag der Gesetzgeber einen legitimen Gestaltungsspielraum für eine typisierende Regelung haben und nicht darauf Rücksicht nehmen müssen, inwieweit der anspruchstellende Arbeitnehmer mit Steuerzahlungen zur Finanzierung des Erzg beiträgt. Er wäre dann nicht gehindert, den bevölkerungspolitischen Beitrag zur Sicherung der Sozialversicherungssysteme durch die Abgaben eines nicht geringfügig Beschäftigten als Maß für einen hinreichenden Inlandsbezug zu nehmen.

Die Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit der streitigen Einschränkung des Exports von Erzg bei Grenzgängern beruhen demgegenüber auf folgenden Überlegungen: Zum einen hat das Erfordernis einer mehr als geringfügigen Inlandsbeschäftigung gerade beim Erzg etwas Sinnwidriges an sich, da diese Leistung nicht zuletzt den Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit erleichtern soll (Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 10/3792, S 13). In dem Nebeneinander von Verbot einer vollen Erwerbstätigkeit (vgl die 19-Stunden-Grenze in § 2 Abs 1 BErzGG aF) und Gebot eines Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze nach § 8 Abs 1 SGB IV aF (15 Stunden/Woche) zeigt sich ein deutlicher Wertungswiderspruch. Zum anderen handelt es sich bei § 1 Abs 4 BErzGG aF um eine auf Wanderarbeitnehmer und Grenzgänger gezielte, nur diese betreffende Anforderung, durch die ein Teil dieses Personenkreises (hier die geringfügig Beschäftigten) direkt ungleich behandelt wird. Es fragt sich, ob ein Mitgliedstaat insoweit überhaupt strengere Anforderungen an den Arbeitnehmerstatus stellen darf als im Gemeinschaftsrecht vorgesehen. Erst recht ist es bedenklich, wenn er sich dabei eines Kriteriums (§ 8 SGB IV) bedient, das im Sozialversicherungsrecht seinen Platz hat (vgl dazu EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - C-317/93 -, Slg 1995, I-4625 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 11), aber schwerlich zur Begrenzung der Inanspruchnahme steuerfinanzierter Leistungen geeignet ist.

Ende der Entscheidung

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