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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: B 10 LW 20/00 R
Rechtsgebiete: ALG


Vorschriften:

ALG § 13
ALG § 21 Abs 9 Satz 3 Nr 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 10 LW 20/00 R

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 8. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Prof. Dr. Bürck und Dau sowie die ehrenamtlichen Richter Neuhaus und Dr. Klasen

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Juni 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) nach § 13 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG).

Die 1957 geborene Klägerin ist aufgrund des § 1 Abs 3 ALG als Ehefrau eines Landwirtes bei der Beklagten versicherungspflichtig. Den Antrag vom Oktober 1997 auf Rente wegen EU lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 17. Februar 1998; Widerspruchsbescheid vom 23. April 1998), weil die Klägerin vollschichtig noch körperlich leichte Arbeiten verrichten könne.

Das Sozialgericht Oldenburg (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab November 1997 Rente wegen EU zu gewähren (Urteil vom 23. November 1999). Es bestehe EU unabhängig von der jeweiligen Lage des Arbeitsmarktes, weil die Klägerin zwar noch vier bis fünf Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten verrichten könne, dabei aber im Zwei-Stunden-Rhythmus zusätzliche Pausen einhalten müsse. Wegen dieser schweren spezifischen Leistungsbehinderung gebe es für die Klägerin keine Arbeitsplätze.

Das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Juni 2000). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf EU-Rente, weil sie - anders als in § 13 Abs 1 Satz 2 ALG gefordert - ihren Status als versicherungspflichtige Landwirtin nach § 1 Abs 3 ALG nicht durch EU "unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage" verloren habe. Die Klägerin sei noch im Stande, mehr als zwei Stunden täglich erwerbstätig zu sein und dadurch ein höheres Einkommen als ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße zu verdienen. Die schwere spezifische Leistungsbehinderung (Notwendigkeit zusätzlicher Pausen) führe nur dann zur EU, wenn es keine leidensgerechten Arbeitsplätze gebe. Der etwaige Anspruch auf EU hänge mithin von der jeweiligen Arbeitsmarktlage ab.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das LSG habe § 13 iVm § 21 Abs 9 Satz 3 Nr 1 ALG verletzt. Die - auch - dort geforderte Unabhängigkeit der EU von der jeweiligen Arbeitsmarktlage liege - anders als vom LSG angenommen - immer dann vor, wenn es generell an einem Arbeitsplatz fehle, der dem geminderten Leistungsvermögen entspreche. Ein solcher Fall liege hier vor. Arbeitsplätze mit der Möglichkeit, alle zwei Stunden zusätzliche Pausen einzulegen, gebe es nicht.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Juni 2000 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 23. November 1999 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. "Erwerbsunfähig unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage" sei nach Geschichte und Zweck des Gesetzes nur, wer allein aus medizinischen Gründen keiner (Mindest-)Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne. Nicht die (ggf verschlossenen) allgemeinen Arbeitsmöglichkeiten seien ausschlaggebend, sondern die Möglichkeit zur Mitarbeit in der Landwirtschaft. Allein die Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes schließe nicht aus, die bisherige landwirtschaftliche (Mit-)Arbeit fortzuführen. Erst wenn auch dies - gesundheitlich - unmöglich und damit der mißbräuchliche Rentenbezug ausgeschlossen sei, liege EU der hier verlangten Art vor.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Klägerin ist in dem Sinne begründet, daß das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Nach § 13 Abs 1 Satz 1 ALG haben Landwirte Anspruch auf Rente wegen EU, wenn sie erwerbsunfähig nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse gezahlt haben, vor Eintritt der EU die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben und das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist. Nicht erwerbsunfähig sind nach § 13 Abs 1 Satz 2 ALG Ehegatten eines Landwirts, die nach § 1 Abs 3 ALG selbst als Landwirte gelten. Die Klägerin hätte diese Eigenschaft (als <Gilt->Landwirtin) nur verloren und das Unternehmen der Landwirtschaft würde nach § 21 Abs 9 Satz 3 Nr 1 ALG nur dann als abgegeben gelten, wäre eine nach den Vorschriften des SGB VI vorliegende EU von der jeweiligen Lage des Arbeitsmarktes unabhängig (§ 1 Abs 3 Satz 1 ALG). Ob das der Fall ist, läßt sich nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden.

Allerdings hat das LSG zu Recht eine etwa allein aus der Einschränkung des Leistungsvermögens auf körperlich leichte Arbeiten für vier bis fünf Stunden täglich folgende EU der Klägerin als arbeitsmarktabhängig angesehen. Die Anweisung des § 1 Abs 3 Satz 1 ALG, die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, schließt es aber - anders als vom LSG angenommen - nicht aus, Personen für erwerbsunfähig zu halten, die aus gesundheitlichen Gründen unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen nicht arbeiten können oder nur für Tätigkeiten in Betracht kommen, die es ihrer Art nach in der Arbeitswelt nur selten gibt. Denn die Unfähigkeit durch Arbeit Erwerb zu erzielen, beruht in diesen Fällen nicht auf der Schwankungen unterworfenen jeweiligen Lage des Arbeitsmarktes, sondern auf praktisch gänzlichem Fehlen entsprechender Arbeitsplätze in der Berufswelt (BSGE 80, 24, 35 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8).

Diese für das Rentenversicherungsrecht entwickelten Grundsätze gelten nach Sinn und Zweck der in § 13 Abs 1 Satz 2 iVm § 1 Abs 3 und § 21 Abs 9 Satz 3 Nr 1 ALG getroffenen Regelungen grundsätzlich auch in der Alterssicherung der Landwirte. § 1 Abs 3 ALG stellt sicher, "daß der Ehegatte eines Landwirts nicht wie ein Landwirt versichert wird, wenn er unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage, dh nur aus gesundheitlichen Gründen, erwerbsunfähig ist. Eine lediglich mit Rücksicht auf die Arbeitsmarktlage festgestellte EU soll die Versicherungspflicht unberührt lassen, da in diesen Fällen die Möglichkeit der Mitarbeit nicht ausgeschlossen ist" (BT-Drucks 13/2747, S 12f). Maßgebend für den Wegfall der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 Satz 1 ALG und damit für die Begründung des Anspruchs auf EU-Rente sind danach zunächst die allgemeinen - oben wiedergegebenen - Regeln zur Abgrenzung arbeitsmarktunabhängiger von einer EU aufgrund der Arbeitsmarktlage. Diese Regeln sind aber zur Mißbrauchsabwehr zu ergänzen, weil ein Landwirtsehegatte nicht darauf beschränkt ist, seine (Rest-)Arbeitskraft auf dem allgemeinen - für ihn ggf verschlossenen - Arbeitsmarkt anzubieten. Er wird vielmehr - typischerweise - im landwirtschaftlichen Unternehmen des anderen Ehegatten mitarbeiten. Erst wenn ihm dies gesundheitlich nicht mehr möglich ist oder seine Leistungsfähigkeit in diesem Bereich auf höchstens zwei Stunden täglich herabgesunken ist, ist ein mißbräuchlicher Rentenbezug bei - rentenschädlicher - Weiterarbeit im landwirtschaftlichen Unternehmen ausgeschlossen (vgl zur arbeitsmarktunabhängigen EU von Landwirten Urteil des Senats vom 9. August 2001 - B 10 LW 18/00 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren nähere Feststellungen zur Häufigkeit und insbesondere zur Länge der von der Klägerin benötigten zusätzlichen Pausen zu treffen haben (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1247 Nr 43; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 136). Sollte der Klägerin der allgemeine Arbeitsmarkt danach verschlossen sein, so wird das LSG weiter zu prüfen haben, ob die Klägerin trotz ihres auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen Unüblichkeit nicht mehr verwertbaren Restleistungsvermögens mindestens zwei Stunden täglich zur Mitarbeit in einem landwirtschaftlichen Unternehmen in der Lage ist, welches die typischen Verhältnisse des von ihrem Ehegatten bewirtschafteten Hofes aufweist.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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