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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: B 10 LW 8/01 R
Rechtsgebiete: FELEG, SGG


Vorschriften:

FELEG § 9 Abs 1
SGG § 163
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 8. November 2001

Az: B 10 LW 8/01 R

in dem Rechtsstreit

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Prof. Dr. Bürck und Masuch sowie die ehrenamtlichen Richter Neuhaus und Dr. Klasen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Februar 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Ausgleichsgeld für landwirtschaftliche Arbeitnehmer hat.

Die am 15. März 1942 geborene Klägerin war von 1960 bis 1990 als Gärtnerin im Feldgemüseanbau bei der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft "F. " in F. tätig. Anschließend arbeitete sie als Tierpflegerin im Bereich der Schweinemast bis zum 31. Juli 1996 bei der Agrargenossenschaft F. , die von 1997 bis Mai 2000 als F. gesellschaft mbH und danach als O. GmbH firmierte (im folgenden: AG). Die AG begründete die Kündigung der Klägerin mit der Stillegung von Agrarflächen. Sie nahm in der Zeit von 1993 bis 1997 an der konjunkturellen Flächenstillegung nach der Verordnung (EWG) Nr 1765/92 teil. Die Größen der Gesamtfläche, der jeweiligen Stillegungsfläche (Angaben jeweils in ha)und der beschäftigten Mitarbeiter entwickelten sich wie folgt:

Jahr Gesamtfl. Still.fl. Mitarbeiter

1993 1.603 158,10 91 1994 1.472 157,54 78 1995 1.338 217,00 60 1996 1.316 285,12 47 1997 1.351 55,24

Die von der Klägerin am 6. Juni 1996 beantragte Zahlung von Ausgleichsgeld lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. August 1996 ab. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 1998). Durch Urteil vom 30. März 1999 gab das Sozialgericht (SG) Leipzig der Klage statt und verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab dem 1. Dezember 1996 Ausgleichsgeld zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hob das Sächsische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 22. Februar 2001 das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Klage ab. Nach der Urteilsbegründung des LSG ist die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht aufgrund einer Stillegung landwirtschaftlicher Nutzflächen erfolgt. Entscheidend sei vielmehr darauf abzustellen, daß sachlicher Grund für die Entlassung der Klägerin die Einsparung von Arbeitskräften im Zusammenhang mit der Modernisierung der Fütterungstechnik gewesen sei. Die Entlassung sei allenfalls mittelbar auf die Flächenstillegungen zurückzuführen. Bloße Mitursächlichkeit im Sinne der Äquivalenztheorie reiche aber nicht aus, anderenfalls gäbe man die im Sozialrecht geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung auf und verstieße damit gegen den Gesetzeszweck des Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG).

Die Klägerin rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision, das LSG habe § 9 Abs 1 FELEG verletzt. Es dürften keine strengen Anforderungen an die Kausalität gestellt werden, vielmehr genüge Mitursächlichkeit. Der Nachweis sei danach bereits erbracht, wenn der Unternehmer bestätige, daß der Verlust des Arbeitsplatzes auf die Stillegung/Abgabe zurückzuführen sei, soweit nicht konkrete Erkenntnisse dagegensprächen. Hier habe der Unternehmer aber den Verlust des Arbeitsplatzes auf die Stillegung zurückgeführt, ohne daß entgegenstehende Erkenntnisse vorlägen. Im Betrieb der Klägerin sei bedingt durch die Flächenstillegung der Anbau eigenen Futters aufgegeben und die Fütterung der Tiere auf ausschließlichen Einsatz von Fremdfutter (Fertigfutter) umgestellt worden. Deshalb sei auch das SG zutreffend zu der Erkenntnis gelangt, daß die Stillegung der Flächen wesentlich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beigetragen habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Februar 2001 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 30. März 1999 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

II

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleichsgeld, weil ihre Beschäftigung als landwirtschaftliche Arbeitnehmerin nicht aufgrund von Flächenstillegung geendet hat.

Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 FELEG in der hier maßgebenden Fassung des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (<ASRG 1995> vom 29. Juli 1994, BGBl I 1890) erhalten ua Arbeitnehmer, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, ein Ausgleichsgeld, wenn

1. ihre Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) auf Grund dessen Stillegung (§ 2) oder Abgabe (§ 3) endet und

2. sie in den letzten 120 Kalendermonaten vor der Antragstellung mindestens 90 Kalendermonate in Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des ALG, davon in den letzten 48 Kalendermonaten vor der Stillegung oder Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft mindestens 24 Kalendermonate in diesem Unternehmen hauptberuflich tätig gewesen sind.

Die Leistungen werden nach Satz 2 aaO frühestens ab Vollendung des 55. Lebensjahres, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit ab Vollendung des 53. Lebensjahres, gewährt; das maßgebende Lebensjahr muß vor dem 1. Januar 1997 vollendet sein. Diese Vorschrift gilt gemäß § 13 Abs 1 Nr 6 FELEG entsprechend für Arbeitnehmer, deren Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft auf Grund einer Maßnahme nach Maßgabe von sonstigen (nicht in den Nrn 1-5 aaO genannten) EWG-rechtlichen Vorschriften hinsichtlich einer Stillegung oder Extensivierung landwirtschaftlicher Nutzflächen endet. Gemäß § 18c Abs 1 FELEG gilt § 9 FELEG für am 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet ansässige und rentenversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer mit der Maßgabe, daß auf die nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 2 FELEG erforderlichen Zeiten der Tätigkeit auch Zeiten der hauptberuflichen Tätigkeit in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, einem volkseigenen Gut oder einer vergleichbaren Einrichtung angerechnet werden. Nach § 22 Abs 3 FELEG sind die durch das ASRG 1995 erweiterten Tatbestände des § 13 Abs 1 FELEG ab 1. Januar 1995 (Art 48 Abs 1 ASRG 1995) auch dann anzuwenden, wenn sie bereits vor jenem Zeitpunkt erfüllt sind.

Der Rechtsbegriff "auf Grund" beschreibt nach allgemeinem juristischem Sprachgebrauch einen kausalen Zusammenhang. Nichts anderes gilt im Regelungszusammenhang des FELEG (vgl zu §§ 9, 13 FELEG bereits den Senatsbeschluß vom 18. März 1999 - B 10 LW 11/98 B -, auszugsweise abgedruckt in Neue Landwirtschaft - Briefe zum Agrarrecht 1999, 390 f). Das Gesetz verwendet diesen Begriff nicht nur in § 9 Abs 1 Nr 1 und § 13 Abs 1, sondern an zahlreichen weiteren Stellen (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 4, § 3 Abs 3, § 6 Abs 3 Satz 5 Nr 1, § 16 Abs 1). Die Bedeutung ist überall dieselbe. Zu Recht hat das LSG sie in der Forderung nach einem Kausalzusammenhang nicht lediglich im philosophisch-naturwissenschaftlichen Sinne (conditio sine qua non) erkannt. Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn ist hier zwar notwendig, sie reicht für den Anspruch auf Ausgleichsgeld aber nicht aus.

Auf dem Gebiet der Sozialversicherung, insbesondere der Unfall- (BSGE 45, 176, 178 = SozR 2200 § 548 Nr 37), aber auch in der Kranken- (BSGE 33, 202, 204 = SozR Nr 48 zu § 182 Reichsversicherungsordnung <RVO>) und Rentenversicherung (BSGE 30, 167, 178 = SozR Nr 79 zu § 1246 RVO), im Recht der sozialen Entschädigung (BSGE 79, 87, 88 = SozR 3-3800 § 2 Nr 5) und im Arbeitsförderungsrecht (BSGE 69, 108, 110 ff = SozR 3-4100 § 119 Nr 6) sowie beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (Bundessozialgericht <BSG> vom 5. Mai 1988 - 12 RK 44/86 - SozSich 1988, 382) wird in ständiger, vom Schrifttum nahezu einhellig gebilligter Rechtsprechung die Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung angewandt, die in der Rechtsprechung auch als Theorie der "wesentlich mitwirkenden Ursache" bezeichnet wird (hierzu im einzelnen mit umfangreichen Nachweisen auch: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II S 480 ff, Stand: 1989 sowie Erlenkämper in: Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 4. Aufl 1999, S 74 ff). Es gibt im Gesetz keinen Anhaltspunkt noch sonst einen sachlichen Grund, warum dies im Regelungsbereich des FELEG anders sein sollte. Die hierin geregelten Leistungen - die Produktionsaufgaberente für ältere landwirtschaftliche Unternehmer sowie das Ausgleichsgeld für ältere landwirtschaftliche Arbeitnehmer und mitarbeitende Familienangehörige - mögen zwar vorwiegend agrarstrukturelle Ziele verfolgen (vgl die Antwort der Bundesregierung vom 7. Februar 1995 auf eine parlamentarische Kleine Anfrage, BT-Drucks 13/391 S 8) - sie sind aber Sozialleistungen: § 18 Abs 1 FELEG bestimmt die entsprechende Geltung der für die Alterssicherung der Landwirte maßgebenden Vorschriften des Ersten, Vierten und Zehnten Buches Sozialgesetzbuch; § 18 Abs 4 FELEG ordnet an, daß Streitigkeiten in Angelegenheit dieses Gesetzes Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung sind und demgemäß nach § 51 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fallen.

Daraus folgt: Bei der in § 9 Abs 1 FELEG geforderten Feststellung eines kausalen Zusammenhanges dürfen als Ursachen für das Ende der Beschäftigung eines landwirtschaftlichen Arbeitnehmers - unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes - nur die (naturwissenschaftlich wirksam gewordenen) Bedingungen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSGE 1, 72, 76; Urteil des Senats vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Beurteilung, ob eine Bedingung wesentlich und deshalb (auch) rechtlich Ursache oder Mitursache ist, stellt eine Wertentscheidung dar (BSGE 69, 108, 113 = SozR 3-4100 § 119 Nr 6). Sie richtet sich nach der Qualität der Bedingung, die nicht davon abhängt, an welcher Stelle der Kausalkette sie steht. Insbesondere ist eine Bedingung nicht erst (oder schon) deshalb wesentlich, weil sie als letzte eingetreten ist und den Erfolg sichtbar gemacht hat (vgl BSGE 13, 40, 42 = SozR Nr 9 zu § 35 Bundesversorgungsgesetz). Entscheidend kommt es stets auf die Umstände des einzelnen Falles an (vgl BSG SozR 2200 § 548 Nr 81). Sind zwei oder mehr Ereignisse im gleichen Maße wesentlich für den Erfolg, dann sind sie sämtlich wesentliche Bedingungen und damit Ursachen im Rechtssinn (BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO); ist eine der Bedingungen oder sind mehrere Bedingungen gemeinsam gegenüber anderen Bedingungen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur jene die wesentliche Bedingung und damit die Ursache im Rechtssinne der geltenden Kausalitätslehre (BSGE 12, 242, 245 f = SozR Nr 27 zu § 542 aF RVO).

Das LSG hat sich bei seiner Beurteilung, daß die geforderten Voraussetzungen beim Kläger nicht erfüllt seien, auf eingehende Ausführungen zu den Kausalitätserfordernissen der §§ 9, 13 FELEG gestützt. Es hat erkennbar unterschieden zwischen der Kausalitätsfeststellung (im naturwissenschaftlichen-philosophischen Sinn) als Tatsache und deren Subsumtion unter den Rechtsbegriff der "wesentlichen Ursache" (vgl dazu das Senatsurteil vom 9. August 2001 - B 10 LW 9/00 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, mwN). Die Entlassung der Klägerin und der Wegfall ihres Arbeitsplatzes sind auf die Einsparung von Arbeitskräften im Zusammenhang mit der Modernisierung der Fütterungstechnik zurückzuführen; demgegenüber tritt die Flächenstillegung als allenfalls entfernt denkbare Mitursache vollständig in den Hintergrund. Eine für die Klägerin günstigere Entscheidung leitet sich entgegen ihrer Auffassung nicht daraus her, daß die AG ihr einen Zusammenhang zwischen den vorgenommenen Flächenstillegungen und ihrer Entlassung bescheinigt hat. Diese Bescheinigung ist zwar Anlaß zur Prüfung im Verwaltungsverfahren und Prozeß, die Feststellung eines derartigen Ursachenzusammenhangs obliegt im sozialgerichtlichen Verfahren jedoch allein den Gerichten. Bei seiner Beweiswürdigung war das LSG deshalb nicht an die Angaben der AG zur rechtlichen Beurteilung der Kausalitätsfrage gebunden, sondern im Gegenteil verpflichtet, sich mit diesen - kritisch - auseinanderzusetzen.

Die Feststellungen des LSG hat die Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen, so daß sie für den Senat bindend sind (§ 163 SGG). Die von ihr vorgebrachte, auf die Beweiswürdigung des SG gestützte Schilderung der Umstellung auf Fremdfutter gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß das LSG gegen Verfahrensgrundsätze verstoßen hätte. Ein Anspruch auf Ausgleichsgeld besteht danach nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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