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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 06.03.2003
Aktenzeichen: B 11 AL 49/02 R
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III § 415 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 6. März 2003

Az: B 11 AL 49/02 R

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, die Richter Lüdtke und Dr. Leitherer sowie den ehrenamtlichen Richter Gehrken und die ehrenamtliche Richterin Haase

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 21. März 2002 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Klägerin, eine im Beitrittsgebiet tätige und in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) geführte Steuerberatungsgesellschaft, wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Förderung einer Strukturanpassungsmaßnahme nach § 415 Abs 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III).

Die Klägerin beschäftigte am 1. September 1997 16 Vollzeit- und zwei Teilzeitarbeitskräfte. Nachdem zwei Mitarbeiterinnen ihr Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1997 gekündigt hatten, beschäftigte die Klägerin am 1. März 1998 noch 14 Vollzeit- und zwei Teilzeitarbeitskräfte. Am 12. März 1998 ging beim Arbeitsamt E ein von der Klägerin unterzeichneter "Antrag auf eine Strukturanpassungsmaßnahme Ost für Wirtschaftsunternehmen" ein. Nach dem Vortrag der Klägerin soll der Antrag zuvor bereits im Januar 1998 beim Arbeitsamt H gestellt worden sein. Gegenüber dem Arbeitsamt E gab die Klägerin an, sie beantrage die Förderung für eine Arbeitnehmerin in Vollzeit mit der Tätigkeit "allgemeine Büroarbeiten, Buchführungsarbeiten" bei einem Arbeitsentgelt von DM 1.900 monatlich; zu beschäftigende Arbeitnehmerin sei R D (D), Beschäftigungsbeginn 1. März 1998, voraussichtliches Ende 28. Februar 1999.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Personalbestand habe sich gegenüber dem Stand vor sechs Monaten verringert (Bescheid vom 23. April 1998). Der Widerspruch der Klägerin, mit dem diese geltend machte, das Ausscheiden von zwei Mitarbeiterinnen innerhalb der letzten sechs Monate beruhe auf deren eigenem Entschluss und könne somit nicht dem Arbeitgeber zugerechnet werden, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 1998).

Das Sozialgericht (SG) hat die auf Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 31. Mai 2000). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen (Urteil vom 21. März 2002). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob die Klägerin als Steuerberatungsgesellschaft ein Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich iS von § 415 Abs 3 SGB III sei. Dem geltend gemachten Anspruch stehe entgegen, dass die Klägerin in einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten vor dem Beginn der begehrten Förderung die Zahl der in dem Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmer verringert habe. Für einen Personalabbau iS des § 415 Abs 3 SGB III sei nicht entscheidend, dass der Arbeitgeber die Beschäftigungsverhältnisse beende; denn der Arbeitgeber verringere die Zahl der in dem Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmer auch dadurch, dass er ohne sein Zutun frei werdende Arbeitsplätze nicht erneut besetze. Zum Zeitpunkt der Antragstellung, also nach Beginn der (begehrten) Förderung als dem maßgebenden Stichtag für den Vergleich des Personalbestandes, sei der Personalabbau (noch) nicht durch Neueinstellungen ausgeglichen gewesen. Ferner sei die Einstellung der Arbeitnehmerin D keine zusätzliche iS von § 415 Abs 3 SGB III gewesen. Ein Herstellungsanspruch wegen einer etwaigen fehlerhaften Beratung hinsichtlich des Merkmals der zusätzlichen Einstellung bestehe nicht, weil diese nicht kausal für das Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruchs sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 415 Abs 3 SGB III. Sie habe im maßgeblichen Zeitraum vor dem 1. März 1998 entgegen der Auffassung des LSG keine Verringerung der Arbeitsplätze im Sinne der genannten Vorschrift vorgenommen. Soweit das LSG auf das objektive Vorliegen eines Personalabbaus abstelle, finde diese Auffassung bereits vom Wortlaut des Gesetzes her keine Stütze. Die zentrale Bedeutung der Vorschrift liege im Handeln des Arbeitgebers; dieser dürfe durch sein Tätigwerden nicht zu einer Verringerung von Arbeitsplätzen beitragen. Da nach den Feststellungen des LSG im maßgeblichen Zeitraum die den Betrieb der Klägerin verlassenden Mitarbeiterinnen selbst gekündigt hätten, da sie in einem anderen Betrieb weiterbeschäftigt worden seien, habe die Klägerin die Reduzierung der Arbeitsplätze weder veranlasst noch verschuldet. Sie habe auch entgegen der Auffassung des LSG durch die Einstellung der Arbeitnehmerin D zusätzliche Arbeit gefördert. Um zusätzliche Arbeit handle es sich schon dann, wenn in den letzten sechs Monaten vor der Zuweisung kein Personalabbau stattgefunden habe und dies auch während der Zuweisung nicht der Fall sei. § 272 SGB III sei im Rahmen des § 415 Abs 3 SGB III nicht anzuwenden. Die Klägerin sei auch als Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich einzuordnen; dies folge ua daraus, dass Gegenstand ihres Unternehmens neben der Steuerberatung auch Tätigkeiten nach § 57 Steuerberatungsgesetz seien und sie als juristische Person des privaten Rechts zur Gewerbesteuer veranlagt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 21. März 2002 und das Urteil des SG vom 31. Mai 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. April 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den am 12. März 1998 beim Arbeitsamt E eingegangenen Antrag auf Förderung einer Strukturanpassungsmaßnahme erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, keinen Anspruch auf Förderung nach Maßgabe des § 415 Abs 3 SGB III.

Die Bescheidungsklage erweist sich bereits deshalb als unbegründet, weil jedenfalls eine der Förderungsvoraussetzungen des § 415 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III (in der hier anzuwendenden Fassung des 1. SGB III-Änderungsgesetzes <1. SGB III-ÄndG> vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2970; Abs 3 aufgehoben mit Wirkung zum 1. Januar 2003 durch Job-AQTIV-Gesetz vom 20. Dezember 2001, BGBl I 3443) nicht erfüllt ist. Nach § 415 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III waren als Strukturanpassungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet und in West-Berlin auch zusätzliche Einstellungen arbeitsloser Arbeitnehmer in Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich förderungsfähig, wenn der Arbeitgeber in einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten vor der Förderung die Zahl der in dem Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmer nicht verringert hat und während der Dauer der Zuweisung nicht verringert. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin in einem Zeitraum von sechs Monaten vor der begehrten Förderung die Zahl der in dem Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmer dadurch verringert, dass sie in diesem von September 1997 bis Ende Februar 1998 reichenden Zeitraum zwei Ende Dezember 1997 weggefallene Arbeitsplätze nicht erneut besetzt hat. Damit scheidet eine Förderung nach Maßgabe des § 415 Abs 3 SGB III aus.

Mit ihrem Einwand, eine Verringerung der Zahl von Arbeitnehmern iS des § 415 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III erfordere ein aktives Tätigwerden des Arbeitgebers, weshalb ein Ausscheiden selbst kündigender Arbeitnehmer unerheblich sei, vermag die Revision nicht durchzudringen. Hierzu hat bereits der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in einer Entscheidung vom 7. Februar 2002 ausgeführt, dass der Arbeitgeber die Zahl der in dem Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmer auch dadurch iS des § 415 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III verringert, dass er ohne sein Zutun - beispielsweise auf Grund von Arbeitnehmerkündigungen - frei werdende Arbeitsplätze nicht erneut besetzt (BSG SozR 3-4300 § 415 Nr 1 S 3 f; aA Schlegel in Hennig, SGB III, Stand 1999, § 415 RdNr 42). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Der 7. Senat des BSG hat in diesem Zusammenhang auf die Materialien zur Vorgängervorschrift des § 415 Abs 3 SGB III, § 249h Abs 4b Arbeitsförderungsgesetz - eingeführt mit Wirkung ab 1. April 1997 durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24. März 1997, BGBl I 594 -, verwiesen. Danach sollen durch die Forderung, dass der Arbeitgeber die Zahl der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nicht verringert, "Betriebe, die Personal abbauen oder innerhalb des vergangenen halben Jahres abgebaut haben", von der Förderung ausgenommen werden (BT-Drucks 13/5936, S 43). Hierdurch werde deutlich, dass es nicht etwa auf aktives Tätigwerden des Arbeitgebers zur Verringerung seines Personalbestandes ankomme, sondern auf das objektive Vorliegen eines Personalabbaus (BSG aaO).

Der Ausschluss einer Förderung wegen Verringerung der Arbeitnehmerzahl in einem Zeitraum von sechs Monaten vor der Förderung gemäß § 415 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III idF des 1. SGB III-ÄndG kann auch nicht deshalb entfallen, weil nach dem Vortrag der Klägerin, den das LSG offensichtlich als zutreffend angesehen hat, die Ende 1997 frei gewordenen Stellen in der Zeit nach dem 1. März 1998 wieder besetzt worden sind. Bei Anwendung von § 415 Abs 3 Satz 1 SGB III ist zwar auf einen Vergleich des Personalstands zum Zeitpunkt dreier Stichtage - sechs Monate vor, zu Beginn und am Ende der Förderung - abzustellen (BSG SozR 3-4300 § 415 Nr 1 S 6). Die Förderung ist jedoch schon dann ausgeschlossen, wenn der Personalbestand innerhalb der sechs Monate vor Beginn der Förderung - also vom ersten bis zum zweiten Stichtag - verringert worden ist.

Hat demnach die Klägerin schon deswegen keinen Anspruch auf Förderung gemäß § 415 Abs 3 SGB III, weil die Arbeitnehmerzahl verringert wurde, kann dahinstehen, ob weitere Ausschlussgründe - etwa das Fehlen einer Förderung in einem "Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich" oder das Nichtvorliegen einer "zusätzlichen" Einstellung - eingreifen oder nicht und welche Folgen eine von der Klägerin behauptete fehlerhafte Beratung über das Tatbestandsmerkmal "zusätzliche" Einstellung haben könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Ende der Entscheidung

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