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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 29.08.2002
Aktenzeichen: B 11 AL 99/01 R
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III § 137 Abs 4 Nr 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 29. August 2002

Az: B 11 AL 99/01 R

in dem Rechtsstreit

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. August 2002 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, die Richter Lüdtke und Dr. Leitherer sowie den ehrenamtlichen Richter Zähringer und die ehrenamtliche Richterin Setz

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) vom 1. bis 30. November 1999; die Beteiligten streiten darüber, ob für die Bemessung die Leistungsgruppe D (Steuerklasse V) oder Leistungsgruppe A (Steuerklasse IV) zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin erzielte im November 1998 ein Arbeitsentgelt von 3.779 DM brutto. Ab 1. Dezember 1998 bezog sie Alg in Höhe von 289,03 DM, ab 1. Januar 1999 291,83 DM wöchentlich. Dem lag ein Bemessungsentgelt von 780 DM wöchentlich, die Leistungsgruppe A entsprechend der zu Beginn des Jahres 1998 eingetragenen Lohnsteuerklasse I und der allgemeine Leistungssatz zu Grunde. Am 9. September 1999 ging die Klägerin die Ehe ein. Ihr Ehemann erzielte im Februar 1999 ein Arbeitsentgelt von 5.402 DM. Seit dem 1. März 1999 bezog er ebenfalls Alg. Mit Wirkung ab 1. September 1999 wählten die Eheleute für die Klägerin die Steuerklasse V und für den Ehemann die Steuerklasse III. Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 1. September 1999 bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 30. November 1999 Alg in Höhe von 213,29 DM, wobei sie die Leistungsgruppe D (Steuerklasse V) berücksichtigte. Das Alg des Ehemanns der Klägerin bemaß sie ab 1. September 1999 nach der Leistungsgruppe C (Steuerklasse III).

Mit Wirkung ab 1. November 1999 wählten die Eheleute jeweils die Steuerklasse IV. Im Bescheid vom 24. November 1999 (Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2000) teilte die Bundesanstalt für Arbeit (BA) der Klägerin mit, der Lohnsteuerklassenwechsel ab 1. November 1999 sei bei der Klägerin nicht zu berücksichtigen, weil er nach dem Verhältnis der Arbeitsentgelte beider Ehegatten unzweckmäßig sei. Für die Bemessung des Alg der Klägerin sei weiterhin die Leistungsgruppe D (Steuerklasse V) maßgebend. Bei der Leistung des Ehemannes berücksichtigte die BA den Steuerklassenwechsel ab 1. November 1999 und bemaß das Alg nach Leistungsgruppe A (Steuerklasse IV). Das führte zur teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung und Rückforderung erbrachter Leistungen.

Mit der Klage hat die Klägerin einen Anspruch auf weiteres Alg von 336,60 DM für November 1999 geltend gemacht. Sie führte aus, die BA habe den Steuerklassenwechsel ab 1. November 1999 berücksichtigen müssen. Es liege ein gemeinsamer Antrag der Eheleute vor. Entweder hätte die Beklagte den Steuerklassenwechsel bei beiden berücksichtigen oder einheitlich zurückweisen müssen. Eine Beratung durch die BA über die Folgen des Steuerklassenwechsels nach IV habe nicht stattgefunden.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, jeder Leistungsfall sei gesondert zu beurteilen. Eine Steuerklassenkombination V mit IV sei zwar im Steuerrecht nicht vorgesehen, nach § 137 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) jedoch möglich. Beim Ehemann sei der Steuerklassenwechsel zu berücksichtigen, weil sich eine geringere Leistung ergeben habe. Hätte sich die Klägerin an die BA gewandt, hätte sie entsprechend beraten werden können.

Das Sozialgericht (SG) hat die BA verurteilt, der Klägerin für November 1999 Alg in Höhe von weiteren 336,60 DM zu zahlen. Der Lohnsteuerklassenwechsel ab 1. November 1999 sei nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III zu berücksichtigen. Die Frage, ob sich ein geringeres Alg ergebe, sei bei Leistungsbezug von Ehegatten zusammenfassend zu prüfen. Ergebe sich - wie hier - insgesamt ein geringerer Leistungsbezug, sei der Lohnsteuerwechsel zu berücksichtigen.

Mit der vom SG zugelassenen Berufung hat die BA geltend gemacht, bei der Anwendung des § 137 Abs 4 Nr 2 SGB III sei allein der Anspruch der Klägerin zu betrachten, der nach Leistungsgruppe A höher sei als nach Leistungsgruppe D. Die Gesamtbetrachtung des SG sei mit dem Gesetz nicht vereinbar, denn der Gesetzgeber habe strenger gegen Manipulationen vorgehen wollen. Einen gemeinsamen Anspruch auf Alg für Eheleute gebe es nicht.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der BA mit Urteil vom 26. Oktober 2001 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Lohnsteuerklassenwechsel sei zwar nicht nach § 137 Abs 4 Nr 1 SGB III, aber nach Abs 4 Nr 2 zu berücksichtigen. Der Wortlaut dieser Regelung wiederhole bewusst den Plural "neu eingetragene Lohnsteuerklassen". Danach könne und dürfe es nicht sein, dass der Wechsel bei einem Ehegatten berücksichtigt werde, beim anderen aber nicht. Unter den Voraussetzungen des § 137 Abs 4 Nr 1 SGB III bezweifle niemand, dass der beiderseitige Wechsel berücksichtigt werden müsse und zwar ohne Rücksicht auf die Belastung der Arbeitslosenversicherung. Danach seien auch bei Abs 4 Nr 2 beide Ehegatten als Arbeitslose zu berücksichtigen. Das Gesetz ordne entweder die Berücksichtigung der neuen Lohnsteuerklassen nach Abs 4 Nr 1 oder nach Abs 4 Nr 2 oder aber gar nicht an. Diese Ansicht werde auch dadurch bestätigt, dass im Hinblick auf Art 6 Grundgesetz (GG) für Ehegatten eine Sonderregelung gelte, die eine Gesamtbetrachtung der Verhältnisse verlange. Vor diesem Hindergrund sei ein Gesetzesverständnis nicht angängig, dass Ehegatten einseitig "zu Gunsten des Arbeitsamtes" durch einen Lohnsteuerklassenwechsel benachteilige, indem die negative Auswirkung bei einem Ehegatten durchschlage, während sich der daraus ergebende Vorteil beim anderen Ehegatten nicht auswirke. Die einfach gesetzliche Auslegung sei auch nach den Grundsätzen der verfassungskonformen Auslegung der Norm geboten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die BA eine Verletzung des § 137 Abs 4 Nr 2 SGB III. Mit Alg im Sinne dieser Vorschrift sei allein die Leistung des Arbeitslosen gemeint, der in eine ungünstigere Lohnsteuerklasse wechsle. Die Sozialrechtsverhältnisse von Eheleuten seien unabhängig voneinander zu beurteilen. Der im Gesetz verwendete Plural sei nicht aussagekräftig, weil er bei einem Steuerklassenwechsel unerlässlich sei. Umgekehrt könnte argumentiert werden, die Vorschrift erwähne "ein Alg". Für die Gesamtbetrachtung des LSG gebe es keine gesetzliche Grundlage, weshalb der individuelle Leistungsanspruch zu betrachten sei. Für eine verfassungskonforme Auslegung sei kein Raum, weil der Steuerklassenwechsel auf einer freien Entscheidung beruhe. Die Ansicht des LSG führe zu umfangreichen Rechnungen, während § 137 Abs 4 Nr 2 SGB III den Verwaltungsaufwand begrenzen wolle. Auch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 4. September 2001 - B 7 AL 84/00 R - lasse keine andere Auslegung zu.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Oktober 2001 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Mai 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Ansicht des LSG für zutreffend und den Wortlaut des § 137 Abs 4 Nr 2 SGB III für eindeutig und nicht auslegungsfähig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision der BA ist nicht begründet, denn die Entscheidung des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung (§ 170 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der Klägerin steht für November 1999 der geltend gemachte Mehrbetrag an Alg von 336,60 DM zu.

1. Die Klägerin hat eine bezifferte Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) erhoben, die auf die Bewilligung und Zahlung von Alg in Höhe von 291,83 DM an Stelle von 213,29 DM wöchentlich für November 1999 gerichtet ist. Erfolg hat die Klage, wenn der Klägerin - aus welchem Rechtsgrund auch immer - ein höheres Alg als das von der BA bewilligte bis zur Höhe von 291,83 DM wöchentlich zusteht. Maßgebend für die Entscheidung ist das am 1. Januar 1998 in Kraft getretene SGB III, denn die Beteiligten streiten über die Zuordnung zu einer Leistungsgruppe auf Grund eines mit Wirkung ab 1. November 1999 vorgenommenen Steuerklassenwechsels zwischen Eheleuten (§ 427 Abs 5 Satz 2 SGB III).

2. Nach § 129 Nr 2 SGB III beträgt das Alg für Arbeitslose, die oder deren Ehegatten kein Kind iS des § 32 Abs 1, 3 bis 5 Einkommenssteuergesetz haben, 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem im Bemessungszeitraum erzielten Bruttoentgelt (Bemessungsentgelt) ergibt.

2.1 Daraus ergäbe sich auf Grund der SGB III-Leistungsentgeltverordnung 1999 vom 18. Dezember 1998 (BGBl I 3864) bei dem für die Klägerin maßgebenden allgemeinen Leistungssatz von 60 % und der von der BA berücksichtigten Steuerklasse V nach der Leistungsgruppe D (§ 137 Abs 2 Nr 4 SGB III) das bewilligte wöchentliche Alg von 213,29 DM. Das LSG hat der Klägerin Alg in Höhe von 291,83 DM wöchentlich zugesprochen. Es ist davon ausgegangen, die Klägerin sei der Leistungsgruppe A zuzuordnen, weil die mit Wirkung ab 1. November 1999 von den Eheleuten gewählte Lohnsteuerklassenkombination IV/IV insgesamt nicht zu höheren Leistungen beider im Leistungsbezug stehenden Ehegatten im November 1999 führe. Diese Rechtsansicht hält rechtlicher Nachprüfung stand.

2.2 Nach § 137 Abs 2 SGB III sind Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse IV eingetragen ist, der Leistungsgruppe A zuzuordnen. Maßgebend für die Zuordnung ist grundsätzlich die Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war (§ 137 Abs 3 Satz 1 SGB III). Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen (§ 137 Abs 3 Satz 2 SGB III). Von dieser Möglichkeit hat die Klägerin mit Wirkung ab 1. September 1999 im Hinblick auf die Eheschließung am 9. September 1999 Gebrauch gemacht. Bei dieser Änderung handelte es sich nicht um einen Steuerklassenwechsel iS des § 137 Abs 4 SGB III (BSG SozR 4100 § 113 Nr 2). Diese Vorschrift ist jedoch für den Wechsel in die Lohnsteuerklassen IV/IV ab 1. November 1999 anzuwenden.

2.3 Ein Wechsel der Lohnsteuerklassen zwischen Ehegatten wird nach § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III unter zwei Voraussetzungen berücksichtigt:

1. Die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen entsprechen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten oder

2. auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ergibt sich ein Alg, das geringer ist als das Alg, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe.

Da beide Ehegatten Alg bezogen haben, mithin zum Zeitpunkt des Lohnsteuerklassenwechsels Arbeitsentgelt nicht erzielten, sind die zuletzt vor dem Ausfall des Arbeitsentgelts erzielten monatlichen Arbeitsentgelte gegenüberzustellen (BSG SozR 4100 § 113 Nr 3; SozR 3-4100 § 113 Nr 1; BSG Urteil des Senats vom 21. September 1995 - 11 RAr 13/95 - DBlR 4262 zu § 113 AFG). Die Klägerin erzielte zuletzt im November 1998 ein Arbeitsentgelt von 3.779 DM und ihr Ehemann im Februar 1999 ein solches von 5.402 DM. Im Anschluss bezogen beide Ehegatten Alg von der BA. Im Sinne des § 137 Abs 4 Nr 1 SGB III entsprechen neu eingetragene Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte, wenn die gewählte Steuerklassenkombination zu einem geringeren gemeinsamen Lohnsteuerabzug führt als die bisherige (BSGE 88, 299, 303 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1). Diese Voraussetzung ist für den Wechsel zum 1. November 1999 nicht erfüllt, denn die bisherige Steuerklassenkombination (Klägerin V/Ehemann III) hätte zu einem Lohnsteuerabzug von 1.764,99 DM geführt, während die gewählte Kombination (IV/IV) einen Lohnsteuerabzug von 1.784,01 DM zur Folge hätte. Damit entsprachen die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten.

Der Lohnsteuerklassenwechsel ist jedoch nach § 137 Abs 4 Nr 2 SGB III zu berücksichtigen, weil sich bei einer Bemessung des Alg nach der Leistungsgruppe A (Steuerklasse IV) insgesamt eine geringere Belastung der Solidargemeinschaft ergibt, als sie sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe. Der Wortlaut des § 137 Abs 4 Nr 2 SGB III ist offen für ein Verständnis, das bei dem Bezug von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit beider Ehegatten auf die Summe der gleichen Leistung (Alg oder Arbeitslosenhilfe) und nicht - wie die BA meint - auf eine isolierte Betrachtung der jeweiligen Leistungen abstellt. Die Verwendung des Singular ("ein Alg") ist nicht zwingend im gegenteiligen Sinne zu verstehen (so anscheinend BSG Urteil vom 21. März 2002 - B 7 AL 46/01 R -; vgl auch: Hessisches LSG Urteil vom 20. Juni 2001 - L 6 AL 14/01 -), weil das Merkmal "ein Alg" auch als Gattungsbegriff aufzufassen sein kann. Zwingende Anhaltspunkte für ein gegenteiliges Verständnis ergeben sich auch nicht aus der Systematik des Gesetzes, zumal dieses an die Wahl korrespondierender Steuerklassen von Ehegatten anknüpft. Auch die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Vorschrift stehen einem Verständnis des Merkmals als Gattungsbegriff, der die Leistungen an beide Ehegatten zusammenfasst und damit die von der BA bevorzugte isolierte Betrachtung ausschließt, nicht entgegen. Im Vergleich zur früheren Regelung des § 113 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz soll die Neuregelung zum Steuerklassenwechsel von Ehegatten stärker "Manipulationen zu Lasten der Arbeitslosenversicherung verhindern" (BT-Drucks 13/4941 S 179). Von einer solchen Manipulation kann aber keine Rede sein, wenn die Summe der an die Ehegatten zu erbringenden Leistungen durch den Lohnsteuerklassenwechsel geringer ist als zuvor. Auch "Praktikabilitätsgesichtspunkte" stehen der Gesamtbeurteilung nicht entgegen, weil "eine fiktive Berechnung" nicht erforderlich ist, wenn beide Ehegatten im Leistungsbezug stehen. Bei feststehenden Bemessungsentgelten lassen sich die Leistungsentgelte ohne weiteres aus der jeweiligen SGB III-Leistungsentgeltverordnung entnehmen.

3. Das Verständnis des Merkmals "ein Alg" als Gattungsbegriff ist zwingend geboten, weil die Gegenansicht durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (BVerfGE 83, 201, 214 f; 88, 145, 166).

3.1 Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, weil das Alg als eine dem Eigentumsschutz nach Art 14 GG unterliegende Sozialleistung (BVerfGE 92, 365, 405) zu seiner gesetzlichen Inhaltsbestimmung Bemessungsvorschriften bedarf, die dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Übermaßverbot) Rechnung tragen. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gesetzgeber zur Regelung von Massenerscheinungen, zu denen die Bemessung von Sozialleistungen gehört, zu Typisierungen und Pauschalierungen greifen (BVerfGE 103, 310, 318 ff). Er ist dabei jedoch an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in dem Sinne gebunden, dass Praktikabilitätsgesichtspunkte mit den Folgen für die Betroffenen abzuwägen sind. Die isolierte Betrachtung der Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels zwischen Ehegatten für eine der Leistungen führt zu keiner messbaren Arbeitsentlastung für die BA bei der Leistungsfestsetzung. Sie hat jedoch für die Klägerin beträchtliche finanzielle Nachteile, wie die Minderung der Leistung um 336,60 DM monatlich zeigt (im Ergebnis übereinstimmend: Gagel, SGB III, § 137 RdNr 62 ff, 11 ff).

3.2 Bedenken unterliegt die gegenteilige Ansicht auch nach Art 3 Abs 1 GG. Zwar enthält eine Systemwidrigkeit für sich genommen noch keinen Verstoß gegen die Gleichheit vor dem Gesetz (BVerfGE 85, 238, 247). Jedoch müssen Gründe für eine Durchbrechung des vom Gesetzgeber gewählten Ordnungsprinzips in ihrem Gewicht und ihrer Intensität der Abweichung von der zu Grunde gelegten Ordnung entsprechen, um überzeugend zu sein (BVerfGE 18, 366, 372; 67, 70, 84 f). Das Gebot der Folgerichtigkeit bindet an einen vorherigen Rechtsgedanken in dem Sinne, dass bei weiteren Regelungen für eine Abweichung ein vernünftiger oder plausibler Grund zu fordern ist (BVerfGE 81, 156, 207; Sachs/Osterloh, GG <Kommentar>, 2. Aufl 2000, Art 3 RdNr 98 ff; P. Kirchhof, Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd V, S 937 ff). Da die Bemessung des Alg nach § 137 Abs 2 SGB III an die Lohnsteuerklassen anknüpft und nach § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III grundsätzlich den Wechsel der Ehegatten zwischen korrespondierenden Lohnsteuerklassen zulässt, bedürfte es für die isolierte Betrachtung der Folgen für die Höhe der Leistung nach § 137 Abs 4 Nr 2 SGB III hinreichender Gründe, um die dabei für die Klägerin eintretenden Nachteile zu rechtfertigen. Ein hinreichender Grund ergibt sich dafür nicht, wenn eine Manipulationsgefahr zu Lasten der Solidargemeinschaft ausgeschlossen werden kann und auch Praktikabilitätsgesichtspunkte nicht durchschlagen. Eine solche Lage ist gegeben, wenn beide Ehegatten im Leistungsbezug stehen, die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen insgesamt nicht zu höheren Leistungen an die Ehegatten und - wie dargelegt - nicht zu messbarem Mehraufwand für die BA führen. Ein plausibler Grund für die von der Revision vertretene isolierte Betrachtungsweise ist danach nicht zu erkennen.

4. Der hier vertretenen Ansicht steht das erwähnte Urteil des 7. Senats des BSG vom 21. März 2002 - B 7 AL 46/01 R - nicht entgegen. Die dort vertretene Ansicht, es komme auf den Gesamtbetrag der Leistung schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht an, betrifft nicht den hier zu beurteilenden Fall eines nach § 137 Abs 4 Nr 1 SGB III unbeachtlichen Lohnsteuerklassenwechsels während des Leistungsbezugs beider Ehegatten. Sie gehört auch nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung, weil die Sache an das LSG zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Voraussetzungen des § 137 Abs 4 Nr 1 SGB III zurückverwiesen worden ist. Der 7. Senat hat im Übrigen für den hier zu beurteilenden Sachverhalt ebenfalls beiläufig verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Gegenansicht angedeutet.

5. Da die Entscheidung des LSG nicht auf einer Gesetzesverletzung beruht, ist die Revision der BA zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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