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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: B 12 KR 10/04 R
Rechtsgebiete: SGB IV, SGB V, EStG, GG


Vorschriften:

SGB IV § 16
SGB IV § 18 Abs 1
SGB V § 10 Abs 1 S 1 Nr 5 Halbs 1
SGB V § 10 Abs 1 S 1 Nr 5 Halbs 2
EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 5 F: 21.12.2000
EStG § 2 Abs 1 Nr 5 F: 21.12.2000
EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7 F: 21.12.2000
EStG § 2 Abs 1 Nr 7 F: 21.12.2000
EStG § 20 Abs 1 Nr 6 F: 23.10.2000
EStG § 20 Abs 1 Nr 7 F: 23.10.2000
EStG § 22 Nr 1 S 3 F: 23.10.2000
GG Art 3 Abs 1

Entscheidung wurde am 21.03.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Von der Familienversicherung ist ausgeschlossen, wer eine Rente aus einer sofort beginnenden privaten Rentenversicherung mit einem Zahlbetrag über einem Siebtel der monatlichen Bezugsgröße bezieht (Fortführung von BSG vom 10.3.1994 - 12 RK 4/92 = SozR 3-2500 § 10 Nr 5).
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 25. Januar 2006

Az: B 12 KR 10/04 R

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, den Richter Dr. Bernsdorff und die Richterin Hüttmann-Stoll sowie die ehrenamtlichen Richter Harms und Kovar

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Mai 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Beendigung einer Familienversicherung.

Die Klägerin zu 1) ist Ehefrau und mit den Klägern zu 2) bis 4) Rechtsnachfolgerin des verstorbenen C. Dieser war Mitglied der beklagten Krankenkasse. Die Klägerin zu 1) war über ihn familienversichert. Sie bezieht seit dem 1. Februar 2001 eine monatliche Rente auf Grund einer sofort beginnenden privaten Rentenversicherung in Höhe von anfangs insgesamt 755 DM. Nach Überprüfung der Voraussetzungen der Familienversicherung stellte die Beklagte gegenüber dem Ehemann der Klägerin zu 1) mit Bescheid vom 31. Oktober 2001 fest, die bisherige Familienversicherung habe zum 31. Dezember 2000 geendet, weil die Rente der Klägerin zu 1) den Betrag von einem Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (640 DM) übersteige. Mit seinem Widerspruch legte der Ehemann der Beklagten gegenüber dar, dass es sich um Rente aus einem Versicherungsvertrag handele, den er auf seine Ehefrau habe umschreiben lassen, die Rentenzahlungen auf sein Konto überwiesen würden, und die Rente unter der Einkommensgrenze liege, weil die garantierte Rente lediglich 567,28 DM ausmache, während der Differenzbetrag aus einer Überschussbeteiligung stamme, die sich ständig ändern könne. Mit an den Ehemann gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2002 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis darauf zurück, dass die Klägerin zu 1) Versicherungsnehmerin und versicherte Person sei und daraus, dass die Rentenhöhe nicht garantiert sei und die Rentenauszahlung auf ein anderes Bankkonto vorgenommen werde, keine andere Beurteilung der Rechtslage folge.

Der Ehemann der Klägerin zu 1) hat Klage erhoben. Mit Urteil vom 12. Mai 2004 hat das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben und unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass die Familienversicherung für die Klägerin zu 1) über den 31. Dezember 2000 hinaus fortbesteht. Die in § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) genannten wirtschaftlichen Voraussetzungen lägen vor. Soweit Nr 5 Halbs 2 anordne, dass bei Renten der Zahlbetrag zu berücksichtigen und nicht der steuerrechtliche Einkommensbegriff maßgebend sei, gelte das nur für Renten, die nach dem Einkommensteuerrecht mit dem Ertragswert angesetzt würden. Steuerfreie Rentenleistungen aus Lebensversicherungsverträgen, wie sie die Klägerin zu 1) erhalte, würden demgegenüber nicht erfasst.

Die Beklagte hat Sprungrevision eingelegt und rügt sinngemäß eine Verletzung von § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V. Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ein Urteil vom 10. März 1994 (12 RK 4/92 = SozR 3-2500 § 10 Nr 5), in dem der Senat entschieden hat, dass eine Betriebsrente mit dem Zahlbetrag zu berücksichtigen war. Aus dieser Entscheidung ergebe sich, dass § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbs 2 SGB V alle Renten erfasse und als Sonderregelung der allgemeinen Bestimmung der Nr 5 Halbs 1 über die Berücksichtigung des Gesamteinkommens iS des § 16 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) vorgehe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Mai 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Urteil des Senats vom 10. März 1994 setze für die Anwendung des Halbsatzes 2 stillschweigend voraus, dass eine Rente überhaupt steuerpflichtig sei. Andernfalls bestünde eine nicht zu rechtfertigende Benachteiligung gegenüber Personen, die sich ihre Lebensversicherung wahlweise nicht als Rente, sondern als Kapital auszahlen ließen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide abgeändert und ihre Feststellung darauf beschränkt, dass die Familienversicherung erst zum 31. Januar 2001 geendet hat.

II

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Zu Unrecht hat das SG der Klage stattgegeben. Zutreffend hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden festgestellt, dass die Familienversicherung der Klägerin zu 1) zum 31. Januar 2001 geendet hat.

1. Nach § 10 Abs 1 Satz 1 SGB V ist der Ehegatte eines Mitglieds der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert, wenn er bestimmte sachliche Voraussetzungen erfüllt, ua kein Gesamteinkommen hat, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet (Satz 1 Nr 5 Halbs 1). Bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt (Satz 1 Nr 5 Halbs 2). - Mit der an sie als Versicherungsnehmerin und versicherte Person ausgezahlten Rente in Höhe von monatlich 755 DM hat die Klägerin zu 1) die Einkommensgrenze des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbs 1 SGB V, die die Beklagte nach § 18 Abs 1 SGB IV iVm § 2 der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2001 vom 13. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1710) richtig berechnet hat, seit dem 1. Februar 2001 überschritten.

a) Der Senat hat mit Urteil vom 10. März 1994 (12 RK 4/92 = SozR 3-2500 § 10 Nr 5 S 22 f) entschieden, dass die grundsätzliche Verweisung auf das Steuerrecht in § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbs 1 SGB V für Renten außer Kraft gesetzt ist und nur noch für die übrigen Einkünfte gilt. Der allgemeinen Vorschrift über die Berücksichtigung des Gesamteinkommens iS des § 16 SGB IV gehe die Sonderregelung für Renten vor. Der Senat hat weiter ausgeführt, dass sich eine einschränkende Anwendung des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbs 2 SGB V auf Renten der gesetzlichen Rentenversicherung aus der Gesetzessystematik nicht ableiten lässt, die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und das Beitragsrecht der Krankenversicherung der Rentner vielmehr für die Einbeziehung aller Renten sprechen, die zu den Einkünften iS des Einkommensteuerrechts gehören. In dem von ihm entschiedenen Fall hat er eine Betriebsrente (Rente der betrieblichen Altersversorgung eines Bankversicherungsvereins) zu den Renten gerechnet, die mit dem Zahlbetrag zu berücksichtigen sind.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat für die von der Klägerin zu 1) seit dem 1. Februar 2001 bezogene Rente fest. Diese Entscheidung des Senats vom 10. März 1994 erging allerdings zu § 10 Abs 1 Nr 5 Halbs 2 SGB V idF des Gesundheits-Reformgesetzes, dh bevor in diesen Halbsatz zum 1. Juli 1998 die Worte "ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil" durch Art 5 Nr 1 des Rentenreformgesetzes 1999 (vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2998) eingefügt worden sind. Diese Änderung, die sich ersichtlich nur auf Renten der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, hat nicht zugleich bewirkt, dass als Renten in § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V überhaupt nur Renten der gesetzlichen Rentenversicherung erfasst sind. Wenn dies beabsichtigt gewesen wäre, hätte es einer ausdrücklichen Beschränkung bedurft. Auch die Rente der Klägerin zu 1) ist deshalb bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Familienversicherung mit dem Zahlbetrag, dh ohne Abzüge nach dem Steuerrecht, zu berücksichtigen. Soweit das SG und ihm folgend die Kläger der Auffassung sind, dass § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbs 2 SGB V nur Renten unterfallen, die "sonst nach dem Einkommensteuerrecht mit dem Ertragswert angesetzt" würden, nicht hingegen Renten, die "überhaupt nicht steuerpflichtig" sind, ist dies unerheblich, weil die von der Klägerin zu 1) bezogenen Rentenleistungen jedenfalls nicht völlig steuerfrei sind.

Die an die Klägerin zu 1) gewährten Leistungen beruhen auf einer sofort beginnenden privaten Rentenversicherung. Anders als im Regelfall der aufgeschobenen Rentenversicherung wird bei einer solchen Rentenversicherung die Versicherungsleistung nach Zahlung eines Einmalbeitrags sofort erbracht. Für solche Rentenleistungen, sofern sie als Leibrente gezahlt werden, hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 15. Juni 2005 (- X R 64/01 - DB 2005, 2219) die Besteuerung nach § 22 Nr 1 Satz 3 Buchst a des Einkommensteuergesetzes <EStG> (diese Vorschrift und die folgenden Vorschriften des EStG jeweils in der für den Veranlagungszeitraum 2001 geltenden Fassung) nicht beanstandet. Ihre Steuerfreistellung ergibt sich nicht aus § 20 Abs 1 Nr 6 Satz 2 EStG, weil bei sofort beginnenden Rentenversicherungen eine - mit der Laufzeit der Versicherung deckungsgleiche - Ansparphase entfällt und die Renten insoweit Zinsen aus Sparanteilen iS dieser Vorschrift nicht enthalten können. Jedoch ist der Zinsanteil steuerbar, der sich in der Auszahlungsphase daraus ergibt, dass die Auszahlung zeitlich gestreckt ist, also aus dem Zahlungsmodus, durch den die Leistungen der Versicherung gestundet sind (BFH, aaO, S 2220 f). Voraussetzung ist, dass dem Versicherungsfall eine Versicherungssumme in Höhe des Kapitalwerts der Rentenleistungen entspricht, die - wie hier - auf Lebenszeit ausgezahlt wird (BFH, aaO, S 2220, unter Hinweis auf BFH, Urteil vom 8. März 1989 - X R 16/85 - BFHE 156, 432, 441, und - zur sofort beginnenden Leibrentenversicherungsleistung gegen Zahlung eines Einmalbeitrages - BFH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - X R 23/95 - BFHE 190, 460, 465). Wie diese Zinsen bei einer Rente mit Überschussbeteiligung - wie bei der Klägerin zu 1) - im Einzelnen steuerlich zu erfassen sind, ob nach § 20 Abs 1 Nr 7 EStG als Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 2 Abs 1 Nr 5 EStG) oder nach § 22 Nr 1 Satz 3 Buchst a EStG als Zinsen in der pauschalierten Form von Ertragsanteilen des Rentenrechts, die zu den sonstigen Einkünften gehören (§ 2 Abs 1 Nr 7 EStG), hat der BFH allerdings noch nicht entschieden (BFH, aaO, S 2220 f mwN). Zwar trifft es danach grundsätzlich zu, dass - wie das SG und die Kläger meinen - "Einkünfte aus Lebens-Rentenversicherungen" von der Besteuerung freigestellt sind. Jedoch ist lediglich die durch den Einmalbeitrag "erkaufte", also durch Vermögensumschichtung entstandene Versicherungsleistung nicht steuerbar. Dieser zunehmendem Verzehr unterliegende, auf einem Austausch von Prämienzahlung und Versicherungsleistung beruhende Vermögenswert ist einkommensteuerrechtlich irrelevant. Auf einen Teil der an die Klägerin zu 1) erbrachten Rentenleistungen, den in der Auszahlungsphase entstehenden Zinsanteil, werden indessen Steuern erhoben.

Die Kläger halten das gefundene Ergebnis für verfassungswidrig. Sie begründen ihre Auffassung damit, dass Versicherungsnehmer bei Fälligkeit der Leistungen ein Wahlrecht hätten, ob sie sich das Kapital oder eine entsprechende Rente auszahlen ließen, und im Fall der Rentenauszahlung gleichheitswidrig benachteiligt würden, weil ausgezahltes Kapital kein Einkommen iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V darstelle. Der Senat vermag dem nicht zu folgen. Bei einer sofort beginnenden Rentenversicherung besteht diese Wahlmöglichkeit nicht. Die in Form der Einmalzahlung erbrachte Gegenleistung des Versicherungsnehmers wird ausschließlich als Rente ausgezahlt. Soweit die Kläger darüber hinaus einwenden, die Berücksichtigung des Bruttobetrags nur bei Renten führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung verschiedener Einnahmearten, hat der Senat hierzu in seinem Urteil vom 10. März 1994 bereits Stellung genommen und diese für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten (aaO, S 26 f). Hieran hält der Senat fest.

b) Können die Kläger infolgedessen nicht damit durchdringen, dass § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbs 2 SGB V auf die streitgegenständliche Rente schon nicht zur Anwendung kommt, so verhilft ihnen auch der Einwand nicht zum Erfolg, dass der auf der Überschussverwendung beruhende Anteil der Rente bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Voraussetzungen der Familienversicherung unberücksichtigt bleiben muss und die eigentliche Rente in Höhe von monatlich 567,28 DM deshalb unter der Einkommensgrenze (640 DM) liegt. Dass eine solche Rente möglicherweise zergliedert werden muss, in die garantierte Rente und den Überschussanteil, der je nach der Ertragslage des Versicherers und der Lebenserwartung der Versicherten schwanken kann, mag im Steuerrecht im Hinblick auf steuerliche Absetzungsmöglichkeiten eine Berechtigung haben (vgl BFH, aaO, S 2221). Ein entsprechendes Bedürfnis, gleichbleibende "Grundrente" und variabel vereinbarte Zusatzrente unterschiedlich zu beurteilen, besteht im Sozialversicherungsrecht jedoch nicht. Maßgeblich ist deshalb der Gesamtbetrag der Rente, der bei Unterschreiten der Einkommensgrenze einen Anspruch auf Familienversicherung begründet, bei Überschreiten - wie im Fall der Klägerin zu 1) - einen solchen entfallen lässt.

2. Die Beklagte war nicht gehindert festzustellen, dass die Familienversicherung der Klägerin zu 1) rückwirkend zum 31. Januar 2001 geendet hat. Die mit dem 1. Februar 2001 bei der Klägerin zu 1) eingetretene Überschreitung der Einkommensgrenze führte von Gesetzes wegen dazu, dass mit diesem Tag für sie eine beitragsfreie Familienversicherung nicht mehr bestand. Dies konnte, weil ein anderweitiger bindender Verwaltungsakt der Beklagten nicht entgegenstand, auch noch nachträglich (im Oktober 2001) von der Beklagten festgestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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