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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 26.01.2005
Aktenzeichen: B 12 KR 23/03 R
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 38
InsO § 39
InsO § 39 Abs 1 Nr 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 26. Januar 2005

Az: B 12 KR 23/03 R

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2005 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, die Richter Dr. Berchtold und Dr. Bernsdorff sowie die ehrenamtlichen Richter Jungwirth und Koch

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 2003 sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2000 aufgehoben, soweit sie auf Krankenversicherungsbeiträge entfallende Säumniszuschläge betreffen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für den gesamten Rechtsstreit.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten zuletzt noch über monatlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Säumniszuschläge auf rückständige Krankenversicherungsbeiträge als Insolvenzforderung.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Unternehmens R. Das Amtsgericht Charlottenburg eröffnete mit Beschluss vom 1. September 1999 das Insolvenzverfahren und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die beklagte AOK Bayern stellte mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 gegenüber dem Kläger unter anderem monatliche Säumniszuschläge auf Krankenversicherungsbeiträge seit dem 16. September 1999 bis zur Schlussverteilung fest. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und bestritt die Forderung im Prüfungstermin vom 25. Januar 2000. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2000 zurück.

Der Kläger hat Klage erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 3. Dezember 2001 Säumniszuschläge in Höhe von 40 vH erlassen. Die danach noch verbleibenden Säumniszuschläge auf die Krankenversicherungsbeiträge betragen 61,20 DM. Mit Urteil vom 14. Februar 2003 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Höhe der streitigen Forderung durch Bescheid feststellen dürfen. Der Kläger sei verpflichtet, die von der Beklagten zuletzt mit Bescheid vom 3. Dezember 2001 errechneten Säumniszuschläge für die Zeit nach Insolvenzeröffnung zur Tabelle festzustellen (Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 23. Oktober 1987, 12 RK 11/86). Mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) sei es insofern zu keiner Änderung der Rechtslage gekommen. Entgegen der Auffassung des Klägers seien die von der Beklagten geforderten Säumniszuschläge auch nicht als Forderung eines nachrangigen Insolvenzgläubigers (§ 39 InsO) anzusehen.

Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der Revision weiter. Er rügt die Verletzung der §§ 38, 39 InsO. Da Säumniszuschläge für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nachrangige Forderungen iS von § 39 Abs 1 Nr 1 InsO seien, könne die Verpflichtung des Klägers zur Aufnahme in die Insolvenztabelle nach § 38 InsO nicht durch Bescheid festgestellt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 9. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2000 aufzuheben, soweit sie sich auf Säumniszuschläge auf Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 61,20 DM beziehen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend und geht von der Anwendbarkeit des § 38 InsO aus. Hierfür genüge, dass der Rechtsgrund für die Entstehung der streitigen Forderung bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt war. Die Funktion der Säumniszuschläge, einen standardisierten Mindestschadensausgleich zu gewähren, entfalle auch während der Insolvenz nicht. Auch seien mit Inkrafttreten der InsO öffentlich-rechtliche Forderungen öffentlich-rechtlicher Rechtspersonen den Forderungen Privater nicht in jeder Hinsicht gleichgestellt worden. § 39 Abs 1 InsO finde auf Säumniszuschläge schon seinem Wortlaut nach keine Anwendung. Zwischen Säumniszuschlägen und Zinsen sei im Übrigen auch nach ihrem Zweck sowie ihrer systematischen Behandlung im Sozialversicherungs- und Steuerrecht zu differenzieren. Säumniszuschläge seien daher den sonstigen Insolvenzforderungen iS des § 38 InsO gleichgestellt. Das Urteil des BSG vom 18. Dezember 2003, B 11 AL 37/03 R, weiche ohne ausreichende Gründe von der bisherigen Rechtsprechung des BSG ab. Der 11. Senat hätte die Frage, ob es sich bei Säumniszuschlägen um Forderungen handelt, deren Leistungsinhalt erst durch bezogen auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens künftige Tatsachen, nämlich die Nichterfüllung einer fälligen Forderung, bestimmt wird, dem Großen Senat vorlegen müssen.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass das SG die erforderliche Beiladung weiterer Sozialversicherungsträger unterlassen hat (vgl Urteil des BSG vom 7. August 1991, 10 RAr 8/90, SozR 3-1500 § 75 Nr 9). Diese haben ihren Streit daraufhin auf denjenigen Teil der Säumniszuschläge beschränkt, der auf Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung entfällt.

II

Die zulässige Revision des Klägers erweist sich als sachlich in vollem Umfang begründet. Gegenstand der Klage war zuletzt nur noch der Bescheid der Beklagten vom (richtig) 9. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2000. Dagegen war der weitere Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2001, der eine gesonderte Entscheidung zum Teil-Erlass der streitigen Säumniszuschläge enthält (vgl Urteil des Senats vom 17. Mai 2001, B 12 KR 32/00 R, BSGE 88, 146, 153 = SozR 3-2400 § 24 Nr 4 S 8, 16) vom Revisionsbegehren des Klägers von Anfang an nicht erfasst und wird in seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auch nicht mehr erwähnt. Ohnehin findet der akzessorische Bescheid vom 3. Dezember 2001 materiell seine Erledigung durch die Aufhebung der ihm zu Grunde liegenden Verwaltungsakte der Beklagten (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz <SGB X>).

Das Urteil des SG sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2000 sind rechtswidrig und deshalb aufzuheben. Zwar konnte die Beklagte als zuständige Verwaltungsbehörde die vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderung von Säumniszuschlägen auf rückständige Krankenversicherungsbeiträge ab 16. September 1999 durch Bescheid feststellen (§§ 179 Abs 1, 185 Satz 1 InsO, § 28h Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung <SGB IV> und hierzu BSG Urteil vom 17. Mai 2001, B 12 KR 32/00 R, BSGE 88, 146, 149 = SozR 3-2400 § 24 Nr 4 sowie BSG Urteil vom 18. Dezember 2003, B 11 AL 37/03 R, BSGE 92, 82, 84 = SozR 4-2400 § 24 Nr 1), doch beruhen das Urteil des SG und die angegriffenen Entscheidungen der Beklagten auf einer Verletzung des § 38 InsO. Die streitigen Säumniszuschläge nach § 24 Abs 1 SGB IV waren zurzeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. September 1999 nicht begründet iS des § 38 InsO. Es liegt nahe, sie als nachrangige Insolvenzforderungen iS des § 39 InsO zu berücksichtigen, die nur auf besondere Aufforderung anzumelden (§ 174 Abs 3 InsO) und danach ggf festzustellen sind.

Der 11. Senat des BSG hat im Urteil vom 18. Dezember 2003, B 11 AL 37/03 R, aaO, Folgendes entschieden:

- Die Anwendung von § 38 InsO auf Sachverhalte der vorliegenden Art scheitert bereits am Merkmal der "Begründung" zurzeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Begründet in diesem Sinne sind nicht schon Forderungen, deren Leistungsinhalt erst durch den Eintritt einer künftigen Tatsache bestimmt wird, mag auch schon der Grund zu dem künftigen Forderungsrecht vor Verfahrenseröffnung gelegt sein. Der Anspruch auf Säumniszuschläge nach § 24 Abs 1 Satz 1 SGB IV entsteht nach Ablauf des Fälligkeitstages für jeden angefangenen Monat der Säumnis. Es handelt sich damit um Forderungen, deren Leistungsinhalt erst durch den Eintritt einer bezogen auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens künftigen Tatsache bestimmt wird, nämlich die Nichterfüllung der zu Grunde liegenden Forderung. Dadurch unterscheiden sie sich von wiederkehrenden Leistungen, die aus einem zurzeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehenden Stammrecht fließen.

- Eine § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e oder § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e Konkursordnung (KO) entsprechende Regelung, die ein anderes Verständnis von dem Zeitpunkt, in dem Säumniszuschläge als Forderungen begründet sind, nahe gelegt hat, gibt es in der InsO nicht mehr. Dem geltenden Recht ist auch nicht der Grundsatz zu entnehmen, dass Nebenforderungen das Schicksal der Hauptforderung teilen (arg e § 39 Abs 3 InsO).

- Die im Wesentlichen übereinstimmende Funktion von Säumniszuschlägen und Verzugszinsen und ihre Austauschbarkeit, die durch die Rechtsentwicklung belegt wird (BSGE 88, 146, 151 = SozR 3-2400 § 24 Nr 4), spricht dafür, Säumniszuschläge wie Zinsen von Insolvenzforderungen nach § 39 Abs 1 Nr 1 InsO als nachrangige Insolvenzforderungen zu behandeln (so Uhlenbruck aaO § 39 RdNr 5). Gleichermaßen eine Qualifikation der Ansprüche auf Säumniszuschläge als (im Wege der Einzelvollstreckung durchsetzbare) neue Forderungen wie als vorweg zu berichtigende (§ 53 InsO) Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs 1 Nr 1 InsO erscheint demgegenüber unangemessen.

Der erkennende Senat schließt sich dem in vollem Umfang an (vgl zustimmend auch die Anmerkungen von Mitlehner, ZIP 2004, 523 und Schmidt, SGb 2004, 504). Unter Geltung der InsO fehlt es an § 59 Abs 1 Nr 3e KO und § 61 Abs 1 Nr 1e KO entsprechenden Rangfolgeregelungen, auf die sich die frühere Auffassung des BSG gründete, Säumniszuschläge seien auch für die Zeit nach Konkurseröffnung als bevorrechtigte Konkursforderung anzuerkennen (Urteil vom 17. Mai 2001, B 12 KR 32/00 R, BSGE 88, 146, 150 ff = SozR 3-2400 § 24 Nr 4). Die von der Beklagten angeführte "Änderung" der Rechtsprechung geht daher mit einer Änderung des ihr zu Grunde liegenden Rechts einher, und bedurfte unter diesen Umständen mangels einer einheitlichen Rechtsfrage (vgl zum Begriff etwa Lüdtke in Handkommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 1. Aufl 2003, § 41 RdNr 3) von vornherein keiner Vorlage an den Großen Senat nach § 41 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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