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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 17.11.2008
Aktenzeichen: B 12 KR 84/07 B
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 169 Satz 2
SGG § 169 Satz 3
SGG § 160a Abs 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 12 KR 84/07 B

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat am 17. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Balzer sowie die Richter Dr. Berchtold und Dr. Bernsdorff

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. September 2007 wird als unzulässig verworfen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.609,49 Euro festgesetzt.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten um die Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Arbeitslosenversicherung.

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung bei den Klägern stellte der beklagte Rentenversicherungsträger die Versicherungspflicht der in der Praxis der Kläger tätigen Beigeladenen zu 1. in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie in der Arbeitslosenversicherung fest und forderte für den Zeitraum vom 1.1.1996 bis zum 31.12.1999 Krankenversicherungsbeiträge, für den Zeitraum vom 1.7.1996 bis zum 31.12.1999 Pflegeversicherungsbeiträge und für den Zeitraum vom 1.4.1997 bis zum 31.12.1999 Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nach. Die Beigeladene zu 1. war zuvor Beamtin gewesen und mit Ablauf des 15.4.1995 aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden. Widerspruch, Klage und Berufung der Kläger blieben erfolglos.

Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 10.9.2007.

II

Die Beschwerde ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Kläger haben in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Kläger berufen sich allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Hierzu hat die Beschwerdebegründung auszuführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch Bundesverfassungsgericht [BVerfG] SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). - Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Kläger werfen die Frage auf,

"ob die Bestimmungen des § 22 SGB IV und 28e I 1 SGB IV über die Zahlung des Gesamt-Sozialversicherungsbeitrages, die die Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Kläger bilden, mit verfassungsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere mit Art 14 I GG und Art 3 I GG in der von den Vorinstanzen gefundenen Auslegung vereinbar sind".

Unterstellt, bei dieser von den Klägern gestellten Frage handelt es sich um eine klar bezeichnete Rechtsfrage und diese Rechtsfrage ist in einem nachfolgenden Revisionsverfahren auch klärungsfähig, dh in dem zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich, so wäre jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht dargetan.

Die Kläger halten die Rechtsfrage im Hinblick auf verfassungsrechtliche Implikationen (Vereinbarkeit insbesondere mit Art 14 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG) für klärungsbedürftig. Zwar kann grundsätzlich auch die Frage der Vereinbarkeit einer Norm des einfachen Rechts mit dem Grundgesetz die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache rechtfertigen. Für die Zulässigkeit der Beschwerde reicht indessen der schlichte Hinweis auf die angeblich verletzte Verfassungsbestimmung nicht aus. Vielmehr muss in der Beschwerdebegründung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG dargelegt werden, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Der Schutzbereich der Verfassungsnorm und die jeweiligen verfassungsrechtlichen Maßstäbe müssen herausgearbeitet, bei einer behaupteten Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes müssen die für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale dargetan und muss zu der Frage Stellung genommen werden, ob der Gesetzgeber mit einer von ihm vorgenommenen Gleich- oder Ungleichbehandlung die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat.

Soweit die Kläger in der Nachforderung von Beiträgen eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts erkennen, legen sie zwar dar, dass ihre und der Beigeladenen zu 1. Positionen "dem Eigentumsschutz des Art 14 I GG unterliegen". Auch umreißen sie, worin aus ihrer Sicht der jeweilige Eigentumseingriff besteht, nämlich, soweit ihr Eigentumsgrundrecht betroffen ist, in der kompletten Neufinanzierung des Krankenversicherungsschutzes durch Beitragsleistungen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, und, soweit das Eigentumsgrundrecht der Beigeladenen zu 1. betroffen ist, in einem Verlust der Altersrückstellungen und der gezahlten Beiträge in der privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Ferner werde in das Eigentum deshalb eingegriffen, weil die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung aufgrund der entrichteten Beiträge im Hinblick auf die bereits "abgelaufenen Zeiträume" keinerlei Leistungen (mehr) werde erbringen müssen. Des weiteren führen sie aus, dass eine "Rechtfertigung" des Eingriffs durch Anspruchsverlust nicht ersichtlich sei. Schließlich legen sie zu dem von ihnen behaupteten Gleichheitsverstoß dar, dass sie diesen in der "doppelten Beitragsabführung" und hier insbesondere darin erkennen, dass das Risiko doppelter Beitragsbelastung Versicherter und von Arbeitgebern im System der gesetzlichen Krankenversicherung durch § 26 Abs 2 SGB IV minimiert werde, während eine solche "Verrechnungs- bzw Erstattungsmöglichkeit" gegenüber privaten Krankenversicherungsunternehmen nicht bestehe. Insoweit sei eine "reziproke" Anwendung des § 26 SGB IV auf Beiträge zur privaten Krankenversicherung verfassungsgeboten.

Mit diesen Ausführungen genügen die Kläger den beschriebenen Darlegungserfordernissen gleichwohl nicht. So haben sie sich weder damit auseinandergesetzt, dass, soweit sie eine Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts behaupten, das Vermögen als solches nach der Rechtsprechung des BVerfG durch Art 14 Abs 1 GG grundsätzlich nicht gegen die Anordnung öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten geschützt ist, noch haben sie dargelegt, dass und warum sie sich als beschwerdeführende Arbeitgeber für ihre Rechtsposition auf mögliche Grundrechtsverletzungen der Beigeladenen zu 1. berufen können. Vor allem aber fehlt die gebotene Befassung mit der Rechtslage nach einfachem Recht. Hängt die geltend gemachte Grundrechtsverletzung von einer bestimmten Rechtslage nach einfachem Recht ab, muss die Beschwerdebegründung auf die einschlägigen Grundlagen im einfachen Recht und deren Interpretation durch das Gericht eingehen. Hierbei ist ein Bezug zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben herzustellen.

Soweit die Kläger im Hinblick auf "systematische Bedenken" eine "Klarstellung der Reichweite" der (einfach)gesetzlichen Regelungen (§ 22, § 26 und § 28e Abs 1 Satz 1 SGB IV) in einem Revisionsverfahren verlangen, setzen sie sich mit der Anwendung und Auslegung dieser Vorschriften durch die Vorinstanz und der einschlägigen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG nicht auseinander. Sie zeigen nicht auf, dass die damit im Zusammenhang stehenden Fragen noch klärungsbedürftig oder erneut klärungsbedürftig geworden sind. Es ist höchstrichterlich entschieden, dass es einer näheren Prüfung, ob jemand im Hinblick auf seine konkrete wirtschaftliche Lage "sozial schutzbedürftig" ist, nicht bedarf. Für die Einbeziehung in die Krankenversicherungspflicht ist nämlich nicht die wirkliche, sondern die mutmaßliche Schutzbedürftigkeit entscheidend, die sich aus allgemeinen Merkmalen und aus der durchschnittlichen Lebenslage der betroffenen Bevölkerungsgruppe ergibt. Die Versicherungspflicht setzt nicht die individuelle soziale Schutzbedürftigkeit jedes einzelnen Versicherungspflichtigen voraus, sondern beruht auf der Erfüllung eines formalen gesetzlichen Tatbestandes, in dem nach Auffassung des Gesetzgebers die soziale Schutzbedürftigkeit typisierend zum Ausdruck kommt (vgl allgemein schon BVerfG, Beschluss vom 26.11.1964, 1 BvL 14/62, BVerfGE 18, 257, 270 = SozR Nr 55 zu Art 3 GG). Ob Beschäftigte wegen ihrer individuellen wirtschaftlichen Situation zu eigener Krankheitsvorsorge fähig oder nicht fähig sind und daher einer Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens durch die Zwangsversicherung bedürfen oder nicht, ist danach ohne Belang. Warum es wegen dieser grundsätzlichen Unerheblichkeit des konkreten wirtschaftlichen Sicherungsbedarfs im vorliegenden Zusammenhang darauf ankommen soll, dass die Beigeladene zu 1. "langjährigen privaten Krankenversicherungsschutz aufgebaut" hat, ist nicht ersichtlich.

Die Kläger hätten sich ferner damit befassen müssen, ob das BSG berechtigt wäre, für die von ihnen und der Beigeladenen zu 1. repräsentierten Personengruppen bei der von ihnen angenommenen "Fehlversicherung" nach Systemwechsel von der privaten Krankenversicherung zur gesetzlichen Krankenversicherung bzw einer "nachträglichen Feststellung über unverschuldet angenommene Versicherungsfreiheit" § 26 Abs 2 und 3 SGB IV im Wege der Analogie auch für Erstattungsansprüche gegen das private Versicherungsunternehmen heranzuziehen, oder eine solche Entscheidung nicht vielmehr dem Gesetzgeber überlassen bleiben müsste. Sie haben zudem nicht ausgeführt, warum ein solcher Erstattungsanspruch gegeben sein soll, obwohl die Beigeladene zu 1. - wie sie selbst vortragen - während der "Vertragszugehörigkeit" Leistungen in Anspruch genommen hat (vgl § 26 Abs 2 1.Halbsatz SGB IV).

Nicht hinreichende Äußerungen finden sich schließlich dazu, warum die gesetzliche Krankenversicherung nunmehr Beiträge erhalte, für die sie keine Leistungen erbringe, weil die Beiträge einen bereits abgelaufenen Zeitraum beträfen ("rechtsgrundlose Bereicherung des leistungsfreien Sozialversicherungsträgers"). Das Sozialgericht, dessen Ausführungen das LSG in Bezug genommen hat, hat erläutert, dass es sich insoweit gerade nicht um eine "rückwirkende" Zuordnung zur gesetzlichen Krankenversicherung, sondern um die (bloße) Nacherhebung von Beiträgen handele. Warum in diesem Nacherhebungszeitraum Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu erbringen sein sollen, haben die Kläger nicht dargetan.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren war gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes entsprechend den von den Beteiligten nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts in Höhe der auf die Beigeladene zu 1. entfallenden Beitragsforderung festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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