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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 05.05.2009
Aktenzeichen: B 13 R 55/08 R
Rechtsgebiete: SGB VI


Vorschriften:

SGB VI § 46 Abs 2 S 1
SGB VI § 46 Abs 2a Halbs 1
SGB VI § 46 Abs 2a Halbs 2
SGB VI § 242a Abs 3
SGB VII § 65 Abs 6
SGG § 202
ZPO § 292

Entscheidung wurde am 12.10.2009 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt.
1. Bei der Prüfung, ob eine die Hinterbliebenenrente ausschließende Versorgungsehe vorliegt, sind alle zur Eheschließung führenden Motive der Ehegatten zu berücksichtigen und in ihrer Bedeutung gegeneinander abzuwägen.

2. Die Annahme einer Versorgungsehe ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe beider Ehegatten insgesamt gesehen überwiegen oder zumindest gleichwertig sind.


BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 5. Mai 2009

in dem Rechtsstreit

Az: B 13 R 55/08 R

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Steinwedel, die Richter Dr. Fichte und Kaltenstein sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Schneider und die ehrenamtliche Richterin Roth-Bleckwehl

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. August 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer großen Witwenrente aus der Versicherung des im Januar 2004 verstorbenen M. L. (im Folgenden: L.).

Die 1940 geborene Klägerin war in der Zeit von März 1959 bis Dezember 1973 mit dem 1929 geborenen L. verheiratet. Aus dieser Ehe gingen sechs gemeinsame Kinder hervor. Die Klägerin hat noch ein weiteres leibliches, 1974 geborenes Kind. Weder die Klägerin noch L. haben einen anderen Partner geheiratet.

Nach der Scheidung führten die Klägerin und L. jeweils einen eigenen Haushalt und lebten in verschiedenen Orten. Im Jahre 2003 bezogen beide eine Versichertenrente von der Beklagten. Die Rente der Klägerin betrug ca 290 Euro, die des L. ca 1850 Euro/Monat.

Im April 2003 wurde bei L. eine unheilbare Krebserkrankung festgestellt. Eine operative Behandlung war nicht mehr möglich; bis Juni 2003 unterzog sich L. einer als palliativ bezeichneten Chemotherapie.

Anfang Mai 2003 zog L. zur Klägerin; beide heirateten am 23.5.2003. In den letzten Monaten vor seinem Tod war L. größtenteils bettlägerig und wurde von der Klägerin gepflegt. Er verstarb am 30.1.2004 an den Folgen seiner Krebserkrankung.

Am 9.2.2004 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des L. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 6.5.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.9.2004 mit der Begründung ab, dass L. innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstorben sei und deshalb nach § 46 Abs 2a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) eine sog Versorgungsehe vorgelegen habe.

Das Sozialgericht Duisburg (SG) hat nach Beiziehung medizinischer Unterlagen über L. und persönlicher Anhörung der Klägerin sowie Vernehmung ihrer Töchter C. L., R. L. und K. H. als Zeugen mit Urteil vom 3.11.2006 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Witwenrente ab dem 1.2.2004 zu gewähren. Dem Anspruch stehe der rechtshindernde Einwand der Versorgungsehe nicht entgegen. Denn es sei insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Zum einen sei das Vorstellungsbild der Eheleute zum Zeitpunkt der Heirat nicht vornehmlich von der Erkrankung des L. geprägt gewesen; zum anderen habe für L. eine andere Motivation zum Eheschluss als die finanzielle Versorgung der Klägerin im Vordergrund gestanden. Er habe sich nicht vorstellen können, mit der Klägerin zusammenzuleben, deren Fürsorge und Betreuung er sich habe sichern wollen, ohne mit dieser verheiratet zu sein.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen über L. und persönlicher Anhörung der Klägerin mit Urteil vom 31.8.2007 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Erwägungen des SG zur Motivationslage des L. und zu dessen persönlichen Moralvorstellungen seien verfehlt, weil es nicht Aufgabe der Rentenversicherungsträger und der Gerichte sei, in die Intimsphäre eingreifende Erwägungen anzustellen. Ermittlungen seien auf die nach außen tretenden Tatsachen zu beschränken; nur diese seien zu bewerten. Nach den hiernach festzustellenden objektiven Umständen sei die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht widerlegt. Nach dem Gesundheitszustand des L. sei sein Tod in nicht allzu ferner Zukunft als konkrete und nicht abwegige Möglichkeit zu erwarten gewesen. Ausmaß und Umfang der Erkrankung seien L. und der Klägerin zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt gewesen. Der Entschluss zur Eheschließung sei erst nach der Diagnose der tödlichen Erkrankung gefasst worden. Aus welchen Gründen es zuvor nicht zu einer Eheschließung gekommen sei und ob bei dem Entschluss zu heiraten, das "Prinzip Hoffnung" im Vordergrund gestanden habe, könne dahingestellt bleiben, weil ansonsten zur innersten und nicht nachprüfbaren intimen Motivationslage der Betroffenen Stellung genommen werden müsste. Die Klägerin habe keine besonderen äußeren Umstände dargetan, welche die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen könnten. Die gemeinsamen Kinder seien zum Zeitpunkt der zweiten Heirat bereits volljährig gewesen, sodass ihre Betreuung und Erziehung keine Motivation zur zweiten Heirat gewesen sein könne. Dem Umstand, dass sich L. von der Ehe Pflege und Betreuung von der Klägerin versprochen habe, komme kein solches Gewicht zu, dass er allein vor dem Hintergrund der weiteren objektiv vorliegenden Umstände die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe widerlegen könne. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der höchst unterschiedlichen Einkommensverhältnisse der Ehegatten bei der Wiederheirat. Dem im Verhältnis zur Klägerin hohen Einkommen des L. habe auf ihrer Seite ein äußerst geringes und unter dem Sozialhilfebedarf liegendes Einkommen gegenüber gestanden, sodass auch objektive finanzielle Gründe nicht gegen, sondern für die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe sprächen.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 46 Abs 2a SGB VI. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den einschlägigen Vorläufervorschriften sei bei der Prüfung der Versorgungsabsicht auch auf subjektive Vorstellungen abzustellen (Hinweis auf BSGE 35, 272 = SozR Nr 2 zu § 594 der Reichsversicherungsordnung [RVO]). Diese seien klar von objektiven Umständen zu trennen. Soweit das BSG in seiner Entscheidung vom 3.9.1986 (BSGE 60, 204 = SozR 3100 § 38 Nr 5) ausgeführt habe, es sei vorrangig auf objektive Umstände abzustellen und nicht allgemein geboten, in der privaten Lebenssphäre Ermittlungen anzustellen, sei damit nicht gemeint, dass es unzulässig sei, Ermittlungen in der privaten Lebenssphäre der Eheleute vorzunehmen bzw das Ergebnis derartiger Ermittlungen zu berücksichtigen. Die Nichtbeachtung ihrer subjektiven Motivationslage und der des L. führe dazu, dass es ihr erschwert werde, die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe zu widerlegen. Beim Fehlen ausreichender objektiver Umstände könne sie den Beweis nur dadurch führen, dass subjektive Momente vorgetragen und unter Beweis gestellt würden. Sie habe einen gemeinsamen Hausstand mit L. gegründet, um dessen Betreuung und Pflege zu gewährleisten; es sei sein größter Wunsch gewesen, sie wieder zu heiraten, weil er sie immer geliebt habe. Nach seinen eigenen moralischen Ansprüchen habe er sich nicht vorstellen können, mit ihr ohne Trauschein unter einem Dach zu leben. Weiterhin habe bei dem Entschluss zu heiraten das "Prinzip Hoffnung" im Vordergrund gestanden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31.8.2007 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 3.11.2006 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf die von ihr begehrte Witwenrente abgelehnt hat.

1. Nach § 46 Abs 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ua dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 30.1.2004 verstorbenen L., der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs 1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hatte im Zeitpunkt des Todes des L. auch das 45. Lebensjahr vollendet.

2. Gemäß § 46 Abs 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21.3.2001 (BGBl I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 1.1.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl § 242a Abs 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

a) Die zweite (und hier maßgebliche) Ehe zwischen der Klägerin und L. hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 23.5.2003 bis 30.1.2004. Damit ist der Tatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 1 SGB VI erfüllt.

b) Die entsprechende Rechtsfolge (Ausschluss des Anspruchs auf Witwenrente) tritt jedoch dann nicht ein, wenn "besondere Umstände" vorliegen, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§ 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI). Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, kann vom Senat nicht abschließend entschieden werden, weil insoweit die Tatsachenfeststellungen des LSG nicht ausreichen.

aa) Der Begriff der "besonderen Umstände" in § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten mit einem bestimmten Inhalt ausgefüllt werden muss und dessen Beurteilungsspielraum der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt (vgl BSGE 60, 204, 207 = SozR 3100 § 38 Nr 5 mwN).

Aus § 46 Abs 2a SGB VI ergibt sich nicht ohne weiteres, was unter "den besonderen Umständen des Falles" zu verstehen ist, die geeignet sind, die Annahme einer Versorgungsehe (definiert in Anlehnung an Abs 2a Halbsatz 2 aaO als "Ehe, die allein oder überwiegend zu dem Zweck geschlossen wird, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen") zu entkräften bzw eine Ausnahme vom gesetzlichen Ausschluss einer Witwen-/Witwerrente bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr zuzulassen. Da § 46 Abs 2a SGB VI jedoch vom Gesetzgeber bewusst den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs 6 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch, vormals § 594 RVO) und der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs 2 des Bundesversorgungsgesetzes) nachgebildet ist (vgl BT-Drucks 14/4595 S 44; s auch die inhaltsgleiche Norm des § 19 Abs 1 Satz 2 Nr 1 des Beamtenversorgungsgesetzes), kann an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der "besonderen Umstände" in diesen Bestimmungen angeknüpft werden.

Als besondere Umstände iS des § 46 Abs 2a SGB VI sind daher alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen (vgl BSGE 35, 272, 274 = SozR Nr 2 zu § 594 RVO). Dabei kommt es auf die (gegebenenfalls auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten an, es sei denn, dass der hinterbliebene Ehegatte den Versicherten beispielsweise durch Ausnutzung einer Notlage oder Willensschwäche zur Eheschließung veranlasst hat (vgl BSGE 35, 272, 275 f = SozR Nr 2 zu § 594 RVO; BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5).

Die "Annahme" des anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nach dem Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI (vgl BSGE 60, 204, 206 = SozR 3100 § 38 Nr 5) nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen (vgl BSGE 35, 272, 276 = SozR Nr 2 zu § 594 RVO) oder - da der Wortlaut auf den "alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat" abhebt - zumindest gleichwertig sind. Es ist daher auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlaggebend waren. Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat (vgl BSGE 35, 272, 276 = SozR Nr 2 zu § 594 RVO; BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Gürtner in Kasseler Komm, § 46 SGB VI RdNr 46c, Stand: September 2007; Dopheide/Haas/Wagner, Informationen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung in Bayern 2006, 257, 261).

Die Vorschrift des § 46 Abs 2a SGB VI zwingt den Hinterbliebenen aber nicht, seine inneren Gründe für die Eheschließung oder die des verstorbenen Ehegatten zu offenbaren (vgl BSGE 35, 272, 273 = SozR Nr 2 zu § 594 RVO; BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5). Der hinterbliebene Ehegatte kann sich auch auf die Darlegung von äußeren (objektiv nach außen tretenden) Umständen beschränken, die seiner Ansicht nach auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Ebenso bleibt es ihm unbenommen, keinerlei Auskünfte über den "Zweck der Heirat" zu geben. Es soll nicht gegen seinen Willen zu einem Eingriff in seine Intimsphäre kommen, indem der Hinterbliebene genötigt wird, auch seine allerpersönlichsten, innersten Gedanken und Motive für die Eheschließung mit dem verstorbenen Versicherten mitzuteilen. Denn die gesetzestechnische Ausgestaltung des § 46 Abs 2a SGB VI als Regel-/Ausnahmetatbestand verfolgt gerade den Zweck, die Träger der Rentenversicherung und die Sozialgerichte von der Ausforschung im Bereich der privaten Lebensführung zu entbinden (vgl Senatsurteil vom heutigen Tage, B 13 R 53/08 R; BSGE 60, 204, 206 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 46 RdNr 38, Stand: September 2008; in der Gesetzesbegründung [BT-Drucks 14/4595 S 44] wird § 46 Abs 2a SGB VI auch als "gesetzliche Vermutung" bezeichnet, die jedoch "widerlegt" werden könne, wenn "Umstände" vorlägen, die trotz der kurzen Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen ließen; ähnlich bereits BT-Drucks IV/120 S 59 zu § 592 des Entwurfs = § 594 RVO; vgl auch BSGE 35, 272, 273 = SozR Nr 2 zu § 594 RVO; BSGE 60, 204, 205 f = SozR 3100 § 38 Nr 5).

Dies bedeutet aber nicht, dass es dem hinterbliebenen Ehegatten untersagt ist, seine (höchst-)persönlichen Gründe und die des verstorbenen Versicherten für die Eheschließung darzulegen. Vielmehr kann er selbst abwägen, ob er derartige private Details preisgeben will, um die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr zu entkräften. Macht der Hinterbliebene von sich aus oder auf Befragen entsprechende Angaben und sind diese glaubhaft, so sind auch diese persönlichen Gründe in die (abschließende) Gesamtbetrachtung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu würdigen. Eine Beschränkung auf objektiv nach außen tretende Umstände bei der "Ermittlung der Beweggründe für die Heirat" bzw des "Zwecks der Heirat" würde jedenfalls in einem solchen Fall die Möglichkeiten des hinterbliebenen Ehegatten, die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften, in unzulässiger Weise beschneiden. Lediglich wenn der Hinterbliebene keine - glaubhaften - Angaben über die inneren Umstände macht, darf sich die Ermittlung, welche Gründe für die Eheschließung ausschlaggebend waren, und die Prüfung, ob es sich dabei um (anspruchsbegründende) besondere Umstände iS des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI handelt, auf nach außen tretende objektive Tatsachen beschränken.

Allerdings ist eine abschließende Typisierung oder Pauschalierung der von der Versorgungsabsicht verschiedenen ("besonderen") Gründe im Rahmen des § 46 Abs 2a SGB VI angesichts der Vielgestaltigkeit von Lebenssachverhalten nicht möglich. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind zudem nicht nur für sich - isoliert - zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist, mit einzubeziehen.

bb) Eine gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu.

Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand iS des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt ("plötzlich" und "unerwartet") eingetreten ist (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 46 SGB VI RdNr 53, Stand: November 2005; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 46 RdNr 38, Stand: September 2008; Dopheide/Haas/Wagner, Informationen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung in Bayern, 2006, 257, 259 f; Kreikebohm in Beck`scher Online-Komm, § 46 SGB VI RdNr 25, Stand: September 2008). Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als ein Beispiel hierfür der "Unfalltod" genannt (BT-Drucks 14/4595 S 44). Unvermittelt eingetreten in diesem Sinne ist der Tod aber auch bei einem Verbrechen oder bei einer Erkrankung, die plötzlich aufgetreten ist und schnell zum Tode geführt hat (zB Infektionskrankheit oder Herzinfarkt bei unbekannter Herzerkrankung).

Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden.

cc) Der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI wird nur erfüllt, wenn insoweit nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 292 der Zivilprozessordnung der volle Beweis erbracht wird (vgl BSGE 60, 204, 206 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Gürtner in Kasseler Komm, § 46 SGB VI RdNr 46b, Stand: September 2007; Löns in Kreikebohm, SGB VI, 3. Aufl 2008, § 46 RdNr 28). Dieser erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 3 S 9 und § 15 Nr 4 S 13; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Komm, 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 3b).

dd) Das Vorliegen von "besonderen Umständen" iS des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI ist von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten von Amts wegen zu prüfen; es gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 20 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch, § 103 SGG). Eine Regelung (wie zB § 144 Abs 1 Satz 4 oder § 147a Abs 1 Satz 2 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch), wonach der Betroffene zur Anspruchsbegründung bestimmte Sachverhalte "darzulegen und zu beweisen" hat, enthält § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht. Die Regelungstechnik des § 46 Abs 2a SGB VI verfolgt - wie bereits ausgeführt - den Zweck, die Rentenversicherungsträger und die Sozialgerichte zur Ermittlung des Sachverhalts nicht zu Ausforschungen im Bereich der privaten Lebensführung der Betroffenen zu zwingen. Der Frage, ob besondere Umstände vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, ist daher vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten nachzugehen (vgl BSGE 60, 204, 206 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 46 RdNr 38, Stand: September 2008). Zu prüfen ist daher zunächst, ob die Eheschließungsmotive der Ehegatten in irgendeiner Form durch objektive Tatsachen nach außen getreten sind. Ermittlungen im Bereich der privaten Lebenssphäre der Ehegatten und zu deren (höchst-)persönlichen, inneren Motiven für die Heirat sind grundsätzlich nicht anzustellen, es sei denn, der Hinterbliebene, der hierüber naturgemäß zuvörderst Angaben machen kann, beruft sich hierauf und ist zur Auskunft bereit (vgl BSGE 60, 204, 206, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Kamprad, aaO). Das Gesetz zwingt ihn aber nicht zu entsprechenden Angaben. Der hinterbliebene Ehegatte muss dann aber mit der Versagung des geltend gemachten Anspruchs auf Witwen- oder Witwerrente rechnen, wenn nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes "besondere Umstände" iS des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht festgestellt werden können. Denn die Darlegungs- und Beweislast für ihr Vorliegen als ein den Anspruch begründender Umstand und damit auch die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast derjenige, der den Witwen-/Witwerrentenanspruch geltend macht (vgl BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Kamprad, aaO).

3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 46 Abs 2a SGB VI bestehen nicht (s hierzu Senatsurteil vom heutigen Tage - B 13 R 53/08 R).

4. Ausgehend von den vorstehend genannten rechtlichen Gesichtspunkten reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG zur abschließenden Entscheidung nicht aus, ob die Voraussetzungen des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI erfüllt sind und der Klägerin trotz einer Ehedauer von weniger als einem Jahr der geltend gemachte Anspruch auf große Witwenrente aus der Versicherung des L. zusteht. Dies wäre der Fall, wenn besondere Umstände iS des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI vorlägen, die geeignet wären, die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zwischen der Klägerin und L. zu entkräften. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht seine Ermittlungen und Feststellungen insoweit auf objektiv nach außen tretende Tatsachen beschränkt.

Die Heirat eines zur Zeit der Eheschließung bereits offenkundig an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten wie des L. ist zwar - wie oben ausgeführt - in der Regel als ein die gesetzliche Annahme der Versorgungsehe bestätigender (objektiver) Umstand anzusehen. Jedoch ist auch hier der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet überwiegend oder zumindest gleichwertig aus anderen als aus Versorgungsgesichtspunkten geheiratet wurde. Dabei sind alle zur Eheschließung führenden Motive der Ehegatten zu berücksichtigen. Eine Beschränkung der Ermittlung und Prüfung, welche Gründe für die Eheschließung ausschlaggebend waren, auf objektiv nach außen tretende Umstände ist nur dann zulässig, wenn der hinterbliebene Ehegatte es ablehnt, seine persönlichen Gründe für die Eheschließung zu offenbaren. Macht er hingegen - gegebenenfalls im Rahmen einer persönlichen Anhörung - entsprechende Angaben und sind diese glaubhaft, so sind auch diese (höchst-)persönlichen, subjektiven Motive in die Gesamtbetrachtung einzustellen und in ihrer Bedeutung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls zu würdigen. Dies hat das LSG nicht beachtet.

Das Berufungsgericht hat insoweit lediglich festgestellt, dass für L. ein Grund für die Wiederheirat gewesen sei, von der Klägerin Pflege und Betreuung zu erhalten (vgl zu diesem Motiv BSGE 35, 272, 274 f = SozR Nr 2 zu § 594 RVO; BSGE 60, 204, 207 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Gürtner in Kasseler Komm, § 46 SGB VI RdNr 46c, Stand: September 2007). Diesem Grund hat es jedoch nicht ein solches Gewicht beigemessen, dass "er allein vor dem Hintergrund der (...) objektiv vorliegenden Umstände die gesetzliche Vermutung (...) widerlegen kann". Das LSG hat aber nicht - auch nicht in Form der Übernahme der im Urteil des SG getroffenen tatsächlichen Feststellungen - festgestellt, welche Motive die Klägerin persönlich für die Eheschließung hatte und ob L. neben dem bereits festgestellten Beweggrund auch noch andere (höchst-)persönliche Motive hatte. Dies wird das LSG nachzuholen haben.

Erst danach wird die Abwägung möglich sein, ob im konkreten Einzelfall die Gesamtbetrachtung der festgestellten inneren Umstände zusammen mit den vom LSG bereits festgestellten objektiven Umständen zum Zeitpunkt der Eheschließung (Wiederheirat und Begründung einer gemeinsamen Haushaltsführung erst nach Kenntnis der unheilbaren Krebserkrankung des L., erhebliche Unterschiede in den Einkommensverhältnissen der Ehegatten, volljährige Kinder) ergibt, ob "besondere Umstände" vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der (zweiten) Heirat war, der Klägerin eine Hinterbliebenenversorgung aus der Versicherung des L. zu verschaffen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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