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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 31.01.2008
Aktenzeichen: B 13 R 64/06 R
Rechtsgebiete: SGB VI, AVG, GG


Vorschriften:

SGB VI § 56 Abs 1 S 2 Nr 3
SGB VI § 56 Abs 4 Nr 2
SGB VI § 57
SGB VI § 6 Abs 1 S 1
SGB VI § 6 Abs 5
SGB VI § 177 Abs 1
AVG § 7 Abs 2
GG Art 3 Abs 1
GG Art 3 Abs 2
GG Art 6 Abs 1

Entscheidung wurde am 13.11.2008 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt.
Der Vormerkung von Kindererziehungszeiten für den Personenkreis, der sich von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung hat befreien lassen, steht die Vorschrift des § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI in verfassungskonformer Auslegung nicht entgegen, solange in der berufsständischen Versorgung Zeiten der Kindererziehung nicht annähernd gleichwertig berücksichtigt werden wie in der gesetzlichen Rentenversicherung (Fortführung von BSG vom 18.10.2005 - B 4 RA 6/05 R = SozR 4-2600 § 56 Nr 3).
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 13 R 64/06 R

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 31. Januar 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Steinwedel, die Richter Dr. Fichte und Dr. Terdenge sowie die ehrenamtliche Richterin Link und den ehrenamtlichen Richter Lischka für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. August 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte auch die Kindererziehungszeiten nur bis zu diesem Tage anzuerkennen hat.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten in ihrem Versicherungsverlauf.

Sie ist im Jahr 1966 geboren und von Beruf Apothekerin; in der Zeit von September 1985 bis Oktober 1991 leistete sie Pflichtbeiträge zur Beklagten. Im November 1991 beantragte die seinerzeit in F. wohnhafte Klägerin ihre Befreiung von der Versicherungspflicht, weil sie nunmehr (ab August 1991) Pflichtmitglied des Versorgungswerks der Landesapothekerkammer Hessen sei. Mit Bescheid vom 12.2.1992 befreite sie die Beklagte (damals unter der Bezeichnung Bundesversicherungsanstalt für Angestellte <BfA>) nach § 7 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) antragsgemäß ab 1.11.1991 von der Versicherungspflicht. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Befreiung für die Dauer der Pflichtmitgliedschaft und einer daran anschließenden freiwilligen Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung gelte, soweit Versorgungsabgaben in gleicher Höhe geleistet würden, wie ohne die Befreiung Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu entrichten wären. Im Anschluss an die Rechtsbehelfsbelehrung wies der Bescheid darauf hin, dass die BfA bei Wegfall der Voraussetzungen des § 7 Abs 2 AVG die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 48 Abs 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) zu widerrufen habe, die Klägerin sei daher verpflichtet, der BfA entsprechende Umstände anzuzeigen; die Befreiung ende erst mit dem förmlichen Widerruf durch die BfA. Mit weiterem Bescheid vom 28.9.1992 erstattete die BfA der Klägerin antragsgemäß die bis dahin für sie geleisteten Arbeitnehmeranteile der Pflichtbeiträge.

Die Klägerin ist Mutter der am 24.8.2000 geborenen Zwillinge C. und J. sowie des Sohnes F. , geboren am 22.2.2002; ihr Ehemann und Vater der Kinder ist nach Feststellung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (LSG) Beamter des Landes Rheinland-Pfalz.

Bis zum 24.8.2000 (Geburt der Zwillinge) war die Klägerin in Vollzeit als Apothekerin beschäftigt; inzwischen ist sie es im Umfang von 2,5 Stunden/Woche (nach ihren Angaben im Revisionsverfahren: seit März 2001, geringfügig beschäftigt).

Den im April 2003 gestellten Antrag der Klägerin auf Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für ihre drei Kinder lehnte die Beklagte ab (Bescheide vom 7.5.2003 und 24.6.2003; beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.8.2003). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Mainz <SG> vom 26.10.2005).

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das erstinstanzliche Urteil sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, bei der Klägerin beginnend ab 1.9.2000 neun Jahre Kindererziehungszeiten sowie ab 25.8.2000 zunächst bis zum 30.8.2006 (Entscheidungsdatum des LSG) Berücksichtigungszeiten anzuerkennen. Zwar seien nach § 56 Abs 4 Nr 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) Elternteile von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen, wenn sie von der Versicherungspflicht befreit waren. Diese Vorschrift sei jedoch verfassungskonform auszulegen (Anschluss an das BSG-Urteil vom 18.10.2005 - B 4 RA 6/05 R, SozR 4-2600 § 56 Nr 3). Der Ausschluss der Anrechnung von Kindererziehungszeiten sei bei Personen wie der Klägerin verfassungsrechtlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Kindererziehungszeiten systembezogen annähernd gleichwertig in der berufsständischen Versorgungseinrichtung berücksichtigt würden. Diese Voraussetzungen seien beim Versorgungswerk der Landesapothekerkammer Hessen nicht erfüllt. Zwar würden insoweit Elternzeiten bei der Berücksichtigung einer etwaigen Berufsunfähigkeitsrente ausgeklammert, sodass diese sich nicht zum Nachteil des Berechtigten auf deren Höhe auswirkten. Elternzeiten wirkten jedoch nicht leistungssteigernd; auch bei der Altersrentenanwartschaft würden sie nicht angerechnet. Aus § 56 Abs 5 Satz 2 SGB VI folge der Anspruch der Klägerin, beginnend ab 1.9.2000 dreimal 36 Monate Kindererziehungszeiten festzustellen. Berücksichtigungszeiten nach § 57 SGB VI stünden der Klägerin bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr des dritten Kindes (21.2.2012) zu, wenn sie in diesem Zeitraum die Kinder erzogen habe. Da sich dies naturgemäß für die Zukunft nicht feststellen lasse, seien Berücksichtigungszeiten vorerst nur bis zum Zeitpunkt der Entscheidung am 30.8.2006 anzuerkennen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI. Elternteile, die nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit seien und keinen erneuten Systemwechsel zur gesetzlichen Rentenversicherung vollzogen hätten, seien nach der genannten Vorschrift generell von der Anrechnung der Kindererziehungszeiten ausgeschlossen. Das vom LSG herangezogene Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) sei über die bisherige Rechtsprechung des BSG hinausgegangen. Folge man der Auffassung des 4. Senats des BSG, würden im Ergebnis im Wege einer Günstigkeitsprüfung Einzelleistungskomponenten verschiedener Systeme kombiniert. Das sei vom Gesetzgeber so nicht gewollt. Es sei wegen der völlig anderen Leistungsberechnung kaum möglich, Kindererziehungsleistungen der berufsständischen Versorgung mit denen der gesetzlichen Rentenversicherung zu vergleichen. Wie sich eine Kindererziehungsleistung im Einzelfall in der berufsständischen Versorgung auswirke, hänge vom beruflichen Werdegang des Einzelnen bis zur Berentung ab. Aus dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) an den Gesetzgeber, Sonderlasten wegen Kindererziehung zu kompensieren, folge nicht, dass auch Personen, die sich vom System der gesetzlichen Rentenversicherung hätten befreien lassen, einen subsidiären Anspruch auf Leistungen aus Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung hätten. Zwar sei beim Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung der "generative Beitrag", den ein Kinder erziehender Versicherter neben seinem finanziellen Beitrag leiste, von existenzieller Bedeutung für den Erhalt des Systems. Dies gelte jedoch für das offene Deckungsverfahren der berufsständischen Versorgung nicht, selbst wenn dieses auf ständigen Neuzugang angewiesen sei. Im Übrigen bleibe angesichts der vom 4. Senat des BSG vertretenen verfassungskonformen Auslegung für § 56 Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI kaum noch ein Anwendungsbereich. Damit stelle sich die Frage, ob hierdurch nicht die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung erreicht seien.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des SG Mainz vom 26.10.2005 zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).

II

Die Revision der Beklagten hat nur hinsichtlich der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe Erfolg. Ihre im angefochtenen Urteil ausgesprochene Verpflichtung, zugunsten der Klägerin ab 1.9.2000 neun Jahre Kindererziehungszeiten (hierzu unter 1) und Berücksichtigungszeiten (hierzu unter 2) ab 25.8.2000 bis zunächst 30.8.2006 anzuerkennen (also iS des § 149 Abs 5 SGB VI festzustellen), bedarf nur insoweit der Korrektur, als auch die Kindererziehungszeiten nur bis zunächst 30.8.2006 festzustellen sind (hierzu unter 3).

1. Nach § 56 Abs 1 und 5 SGB VI wird einem Elternteil eine Kindererziehungszeit von 36 Monaten nach Ablauf des Monats der Geburt als Zeit der Versicherungspflicht wegen Kindererziehung (§ 3 Nr 1 SGB VI) angerechnet, wenn die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzurechnen ist, die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht, und wenn der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist (§ 56 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB VI).

a) Dass die am 24.8.2000 geborenen Zwillinge und der am 22.2.2002 geborene Sohn - mangels übereinstimmender Erklärung der Eltern - der Klägerin als Mutter zuzuordnen sind (§ 56 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 8 SGB VI) und dass die Klägerin die Kinder bislang im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erzogen hat (§ 56 Abs 1 Satz 2 Nr 2 iVm Abs 3 Satz 1 SGB VI), ist zwischen den Beteiligten nicht zweifelhaft.

b) Der Anrechnung einer Kindererziehungszeit bei der Klägerin steht auch § 56 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm Abs 4 Nr 2 SGB VI nicht entgegen. Nach § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI werden Elternteile ua dann von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen, wenn sie während der Erziehungszeit von der Versicherungspflicht befreit waren. Insoweit kommt es, wie bei den übrigen Anrechnungsvoraussetzungen nach § 56 Abs 1 SGB VI, auf die Verhältnisse während der Zeit der Erziehung des Kindes an; diese ist durch das Gesetz auf den Zeitraum der ersten 36 Monate nach seiner Geburt begrenzt, ggf jedoch nach § 56 Abs 5 Satz 2 SGB VI zu verlängern, wenn - wie auch im vorliegenden Fall - während der Kindererziehungszeit für ein Kind vom erziehenden Elternteil weitere Kinder erzogen werden. Im Ergebnis ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin jedenfalls bis zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung (am 30.8.2006) nicht iS des § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit war.

aa) Eine solche Befreiung folgt nicht bereits daraus, dass die Beklagte die Klägerin auf ihren Antrag mit Bescheid vom 12.2.1992 zum 1.11.1991 gemäß § 7 Abs 2 AVG von der Versicherungspflicht befreit hatte. Wie bereits vom 12. und vom 5. Senat des BSG zu gleichartigen Bescheiden entschieden, liegt die rechtliche Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X (Verfügungssatz) dieses Bescheids allein in der Befreiung von der Versicherungspflicht und der Bestimmung ihres Beginns (BSG 5. Senat vom 22.10.1998, BSGE 83, 74, 76 f = SozR 3-2600 § 56 Nr 12 mwN zur Rechtsprechung des 12. Senats).

Die im Befreiungsbescheid ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht erstreckte sich demgemäß von vornherein nicht auf den Zeitraum ab 25.8.2000, in dem die Klägerin (nach ihren Angaben: bis Februar 2001) nicht berufstätig war. Denn insoweit sind, weil die Übergangsvorschriften des § 231 SGB VI im vorliegenden Fall nicht einschlägig sind, die Befreiungsvoraussetzungen des zum 1.1.1992 in Kraft getretenen SGB VI maßgebend; nach § 6 SGB VI aber erfasst eine Befreiung von der Versicherungspflicht keine Zeiten der Nichtbeschäftigung.

Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB VI werden - unter weiteren Voraussetzungen - von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen derer sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind; nach § 6 Abs 5 SGB VI ist die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt.

Auf dieser Grundlage aber war die Klägerin für den Zeitraum ihrer Nichtbeschäftigung (nach ihren Angaben vom 25.8.2000 bis Februar 2001) nicht iS des § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI "von der Versicherungspflicht befreit", weil sie in dieser Zeit gerade nicht - weder als Apothekerin noch außerhalb ihres Berufes - beschäftigt war; damit entfiel von vornherein die tätigkeitsbezogene Befreiung von der Versicherungspflicht (s hierzu im Einzelnen BSG 5. Senat vom 22.10.1998, BSGE 83, 74, 77 f mwN = SozR 3-2600 § 56 Nr 12).

bb) Nichts anderes gilt jedoch für die folgende Zeit. Während dieser war sie mit 2,5 Stunden/ Woche als Teilzeitmitarbeiterin einer Apotheke tätig (insoweit auch vom LSG festgestellt); nach eigenem Vortrag in geringfügiger Beschäftigung. Da hierzu keine tatsächlichen Feststellungen des LSG vorliegen, kann der Senat nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI iVm § 8 Abs 1 Nr 1 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch erfüllt waren.

Auch dann jedoch, wenn die Klägerin ab März 2001 (ganz oder zeitweise) mehr als nur geringfügig als Apothekerin beschäftigt gewesen wäre, wäre sie in verfassungskonformer Auslegung des § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI so zu behandeln, als wäre sie nicht iS dieser Vorschrift von der Versicherungspflicht befreit (gewesen). Der erkennende Senat schließt sich im Ergebnis dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 18.10.2005 (SozR 4-2600 § 56 Nr 3) an.

§ 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass er der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung bei dem Personenkreis der Klägerin nicht entgegensteht, wenn diese Zeiten in der berufsständischen Versorgung nicht annähernd gleichwertig berücksichtigt werden. Der Ausschluss der Anrechenbarkeit von Kindererziehungszeiten für wegen Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung an sich von der Versicherungspflicht Befreite (§ 56 Abs 4 Nr 2 iVm § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) hält der verfassungsrechtlichen Prüfung anhand des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes <GG>) nur für den Fall stand, dass auch während der Erziehungszeit ein prinzipiell gleichwertiger Schutz durch eine berufsständische Versorgungseinrichtung besteht. Nur dann besteht eine Doppelversorgung, die diesen Ausschluss rechtfertigt. Wegen der Unterschiedlichkeit der Versorgungssysteme ist nicht auf eine gleichartige, jedoch auf eine im Wesentlichen gleichwertige Berücksichtigung der Kindererziehung bei der einschlägigen berufsständischen Versorgung abzustellen.

Dass Letzteres bei der Klägerin nicht gegeben ist, hat das LSG aufgrund einer Auskunft des Versorgungswerks der Landesapothekerkammer Hessen sowie der entsprechenden Satzung festgestellt. Hiernach werden Mitglieder des Versorgungswerks für den Zeitraum der Elternzeit beitragsfrei gestellt und Elternzeiten bei der Berechnung einer etwaigen Berufsunfähigkeitsrente ausgeklammert; hingegen erfolgt keine Anrechnung der Elternzeit bei der Altersrentenanwartschaft. Damit aber reichen die Kompensationen, die die für die Klägerin zuständige berufsständische Versorgungseinrichtung für die Nachteile gewährt, die der erziehende Elternteil (hier - wie meist - die Mutter) in seiner Alters- und Invaliditätssicherung typischerweise hinnehmen muss, nicht an die Absicherung entsprechender Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung heran.

Die entsprechenden Diskrepanzen waren bereits Gegenstand des Beschlusses des BVerfG vom 5.4.2005 (BVerfGE 113, 1 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 30). Hierin hat das BVerfG jedoch lediglich entschieden, dass es mit Art 3 Abs 2 GG nicht vereinbar ist, wenn Mitglieder eines berufsständischen Versorgungswerks nicht von der Beitragspflicht freigestellt werden, wenn diese wegen Kindererziehung bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes ohne Einkommen sind. Das BVerfG hatte hingegen nicht zu klären, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen Kindererziehung in der berufsständischen Versorgung, ähnlich wie in der gesetzlichen Rentenversicherung, auch zu höheren Rentenleistungen führen muss. Denn die Beschwerdeführerin des damaligen Verfahrens erstrebte lediglich die Beitragsfreiheit für derartige Zeiten zum Erhalt von Anwartschaften (BVerfGE 113, 1, 21).

In diesem Zusammenhang ergibt sich jedoch nach Auffassung des erkennenden Senats ein weiteres, bedeutsames Argument dafür, im Ergebnis der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG zu folgen:

Bereits aus Anlass des damals vor dem BVerfG anhängigen Verfahrens sowie dessen Entscheidung war zu Recht darauf hingewiesen worden, dass der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der berufsständischen Versorgung bisher der Umstand entgegenstand, dass dort - anders als nach § 177 Abs 1 SGB VI (idF des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998, BGBl I 3843 mit Wirkung ab 1.6.1999) in der gesetzlichen Rentenversicherung - die entsprechenden Beiträge nicht vom Bund gezahlt werden (Fuchsloch/Schuler-Harms, NJW 2004, 3065, 3070 ff; U. Kirchhoff/Kilger, NJW 2005, 101, 104 f; Wallrabenstein, NJW 2005, 2426, 2427; Pötz-Neuburger, Streit 2006, 44, 45; s auch Papier, AnwBl 2007, 97, 102). Auf dieser Grundlage ist wiederum nachvollziehbar, dass sich die Versorgungswerke bisher nicht insgesamt dazu entschlossen haben, eine der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare Regelung über die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten zu schaffen. Dies würde nach der gegenwärtigen Rechtslage einen Solidarbeitrag ihrer eigenen Mitglieder voraussetzen, obwohl diese durch ihre Steuern bereits zur Finanzierung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung beitragen.

Steht jedoch den berufsständischen Versorgungseinrichtungen nicht in entsprechender Weise wie der gesetzlichen Rentenversicherung ein Ausgleich aus Bundesmitteln für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten zu, so folgt auch hieraus die Pflicht der Gerichte, die Vorschrift des § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI verfassungskonform so auszulegen, dass jedenfalls der der Klägerin entsprechende Personenkreis für die Kindererziehungszeiten weiterhin in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert ist. Damit wird eine sonst erforderliche Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG an das BVerfG vermieden, mit der zu rügen wäre, dass der Gesetzgeber entgegen Art 3 Abs 1 iVm Art 3 Abs 2 und Art 6 Abs 1 GG für die berufsständischen Versorgungseinrichtungen keine dem § 177 Abs 1 SGB VI entsprechende Beitragsregelung geschaffen hat. Als eine der Verfassung entsprechende Lösung dieser Ausgangslage hat bereits die Literatur, neben der Einführung einer Beitragspflicht des Bundes auch für kindererziehende Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke, die Schaffung eines eigenen Rentenanspruchs dieser Mitglieder in der gesetzliche Rentenversicherung diskutiert (U. Kirchhoff/Kilger, NJW 2005, 101, 105 f; Fuchsloch/Schuler-Harms, NJW 2004, 3065, 3072). Diese Lösung aber lässt sich, anders als die Beitragspflicht des Bundes, bereits durch eine - verfassungskonforme - einschränkende Auslegung des § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI erzielen. Sie ist daher selbst dann geboten, wenn man (wie der Senat) die Einführung einer Beitragstragung des Bundes auch in der berufsständischen Versorgung für sachgerechter hielte, weil nur sie die Systeme sauber voneinander trennen und damit gewährleisten würde, dass alle der Alters- und Invaliditätsversorgung dienenden Beiträge und Zeiten bei einem Leistungsträger zusammenkommen (vgl Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 56 RdNr 99, Stand 2008, iVm Klattenhoff, aaO § 6 RdNr 13, Stand 2005). Nur so könnten im Übrigen auch Berechtigte mit lediglich einem Kind aufgrund der Kindererziehung in den Genuss höherer Leistungen kommen; denn bei Fehlen sonstiger Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung wird nur aufgrund der Erziehung von mindestens zwei Kindern die allgemeine Wartezeit (§ 50 Abs 1 SGB VI) erfüllt.

Gegen das vom Senat gewonnene Ergebnis sprechen schließlich nicht die beiden im Wesentlichen gleichlautenden Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 4.12.2006 (1 BvR 1953/02 = NJW 2007, 1446 f und 1 BvR 2481/06, Juris), mit denen Verfassungsbeschwerden von Rechtsanwälten nicht zur Entscheidung angenommen wurden, die die Erziehung von Kindern bei der Festsetzung der Beiträge zu der jeweiligen berufsständischen Versorgungseinrichtung berücksichtigt wissen wollten. Die Beschlüsse lassen weder erkennen, dass sie die im vorliegenden Urteil behandelte Rechtsfrage mit entscheiden wollten, noch dass der Kammer das Urteil des 4. Senats des BSG vom 18.10.2005 (SozR 4-2600 § 56 Nr 3) bekannt war, geschweige denn, dass sie dazu Stellung nehmen wollte.

c) Die Revision wendet gegen das vom Senat bestätigte Auslegungsergebnis des LSG ein, es sei kaum möglich, Kindererziehungsleistungen der berufsständischen Versorgung mit denen der gesetzlichen Rentenversicherung zu vergleichen, weil dies vom beruflichen Werdegang des Einzelnen bis zur Berentung abhänge. Dies ist jedoch kein Argument gegen die Verfassungswidrigkeit der auch im fehlenden Bundesbeitrag für die Versorgungsträger zum Ausdruck kommenden Ungleichbehandlung ihrer Mitglieder. Entsprechendes gilt für den Einwand, dass zwar beim Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung der "generative Beitrag", den ein Kinder erziehender Versicherter neben seinem finanziellen Beitrag leiste, von existenzieller Bedeutung für den Erhalt des Systems sei; dies gelte jedoch für das offene Deckungsverfahren der berufsständischen Versorgung nicht, auch wenn dieses auf ständigen Neuzugang angewiesen sei. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder von Mitgliedern der Versorgungswerke schließlich durch ihre Beiträge zum Erhalt der gesetzlichen Rentenversicherung beitragen, dürfte kaum signifikant geringer sein als für die Kinder von gesetzlich Rentenversicherten. Die unerwünschte Vermengung von Einzelleistungskomponenten verschiedener Sicherungssysteme schließlich lässt sich bei der den Gerichten allein zur Verfügung stehenden Korrekturmöglichkeit der festgestellten Verfassungswidrigkeit, nämlich der der verfassungskonformen Auslegung des § 56 Abs 4 Satz 2 SGB VI, nicht vermeiden.

2. Das LSG hat die Beklagte zu Recht auch zur Anerkennung von Berücksichtigungszeiten verpflichtet.

a) Nach § 57 SGB VI ist die Zeit der Erziehung bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr des Kindes bei dem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit vorliegen. Ebenso wie der 4. Senat (SozR 4-2600 § 56 Nr 3, dort nicht näher ausgeführt) sieht auch der erkennende Senat keinen Anlass, bei der verfassungskonformen Auslegung des § 56 Abs 4 Satz 2 SGB VI zwischen dessen unmittelbarer Anwendung (für die Kindererziehungszeiten) einerseits und andererseits der Verweisung auf "die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit" für die Berücksichtigungszeit nach § 57 SGB VI zu differenzieren.

Zwar beruhen die Rechtsfolgen, die in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Erfüllung der Voraussetzungen einer Berücksichtigungszeit zustehen (zB § 43 Abs 4 Nr 2; § 54 Abs 1 Nr 3 iVm § 70 Abs 3a; §§ 71 bis 73; §§ 78, 78a SGB VI), nicht mehr unmittelbar auf der Beitragsleistung des Bundes für die Kindererziehungszeiten; außerdem werden die sich hieraus ergebenden Vorteile solchen Personen allenfalls teilweise zugutekommen können, die, wie die Klägerin, ihre Invaliditäts- und Alterssicherung hauptsächlich auf eine berufsständische Versorgung stützen. Dennoch spricht bereits der Aspekt der Vermeidung einer weiteren Komplizierung der Rechtslage dafür, zugunsten dieses Personenkreises nicht nur Kindererziehungszeiten anzuerkennen, sondern auch die entsprechenden Berücksichtigungszeiten. Wenn dies zu keiner wesentlichen weiteren Verbesserung der Absicherung führt, so hält sich auch die damit verbundene zusätzliche Belastung der gesetzlichen Rentenversicherung in engen Grenzen.

b) Ob die Berücksichtigungszeit am Tag der Geburt des Kindes (hier: 24.8.2000) oder am Tag danach beginnt, ist im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zu entscheiden, weil die Klägerin gegen das Berufungsurteil (Beginn der Berücksichtigungszeit: 25.8.2000) kein Rechtsmittel eingelegt hat.

3. Die Tenorierung des Berufungsurteils bedarf, wie aus der Maßgabe im Entscheidungssatz des vorliegenden Urteils ersichtlich, einer Einschränkung: Das LSG hat die Beklagte ua verpflichtet, "bei der Klägerin ab 01.09.2000 neun Jahre Kindererziehungszeiten" anzuerkennen, hingegen die ebenso ausgesprochene Verurteilung zur Anerkennung von Berücksichtigungszeiten auf den Zeitraum vom 25.8.2000 "zunächst bis 30.08.2006" (dem Tag der Entscheidung durch das LSG) beschränkt. Denn letztere Einschränkung hätte auch hinsichtlich der Kindererziehungszeiten ausgesprochen werden müssen.

34 Hinsichtlich der Berücksichtigungszeiten hat das LSG darauf abgestellt, dass nicht für die Zukunft feststellbar sei, ob die Klägerin auch weiterhin die Kinder erziehen werde. Für die Kindererziehungszeiten ist dies zwar nicht mehr relevant, denn insoweit kommt es lediglich auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes an (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VI), die hier (für den jüngsten am 22.2.2002 geborenen Sohn) bereits 2005 abgelaufen sind. Jedoch kann generell keine Verurteilung zur Anerkennung (Feststellung, Vormerkung) in der Zukunft liegender rentenrechtlicher Zeiten erfolgen. Denn dies setzt zumindest voraus, dass der Versicherte in dieser Zeit noch lebt, was ebenfalls nicht feststellbar ist.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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