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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 20.07.2005
Aktenzeichen: B 13 RJ 29/04 R
Rechtsgebiete: SGB VI, SGG


Vorschriften:

SGB VI aF § 43 Abs 1
SGG § 103
SGG § 128 Abs 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 20. Juli 2005

Az: B 13 RJ 29/04 R

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Steinwedel, die Richter Dr. Fichte und Dr. Terdenge sowie den ehrenamtlichen Richter Freiherr Grote und die ehrenamtliche Richterin Farlock

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. Mai 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen ihre Verurteilung zur Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) gemäß § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (SGB VI aF).

Der 1945 geborene Kläger mazedonischer Abstammung arbeitete nach Tätigkeiten in Österreich als Rangierer bei der Stadtbahn, Arbeiter in einem Kabellager sowie im Zementbruch und Bauhilfsarbeiter seit November 1972 als Rangierarbeiter bei der Deutschen Bundesbahn. Ab Januar 1982 wurde der Kläger in Beamtentätigkeiten beschäftigt und ab 1. Juli 1986 nach Lohngruppen für Beamtentätigkeiten entlohnt, zuletzt nach der Lohngruppe CB II a 4 des bis zum 31. Dezember 1993 gültigen Tarifvertrags für die Deutsche Bundesbahn (LTV-DB). Ab 1. Januar 1994 (Umwandlung der Deutschen Bundesbahn in die Deutsche Bahn AG) war er nach dem neu geschaffenen "Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bahn AG" (ETV) der dortigen Entgeltgruppe E 7 zugeordnet.

Seit dem 27. März 1996 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Bis zum 23. September 1997 bezog er Krankengeld, anschließend Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.

Den im August 1996 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen BU, in welchem er seine berufliche Tätigkeit als die eines "Rangierarbeiters" bezeichnete, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 4. März 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. August 1997 ab, weil der Kläger nach ärztlicher Feststellung zwar nicht mehr als Rangierarbeiter arbeiten könne, für leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung - auch überwiegend im Sitzen, Gehen oder Stehen - in geschlossenen Räumen zu ebener Erde aber vollschichtig einsetzbar sei. Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf die Gewährung von Rente wegen BU beschränkt. Ein Vergleichsangebot der Beklagten, wonach ihm Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer nach einem Leistungsfall vom 26. Februar 2001 (Tag der Untersuchung durch den Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. K. ) gewährt werden sollte, hat er abgelehnt.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte in Abänderung der vorgenannten Bescheide zur Gewährung von Rente wegen BU nach einem Leistungsfall der BU vom 1. August 1996 verurteilt (Urteil vom 11. April 2002). Es hat dem Kläger als Rangierleiter Facharbeiterschutz zuerkannt und ausgeführt, dass sozial zumutbare andere Facharbeiter- oder Anlerntätigkeiten, die er noch ausüben könne, nicht ersichtlich seien.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 5. Mai 2004 zurückgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Ab 1. Januar 1994 sei ein Rangierleiter der Entgeltgruppe E 6 ETV zugeordnet gewesen. Für die Bewertung der konkret ausgeübten Tätigkeit des Klägers komme es auf die Fassung dieses fachlich und räumlich einschlägigen Tarifvertrags an, der zum Zeitpunkt der Beendigung seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung gegolten habe. Der ETV weise eine im Entgeltgruppenverzeichnis nach Qualitätsstufen gegliederte Grundstruktur auf, die sich in das Mehrstufenschema einordnen lasse. Da die Entgeltgruppe E 6 nach ihrer allgemeinen Definition "eine abgeschlossene Berufsausbildung mit einer Regelausbildungsdauer von weniger als zweieinhalb Jahren" voraussetze, handele es sich bei ihr um eine Facharbeitergruppe. Die Tätigkeit eines Rangierleiters werde zwar nicht in der Tarifgruppe E 6 selbst, aber bei den Richtbeispielen genannt. Hätte der Kläger am letzten Tag seiner Tätigkeit seine Arbeit erstmalig aufgenommen, wäre er dieser Entgeltgruppe zuzuordnen gewesen.

Denn der Kläger sei im Hauptberuf Rangierleiter. Selbst wenn er in der Zeit bis einschließlich 1988 nicht sämtliche der ca 220 durchschnittlich jährlich anfallenden Arbeitsschichten als Rangierleiter absolviert haben sollte und sich die geringere Schichtzahl auch nicht durch Krankheitszeiten erklären lasse, rechtfertige dies nicht die Annahme, der Kläger habe überwiegend unterwertige Tätigkeiten verrichtet. Zwar könnten wegen zwischenzeitlicher Vernichtung der Lohnlisten keine näheren Feststellungen zum Umfang und zur Art der Arbeitseinsätze getroffen werden; jedoch gebe es "wegen Fehlens einer Lohnsicherung" keinen Anhalt für eine überwiegend unterwertige Beschäftigung. Auch der Umstand, dass der Kläger zeitweise aus gesundheitlichen Gründen die Tätigkeit als Rangierarbeiter wieder verrichtet habe (im Jahre 1988), spreche neben der Zuweisung der Arbeit und der Entlohnung dafür, dass die Rangierleitertätigkeit die ständige, jedenfalls aber überwiegende Arbeit dargestellt habe.

Seine bisherige Berufstätigkeit als Rangierleiter könne der Kläger nicht mehr ausüben. Zumutbare Tätigkeiten als Facharbeiter oder Angelernter seien nicht ersichtlich. Der Kläger könne lediglich noch ungelernte Tätigkeiten bzw solche mit einer Anlernzeit von unter drei Monaten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 43 Abs 1 SGB VI aF und macht als Verfahrensfehler einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) sowie eine Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) geltend. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Für die Bestimmung des bisherigen Berufs sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf die in der Regel letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit abzustellen (stRspr; zB Senatsurteil vom 25. August 1993 - 13 RJ 25/92 - veröffentlicht bei Juris mwN). Dabei habe sich das LSG nicht hinreichend damit auseinander gesetzt, dass beim Kläger ein Wechsel zwischen qualitativ höherwertigen (Rangierleiter) und geringerwertigen Tätigkeiten (Rangierarbeiter) stattgefunden habe. Vielmehr sei das LSG ohne entsprechenden Nachweis davon ausgegangen, dass tatsächlich die überwiegende Anzahl der 220 Schichten pro Jahr als Rangierleiter gearbeitet worden sei. Von der Beiziehung der Lohnlisten habe zwar wegen zwischenzeitlicher Vernichtung kein Gebrauch gemacht werden können; das LSG hätte jedoch entsprechend ihrem - der Beklagten - Antrag langjährige Mitarbeiter der Personalstelle vernehmen können. Dies wäre notwendig gewesen, um tatsächlich von einer evtl überwiegenden Beschäftigung als Rangierleiter ausgehen zu können, welche auch wettbewerbsfähig ausgeübt worden sei. Ein Absehen von der Zeugenvernehmung aufgrund schriftlicher Befragung sei ungenügend, weil nicht bekannt sei, ob die Beantwortung der Fragen durch einen dienstälteren Personalbeamten sichergestellt worden sei.

Dieser Mangel bei der Sachaufklärung habe Konsequenzen bei der Ermittlung der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Denn das LSG führe aus, dass eine Zuordnung zur Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters aufgrund der zurückgelegten Ausbildung nicht in Betracht komme. Das Ablegen einer vergleichbaren bahninternen Prüfung sei zweifelhaft, weil hierfür neben einem mündlichen auch ein schriftlicher Prüfungsanteil erforderlich sei. Aus dem medizinischen Gutachten des Dr. F. vom 18. September 1998 (S 71 des Medizinischen Gutachtenheftes der Verwaltungsakte) gehe aber hervor, dass der Kläger die deutsche Sprache zwar lesen, nicht aber schreiben könne. Diesem Widerspruch sei das LSG nicht nachgegangen. Dahingehende Ermittlungen seien aber notwendig gewesen, weil ein Bestehen der Verwendungsprüfung Grundlage für die "tarifvertragliche" Einstufung sei. Auf diesem Verfahrensfehler beruhe das Urteil des LSG, weil es von einem ordnungsgemäßen Bestehen der Prüfung zum Rangierleiter ausgegangen sei.

Weiterhin habe das LSG die Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen M. in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 3. Mai 2001 zugrunde gelegt, obwohl sie, die Beklagte, auf Widersprüche und Verwechslungen in dessen Ausführungen hingewiesen habe (Schriftsatz vom 23. Juli 2002). Die Ausführungen seien unvollständig bzw unzutreffend; unberücksichtigt geblieben sei, dass die in der Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1994 vorgenommenen Eingruppierungen in das Tarifsystem der Deutschen Bahn AG nicht die Wertigkeit der bewerteten Stelle wiedergegeben hätten, sondern aufgrund der tarif- und arbeitsvertraglichen Besitzstandswahrung erfolgt seien. Kein Arbeitnehmer habe finanzielle Einbußen erleiden sollen. Soweit nicht 50 % der bisherigen Aufgaben weggefallen seien, sei die Einstufung in die Vergütungsgruppe erfolgt, die dem bisherigen Verdienst am nächsten gekommen sei, wobei der Differenzbetrag durch eine persönliche Zulage ausgeglichen worden sei. Damit sei keine tatsächliche Aussage zu der Wertigkeit des Dienstpostens erfolgt. Vielmehr habe es sich um eine Sondereinstufung für die Übergangsphase vom öffentlichen Dienst durch Privatisierung des Unternehmens gehandelt.

Selbst wenn aber mit dem LSG davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger als Rangierleiter eingesetzt worden sei, verkenne das LSG, dass es sich bei der Tarifgruppe E 6 um eine Mischlohngruppe handele und die Zuordnung zu dieser Gruppe nicht zwingend mit einer Anerkennung als Facharbeiter verbunden sei. Das LSG habe es bereits versäumt, die konkreten Aufgaben eines Rangierleiters zu ermitteln. Inwieweit der Kläger in der Lage gewesen sei, Aufgaben eines Rangierleiters vollwertig und wettbewerbsfähig zu verrichten, ohne selber deutsch schreiben zu können, könne daher nicht bestimmt werden. Schließlich sei eine "tarifvertragliche" Zuordnung durch den Arbeitgeber widerlegbar (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 22). Die bloße Ausübung von Facharbeitertätigkeiten in einem Teilbereich eines Ausbildungsberufs reiche für die Einstufung als Facharbeiter nicht aus. Gerade in Fällen von Berufstätigkeiten, für die kein Ausbildungsgang nach dem Berufsbildungsgesetz bestehe, sei die "tarifvertragliche" Einordnung zwar ein wichtiger Anhaltspunkt, nicht aber allein ausschlaggebend (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 12).

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. Mai 2004 sowie des Sozialgerichts Hamburg vom 11. April 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus: Eine Trennung von Tätigkeiten eines Rangierarbeiters und eines Rangierleiters danach, ob eine "überwiegende Anzahl der 220 Schichten pro Jahr als Rangierleiter gearbeitet worden sei", gebe es nicht. Aus der Bezeichnung "Rangierarbeiter" könne nicht auf die Wertigkeit einer Tätigkeit geschlossen werden, weil allein die übertragene "ständige Beschäftigung" einen solchen Aufschluss über die Art und vor allem die Wertigkeit einer Tätigkeit gebe (§ 2 LTV-DB).

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung an den Kläger beruht auf einem von der Beklagten gerügten Verfahrensfehler. Das LSG hat gebotene Möglichkeiten zur Sachverhaltsermittlung nicht ausgeschöpft und damit § 103 SGG verletzt.

Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen BU richtet sich noch nach § 43 SGB VI aF, weil er den Rentenantrag im August 1996 gestellt hat und eine Rentengewährung ab 1. September 1996 streitig ist (§ 300 Abs 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI aF sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter den besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Verweisungstätigkeiten).

Ausgangspunkt der Beurteilung der BU ist danach der bisherige Beruf. Darunter ist im Allgemeinen diejenige versicherungspflichtige Beschäftigung zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, dh mit dem Ziel verrichtet worden ist, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn sie die qualitativ höchste ist (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 158; SozR 3-2200 § 1246 Nr 56, 61 mwN). Nach diesen Grundsätzen ist das LSG davon ausgegangen, Hauptberuf des Klägers sei der eines Rangierleiters bei der Deutschen Bahn AG. Dem kann der Senat jedoch auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht folgen.

Die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente wegen BU gemäß § 43 SGB VI aF nach einem Leistungsfall der BU vom 1. August 1996 beruht vielmehr auf der von der Beklagten gerügten Verletzung des § 103 SGG.

Die Rechtsprechung des BSG zur BU iS von § 43 SGB VI aF (bzw § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung <RVO>) hat die Berufe der Versicherten nach ihrer Wertigkeit in verschiedene Gruppen eingeteilt. Die jeweilige Einstufung in dieses Prüfungsmuster bestimmt die Berufstätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen werden kann. Die von der Rechtsprechung hierfür zugrunde gelegten Berufsgruppen sind, ausgehend von der Bedeutung, die die Ausbildung für die Qualität eines Berufes hat, nach Leitberufen gebildet worden. Sie sind charakterisiert durch den Beruf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters. Hierbei handelt es sich lediglich um Leitberufe. Aus der Dauer der Ausbildung schließt man und hält es für gewiss, dass die Kenntnisse und Fertigkeiten, die zu vermitteln sind, diese Lehrdauer benötigen und entsprechend umfangreich sind (vgl BSG vom 18. Januar 1995 - 5 RJ 18/94 - SozVers 1996, 49, veröffentlicht auch bei Juris, mwN). Im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf darf der Versicherte grundsätzlich auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 140 und 143; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 5 und 61).

Ausschlaggebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer dieser Gruppen sind jedoch nicht allein die Ausbildung, sondern die Qualitätsanforderungen der verrichteten Arbeit insgesamt, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren ermittelte Wert der Arbeit für den Betrieb auf der Grundlage der in § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI aF (§ 1246 Abs 2 Satz 2 RVO) am Ende genannten Merkmale der Dauer und des Umfangs der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit ("Gesamtbild"; hierzu im Einzelnen BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 1 RdNr 7 bis 12 mwN). Neben Art und Dauer der Ausbildung ist für die Bewertung einer Tätigkeit auch auf den ihr von den Tarifvertragsparteien beigemessenen qualitativen Wert abzustellen, wenn sich eine Einstufung als Facharbeiter - wie hier - nicht bereits aus der durchlaufenen Ausbildung ergibt und auch nicht festgestellt werden kann, dass die Tätigkeit theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten in einem Umfang voraussetzt, die von einem Facharbeiter in regulärer Ausbildung und längerer Berufstätigkeit erworben werden. Aufgrund ihrer Einordnung in Tarifnormen kann eine Tätigkeit, die nicht diese Ausbildungsdauer erfordert, dennoch einer gelernten oder angelernten gleichstehen.

Hierbei kommt den tariflichen Regelungen unter zwei Gesichtspunkten besondere Bedeutung zu. Zu unterscheiden ist die abstrakte - "tarifvertragliche" - Klassifizierung der Tätigkeit (iS eines verselbständigten Berufsbildes) innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrags (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 46, 111, 116, 122, 123, 164) von der - "tariflichen" - Eingruppierung des Versicherten in eine bestimmte Tarifgruppe des jeweiligen Tarifvertrags durch den Arbeitgeber (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 168, 169; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 22). Soweit die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Berufsart im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die tarifvertragliche Einstufung der einzelnen in der Tarifgruppe genannten Tätigkeiten auf deren Qualität beruht; denn die Tarifparteien als unmittelbar am Arbeitsleben Beteiligte nehmen relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vor, die den Anforderungen auch des Mehrstufenschemas und der Qualität des Berufs in Bezug auf die in § 43 Abs 2 SGB VI aF (§ 1246 Abs 2 RVO) genannten Merkmale entspricht (vgl BSGE 68, 277, 281 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 14; BSGE 70, 56 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 21).

Diese "Tarifrechtsprechung" des BSG basiert auf der Überlegung, dass das Gesetz auf die in der Gesellschaft vorhandenen Wertvorstellungen verweist, wenn es in § 43 Abs 2 SGB VI (so wie bereits zuvor in § 1246 Abs 2 RVO) von der "Zumutbarkeit" einer Beschäftigung spricht, und dass die damit angesprochene soziale Wirklichkeit insbesondere von den Tarifvertragsparteien nicht bloß wiedergeben, sondern erst geschaffen wird. Diese in die Auslegung des § 1246 Abs 2 RVO bzw des § 43 Abs 2 SGB VI einbezogene Erkenntnis erlaubt es, gesellschaftliche Entwicklungsprozesse und einen Wandel der sie begleitenden Wertungen zu berücksichtigen (vgl hierzu sowie allgemein Senatsurteil vom 27. Februar 1997, SozR 3-2600 § 43 Nr 15 mwN).

Demgemäß lässt die abstrakte (tarifvertragliche) Einordnung einer bestimmten Berufstätigkeit in eine Tarifgruppe, in der auch Facharbeiter eingeordnet sind, in der Regel den Schluss zu, dass diese Berufstätigkeit im Geltungsbereich des Tarifvertrags als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist (vgl BSG vom 18. Januar 1995 - 5 RJ 18/94 - SozVers 1996, 49). Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten lediglich dann, wenn die Einstufung durch qualitätsfremde Merkmale bestimmt ist (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 101, 123; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 13, 22).

Maßgeblich für die Qualität einer Tätigkeit ist - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - deren letzte tarifvertragliche Zuordnung, also die Fassung des fachlich und räumlich einschlägigen Tarifvertrags, die zum Zeitpunkt der Beendigung der betreffenden versicherungspflichtigen Beschäftigung gegolten hat. Nur diese kann den Wert widerspiegeln, den die zuletzt tatsächlich verrichtete Arbeit für den Betrieb hatte (vgl Senatsurteile vom 23. Mai 1995 - 13 RJ 65/94 - veröffentlicht bei Juris und vom 27. Februar 1997 - 13 RJ 5/96 - SozR 3-2600 § 43 Nr 15 S 52).

Die Tätigkeit des Klägers bestimmt sich mithin nach dem mit Überleitung der Deutschen Bundesbahn in die Deutsche Bahn AG geschaffenen ETV. Dieser Tarifvertrag, der bundesweit gilt und damit revisibles Recht iS des § 162 SGG enthält (vgl BSG vom 13. Dezember 2000 - B 5 RJ 28/99 R - veröffentlicht bei Juris), ist nach Qualitätsstufen geordnet: Während nach der Anlage 1 des Entgeltgruppenverzeichnisses des ETV die Entgeltgruppe E 3 lediglich Vorkenntnisse im Aufgabengebiet und aufgabenbezogene Fertigkeiten voraussetzt, werden zur Ausführung der Tätigkeiten der Entgeltgruppe E 4, der der "Rangierer" zugeordnet ist, schon eine abgeschlossene Berufsausbildung mit einer Regelausbildungsdauer von weniger als zweieinhalb Jahren oder Fachkenntnisse und Fertigkeiten, die durch entsprechende betriebliche Ausbildung erworben wurden, gefordert. Hieran anschließend verlangt die Entgeltgruppe E 5 Fachkenntnisse, berufliche Erfahrungen oder Arbeitsinhalte, die über das in E 4 Geregelte hinausgehen. Die Entgeltgruppe E 6 schließlich setzt nach ihrer Definition voraus, dass Tätigkeiten ausgeübt werden, die zu ihrer Ausführung einer erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungsdauer von mindestens zweieinhalb Jahren bedürfen oder entsprechend betrieblich erworbene Fachkenntnisse und Fertigkeiten verlangen. In den Richtbeispielen (Regelbeispielen) wird ausdrücklich der Rangierleiter genannt.

Bei der Gruppe E 6 handelt es sich somit um eine Facharbeiter-Entgeltgruppe. Unabhängig vom heutigen Ausbildungsgang eines Rangierleiters auf der Grundlage der Ausbildung des "Eisenbahners im Betriebsdienst" (EiB), die erst im Jahre 1997 eingeführt wurde (Verordnung über die Berufsausbildung zum Eisenbahner im Betriebsdienst/zur Eisenbahnerin im Betriebsdienst vom 2. April 1997, BGBl I 752), wurden bereits ab 1. Januar 1994 Rangierleiter nach dem Willen und der maßgeblichen qualitativen Einschätzung der Tarifpartner den Facharbeitern also gleichgestellt (zur Rolle der Richtbeispiele s das Senatsurteil vom 19. Juni 1997 - 13 RJ 93/96, veröffentlicht bei Juris, sowie aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Urteil vom 8. Februar 1984, BAGE 45, 121, 125 f). Dass für eine solche tarifvertragliche Zuordnung des Rangierleiters grundsätzlich qualitätsfremde Merkmale maßgebend waren, kann dem Tarifwerk nicht entnommen werden. Die Aufgabe einer Entgeltsicherung bei der Umstellung von den zuvor geltenden tarifvertraglichen Regelungen kam nicht dem ETV, sondern dem "Tarifvertrag über die Ersteingruppierung für die zur DB AG übergeleiteten Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer" (ErsteingruppierungsTV) zu. Damit handelt es sich bei dem der Tarifgruppe E 6 abstrakt (tarifvertraglich) zugeordneten Rangierleiter um einen Facharbeiter, auch wenn im Einzelnen die für eine Einstufung als Facharbeiter geforderte regelmäßige Ausbildung von über zwei Jahren (vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 15; Senatsurteil vom 21. Juni 2001 - B 13 RJ 45/00 R - veröffentlicht bei Juris) nicht absolviert worden ist.

Daneben ist jedoch auch die tarifliche (konkrete) Zuordnung des einzelnen Versicherten durch den Arbeitgeber zu prüfen. Sie ist - wie oben bereits angesprochen - Anhaltspunkt dafür, dass die vom Versicherten ausgeübte Tätigkeit in ihrer Wertigkeit der Berufs- und Tarifgruppe entspricht, nach der er bezahlt wird. Dies ist in der Rechtsprechung des BSG mitunter als "Indiz" oder "Anhalt" bezeichnet worden. Die Richtigkeit dieser Eingruppierung kann aber durchaus "widerlegt" werden (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 14 mwN). Das heißt: Die Eingruppierung kann als unrichtig erkannt werden. Die Richtigkeit der Einstufung wird dadurch "widerlegt", dass die Einordnung des Versicherten in die Tarifgruppe anhand der hierin geregelten Merkmale einerseits und der Tatsachen andererseits geprüft wird, deren Feststellung diese Merkmale fordern. Rechtfertigen die tatsächlichen Feststellungen die Einordnung in die Tarifgruppe nicht, so steht fest, dass der Arbeitgeber die Einordnung in die Tarifgruppe zu Unrecht vorgenommen hat oder dass er Gründe gehabt hat, die jedenfalls nicht qualitativer Art sind (vgl BSG vom 18. Januar 1995 - 5 RJ 18/94 - SozVers 1996, 49).

Vorliegend hat die Beklagte den Kläger tariflich (konkret) der Tarifgruppe E 7 zugeordnet. Da das LSG offen gelassen hat, ob für diese Entlohnung auch qualitätsfremde Merkmale eine Rolle gespielt haben, hat diese Zuordnung bei der Bestimmung der Wertigkeit der verrichteten Arbeit außer Betracht zu bleiben. Mit dem LSG ist daher die tarifliche Zuordnung des Klägers zur Tarifgruppe E 6 zu prüfen. Hierzu fehlen Feststellungen des Berufungsgerichts.

Zunächst ist zu prüfen, ob der Kläger bereits die formellen Voraussetzungen für eine Vergütung als Rangierleiter erfüllt. Nach den vom LSG beigezogenen Unterlagen der Railion Deutschland AG ist das Bestehen der so genannten Verwendungsprüfung Grundlage für eine tarifvertragliche Einstufung als Rangierleiter. Auf Befragen durch das LSG hatte die Railion Deutschland AG, Niederlassung Hamburg, am 2. September 2003 mitgeteilt, dass die Funktionsausbildung zum Rangierarbeiter zehn Tage betrage und die - weitergehende - Funktionsausbildung zum Rangierleiter eine weitere Funktionsausbildung über zehn Tage erfordere, die mit einer Prüfung abgeschlossen werde, die aus einem mündlichen und einem schriftlichen Teil bestehe. Da der Kläger aber - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - gegenüber dem vom SG bestellten medizinischen Sachverständigen Dr. F. im Gutachten vom 18. September 1998 selbst angegeben hatte, er könne die deutsche Sprache lesen, nicht jedoch schreiben, bestehen Zweifel, ob er die genannte Funktionsprüfung zum Rangierleiter abgelegt hat. Entsprechende Zweifel begründet ferner der Umstand, dass, wie das LSG selbst festgestellt hat, der Kläger offenbar nur Teile der Prüfung zum Rangierleiter - die Ausbildungsabschnitte 1 bis 4 (technischer Wagendienst, Bremsdienst, Rangierleiterdienst und Zugführerdienst bei Güterzügen) - abgelegt hat; die Ausbildungsabschnitte 5 bis 12 (Aufsichtsdienst, Weichenstellerdienst, Fahrdienstleiterdienst, Zugmelder, Schrankenwärterdienst, Zugschaffnerdienst, Fahrkartenverkaufsdienst und Ladedienst) fehlen. Diesen Zweifeln nachzugehen, hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen.

Das Berufungsgericht ist ohne entsprechenden Nachweis davon ausgegangen, dass der Kläger zuletzt die überwiegende Anzahl der 220 Schichten pro Jahr als Rangierleiter gearbeitet habe; es gebe "wegen Fehlens einer Lohnsicherung" keinen Anhalt für eine überwiegend unterwertige Beschäftigung. Damit aber hätte, wie die Beklagte zu Recht rügt, es sich nicht zufrieden geben dürfen, solange noch weitergehende Ermittlungen möglich waren. Hierzu hätte es sich gedrängt fühlen müssen. Zwar war eine Beiziehung von Lohnlisten wegen zwischenzeitlicher Vernichtung derselben nicht mehr möglich. Das LSG hat jedoch nicht festgestellt, dass keine weiteren Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen. So hatte die Beklagte im Schriftsatz vom 23. Juni 2003 beantragt, einen langjährigen Mitarbeiter der Personalstelle der Deutschen Bahn AG zu vernehmen. Dies wäre insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil der Arbeitgeber des Klägers diesen selbst als "Rangierarbeiter" qualifiziert hat und nach den vorhandenen Unterlagen zumindest ein stetiger Wechsel zwischen Tätigkeiten als Rangierleiter und Rangierarbeiter stattgefunden hat.

Eine solche Ermittlung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil - worauf der Kläger abhebt - die Bezeichnung "Rangierarbeiter" nicht eine Wertigkeit der Tätigkeit ausdrücke; konkreten Aufschluss über die Art und die Wertigkeit einer Beschäftigung bei der Deutschen Bundesbahn/Deutschen Bahn AG gebe vielmehr allein die übertragene "ständige Beschäftigung" (§ 2 LTV-DB). Legt man die Ausführungen des Klägers in seiner Revisionserwiderung zugrunde, gibt es sogar keine (strikte) Trennung von Tätigkeiten eines Rangierarbeiters und eines Rangierleiters in dem Sinne, dass der Kläger eine überwiegende Anzahl der 220 Schichten pro Jahr als "Rangierleiter" gearbeitet haben müsste, um im Sinne der Entgeltgruppe E 6 als Rangierleiter eingestuft zu werden. Sollte sich die Deutsche Bahn AG von solchen Überlegungen leiten lassen, so wären jedoch für die tarifliche Eingruppierung qualitätsfremde Merkmale maßgebend. Denn eine Vergütung aufgrund einer Tätigkeit, die nicht überwiegend ausgeführt wird, entspricht nicht dem qualitativen Wert der Beschäftigung.

Qualitätsfremd wäre schließlich auch die Eingruppierung des Klägers in eine Entgeltgruppe des ETV aus dem Grunde, dass er vor 1994 nach einer bestimmten Lohngruppe des zuvor gezahlten LTV-DB entlohnt worden war. Eine derartige Umstellung sah § 2 ErsteingruppierungsTV vor. Wird jedoch für eine gewisse Phase des Übergangs vom öffentlichen Dienst durch Privatisierung des Unternehmens zur Entgeltsicherung/Besitzstandswahrung eine Sondereinstufung vorgenommen, so liegt hierin eine qualitätsfremde Eingruppierung.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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