Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 25.11.1999
Aktenzeichen: B 13 RJ 61/97 R
Rechtsgebiete: Rü-ErgG


Vorschriften:

Rü-ErgG Art 16 Abs 5 Satz 1
Eine bestandskräftig festgestellte Regelaltersrente kann nur dann neu berechnet werden, wenn - unabhängig vom rückwirkenden Inkrafttreten des § 247 Abs. 2 a SGB VI - ein sonstiger Neufeststellungsgrund tatsächlich vorliegt.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 25. November 1999

in dem Rechtsstreit

Az: B 13 RJ 61/97 R

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken, Wittelsbacherring 11, 95444 Bayreuth,

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Henke, die Richter Dr. Loytved und Dr. Terdenge sowie die ehrenamtlichen Richter Meid und Rückert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Februar 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein bislang noch nicht angerechneter Teil der Lehrzeit des Klägers rentensteigernd zu berücksichtigen ist.

Der im Mai 1927 geborene Kläger hat vom 15. April 1946 bis 15. April 1949 eine Lehre als Friseur durchlaufen. Mit bestandskräftigem Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 1990 wurden Versicherungszeiten des Klägers vorgemerkt; die Anerkennung eines Teils der Lehrzeit - vom 15. April 1946 bis zum 31. Dezember 1947 - wurde mit der Begründung abgelehnt, daß für diese Zeit keine Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden seien.

Die Beklagte gewährte dem Kläger zunächst von August 1990 bis Mai 1992 Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 4. September 1990). Wegen Vollendung des 65. Lebensjahres bewilligte sie ihm ab Juni 1992 Regelaltersrente <RAR> (Bescheid vom 7. April 1992). Beide bestandskräftig gewordenen Bescheide ließen den streitigen Teil der Lehrzeit des Klägers unberücksichtigt.

Die Anträge des Klägers vom 24. Juli 1992 und 15. November 1993 auf Neuberechnung seiner Rente unter Berücksichtigung des streitigen Teils der Lehrzeit lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 3. Dezember 1993; Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 1995). Die auf Neufeststellung der RAR gerichtete Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Nürnberg <SG> vom 25. Juli 1995). Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 7. April 1992 den streitigen Teil der Lehrzeit als Versicherungszeit nach § 247 Abs 2a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu berücksichtigen (Urteil vom 27. Februar 1997). Es hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Der Kläger habe ab Juni 1992 Anspruch auf eine höhere RAR, die allein Gegenstand der Berufung sei. Rechtsgrundlage dafür sei § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Bescheid vom 7. April 1992, durch den dem Kläger RAR gewährt worden sei, sei von Anfang an als objektiv rechtswidrig anzusehen. Mit der zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Einfügung des Abs 2a in § 247 SGB VI durch das Gesetz zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz <Rü-ErgG>) habe der Kläger rückwirkend einen Anspruch auf Berücksichtigung der Lehrzeit als fiktive Beitragszeit erhalten. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf den Kläger ergebe sich aus dem Wortlaut, der systematischen Stellung sowie dem Sinn und Zweck der Übergangsregelung des Art 16 Abs 5 iVm mit der Vorschrift über das Inkrafttreten in Art 18 Abs 4 Rü-ErgG.

Die Voraussetzungen des § 247 Abs 2a SGB VI lägen vor. Der Kläger gehöre zu dem Kreis derjenigen Personen, für die seit Inkrafttreten der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung (SVVereinfV) vom 17. März 1945 grundsätzlich Versicherungspflicht bestanden habe. Dabei könne dahinstehen, ob die Entrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung in der streitigen Zeit deshalb unterblieben sei, weil die zuständige Beitragseinzugsstelle angenommen habe, daß keine Versicherungspflicht bestanden habe, oder ob wegen unzutreffender Beurteilung der damaligen Rechtslage vom Arbeitgeber Beiträge nicht eingefordert worden seien. Da die streitbefangene Lehrzeit als fiktive Pflichtversicherungszeit angerechnet werden müsse, könne offenbleiben, ob sie nicht auch als Anrechnungszeit zu berücksichtigen sei.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift sollten vor Verkündung des Rü-ErgG bindend erlassene Bescheide nur dann neu festgestellt werden, wenn ein sonstiger Neufeststellungsgrund vorliege, was hier nicht der Fall sei. Mit der Übergangsregelung des Art 16 Abs 5 Rü-ErgG, der die Anwendbarkeit des § 247 Abs 2a SGB VI auf noch nicht rechtsverbindlich abgeschlossene Fälle begrenze, solle verhindert werden, daß eine große Zahl der nach bisherigem Recht zutreffenden Rentenfeststellungen gemäß § 44 SGB X nachträglich rechtswidrig würden und durch neue Bescheide zu ersetzen seien. Dadurch würden zugleich die Grundsätze der §§ 300 Abs 3, 306 SGB VI bestätigt, so daß eine Überprüfung nach §§ 44 ff SGB X wegen der Änderung bestehenden Rechts nicht grundsätzlich, sondern nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen eines weiteren Neufeststellungsgrundes zu erfolgen habe. Daraus ergebe sich, daß die Regelung des rückwirkenden Inkrafttretens des § 247 Abs 2a SGB VI zum 1. Januar 1992 (Art 18 Abs 4 Rü-ErgG) durch die spezielle Bestimmung des Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG eingeschränkt werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 27. Februar 1997 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 25. Juli 1995 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Ergänzend trägt er vor: Bei rückschauender Betrachtung habe die mit zulässiger Rückwirkung in Kraft getretene Vorschrift des § 247 Abs 2a SGB VI die Rechtswidrigkeit des RAR-Bescheides vom 7. April 1992 zur Folge. Eine isolierte Betrachtung des Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG verbiete sich. Bei einer solchen Vorgehensweise hätte die Beklagte darlegen müssen, weshalb Art 1 Nr 7 Rü-ErgG (Einfügung des Abs 2a in § 247 Abs 2a SGB VI) ausdrücklich in der die Rückwirkung anordnenden Vorschrift des Art 18 Abs 4 Rü-ErgG aufgeführt und nicht von Art 18 Abs 1 Rü-ErgG, wonach das Gesetz grundsätzlich am Tage nach der Verkündung in Kraft trete, erfaßt werde. Hieraus könne nur die Intention des Gesetzgebers abgeleitet werden, daß durch die rückwirkende Inkraftsetzung des § 247 Abs 2a SGB VI alle Versicherten, die unter der Geltung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 Rentner geworden seien, gleich behandelt werden sollten.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Dessen Tatsachenfeststellungen reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob dem Kläger ab Juni 1992 höhere RAR wegen Berücksichtigung des streitigen Teils der Lehrzeit zusteht.

Ein Anspruch des Klägers auf Abänderung des Rentenbescheides vom 7. April 1992 und auf höhere als die ab 1. Juni 1992 gewährte RAR unter Berücksichtigung des streitigen Teils der Lehrzeit kann sich nur aus § 44 oder § 48 SGB X ergeben.

Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll nach Abs 1 Satz 2 der Vorschrift mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die sonstigen genannten Voraussetzungen vorliegen.

Die für einen möglichen Neufeststellungsanspruch maßgebliche Rechtsgrundlage richtet sich somit danach, ob im Hinblick auf die rückwirkende Einführung der fiktiven Beitragszeit (§ 247 Abs 2a SGB VI) eine Rechtswidrigkeit des RAR-Bescheides von Anfang an bestanden hat oder erst nachträglich eingetreten ist. Grundsätzlich ist im Rahmen des § 44 SGB X für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses maßgeblich. Sollte es dabei entscheidend auf die heutige Sicht der damaligen Sach- und Rechtslage ankommen, könnte eine Anwendung des § 44 SGB X für möglich gehalten werden, da die Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung einer solchen Zeit, nämlich § 247 Abs 2a SGB VI, durch das Rü-ErgG vom 24. Juni 1993 (BGBl I S 1038) - rückwirkend zum 1. Januar 1992 - eingeführt wurde (für eine Anwendung des § 44 SGB X bei rückwirkender Änderung der Sach- und Rechtslage vgl Bundessozialgericht <BSG> SozR 3-5870 § 2 Nr 39). Bedenken gegen eine - unmittelbare - Anwendung des § 44 SGB X bestehen jedoch insbesondere deshalb, weil der Bescheid vom 7. April 1992 zum Zeitpunkt seines Erlasses hinsichtlich der Nichtberücksichtigung einer fiktiven Beitragszeit - zumindest ursprünglich - nicht rechtswidrig gewesen sein kann, da seinerzeit das Rü-ErgG noch nicht erlassen war. Diesen Bedenken könnte Rechnung getragen werden, indem man bei rückwirkender Rechtsänderung (echte Rückwirkung) den ursprünglichen Verwaltungsakt fiktiv als schon bei Erlaß rechtswidrig ansieht und § 44 SGB X analog anwendet (so Schneider-Danwitz, in GesamtKomm Sozialversicherung, § 44 SGB X Anm 10b mit Bezug auf BSG SozR 3900 § 40 Nr 12).

Soweit man § 44 SGB X bei derartigen Fallgestaltungen nicht für anwendbar hält, könnte, wozu der erkennende Senat neigt, § 48 SGB X als Anspruchsgrundlage heranzuziehen sein, da sich die Rechtslage nach der Bekanntgabe des Rentenbewilligungsbescheides durch ein Gesetz geändert hat (vgl BSGE 61, 153, 155 f = SozR 3-1300 § 48 Nr 32; BSG SozR 3-2600 § 93 Nr 3 S 17; so auch, jedenfalls im Rahmen von Kontenklärungsverfahren, BSG, Urteil vom 27. Februar 1997 - 4 RA 124/95; vgl auch Steinwedel in Kasseler Komm, § 44 SGB X RdNr 30, sowie die Rechtsauffassung der Beklagten, Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1993, 475).

Ob im vorliegenden Fall § 44 - direkt oder analog - oder aber § 48 SGB X anzuwenden ist, kann indes letztlich dahinstehen, da wegen fehlender Tatsachenfeststellungen die Frage, ob der Bescheid vom 7. April 1992 bei seinem Erlaß rechtswidrig gewesen oder es danach geworden ist, vom erkennenden Senat nicht abschließend beantwortet werden kann. Insbesondere läßt sich noch nicht beurteilen, ob der Kläger nach § 247 Abs 2a SGB VI rückwirkend einen Anspruch auf Berücksichtigung einer fiktiven Beitragszeit bei seiner RAR erworben hat.

Der Bescheid vom 7. April 1992 wäre rechtswidrig, wenn die Voraussetzungen des § 247 Abs 2a SGB VI idF des Rü-ErgG vorlägen und dieser im vorliegenden Fall rückwirkend anwendbar wäre. Nach § 247 Abs 2a SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung auch Zeiten, in denen in der Zeit vom 1. Juli 1945 bis 30. Juli 1965 Personen als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren und grundsätzlich Versicherungspflicht bestand, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeiten jedoch nicht erfolgte. Zwar mögen diese Voraussetzungen, wovon das LSG ausgeht, im Falle des Klägers gegeben sein, die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen erlauben jedoch keine Entscheidung darüber, ob § 247 Abs 2a SGB VI hier zur Anwendung gelangen kann.

Die Anwendbarkeit des § 247 Abs 2a SGB VI auf bereits entschiedene Fälle richtet sich nach den Inkrafttretensbestimmungen des Art 18 iVm den Übergangsvorschriften des Art 16 Rü-ErgG. Nach Art 18 Abs 1 tritt das Rü-ErgG am Tage nach seiner Verkündung (30. Juni 1993, vgl BGBl I S 1037) in Kraft, soweit in den folgenden Absätzen nicht etwas anderes bestimmt ist. Abs 4 der Vorschrift sieht vor, daß mit Wirkung vom 1. Januar 1992 ua Art 1 Nr 7, dh die Einfügung des Abs 2a in § 247 SGB VI, in Kraft tritt. Die Übergangsvorschrift des Art 16 Abs 5 des Rü-ErgG bestimmt: Soweit aufgrund von Vorschriften, die durch dieses Gesetz geändert worden sind, mit Wirkung von einem Zeitpunkt vor dem Tag seiner Verkündung eine Rente berechnet worden ist und dem Berechtigten hierüber ein bindender Bescheid erteilt worden ist, verbleibt es dabei, wenn nicht ein sonstiger Neufeststellungsgrund vorliegt (Satz 1). Ein sonstiger Neufeststellungsgrund liegt auch vor, wenn den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst ein nach § 6 Abs 2 oder 3 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) festgestelltes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt worden ist oder sich aus der Anwendung von § 10 Abs 1 Satz 2 AAÜG ein neuer Zahlbetrag ergibt (Satz 2). Diese Übergangsvorschrift schränkt somit die Anwendbarkeit von durch das Rü-ErgG neu gefaßten Vorschriften bei seit dem 1. Januar 1992 nach dem RRG 1992 bestandskräftig entschiedenen Rentenfällen ein.

Im Prinzip wird die RAR des Klägers von der Regelung des Art 16 Abs 5 Rü-ErgG erfaßt, da sie ab 1. Juni 1992, also für eine Zeit vor der Verkündung des Rü-ErgG am 30. Juni 1993, berechnet und dem Kläger darüber der bindende Bescheid vom 7. April 1992 erteilt worden ist. Einschlägig waren dabei auch Vorschriften des SGB VI, die durch das Rü-ErgG geändert worden sind. Nach Auffassung des erkennenden Senats stellt die Einfügung des § 247 Abs 2a SGB VI eine derartige Gesetzesänderung dar. Die gegenteilige Auffassung des LSG vermag nicht zu überzeugen.

Das LSG stützt sich zur Bejahung der allgemeinen Anwendbarkeit des § 247a Abs 2 SGB VI auf nach dem RRG 1992 entschiedene Fälle allein auf die Vorschrift des Art 18 Abs 4 Rü-ErgG, der eine Rückwirkung der Einfügung der Vorschrift über die fiktive Pflichtbeitragszeit zum 1. Januar 1992 vorsieht. Dagegen sieht es die Übergangsvorschrift des Art 16 Abs 5 Rü-ErgG wegen ihres Wortlauts, der systematischen Stellung sowie des Sinn und Zwecks als im vorliegenden Fall nicht einschlägig an.

Nach Ansicht des LSG ist bereits der Wortlaut der Übergangsbestimmung des Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG nicht erfüllt, weil die darin enthaltene Einschränkung der Anwendung neuen Rechts eine Gesetzesänderung voraussetze. Die erstmalige Einfügung des Abs 2a in § 247 SGB VI sei schon begrifflich keine Änderung von Vorschriften dieses Gesetzes. Dem ist entgegenzuhalten, daß - soweit die Übergangsvorschrift eine Gesetzesänderung des SGB VI voraussetzt - auch das Einfügen eines Absatzes durchaus als eine Änderung des Gesetzes anzusehen ist; denn die Gesamtheit der Vorschriften des SGB VI wird durch das Einfügen des § 247 Abs 2a SGB VI idF des Rü-ErgG geändert.

Diese Auffassung wird durch die Gesetzesmaterialien gestützt. Der Begründung zum Entwurf des Rü-ErgG kann entnommen werden, daß nach dem 1. Januar 1992 bestandskräftig entschiedene Renten grundsätzlich nicht in die Rückwirkung mit einbezogen werden sollten, sondern nur ausnahmsweise bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen. Es heißt dort nämlich: Es werde durch Art 17 Abs 5 (entspricht nunmehr Art 16 Abs 5) verhindert, daß § 300 Abs 1 bis 3 SGB VI zur Anwendung komme. Ohne diese Regelung wären alle bereits festgestellten Renten des Beitrittsgebiets zu überprüfen. Gleichzeitig werde klargestellt, daß - davon abweichend - ein Neufeststellungsgrund in den Fällen gegeben sei, in denen die Modifizierung der Regelung über die Begrenzung des bei der Rentenberechnung zugrunde zu legenden Einkommens oder die Änderung des besitzgeschützt zu leistenden Zahlbetrages von Bedeutung seien (vgl BT-Drucks 12/4810 S 39).

Auch der Meinung des LSG, daß sich aus dem systematischen Zusammenhang der Übergangs- und Inkrafttretensvorschriften eine allgemeine Rückwirkung der Anwendbarkeit des § 247 Abs 2a SGB VI ab 1. Januar 1992 ergebe, kann nicht gefolgt werden. Ihr steht entgegen, daß Art 16 Rü-ErgG nach der amtlichen Überschrift als Übergangsvorschrift bezeichnet ist und damit nach allgemeinen Grundsätzen als speziellere Regelung der allgemeinen Inkrafttretensvorschrift des Art 18 Rü-ErgG vorgeht. Art 18 Rü-ErgG seinerseits behält mit der Rückwirkungsklausel in Abs 4 seinen Sinn für noch nicht rechtsverbindlich entschiedene Fälle, für bindende Rentenablehnungen sowie für bestandskräftig bewilligte Renten in Fällen, in denen ein sonstiger Neufeststellungsgrund vorliegt.

Dem LSG kann auch nicht darin beigepflichtet werden, daß Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift des § 16 Abs 5 Rü-ErgG für uneingeschränkt rückwirkende Anwendung des § 247 Abs 2a SGB VI auch auf verbindlich entschiedene Renten sprächen. Nach Auffassung des LSG kommt es so zu sinnvollen und gleichmäßigen Ergebnissen, während Vergünstigungen durch das Rü-ErgG sonst den meisten Versicherten versagt blieben, denen aufgrund des bisher geltenden SGB VI Leistungen vor Inkrafttreten der begünstigenden Neuregelung durch bindend gewordenen Bescheid bewilligt worden seien; ein Eingreifen der Übergangsvorschrift des Art 16 Abs 5 Rü-ErgG würde die in Art 18 Rü-ErgG angeordnete Rückwirkung unterlaufen. Diese Betrachtungsweise läßt sich indes nicht mit der erkennbaren gesetzgeberischen Intention vereinbaren. Ratio legis des Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG ist unzweifelhaft, Versicherten, deren Rentenanträge nach früherem Recht mittels Feststellungsbescheides wegen der Nichterfüllung der Wartezeit abgelehnt wurden, durch die Berücksichtigung von Pflichtbeitragszeiten gemäß § 247 Abs 2a SGB VI die Möglichkeit zu eröffnen, die Wartezeitvoraussetzungen zu erfüllen, um so überhaupt in den Genuß einer Rentenzahlung zu gelangen. Zusätzlich eröffnet Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG die Möglichkeit der Berücksichtigung von Pflichtbeitragszeiten gemäß § 247 Abs 2a SGB VI bei nach dem SGB VI noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Rentenverfahren sowie bei Vorliegen sonstiger Neufeststellungsgründe. Demzufolge wollte der Gesetzgeber Versicherten, deren Rente nach dem SGB VI zu berechnen ist, die Vergünstigungen nach § 247 Abs 2a SGB VI nur dann zukommen lassen, wenn eine Rente noch nicht bindend zuerkannt wurde. Im übrigen sollte die Verwaltung auf diese Weise vor zahlenmäßig großen und aufwendigen Rentenneuberechnungen im Rahmen von Neufeststellungsverfahren nach § 44 bzw § 48 SGB X geschützt werden, die auch von den Kosten her kaum zu kalkulieren gewesen wären (vgl BT-Drucks 12/4810 S 39).

Somit können nach der Übergangsvorschrift des Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG die nach dem RRG 1992 bestandskräftig entschiedenen Renten nur dann in die rückwirkende Anwendung des Rü-ErgG einbezogen werden, wenn ein sonstiger Neufeststellungsgrund vorliegt. Der entsprechende Halbsatz des Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG fehlte zunächst in dem Gesetzentwurf (BT-Drucks 12/4810 S 18). Er ist erst aufgrund der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung eingefügt worden (BT-Drucks 12/5017 S 41). Hierbei handelte es sich offensichtlich um die Korrektur eines redaktionellen Versehens, mit dem der Bezug zu dem nachfolgenden Satz 2 hergestellt worden ist (vgl BT-Drucks 12/5017 S 50).

Was unter einem sonstigen Neufeststellungsgrund iS des Art 16 Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 Rü-ErgG zu verstehen ist, wird in der Übergangsvorschrift selbst nicht positiv umschrieben. Vielmehr wird der sonstige Neufeststellungsgrund nur negativ abgegrenzt. Allerdings wird deutlich, daß unter einem sonstigen Neufeststellungsgrund ein anderer Grund als die Gesetzesänderung selbst (Einfügung des § 247 Abs 2a SGB VI) zu verstehen ist. Das kann nur bedeuten: Außer der Gesetzesänderung selbst sind grundsätzlich alle Neufeststellungsgründe zugelassen. Daß das neue Recht (Rü-ErgG) für sich allein gesehen keinen Neufeststellungsgrund darstellt, ergibt sich im übrigen auch aus § 306 Abs 1 SGB VI (vgl dazu etwa Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1993, 475). Danach gilt: Bestand Anspruch auf Leistung einer Rente vor dem Zeitpunkt einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften, werden aus Anlaß der Rechtsänderung die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt, soweit nicht in den folgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist.

Da das LSG - seiner Rechtsauffassung nach konsequent - das Vorliegen eines sonstigen Neufeststellungsgrundes nicht in Betracht gezogen hat, fehlt es dazu an Tatsachenfeststellungen. Die insoweit erforderlichen Ermittlungen kann der erkennende Senat nicht selbst durchführen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>). Daher ist das Berufungsurteil gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG ua zu beachten haben: Ein sonstiger Neufeststellungsgrund iS von Art 16 Abs 5 Satz 1 Rü-ErgG könnte sich ua daraus ergeben, daß der Kläger bereits nach dem vor Inkrafttreten des Rü-ErgG geltenden Recht einen Anspruch auf rentenrechtliche Berücksichtigung des hier streitigen Teils seiner Lehre (15. April 1946 bis 31. Dezember 1947) hatte. Dies hängt insbesondere von der Entgeltlichkeit seiner damaligen Tätigkeit ab. Gemäß § 1226 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1924 (RGBl I S 779; im folgenden RVO 1924), der jedenfalls noch bis zum Erlaß der SVVereinfV vom 17. März 1945 (RGBl I 41) galt, wurden für den Fall der Invalidität und des Alters sowie zugunsten der Hinterbliebenen, Lehrlinge versichert, soweit sie nicht nach dem Angestelltenversicherungsgesetz versicherungspflichtig oder versicherungsfrei waren. Voraussetzung der Versicherung war für diese Personen, daß sie gegen Entgelt (§ 160 RVO) beschäftigt wurden (§ 1226 Abs 2 RVO 1924). Nach dem Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 26. März 1942 (AN 1942, II 240) waren - nur - die in einem Lehrverhältnis gewährten Barbezüge (Lehrlingsvergütung, Erziehungsbeihilfe usw) als Entgelt iS des § 160 RVO anzusehen. Hingegen war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, gemäß § 1227 RVO 1924 versicherungsfrei (BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 14 S 58).

In Anwendung dieser Regelung ergibt sich, daß bereits nach § 1226 RVO 1924 Versicherungspflicht bestanden hat, wenn der Kläger während der Lehrzeit relevante Barbezüge erhalten hat. Einer Anrechnung dieser Zeit als Pflichtbeitragszeit stünde dann jedoch aufgrund der Tatsachenfeststellungen des LSG das Fehlen einer Beitragsentrichtung entgegen. Wegen der bestehenden Versicherungspflicht käme in diesem Fall auch die Berücksichtigung einer Anrechnungszeit iS von § 252 SGB VI nicht in Betracht. Damit würde ein sonstiger Neufeststellungsgrund ausscheiden.

Fehlt es an Barbezügen für die streitige Zeit, könnte ein Neufeststellungsgrund gegeben sein. Insoweit könnte die einschlägige Rechtsprechung des 5. und 13. Senats des BSG Bedeutung gewinnen (vgl BSG SozR 3-2200 § 1259 Nrn 14, 15). Detaillierte Hinweise hierzu zu geben, erscheint dem erkennenden Senat gegenwärtig indes nicht tunlich, zumal sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 25. November 1999 bereit erklärt hat, den Kläger auf seine Neufeststellungsanträge vom 24. Juli 1992 und 15. November 1993 hin zu der Frage zu bescheiden, ob im Zusammenhang mit der für die Zeit vom 1. August 1990 bis 31. Mai 1992 gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit die Teillehrzeit vom 15. April 1946 bis 31. Dezember 1947 als Ausfall-/Anrechnungszeit Berücksichtigung finden kann. Auch eine Neuberechnung dieser Rente könnte nach Maßgabe des § 88 SGB VI zu einer Neufeststellung der RAR des Klägers führen.

Schließlich wird das LSG über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

Zurück