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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 13.11.2008
Aktenzeichen: B 13 RS 72/08 B
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 62
SGG § 160a Abs 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 13 RS 72/08 B

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 13. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Steinwedel, die Richter Dr. Fichte und Kaltenstein sowie die ehrenamtliche Richterin Farlock und den ehrenamtlichen Richter Lischka

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 3. Juli 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt die Feststellung von Zeiten von 1971 bis 30.6.1990 als solche der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz.

Im Verfahren über die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des Sozialgerichts hat das Landessozialgericht (LSG) einen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.2.2008 durchgeführt und den Kläger zu Einzelheiten der sog sachlichen Voraussetzung (Ausübung einer zur Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem zwingenden Beschäftigung am 30.6.1990) befragt. Der Termin schloss mit der Verkündung des Beschlusses: "Es sollen weitere Ermittlungen angestellt werden zu der Frage, ob der Arbeitgeber des Klägers am 30.6.1990 ein volkseigener Betrieb oder eine Vor-GmbH war". Auf Anfrage des Klägers nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen hat der Senatsvorsitzende mit Schreiben vom 4.4.2008 mitgeteilt, es würden keine weiteren Ermittlungen mehr angestellt; voraussichtlich komme es auf die Frage nicht mehr an. Insoweit solle aber der Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht vorgegriffen werden. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 3.7.2008 hat das LSG das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet; dieser ist auch nicht persönlich erschienen. Nach dem Vortrag der Beschwerdebegründung hat das LSG im Termin erläutert, der Kläger erfülle nach seiner (des LSG) neuen Auffassung die sachliche Voraussetzung nicht, er habe nicht überwiegend (gehobene) ingenieurtypische Tätigkeiten ausgeübt. Die für den Kläger im Termin auftretende Prozessbevollmächtigte hat neben dem Antrag, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Fristnachlass beantragt "zur Äußerung dazu, dass abweichend vom Funktionsplan auch Tätigkeiten ausgeübt worden sind, die dem Kläger untergebene Mitarbeiter in ihrem Aufgabenbereich ausgeübt haben".

Das LSG hat diesem Antrag nicht entsprochen. Im Urteil, das auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen hat, hat es ausgeführt, die sachliche Voraussetzung fehle. Eine im Schwerpunkt ingenieurtechnische Tätigkeit sei dem vorgelegten Funktionsplan, der den Verantwortungsbereich des Klägers umschrieben habe, nicht zu entnehmen. Dies gelte auch hinsichtlich der konkreten Aufgabenschilderung des Klägers, wobei offen bleibe, ob hier nicht ausschließlich auf den Funktionsplan abzustellen sei, der rechtlich bindend den Aufgabenbereich des Klägers festlege. Soweit der Kläger nach seinen Angaben teilweise technisch geprägte Arbeiten im weiteren Sinne tatsächlich durchgeführt habe, habe es sich ausnahmslos um Arbeiten gehandelt, die nicht seiner Qualifikation als Ingenieur entsprochen hätten, sondern um niedriger qualifizierte Tätigkeiten: Der Senat unterstelle zu Gunsten des Klägers, dass er selbst - wie beschrieben - die Ausbildung nicht nur organisatorisch begleitet, sondern an dieser auch persönlich teilgenommen habe; Fristnachlass zur weiteren Äußerung dazu sei daher nicht zu gewähren. Die fehlende Notwendigkeit einer ingenieurtechnischen Ausbildung für die Tätigkeit als Abteilungsleiter Kader werde durch den Umstand bestätigt, dass eine solche Ausbildung nach im Funktionsplan genannten Qualifikationsmerkmalen für die Ausübung seiner Tätigkeit nicht notwendig gewesen sei. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 27.2.2008 ausgeführt habe, er habe die gesamte Fertigungsstrecke für die Palettenproduktion mit aufgebaut, sei dies nach dem Funktionsplan nicht der Schwerpunkt seiner Tätigkeit gewesen; dies werde auch vom Kläger nicht behauptet.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er beruft sich maßgeblich auf einen Verfahrensfehler: Das LSG habe das erforderliche rechtliche Gehör nach Änderung seiner rechtlichen Auffassung dadurch nicht gewährt, dass es am 3.7.2008 entschieden und ihm nicht die Möglichkeit einer nochmaligen Stellungnahme gegeben habe.

II

Auf die Beschwerde des Klägers war das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Zu Recht rügt der Kläger, das LSG habe ihm dadurch das rechtliche Gehör (§ 62 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) verwehrt, dass es am 3.7.2008 über die Berufung der Beklagten entschieden habe, ohne ihm erneut die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben; die insoweit geltenden Bezeichnungserfordernisse (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) sind erfüllt.

Das LSG hat seine - geänderte - Rechtsmeinung dazu, unter welchen Bedingungen die sachliche Voraussetzung erfüllt sei, dem Kläger nicht vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 3.7.2008 erläutert; auf diesen Termin hatte es ihn mit Schreiben des Vorsitzenden vom 4.4.2008 insoweit ausdrücklich verwiesen. Wenn die Prozessbevollmächtigte, die den Kläger in diesem Termin vertrat, auf der Grundlage von Erläuterungen zur neuen Rechtsmeinung des LSG meinte, der Kläger könne auch auf dieser Grundlage die sachliche Voraussetzung erfüllen, hat sie hierauf mit ihrem Antrag auf Schriftsatznachlass angemessen reagiert.

Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, er habe seine Pflicht vernachlässigt, auch von seiner Seite aus alles zu tun, um sein rechtliches Gehör sicherzustellen. Seine Prozessbevollmächtigten hätten sich insbesondere nicht bereits im Vorfeld des neuen Termins vom 3.7.2008 bemühen müssen, die geänderte Rechtsmeinung des LSG in Erfahrung zu bringen, um entsprechend vorzutragen bzw Vortrag vorzubereiten. Dies war ihnen angesichts des Hinweises im Schreiben des Vorsitzenden vom 4.4.2008, das sie ausdrücklich auf die Erörterung in der mündlichen Verhandlung verwiesen hatte, nicht anzulasten. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Kläger nach diesem Schreiben bewusst sein musste, dass der geltend gemachte Anspruch nach dem neuen Meinungsstand des LSG (im Schreiben vom 4.4.2008 als "voraussichtlich" bezeichnet) entweder am Fehlen der persönlichen oder sachlichen Voraussetzung scheitern werde. Denn er konnte nicht absehen, auf welche Einzelheiten das LSG nunmehr abstellen wollte, und ob er aus seiner Sicht hierzu noch Näheres zu seinen Gunsten würde vortragen können. Entsprechend hat dem Kläger auch nicht oblegen, persönlich zum Termin am 3.7.2008 zu erscheinen, um sich äußern zu können. Ebenso wenig spielt im vorliegenden Zusammenhang der Grundsatz eine Rolle, dass ein Gericht nicht verpflichtet ist, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene bestimmte Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern.

Im Gegenteil grenzt es an einen Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn das LSG das Geheimnis über seine geänderte Rechtsmeinung erst in einem neuen Termin zur mündlichen Verhandlung lüften will und dann keine Gelegenheit zu neuem, hierauf abstellenden Vortrag gibt.

Das Berufungsurteil kann auch auf der aufgezeigten Gehörsverletzung beruhen (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Denn das LSG hat in seinen Gründen nicht angeführt, es komme von vornherein nicht auf den von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in Aussicht gestellten Vortrag an, "dass abweichend vom Funktionsplan auch Tätigkeiten ausgeübt worden sind, die dem Kläger untergebene Mitarbeiter in ihrem Aufgabenbereich ausgeübt haben". Es hat diesen Vortrag nicht als wahr unterstellt, sondern insoweit lediglich angeführt, Fristnachlass sei nicht zu gewähren, weil es zu Gunsten des Klägers unterstelle, "dass er auch selbst wie beschrieben die Ausbildung nicht nur organisatorisch begleitet, sondern an dieser auch persönlich teilgenommen hat". Damit aber stimmt die Wahrunterstellung des LSG nicht mit dem von der Prozessbevollmächtigten des Klägers beantragten Möglichkeit zum Vortrag überein. Wie genau der Vortrag hätte ausfallen können und ob er in der Lage gewesen wäre, die vom LSG - nunmehr - gesehenen Voraussetzungen zu erfüllen, kann offenbleiben, weil insoweit nur die Möglichkeit eines Beruhens gefordert wird.

Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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