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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: B 2 U 49/99 R
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 128 Abs 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 2 U 49/99 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft, Hans-Böckler-Allee 26, 30173 Hannover,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

Prozeßbevollmächtigter:

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 19. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Burchardt, die Richter Mütze und Kruschinsky sowie die ehrenamtlichen Richter Gumprich und Faupel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 1. September 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Der im Jahre 1946 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Verletztenrente mit Wirkung für die Zukunft.

Der Kläger erlitt im Jahre 1969 einen Arbeitsunfall mit Linsenverlust des linken Auges. Wegen der dadurch hervorgerufenen Verringerung der Sehschärfe ohne Korrektion auf 0,4 sowie des Verlustes des körperlichen Sehens gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 24. Juni 1971 Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert (vH). Im Jahre 1976 wurde der Kläger mit einer weichen Kontaktlinse für das verletzte Auge versorgt. In einem im Auftrag der Beklagten unter dem 1. April 1977 erstatteten augenärztlichen Gutachten wurde die Sehschärfe des linken Auges mit Haftschale mit 0,5 festgestellt. Der Gutachter empfahl, die MdE bei 20 vH zu belassen, weil weiterhin kein räumliches Sehvermögen bestehe. Im Jahre 1994 holte die Beklagte einen Befundbericht des den Kläger behandelnden Augenarztes ein und ließ ein weiteres augenärztliches Gutachten erstellen. Darin wurde bei beschwerdefrei getragener weicher Kontaktlinse auf dem verletzten Auge eine Sehschärfe von 0,66 sowie ein volles räumliches Sehvermögen festgestellt.

Nach Anhörung des Klägers entzog daraufhin die Beklagte mit Bescheid vom 25. August 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1994 die Verletztenrente mit Ablauf des Monats September 1994. Zur Begründung führte sie aus, die dem Bescheid vom 24. Juni 1971 zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich wesentlich verändert. Wegen der am linken Auge gut vertragenen Kontaktlinse und des vollen räumlichen Sehvermögens betrage die unfallbedingte MdE nur noch 10 vH.

Nach Einholung augenärztlicher Gutachten von Amts wegen und nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Sozialgericht Hamburg (SG) die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. August 1998). Das Landessozialgericht Hamburg (LSG) hat nach weiterer Beweiserhebung die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 1. September 1999). Der angefochtene Bescheid rechtfertige sich nach § 48 Abs 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Die nach dieser Vorschrift erforderliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen sei durch die mittels einer weichen Kontaktlinse korrigierte einseitige Linsenlosigkeit und die damit verbundene Verbesserung der Sehkraft des Klägers von 0,4 auf 0,5 eingetreten. Daraus ergebe sich die maßgebliche Änderung der MdE-Bewertung. Nach der "aktuellen Fassung" der insoweit maßgeblichen Empfehlungen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) sei bei einseitiger korrigierter Linsenlosigkeit ab einer Sehschärfe von 0,4 und mehr lediglich eine MdE von 10 vH zugrunde zu legen. Auch in formeller Hinsicht sei der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Zwar sei die Zehn-Jahres-Frist nach § 45 Abs 3 Satz 3 iVm § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X nicht eingehalten worden, da zwischen der Änderung der Verhältnisse im Jahre 1976 und dem Aufhebungsbescheid im Jahre 1994 ca 18 Jahre lägen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hindere aber das Verstreichen dieser Frist die - vorliegend erfolgte - Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft nicht. Das Recht zur Rentenentziehung habe die Beklagte auch nicht verwirkt.

Mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Zwar sei das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß sich das Sehvermögen auf dem verletzten Auge von 0,4 auf 0,5 verbessert habe. Dies führe jedoch lediglich zu einer MdE um 15 vH, so daß, weil es sich um eine Veränderung um nur 5 vH handele, die Verletztenrente nicht hätte entzogen werden dürfen. Zu Unrecht sei indessen das LSG davon ausgegangen, daß die MdE nur noch 10 vH betrage. Dieser Wert ergebe sich nur, wenn man der MdE-Bemessung nicht die bis 1994 geltenden Empfehlungen der DOG, sondern ihre aktuelle Fassung zugrunde lege. Indessen stellten nach der Rechtsprechung des BSG Änderungen in den "Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei Berufskrankheiten der Haut" keine Änderungen in den rechtlichen Verhältnissen iS des § 48 SGB X dar. Das gleiche gelte für die Empfehlungen der DOG und des Berufsverbandes der Augenärzte.

Nach § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X dürfe ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe aufgehoben werden. Die Frist beginne mit dem objektiven Eintritt der Änderung. Der Rechtsprechung des BSG, wonach zehn Jahre nach einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zu Ungunsten des Betroffenen nur die rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsaktes ausgeschlossen sei, nicht aber dessen Aufhebung für die Zukunft, sei nicht zu folgen. Die Auffassung des BSG führe dazu, daß eine Aufhebung zu Ungunsten des Adressaten für die Zukunft nach Ablauf von zehn Jahren seit Änderung nur bei solchen Personen möglich sei, die nicht bösgläubig gewesen seien, während die bösgläubig Handelnden unter den Schutz der Zehn-Jahres-Frist fielen. Dies widerspreche der gesetzlichen Systematik der §§ 45 und 48 SGB X. Schließlich sei der Anspruch der Beklagten auf Entziehung der Verletztenrente auch verwirkt, denn es lägen besondere Umstände vor, wonach der Kläger darauf habe vertrauen können, daß die Beklagte ihr Aufhebungsrecht nicht mehr geltend machen werde. Schon in den Jahren 1976 und 1977 habe er - der Kläger - der Beklagten nämlich mitgeteilt, daß die weiche Kontaktlinse ganztägig beschwerdefrei getragen werden könne. Danach habe er nicht mehr damit rechnen müssen, daß die Beklagte nach 18 Jahren die Dauerrente mit der Begründung entziehen würde, daß die getragene Kontaktlinse am linken Auge gut vertragen werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 1. September 1999, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. August 1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. August 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1994 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Beklagte dem Kläger zu Recht die Verletztenrente mit Ablauf des Monats September 1994 wegen wesentlicher Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen entzogen hat, nicht aus. Das angefochtene Urteil beruht auf dem vom Kläger ordnungsgemäß gerügten Verfahrensmangel, daß das LSG die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG überschritten habe.

Ob der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. August 1994 auch dann nicht rechtswidrig ist, wenn er möglicherweise mehr als 10 Jahre nach einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft ergangen ist (vgl BSGE 72, 1 = SozR 3-1300 § 48 Nr 22 mwN auch auf die andere Auffassung), muß im derzeitigen Stadium des Verfahrens nicht entschieden werden, denn es steht nicht fest, ob und wann sich die unfallbedingte MdE in einem Ausmaß - nämlich um mehr als 5 vH - verringert hat, das zur Entziehung der Verletztenrente berechtigen würde (vgl BSGE 43, 53, 54 f = SozR 2200 § 581 Nr 9; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl, § 48 SGB X RdNr 4; vgl ab 1. Januar 1997 § 73 Abs 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch <SGB VII>).

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Es handelt sich hier um eine Anfechtungsklage, bei der grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes (BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 18 und Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 54 RdNr 32, jeweils mwN) bzw, wenn dieser eine auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogene Regelung trifft, auf die Rechtslage in diesem Zeitpunkt abzustellen ist. Der hier angefochtene Bescheid entzog die Verletztenrente des Klägers mit Ablauf des Monats September 1994. In diesem Zeitpunkt galt noch die RVO. Das SGB VII ist gemäß Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes erst am 1. Januar 1997 in Kraft getreten.

Das LSG hat festgestellt, daß die für § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X maßgebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Jahre 1976 eingetreten sei. Aufgrund der Verbesserung der Sehkraft von 0,4 auf 0,5 betrage die MdE nur noch 10 vH. Wie die Revision zu Recht rügt, beruht diese Feststellung auf einer Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung und kann daher der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden.

Die Bemessung des Grades der MdE, also die aufgrund § 581 Abs 1 RVO durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (vgl jetzt: § 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII) ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147; BSG Urteil vom 23. April 1987 - 2 RU 42/86 - HV-Info 1988, 1210 und zuletzt Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 14/99 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 7, jeweils mwN). Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer sowie sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Beurteilung der MdE sind aber auch die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (vgl BSG SozR 2200 § 581 Nrn 23 und 27; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 5; Brackmann/Burchardt, SGB VII, § 56 RdNr 71). Bei einer Vielzahl von Unfallfolgen haben sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der MdE Erfahrungswerte herausgebildet. Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefaßt und dienen als Anhaltspunkte für die MdE-Einschätzung im Einzelfall (siehe Zusammenstellung bei Izbicki/Neumann/Spohr, Unfallbegutachtung, 9. Aufl, S 111 ff). Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, und gewährleisten, daß alle Betroffenen bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (für die "Empfehlungen zur Einschätzung der MdE bei BKen nach der Nr 5101 der BKVO" vgl BSG SozR 2200 § 581 Nr 5 mwN; für die Empfehlungen der DOG vgl BSG Urteil vom 27. Mai 1986 - 2 RU 20/85 - HV-Info 1986, 977).

Die Feststellung der Höhe der MdE erfordert als tatsächliche Feststellung stets eine Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel. Diese vom Tatsachengericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach dem Gesamtergebnis der Verfahrens unter Einschluß der Beweisaufnahme nach der Überzeugungskraft der jeweiligen Beweismittel frei vorzunehmende Würdigung (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 128 RdNr 4 mwN) darf das Revisionsgericht nur darauf prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat (BSG Urteil vom 31. Mai 1996 - 2 RU 24/95 - HVBG-Info 1996, 2071; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 19 mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, III, RdNrn 162 f sowie IX, RdNr 286). Von diesen Voraussetzungen ausgehend hat das LSG die Bemessung der MdE aufgrund der Unfallfolgen durch die im Jahre 1976 von 0,4 auf 0,5 verbesserte Sehkraft des linken Auges verfahrensfehlerhaft vorgenommen, indem es die "aktuelle" Fassung der Richtlinien der DOG zugrunde gelegt hat.

Durch die Anwendung der im Jahre 1994 neu gefaßten Richtlinien der DOG (vgl Brackmann/Burchardt, aaO, RdNr 78 unter Hinweis auf die Grundsätze der DOG vom 20. April 1994) hat das LSG gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Auch die Empfehlungen der DOG zur Beurteilung der MdE sind niedergeschriebene allgemeine Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit (BSG Urteil vom 27. Mai 1986 - 2 RU 20/85 - HV-Info 1986, 977). Sofern vor und bei einer Veränderung dieser Empfehlungen die tatsächlich veränderten Arbeitsbedingungen mit einer Veränderung der Arbeitsmöglichkeiten für betroffene Unfallverletzte geprüft und berücksichtigt worden sind, kann die MdE wegen dieser Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse durchaus neu bewertet werden (vgl BSG, aaO). Es ist daher nicht ausgeschlossen, nach Maßgabe des § 48 Abs 1 SGB X eine Neubewertung der MdE - auch bei unverändertem Gesundheitszustand - nach einer Änderung der Empfehlungen vorzunehmen. In diesem Fall würde sich die MdE aber erst aufgrund und mit der Neufassung der Empfehlungen verändern. Bei einer Veränderung des Gesundheitszustandes indessen dürfen für eine auf diesen Zeitpunkt bezogene Neubewertung der MdE die Empfehlungen nur in der Fassung angewendet werden, die in diesem Zeitpunkt gelten bzw galten. Wenn die Empfehlungen der DOG die Auswirkungen bestimmter Augenleiden auf die Arbeitsmöglichkeiten des Verletzten zusammenfassen und sie wegen der ständigen Veränderungen der Arbeitswelt von Zeit zu Zeit nach entsprechender Überprüfung zu verändern sind, dürfen sie für eine auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogene Neubemessung der MdE nur in der Fassung angewendet werden, die in diesem Zeitpunkt galt. Gegen diese Grundregel hat das LSG verstoßen, als es die im Jahre 1994 neu gefaßten Grundsätze der DOG auf den schon im Jahre 1976 veränderten Gesundheitszustand des Klägers anwandte.

Zwar bewirkt die Änderung von entsprechenden Empfehlungen zur Bewertung der MdE regelmäßig keine Veränderung der rechtlichen Verhältnisse. So hat das BSG in seinem Urteil vom 30. Juni 1998 (SozR 3-2200 § 581 Nr 5) entschieden, daß allein eine Änderung der Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei Berufskrankheiten der Haut keine Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X herbeiführt, so daß eine darauf gestützte Herabbemessung der MdE und die deswegen vorgenommene Rentenentziehung rechtswidrig sind. Das LSG hat insoweit auch nicht angenommen, daß eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse vorliege. Vielmehr ist es ausdrücklich von einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ausgegangen.

Allein aus diesen Gründen war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das LSG wird, sofern es bei der Neubewertung der MdE aufgrund der verbesserten Sehschärfe nicht zu einer Verringerung um mehr als 5 vH kommt, auch zu prüfen haben, ob und wann der Kläger sein räumliches Sehvermögen wiedergewonnen hat. Dieser Umstand kann durchaus Auswirkungen auf die Höhe der MdE haben, denn wesentlich für die MdE ist der Verlust des zweiäugigen plastischen Sehens (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl 1998, S 355). Erst wenn danach der Zeitpunkt einer - möglichen - Verringerung der MdE um mehr als 5 vH feststeht, ist zu entscheiden, ob die verfahrensrechtlichen Vorschriften des § 48 SGB X oder sonstige Gründe der von der Beklagten mit Wirkung für die Zukunft verfügten Aufhebung der Rentenbewilligung entgegenstehen oder nicht.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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