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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 31.10.2002
Aktenzeichen: B 4 RA 15/01 R
Rechtsgebiete: ERG, GG


Vorschriften:

ERG § 5 Abs. 1
GG Art. 3
GG Art. 14
GG Art. 20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 RA 15/01 R

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 31. Oktober 2002 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter Dr. Meyer, die Richterin Tüttenberg und den Richter Husmann sowie die ehrenamtliche Richterin Grützmacher und den ehrenamtlichen Richter Oster

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2001, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 1999 sowie die Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente im Bescheid der Beklagten vom 23. April 1996 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Entschädigungsrente über den 22. April 1996 hinaus in der bisherigen Höhe weiter zu zahlen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland durch das Bundesversicherungsamt (BVA) befugt war, das dem Kläger seit Mai 1992 gegen die zu 2) beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als Entschädigungsträger zustehende Recht auf Entschädigungsrente auf Vorschlag der zu 1) beigeladenen Kommission nach § 5 des Entschädigungsrentengesetzes (ERG), das als Art 1 des Gesetzes über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet vom 22. April 1992 (BGBl I 906) ergangen ist, mit Bescheid vom 23. April 1996 aberkennen durfte.

Der 1922 geborene Kläger bezog in der DDR seit Oktober 1982 eine Altersrente und erhält von der zu 2) beigeladenen BfA seit Januar 1992 Regelaltersrente (RAR).

Seine Mutter war 1942 in ein Konzentrationslager verbracht und später in Auschwitz ermordet worden. Der Kläger wurde wegen seiner Abstammung im April 1944 zur Zwangsarbeit nach Frankreich deportiert. Im Dezember 1945 kehrte er nach Deutschland zurück und trat der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei. Nach Ausübung seines Lehrberufs als kaufmännischer Angestellter und Teilnahme an einem Ausbildungslehrgang für Richter und Staatsanwälte war er ab Juni 1950 als Amtsrichter, als Lehrer und Dozent an dem Z. , wiederum als Amtsrichter, als Kreisgerichtsdirektor, als Oberinstrukteur an drei Justizverwaltungen und von 1963 bis Dezember 1968 als Oberrichter am Stadtgericht B. beschäftigt. Danach war er bis zum 30. September 1982 als hauptamtlicher Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR im Bereich der Auslandsaufklärung eingesetzt.

Die DDR gewährte dem Kläger auf der Grundlage der "Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene" vom 20. September 1976 (Vertrauliche Dienstsache - VD 26/19/76) eine Ehrenpension. Die BfA als Entschädigungsträger bewilligte dem Kläger ab 1. Mai 1992 an Stelle der bisherigen Ehrenpension ein Recht auf Entschädigungsrente in Höhe von 1.400 DM zuzüglich eines Kinderzuschlags in Höhe von 200 DM.

Seit dem 1. Januar 1997 erhält der Kläger ferner eine Entschädigungsrente nach dem Gesetz über die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus des Landes Berlin in Höhe von 559 DM monatlich. Die Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin teilte der zu 1) beigeladenen Kommission unter dem 27. Februar und dem 11. März 1996 mit, dass die Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gemäß § 170 Abs 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden seien, weil kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bestehe.

Unter dem 24. Januar 1996 teilte die Kommission dem Kläger mit, sie werde der Beklagten vorschlagen, ihm die Entschädigungsrente abzuerkennen, weil er als Oberrichter beim Stadtgericht B. in den Jahren 1965 bis 1967 in fünf Fällen, in denen ihr die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin vorgelegen hatten, Urteile gefällt habe, mit denen er in persönlich vorwerfbarer Weise gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe, da ihm der besondere Unrechtsgehalt seiner Handlungen bewusst gewesen sein müsse. Der Kläger teilte der Kommission hierzu mit, er gehe davon aus, dass die Verfahren in der Zwischenzeit eingestellt worden seien; daraus werde deutlich, dass er die ihm zur Last gelegten Verstöße nicht begangen habe. Mit Beschluss vom 21. März 1996 schlug die Kommission der Beklagten vor, dem Kläger das Recht auf Entschädigungsrente gemäß § 5 Abs 1 ERG abzuerkennen. Sie bezog sich auf die dem Kläger vorgehaltenen Fälle und meinte, § 5 Abs 1 ERG solle die Begünstigung von Personen verhindern, die in persönlich vorwerfbarer Weise der Etablierung und Stabilisierung des politischen Systems in der DDR in besonderem Maße Vorschub geleistet hätten. Auf die Einstellung der Verfahren durch die Staatsanwaltschaft komme es nicht an.

Durch Bescheid der Beklagten vom 23. April 1996 wurde dem Kläger daraufhin die Entschädigungsrente aberkannt. Das SG Berlin hat die Klage durch Urteil vom 23. April 1999 abgewiesen und ua ausgeführt, zwar sei die Anhörung nicht von der Beklagten selbst, sondern nur von der Beigeladenen zu 1) vor Erlass ihres Beschlusses durchgeführt worden; eine (erneute) Anhörung des Klägers durch die Beklagte sei aber nicht erforderlich gewesen. Das LSG Berlin hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, weil er durch schuldhaftes Verhalten in den ihm vorgehaltenen Fällen entweder selbst fundamentale Schutzgüter verletzt habe oder es für ihn absehbar gewesen sei, dass solche Verletzungen Folgen seines Handelns sein würden. Insbesondere habe der Kläger durch seine Mitwirkung an den genannten Urteilen gegen Republikflüchtige sich dem menschenrechtswidrigen Grenzregime zur Verfügung gestellt und dieses mitgetragen. In drei Fällen seien auch Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit gegeben, weil die ausgesprochenen Strafen in einem krassen Missverhältnis zum Tatvorwurf gestanden und nicht einmal eine minimale Rechtsorientierung aufgewiesen hätten. In zwei weiteren Fällen habe die Strafzumessung jegliches Bemühen um eine angemessene Sachbehandlung vermissen lassen. Schließlich habe in einem anderen Fall das exzessive Strafmaß trotz festgestellter erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit die fehlende Rechtsorientierung erkennen lassen, der es im Kern um die Verfolgung von Systemgegnerschaft im Gewande eines justizförmigen Verfahrens gegangen sei (Urteil vom 31. Januar 2001).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von § 5 Abs 1 ERG iVm seinen Grundrechten aus Art 3, 14 und 20 des Grundgesetzes (GG) sowie eine Verletzung des Art 1 des Ersten Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das LSG sei von dem Urteil des BVerfG (in: NJ 2001, 28, 31) abgewichen. Außerdem habe es das Urteil des BSG vom 30. Januar 1997 missverstanden. Es habe keines der Merkmale konkret festgestellt, die nach dem BSG zum Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit gehörten. Im Übrigen habe das LSG das Diskriminierungsverbot aus Art 3 Abs 1 GG und aus Art 14 EMRK verletzt. Der Entzug der Entschädigungsrente verletze auch das Grundrecht aus Art 14 GG. Ferner sei Art 20 GG verletzt, weil der Tatbestand des § 5 ERG dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht genüge.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des LSG Berlin vom 31. Januar 2001, das Urteil des SG Berlin vom 23. April 1999 und den Aberkennungsbescheid der Beklagten vom 23. April 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Entschädigungsrente ab 23. April 1996 weiter zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Berlin vom 31. Januar 2001 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Hinweis auf den Beschluss des BVerfG vom 21. September 2000 (1 BvR 661/96) ändere daran nichts. Dort sei es um eine Amtsenthebung gegangen, sodass eine differenziertere Betrachtung geboten sei (Hinweis auf BVerfGE 93, 213, 243). Nach den Grundsatzentscheidungen des BSG vom 30. Januar 1997 und vom 24. März 1998 sei klargestellt, dass es bei § 5 Abs 1 ERG um die Beseitigung einer Treu und Glauben widersprechenden Inanspruchnahme von Wiedergutmachungsleistungen gehe, die nicht unter Eigentumsschutz stünden.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Berlin vom 31. Januar 2001 zurückzuweisen.

Das Urteil des LSG sei zutreffend. § 5 Abs 1 ERG sei verfassungsgemäß. Es habe auch keiner weiteren Beweisaufnahme bezüglich der Ausreisepraxis der DDR bedurft. Bei der Entscheidung des BVerfG sei es um eine Amtsenthebung gegangen, die durch Art 12 Abs 1 GG geschützt und deren Voraussetzungen deshalb strenger zu beurteilen seien.

Die Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag und nimmt zur Sache nicht Stellung.

Unter dem 27. August 2001 hat der Berichterstatter des erkennenden Senats die Beteiligten darauf hingewiesen, es könne im anhängigen Verfahren viel dafür sprechen, dass die Beklagte - wie auch schon in den von dem Senat am 24. Juli 2001 entschiedenen Streitsachen B 4 RA 4/01 R und B 4 RA 2/01 R - es unterlassen haben könnte, den Kläger vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes ordnungsgemäß anzuhören. Die Beteiligten wurden um eine Stellungnahme und ggf um die Abgabe sachgerechter prozessualer Erklärungen gebeten. Die Beklagte hat hierzu erklärt, sie nehme zu dieser Frage nicht Stellung; es handele sich insofern um eine unzulässige Tatsachenermittlung durch das Gericht (§ 163 SGG). Insofern werde jetzt beantragt, den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsermittlung an das LSG zurückzuverweisen.

Darüber hinaus hat die Beklagte die Berufsrichter des Senats wegen Befangenheit abgelehnt. Das BSG hat diesen Ablehnungsantrag durch Beschluss vom 10. Juni 2002 als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Nach Bundesrecht (§ 162 SGG) hätte das LSG das die zulässige Anfechtungsklage abweisende Urteil des SG und die Aberkennung des Rechts auf Entschädigung im Bescheid der Beklagten vom 23. April 1996 aufheben müssen. Der Kläger hatte gemäß § 42 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X einen Anspruch auf Aufhebung der Aberkennung sogar dann, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Denn die Beklagte hat die gebotene Anhörung nicht gewährt und auch nicht rechtzeitig vor Erhebung der Klage nachgeholt.

Der Kläger konnte noch im Revisionsverfahren auf Grund der wirksamen Bewilligung des Rechts auf Entschädigungsrente den Klageantrag in der Hauptsache um eine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) erweitern, weil dadurch der Klagegrund, die Wirksamkeit der Bewilligung des Rechts auf Entschädigungsrente, nicht geändert wurde (§ 99 Abs 3 Nr 2 SGG). Die Leistungsklage ist begründet, weil der Kläger allein auf Grund der Bewilligung des Rechts auf Entschädigungsrente durch die beigeladene BfA (in den Bescheiden vom 19. November 1992 und 6. Januar 1993) monatliche Zahlungsansprüche in der zuerkannten Höhe hat, ohne dass es eines weiteren Verwaltungsakts bedürfte. Hierzu näher wie folgt:

1. Der die Anfechtungsklage begründende Aufhebungsanspruch des Klägers ist im Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente entstanden. Nach § 42 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes allein deshalb beansprucht werden, weil die erforderliche Anhörung unterblieben oder (nicht: und) nicht wirksam nachgeholt ist. Nach § 6 Abs 3 ERG iVm § 24 Abs 1 SGB X muss das BVA dem Betroffenen vor Erlass einer Entscheidung nach § 5 Abs 1 ERG Gelegenheit geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Der Aufhebungsanspruch aus § 42 Abs 1 SGB X entsteht, sobald der gesetzwidrig anhörungslose Eingriffsakt mit der Bekanntgabe für den Adressaten wirksam wird. Er erlischt, falls einer der drei rechtsvernichtenden (materiell-rechtlichen) Einwände vorliegt, nämlich wenn der Betroffene auf den Aufhebungsanspruch verzichtet, wenn er ihn verwirkt oder wenn der Verwaltungsträger die Anhörung wirksam nachholt. Das Gericht hat in jedem Stand des Verfahrens auch ohne Rüge zu prüfen, ob die anhörungspflichtige Behörde dem Anhörungsgebot entsprochen hat (stellv. Großer Senat <GS> des BSG, Beschluss vom 19. Februar 1992 - GS 1/89 in: SozR 3-1300 § 24 Nr 6). Der Aufhebungsanspruch wegen unterbliebener Anhörung steht einem sachlich-rechtlichen Fehler gleich; er begründet eine uneingeschränkte Pflicht zur Aufhebung.

2. Die Anhörungspflicht aus § 6 Abs 3 ERG iVm § 24 Abs 1 SGB X trifft das BVA selbst. Der Verwaltungsträger, der den Eingriff beabsichtigt, muss selbst die erforderlichen Handlungen vornehmen. Nur so können die gesetzlichen Zwecke des § 24 Abs 1 SGB X verwirklicht werden.

a) Die Anhörungspflicht nach § 24 Abs 1 SGB X hat im Wesentlichen drei Zwecke:

- Sie soll dem Betroffenen bereits im Verwaltungsverfahren die Möglichkeit sichern, alle ihm günstigen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die für die Entscheidung erheblich werden können, vorzubringen (insoweit vergleichbar dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren).

- Sie soll den Bürger vor Überraschungseingriffen durch den Verwaltungsträger schützen.

- Sie soll das Vertrauen des Bürgers auf die unvoreingenommene und unparteiliche (§§ 16, 17 SGB X) sowie ergebnisoffene (§ 20 Abs 2 Halbsatz 2 SGB X) und sorgfältige (§ 20 Abs 1 Satz 1 SGB X) Verfahrensleitung des zum Eingriff berufenen Verwaltungsträgers stärken.

Deshalb trifft die Pflicht zur Anhörung den Verwaltungsträger, der eingreifen will, selbst (stRspr des BSG seit BSG SozR 1200 § 34 Nr 1 und 2). Sinn und Zweck des Gebotes sind gerade, die Anhörung von der Stelle zu gewähren, die über den Erlass und den Inhalt des Verwaltungsaktes entscheidet (stRspr des BSG seit BSG SozR 1200 § 34 Nr 9 S 43). Insbesondere reicht nicht aus, dass eine dritte Stelle im Rahmen ihrer Aufgaben den Betroffenen zu einem Vorgang hört. Dies gilt auch im Recht des ERG, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. März 1998 (B 4 RA 78/96 R in: SozR 3-8850 § 5 Nr 3 S 50 f) ausgeführt hat, in welchem er den damaligen "vorläufigen" Eingriff der Beklagten ua deshalb aufgehoben hat, weil diese den Betroffenen nicht selbst angehört hatte.

b) Die Beklagte hätte vor Bekanntgabe der Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente selbst dem Kläger Gelegenheit geben müssen, sich zu den für diese Entscheidung erheblichen Tatsachen ihr gegenüber zu äußern. Der Kläger war als intendierter Adressat des beabsichtigten Eingriffs "Beteiligter". Die Aberkennung ist ein Verwaltungsakt, mit dem das ihm zuerkannte Recht auf Entschädigungsrente entzogen werden sollte. Die Beklagte beabsichtigte also, durch Verwaltungsakt in ein zuerkanntes Recht des Klägers einzugreifen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG besteht kein Hinweis darauf, es könne ein Sachgrund vorliegen, der es nach § 24 Abs 2 SGB X der Beklagten erlaubt hätte, von der Anhörung abzusehen.

c) Das BVA war von der es selbst treffenden Anhörungspflicht nicht etwa deshalb entbunden, weil die zu 1) beigeladene Kommission den Kläger bereits (ordnungsgemäß) vor Beschluss ihres Aberkennungsvorschlags an die Beklagte angehört hatte.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (BSG SozR 3-8850 § 3 Nr 1; § 5 Nr 5) ist der Vorschlag der Kommission nicht der Verwaltungsakt, der in das Recht auf Entschädigungsrente eingreift. Es handelt sich vielmehr um einen im Wesentlichen verwaltungsinternen Mitwirkungsakt in einem Verwaltungsverfahren, dessen Träger allein das BVA als nach außen "federführende" Behörde der beklagten Bundesrepublik Deutschland ist. Soweit die Kommission im Rahmen der ihr übertragenen Aufklärung des Sachverhalts für diesen begrenzten Zweck Betroffene anhört (§ 21 Abs 1 Nr 2 Regelung 1 SGB X), handelt es sich schon von vornherein inhaltlich nicht um die von § 6 Abs 3 ERG iVm § 24 Abs 1 SGB X dem BVA vorgeschriebene (Abschluss-)Anhörung. Vielmehr liegt auch aus der Sicht der allein zur Entscheidung berufenen Beklagten eine bloße Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung vor. Daran ändert nichts, dass die Kommission gemäß dem für ihr Verfahren geltenden § 5 des Versorgungsruhensgesetzes (VRG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) in entsprechender Anwendung des § 24 SGB X den Betroffenen nach Abschluss ihrer Ermittlungen im Blick auf den von ihr beabsichtigten Vorschlagsbeschluss anhören muss. Angesichts des außerordentlichen ethischen Vorwurfes, der bereits in einem solchen Vorschlag der Kommission vom Staat gegen den Betroffenen erhoben wird, ist es geboten, diesen schon auf dieser Stufe anzuhören.

d) Das BVA hätte dem Kläger alle entscheidungserheblichen Tatsachen bekannt geben müssen, auf die es seine Entscheidung stützen wollte. Dies setzt notwendig voraus, dass es alle Sachverhaltsermittlungen für abgeschlossen gehalten und eine abschließende Würdigung der Beweislage mit dem (Zwischen-)Ergebnis vorgenommen hatte, dass alle für die Rechtmäßigkeit der Aberkennung erheblichen Haupttatsachen vorlagen. Wenn das BVA - wie im vorliegenden Fall - auf derselben Tatsachengrundlage entscheiden will, welche die Kommission ihrem Beschluss zu Grunde gelegt hat, und wenn feststeht, dass diese dem Betroffenen alle aus der Sicht des BVA entscheidungserheblichen Haupttatsachen bereits bekannt gemacht hat, genügt zur Erfüllung der dem BVA selbst durch § 24 Abs 1 SGB X gebotenen Handlung Folgendes:

Es muss den Betroffenen darauf hinweisen, dass es die Tatsachen, die ihm bereits die Kommission bekannt gemacht hatte, zur Grundlage einer Entziehungs- oder Minderungsentscheidung über das Recht auf Entschädigungsrente machen will. Ferner muss das BVA dem Betroffenen eine angemessene Frist von regelmäßig 14 Tagen zur Äußerung setzen, wenn dieser nicht mit einer kürzeren Frist einverstanden ist oder mitteilt, er wolle sich nicht mehr äußern. Nimmt der Betroffene Gelegenheit zur Stellungnahme, so muss das BVA sein Vorbringen zur Kenntnis nehmen und die beabsichtigte Entscheidung daraufhin überprüfen, ob weitere Ermittlungen erforderlich sind oder ob der Entscheidungsinhalt zu verändern ist. Dieser gesamte Vorgang kann zügig und formfrei durchgeführt werden, muss aber für das BVA, das insoweit im späteren Gerichtsverfahren die Darlegungs- und objektive Beweislast trägt, belegbar sein.

e) Entgegen der Ansicht des SG liegt hierin auch kein bloßer Formalismus. Allein das BVA ist nämlich zur abschließenden Entscheidung berufen. Zwar darf es einen Eingriff in ein zuerkanntes Recht auf Entschädigungsrente ohne einen Vorschlag der Kommission, in bestimmter Weise in ein solches Recht einzugreifen, nicht vornehmen. Insbesondere darf das BVA über den vorgeschlagenen Eingriff zu Lasten des Betroffenen nicht hinausgehen (keine Verböserung). Es muss aber nicht nur die Bundesrechtskonformität des Vorschlags der Kommission prüfen, sondern hat auch die Rechtsmacht, den vorgeschlagenen Eingriff überhaupt nicht oder in einer geringeren Intensität vorzunehmen, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen, vor allem wenn dies verfassungsrechtlich geboten ist. Gerade der von § 5 Abs 1 ERG eröffnete weite Eingriffsrahmen verlangt bei der Rechtsanwendung im Einzelfall eine genaue Prüfung der individuellen Umstände im Lichte vor allem des Übermaßverbotes. Daher erfordern die gesetzlichen Zwecke des Anhörungsrechts des Bürgers, dass das BVA dem Betroffenen Gelegenheit gibt, ihm hierzu unmittelbar seine Sicht der Dinge vorzutragen. Der Deutsche Bundestag hat in "bewusster" Orientierung an der geänderten verfassungsrechtlichen Stellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung das Anhörungsrecht des SGB X als zusätzliche und zum eigenständigen Abwehrrecht erhobene Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für Rechtseingriffe der Verwaltung ausgestaltet. In "geläuterter verfassungsrechtlicher Sicht" hat er den Rechtsverstoß der unterbliebenen Anhörung als so gewichtig erachtet, dass er nicht folgenlos bleiben darf (vgl BSG GS SozR 3-1300 § 24 Nr 6).

f) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat das BVA dem Kläger nicht selbst Gelegenheit gegeben, zu den von ihm für entscheidungserheblich erachteten Haupttatsachen, auf die es den Eingriff stützen wollte, ihm gegenüber Stellung zu nehmen. Das LSG, an dessen tatsächliche Feststellungen das BSG gebunden ist, soweit nicht zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben werden (§ 163 SGG), hat festgestellt, dass die beigeladene Kommission der Beklagten mit Beschluss vom 21. März 1996 vorgeschlagen hat, dem Kläger die laufende Entschädigungsrente gemäß § 5 Abs 1 ERG abzuerkennen. Sodann hat das LSG den wesentlichen Inhalt der Begründung des Beschlusses der Kommission mitgeteilt. Anschließend hat es ausgeführt: "Durch Bescheid der Beklagten vom 23. April 1996 wurde dem Kläger daraufhin die Entschädigungsrente aberkannt". Damit ist festgestellt, dass die Beklagte nach Eingang des Vorschlages der Kommission die Aberkennung ohne weiteren Zwischenschritt ausgesprochen hat. Gegen diese tatsächliche Feststellung hat die Beklagte - trotz des Hinweises des Berichterstatters des erkennenden Senats - die damals noch offen stehende Gegenrüge nicht erhoben. Bei dieser Sachlage kommt es im Ergebnis nicht mehr darauf an, dass das SG in seinem Urteil, auf welches das LSG Bezug genommen hat, ausdrücklich ausgeführt hat, dass die Anhörung nicht von der Beklagten selbst durchgeführt worden ist.

3. Die Beklagte hat die gebotene und rechtswidrig unterlassene Anhörung auch nicht iS von § 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X wirksam nachgeholt; sie hat die gebotenen Handlungen nicht vorgenommen, welche die Aufhebbarkeit ihres Eingriffs wegen des Anhörungsmangels beseitigt hätten:

Der Aufhebungsanspruch des Klägers aus § 42 SGB X ist nicht untergegangen, weil kein rechtsvernichtender Einwand eingreift. Der Kläger hat auf diesen Anspruch nicht verzichtet und ihn nicht verwirkt. Nach § 42 Satz 2 SGB X geht ein wegen unterbliebener Anhörung entstandener Aufhebungsanspruch darüber hinaus nur unter, wenn die erforderliche Anhörung wirksam nachgeholt ist. Dann wird der Anhörungsverstoß "unbeachtlich" (§ 41 Abs 1 Nr 3 SGB X). Eine solche wirksame Nachholung der Anhörung ist nicht erfolgt.

a) Nach der bis zum 31. Dezember 2000 bestehenden Rechtslage konnte gemäß § 41 Abs 2 SGB X die Nachholung der erforderlichen Anhörung nur bis zum Abschluss eines Vorverfahrens oder, falls ein Vorverfahren - wie hier gemäß § 5 Abs 3 ERG iVm § 2 Abs 3 Satz 1 VRG - nicht stattfindet, nur bis zur Erhebung der Klage vorgenommen werden. Schon vor dem Inkrafttreten des SGB X am 1. Januar 1981, also bevor es diesen Zeitrahmen des § 41 Abs 2 SGB X aF überhaupt gab, hatte das BSG zu § 34 SGB I aF seit dem Urteil des 2. Senats vom 28. Juli 1977 (SozR 1200 § 34 Nr 1) in ständiger Rechtsprechung geklärt, dass die og Anhörungszwecke - abgesehen von der Abwehr von Überraschungsentscheidungen - nur erreicht werden können, solange das Verfahren im Verantwortungsbereich des zuständigen Verwaltungsträgers anhängig ist, also das letzte Wort der Verwaltung noch nicht gesprochen worden ist. Der Große Senat des BSG hat deshalb keinen Grund gesehen, von der Rechtsauffassung abzuweichen, dass ein Verstoß gegen das Anhörungsgebot im sozialgerichtlichen Verfahren nicht mehr geheilt werden kann (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 6 S 16). Das BSG hat (seit BSG SozR 1200 § 34 Nr 7 S 33) auch hinsichtlich des durch § 41 Abs 2 SGB X aF gegebenen Zeitrahmens für eine wirksame Nachholung betont, dass trotz einer ordnungsgemäßen Anhörung des Beteiligten im Widerspruchsverfahren der Verwaltungsakt selbst mit dem Fehler des rechtlichen Gehörs behaftet bleibt. Dieser Mangel kann (abgesehen von seinen prozessrechtlichen, kostenrechtlichen, amtshaftungsrechtlichen und disziplinarrechtlichen Folgen) künftig nur keine Wirkungen iS der Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes mehr entfalten. Der Fehler wiegt angesichts der wirksamen Nachholung der Anhörung dann nicht mehr so schwer, dass er noch weiterhin zur Aufhebung des Verwaltungsaktes führen muss.

b) Wird ein Verfahrensfehler "unbeachtlich", weil die Anhörung innerhalb des von § 41 Abs 2 SGB X bestimmten Zeitraums nachgeholt wird, "so gilt der Verwaltungsakt als seit dem Zeitpunkt seines Erlasses mangelfrei" (BSG GS, Beschluss vom 6. Oktober 1994 - GS 1/91, in SozR 3-1300 § 41 Nr 7 S 12). Diese Fiktion der "Mangelfreiheit" des rechtswidrig bleibenden Staatsaktes, mit dem die beabsichtigte Regelung (§ 31 SGB X) verlautbart wurde, beseitigt dessen Aufhebbarkeit; der Verwaltungsakt unterliegt nicht mehr der Aufhebung (stRspr seit dem Urteil des 3. Senats des BSG vom 25. Januar 1979, 3 RK 35/77 in: SozR 1200 § 34 Nr 7 S 33; so jetzt auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 9. April 2002, 4 B 20/02, Buchholz 316 § 45 VwVfG Nr 25). Dementsprechend hat das BSG (Urteil vom 24. Juli 2001, B 4 RA 2/01 R, in: SozR 3-8850 § 5 Nr 5 S 80) in Anwendung der bis zum 31. Dezember 2000 gültig gewesenen Fassung des § 41 Abs 2 SGB X ausgeführt, dass die Anhörung - unabhängig vom nunmehr in zeitlicher Hinsicht erweiterten Wortlaut des § 41 Abs 2 SGB X nF - ihrer unverändert gebliebenen gesetzlichen Funktion auch weiterhin nur bis längstens zur letzten Verwaltungsentscheidung vor dem Gerichtsverfahren genügen kann. Die Vernichtung des wegen eines Anhörungsmangels entstandenen Anspruchs auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes erfolgt nach § 41 SGB X aF und nF nur, wenn die Behörde die gebotene Anhörung nachholt und diese Nachholung "wirksam" ist, wenn sie also die Position des Betroffenen - soweit objektiv noch möglich - in vollem Umfang wiederherstellt (Grundsatz der realen Fehlerheilung).

c) Im strengen rechtlichen Sinne ist jedoch eine (in der Überschrift des § 41 SGB X in irreführender Bildersprache "Heilung" genannte) "vollwertige" Nachholung der durch § 24 Abs 1 SGB X gebotenen Handlungen von vornherein unmöglich. Denn der Verwaltungsträger hat den Zweck des Schutzes vor Überraschungsentscheidungen bereits durch den anhörungslosen Eingriff gesetzwidrig vereitelt. Bis zum letzten Wort der Verwaltung, dh vor der Anrufung der Organe der dritten Gewalt, können allerdings noch die beiden anderen Zwecke teilweise erreicht werden. Der Bürger kann durch die Darstellung der eigenen Sicht der Dinge auf die letzte maßgebliche Verwaltungsentscheidung iS ihrer nachträglichen Überprüfung einwirken; der Verwaltungsträger kann durch eine vollständige und verständliche Mitteilung der entscheidungserheblichen Tatsachen und durch sorgfältige Überprüfung seiner Entscheidung doch noch zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses im partnerschaftlichen Verwaltungsverfahren beitragen. Dann kann uU eine gerichtliche Auseinandersetzung noch vermieden werden.

d) Aber auch in diesem begrenzten Umfang können zwei der drei Gesetzeszwecke des § 24 Abs 1 SGB X kaum noch verwirklicht werden, wenn das letzte Wort der Verwaltung gesprochen und der neutrale Richter zur Entscheidung über den Streit angerufen worden ist. Demgemäß hat auch der erkennende Senat in Übereinstimmung ua mit dem GS des BSG (SozR 3-1300 § 24 Nr 6 S 16) bekräftigt, dass im rechtlichen Sinne ein wegen unterbliebener Anhörung fehlerhafter und aufhebbarer Verwaltungsakt nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens schlechthin nicht mehr geheilt werden kann.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG gibt es keinen Anhalt dafür, die Beklagte könnte die erforderlichen Nachholungshandlungen bis zur Klageerhebung am 14. Mai 1996 nachgeholt haben. Gegenrügen gegen die Vollständigkeit der Feststellungen des LSG hat sie nicht erhoben. Die Frage, ob ein die "Heilungswirkung" der Nachholung ausschließender gewollter Rechtsbruch der Beklagten vorlag, konnte deshalb offen bleiben. Damit war der Aufhebungsanspruch des Klägers gemäß § 41 Abs 2 SGB X in der bis zum 31. Dezember 2000 gültig gewesenen Fassung am 14. Mai 1996 unentziehbar geworden. Schon deshalb kommt die von der Beklagten begehrte Zurückverweisung an das LSG nicht in Betracht, weil die Neufassung des § 41 Abs 2 SGB X (dazu unter 4.) und § 114 Abs 2 Satz 2 SGG (dazu unter 5.) in solchen Fällen nicht eingreifen.

4. § 42 Abs 2 SGB X in seiner ab dem 1. Januar 2001 gültigen Fassung (nF) ist nicht anwendbar. Dies würde eine unzulässige Rückbewirkung von Rechtsfolgen im Sinne des Entzuges eines bereits entstandenen und unentziehbar gewordenen Aufhebungsanspruchs bedeuten. Ein solcher Verfassungsverstoß lässt sich verfassungskonform zwanglos dadurch vermeiden, dass § 41 Abs 2 SGB X ausschließlich in den Grenzen seines zeitlichen Geltungsbereichs, der am 1. Januar 2001 begonnen hat, angewandt wird. Daher erfasst die Neufassung des § 41 Abs 2 SGB X zwar alle seit dem 1. Januar 2001 entstandenen und entstehenden Aufhebungsansprüche aus § 42 SGB X. Auf Aufhebungsansprüche, die schon vor dem 1. Januar 2001 entstanden waren, ist sie aber nur dann anwendbar, wenn sie zu Beginn des 1. Januar 2001 nach altem Recht noch nicht unentziehbar waren. Denn die Neufassung des § 41 Abs 2 SGB X hat zu einer wesentlichen Einschränkung des Abwehrgehaltes des verfahrensrechtlichen Anhörungsrechts geführt:

a) Nach § 41 Abs 2 SGB X nF kann die erforderliche Anhörung eines Beteiligten "bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden". Vordergründig hat sich damit lediglich der Zeitraum verlängert, in dem die Anhörung mit der Folge nachgeholt werden kann, dass der Aufhebungsanspruch untergeht. Rechtlich wird etwas nahezu unmögliches wertungswidersprüchlich als Voraussetzung für den Untergang des entstandenen Aufhebungsanspruchs normiert. Denn während des Gerichtsverfahrens können allenfalls noch zwei der drei Zwecke der Anhörung und diese nur bruchstückweise erreicht werden. Daher kann die rückwirkend eintretende Unbeachtlichkeit des Anhörungsfehlers und damit der Untergang des Aufhebungsanspruchs nicht damit gerechtfertigt werden, die Zwecke des § 24 Abs 1 SGB X seien im Wesentlichen nachträglich doch noch verwirklicht worden.

b) Schon dies zeigt, dass die bei oberflächlicher Betrachtung bloße Ausdehnung des Zeitrahmens für eine wirksame Nachholung in der Sache auf einer (beabsichtigten) gesetzlichen Konfusion zweier unterschiedlicher Rechtsinstitute beruht, die der GS des BSG in seinem Beschluss vom 6. Oktober 1994 (GS 1/91 in: SozR 3-1300 § 41 Nr 7) noch klar getrennt und einander eindeutig zugeordnet hatte. Zu unterscheiden war die Kompetenz eines Verwaltungsträgers, auf Grund einer ihm erteilten Ermächtigung, einen Verwaltungsakt auch während eines Gerichtsverfahrens aufzuheben und zu ersetzen, von der Regelungswirkung der §§ 41 und 42 SGB X. Diese Vorschriften befreien die Behörden unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht, wegen eines Verfahrensfehlers ein neues fehlerfreies Verwaltungsverfahren durchzuführen und einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen. Sie haben ausschließlich Bedeutung für die Rechtmäßigkeit und die Bestandskraft des bereits erlassenen Verwaltungsaktes. Ob die Behörde einen ergangenen (ggf angefochtenen) Verwaltungsakt aufheben oder ersetzen darf, richtet sich hingegen ausschließlich nach dem sonstigen Befugnisrecht für den Träger. Deshalb darf die Verwaltung auch einen mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt, der an einem "ungeheilten" Anhörungsfehler leidet, aufheben und durch einen neuen Verwaltungsakt nach ordnungsgemäßer Anhörung ersetzen, soweit Ermächtigungsnormen dies erlauben. Demgegenüber ermöglichten die §§ 41, 42 SGB X aF die verwaltungsinterne Ausräumung eines zur Aufhebbarkeit des erlassenen Verwaltungsaktes führenden Fehlers. Dies durfte (vor Einschaltung der rechtsprechenden Gewalt) dadurch geschehen, dass der erlassene Verwaltungsakt verwaltungsintern überprüft wurde, in dem die verfahrensfehlerhaft unterlassenen Verwaltungshandlungen nachgeholt wurden; so konnte noch innerhalb der zweiten Gewalt der Zustand annähernd hergestellt werden, der bestanden hätte, wenn der anfängliche Gesetzesverstoß vom Verwaltungsträger nicht begangen worden wäre (Nachholung als Spezialfall des verfahrensrechtlichen Herstellungsrechts).

Der GS des BSG (SozR 3-1300 § 41 Nr 7) hat klargestellt, dass die Abgrenzung der verwaltungsinternen Überprüfung des erlassenen Verwaltungsaktes nach Nachholung der Verfahrenshandlung von der "Heilungsmöglichkeit", ihn während des gerichtlichen Verfahrens aufzuheben und ggf zu ersetzen (iS von § 96 Abs 1 SGG) der Verwaltung nicht die Befugnis einräumt, die §§ 41, 42 SGB X aF zu umgehen. Diese Umgehungsmacht habe die Verwaltung nur, wenn ihr die Möglichkeit eingeräumt würde, mit dem ersetzenden Verwaltungsakt uneingeschränkt die Rechtsfolgen zu erreichen, die sie mit der Nachholung der Verfahrenshandlung nach § 41 SGB X noch während des Widerspruchsverfahrens erreichen könnte. Der GS des BSG hat ausgeführt, dies sei nicht der Fall, weil die Rechtsfolgen des ersetzenden Verwaltungsaktes erst in dem Zeitpunkt eintreten, in dem dieser wirksam werde. Verwaltungsinterne Überprüfung nach Ausräumung des Verfahrensfehlers und Aufhebung des erlassenen Verwaltungsaktes während des Gerichtsverfahrens waren also - gemäß ihrer sachlichen Unterschiede - klar voneinander getrennt.

c) Mit der Neufassung des § 41 Abs 2 SGB X wurden - zur Verwaltungsbeschleunigung und zur Einsparung von Kosten - diese beiden Rechtsinstitute konfundiert. Der "Nachholung" ua der Anhörung während des gerichtlichen Verfahrens vor den Tatsacheninstanzen wurde "heilende" Wirkung zuerkannt, obwohl die gebotenen Anhörungshandlungen die Zwecke des § 24 Abs 1 SGB X, der unverändert gültiges Recht geblieben ist, nicht mehr erfüllen können. Trotz dieses offenkundigen Wertungswiderspruchs im Gesetz ist dem rechtspolitischen Ziel, das der Deutsche Bundestag mit der Änderung von § 41 Abs 2 SGB X ab 1. Januar 2001 verfolgt hat, in den Grenzen der verfassungsrechtlichen Vorgaben ebenso Rechnung zu tragen wie seinem Willen, das Anhörungsrecht des Bürgers und die daraus folgenden Handlungsgebote für die Verwaltung aus § 24 Abs 1 SGB X sowie den Aufhebungsanspruch aus § 42 Satz 1 und 2 SGB X, der ebenfalls unverändert geblieben ist, unangetastet zu lassen. Die gesetzliche Konfusion ist daher im Wesentlichen wie folgt aufzulösen:

§ 41 Abs 1 und 2 SGB X nF ermächtigen den Verwaltungsträger, auch einen der Kontrolle durch die rechtsprechende Gewalt überantworteten Verwaltungsakt so zu behandeln, als sei er noch nicht endgültig aus dem Verfügungsbereich der vollziehenden Gewalt gelangt. Voraussetzungen hierfür sind, dass bis zur letzten Tatsacheninstanz ein Verfahrensfehler iS von § 41 Abs 1 SGB X entdeckt wird und dass der Verwaltungsträger diesen Verfahrensfehler nicht vorsätzlich, rechtsmissbräuchlich oder durch Organisationsverschulden begangen hat. Denn die verfassungsrechtliche Bindung (Art 20 Abs 3 GG) des Verwaltungsträgers an das Recht aus § 24 Abs 1 SGB X schließt eine "Heilung" bei gewolltem Rechtsbruch aus. Im Übrigen bleiben bei einer Nachholung während des Gerichtsverfahrens die prozessrechtlichen, kostenrechtlichen, amtshaftungsrechtlichen und disziplinarrechtlichen Folgen des Anhörungsfehlers weiterhin von Bedeutung. Der Verwaltungsträger muss also vor Abschluss der gerichtlichen Tatsacheninstanzen die Handlungen vornehmen, die er nach § 24 Abs 1 SGB X bereits vor Erlass des Eingriffsaktes hätte vornehmen müssen. Er muss also dem Betroffenen spontan alle Haupttatsachen mitteilen, auf die er seinen Eingriff gestützt hat oder jetzt stützt. Soweit dies bereits geschehen ist, genügt ein entsprechender Hinweis. Er muss dem Betroffenen eine angemessene Frist zur Äußerung ihm gegenüber geben. Nimmt der Betroffene gegenüber der eingreifenden Behörde Stellung, so muss sie sein Vorbringen zur Kenntnis nehmen und (erkennbar und belegbar) überprüfen, ob sie weitere eigene Ermittlungen (§ 20 SGB X) für geboten hält und ob sie den angefochtenen Verwaltungsakt ganz oder teilweise aufhebt oder aber ihn bestätigt. Äußert sich der Betroffene gegenüber der eingreifenden Behörde nicht, muss diese gleichwohl ihm und dem Gericht ihre Entscheidung darüber mitteilen, ob sie den angefochtenen Verwaltungsakt, dh die mit dem Staatsakt getroffene Regelung, bestätigt, aufhebt oder ändert. Diese Entscheidungen über die Aufhebung, Abänderung oder Bestätigung der im Gerichtsverfahren angefochtenen Regelung ist selbst ein Verwaltungsakt, der gemäß § 96 Abs 1 SGG (ggf an Stelle des bislang angefochtenen Verwaltungsakts) zum Gegenstand der Klage wird.

d) Der neue Rechtsgehalt des rechtsvernichtenden Einwandes der "Nachholung der Anhörung", der seit dem 1. Januar 2001 gilt, kann jedoch auf zu diesem Zeitpunkt bereits unentziehbar bestehende Aufhebungsansprüche aus § 42 Satz 2 SGB X nicht angewandt werden. Es träte sonst eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen ein, für die es keinen rechtfertigenden Sachgrund gibt. In der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte, die nach materiellem Recht auch schon endgültig bewertet waren, würden rückbezüglich einem anderen Rechtsregime unterworfen. Der verwaltungsverfahrensrechtliche Aufhebungsanspruch aus § 42 SGB X steht einem Aufhebungsanspruch aus einem sachlich-rechtlichen Fehler gleich (BSG GS SozR 3-1300 § 24 Nr 6). Die Rückwirkung ist grundsätzlich verboten; ein Grund, weshalb hier ausnahmsweise Rechtssicherheit und Vertrauensschutz zurücktreten müssen, liegt nicht vor. Weil somit § 41 Abs 2 SGB X nF nicht anwendbar ist, kann es nicht zu der von der Beklagten begehrten Aufhebung des Urteils des LSG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht nach § 170 Abs 2 Satz 2 SGG führen, dass das Berufungsgericht § 41 Abs 2 SGB X nF seiner Beurteilung der Rechtslage nicht zu Grunde gelegt hat; dies war kein Verstoß gegen Bundesrecht.

5. Schon mangels Anwendbarkeit des § 41 Abs 2 SGB X nF greift auch § 114 Abs 2 Satz 2 SGG nicht ein, sodass erst recht eine Zurückverweisung des Rechtsstreits zur Ermöglichung eines Antrages auf Aussetzung des Verfahrens vor dem LSG nicht in Betracht kommt. Nach § 114 Abs 2 Satz 2 SGG, der seit der Aufhebung des § 94 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung "Sonderrecht" des Sozialgerichtsprozesses ist, kann (nicht: muss) das Gericht auf Antrag (also nicht von Amts wegen) die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration (des gerichtlichen Verfahrens) sachdienlich ist. Die Bestimmung soll die zum selben Zeitpunkt am 1. Januar 2001 in Kraft getretene "verwaltungsverfahrensrechtliche" Neuregelung des § 41 Abs 2 SGB X "prozessrechtlich" ergänzen. Da aber § 41 Abs 2 SGB X nF - wie ausgeführt - nicht anwendbar ist, kommt eine Nachholung während des Gerichtsverfahrens vor Abschluss der Tatsacheninstanzen ohnehin nicht in Betracht. Außerdem hat die Beklagte den seit dem 1. Januar 2001 grundsätzlich statthaften (wenn auch im vorliegenden Fall nicht zulässigen) Antrag vor dem LSG nicht gestellt, obwohl das LSG erst am 31. Januar 2001 mündlich verhandelt hat. Erst recht bedarf keiner Darlegung, dass ein Antrag nach § 114 Abs 2 Satz 2 SGG schlechthin nicht mehr zulässig gestellt werden kann, sobald erstmalig die letzte Tatsacheninstanz abgeschlossen und das Revisionsgericht angerufen ist (BSG SozR 3-2600 § 243 Nr 9; BSG SozR 3-8850 § 5 Nr 5).

6. Der Aufhebungsanspruch des Klägers war also wegen des Anhörungsmangels begründet, ohne dass darüber zu befinden war, ob das ihm zur Last gelegte Verhalten den Tatbestand des § 5 Abs 1 ERG erfüllt und ob die Beklagte mit der völligen Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente eine verhältnismäßige Rechtsfolge gesetzt hat. Es war auch nicht darauf einzugehen, dass die Beklagte der Aberkennung vom 23. April 1996, falls diese erst später bekannt gegeben und damit wirksam geworden sein sollte, uU eine unzulässige Rückwirkung auf Zeiten vor ihrer Bekanntgabe beigemessen haben könnte. Die Aufhebung der Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente wird allerdings nur im Umfang der Entscheidungsgründe dieses Urteils rechtskräftig, also nur im Blick auf die Verletzung des Anhörungsrechts des Klägers. Die Rechtskraft des Urteils steht einer neuen, zukunftsgerichteten Entscheidung der Beklagten nach § 5 Abs 1 ERG nicht entgegen, die auf Grund einer ordnungsgemäßen Anhörung ergehen müsste.

Dabei wird ggf zu beachten sein, dass es - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht darauf ankommt, ob die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs 2 StPO eingestellt hat. Entgegen der Ansicht der Beklagten wird nach den bindenden Maßstäben des BVerfG zu prüfen sein, ob alle dem Kläger entgegengehaltenen Taten ihm individuell zurechenbare Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit waren und ob sie ggf einen teilweisen oder - bei besonders schweren Verstößen - einen vollständigen Entzug des Rechts auf Entschädigungsrente rechtfertigen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 und 4 SGG.

Ende der Entscheidung

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