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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 31.07.2002
Aktenzeichen: B 4 RA 21/02 R
Rechtsgebiete: AAÜG


Vorschriften:

AAÜG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 31. Juli 2002

Az: B 4 RA 21/02 R

in dem Rechtsstreit

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 31. Juli 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Meyer, die Richterin Tüttenberg und den Richter Husmann sowie die ehrenamtlichen Richter Jungwirth und Johannsen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 18. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr 3 zum AAÜG verpflichtet ist, für den Kläger Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaften und Leiter kooperativer Einrichtungen der Landwirtschaft (Anordnung vom 31. Dezember 1987) festzustellen.

Der im Jahre 1939 geborene Kläger erwarb im April 1968 ein Diplom als Diplom-Betriebswirtschaftler an der Hochschule für Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften in M. ; seit April 1973 war er befugt, den Titel eines Fachingenieurs für sozialistische Betriebswirtschaft in der Landwirtschaft zu führen. Von Mai 1968 bis Februar 1990 war er Vorsitzender der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) "T." und der LPG "T. M.".

Mit Bescheid vom 13. Januar 2000 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 16. März 2000 lehnte die Beklagte die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem ua mit der Begründung ab: Für verdienstvolle LPG-Vorsitzende habe die Möglichkeit bestanden, auf Grund einer Ermessensentscheidung des Vorsitzenden des Rates des Bezirks in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen zu werden. Ein solches Ermessen sei für den Kläger nicht ausgeübt worden. Soweit aber in den Texten der Versorgungssysteme Aufzählungen mit einer Einschränkung vorgenommen worden seien, die eine Ermessensentscheidung erforderten, würden diese Personengruppen nicht im Sinne der Rechtsprechung als "konkret" aufgelistet gelten.

Das SG Leipzig hat durch Urteil vom 18. Dezember 2001 die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Zugehörigkeitszeiten iS des § 5 AAÜG würden nur dann vorliegen, wenn der Berechtigte konkret eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe, die ihrer Art nach von dem Zusatzversorgungssystem erfasst worden sei. Unerheblich sei dagegen, wie die DDR ihre Entscheidung im Einzelfall begründet habe. Auf derartige Erwägungen könne eine Einbeziehung nicht gestützt werden, ohne frühere Willkür fortzuführen. Der Kläger hätte nur dann in das zusätzliche Altersversorgungssystem einbezogen werden können, wenn er für sein tatsächliches Einkommen Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) bis zur jeweiligen Höchstgrenze entrichtet gehabt hätte. Da der Kläger seine Einkünfte jedoch nur bis 1.200,00 M monatlich versichert gehabt habe, obwohl es ihm seit 1977 möglich gewesen sei, sein gesamtes Einkommen zu versichern, habe er bereits die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem nicht erfüllt.

Der Kläger hat die vom SG mit Beschluss vom 26. Februar 2002 zugelassene (Sprung-)Revision eingelegt. Er rügt, das SG habe § 1 AAÜG iVm der Anordnung für die zusätzliche Altersversorgung für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaften und Leiter kooperativer Einrichtungen der Landwirtschaft verletzt. Hierzu trägt er vor: Für eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem sei ausreichend gewesen, wenn eine Beschäftigung als Vorsitzender einer LPG oder einer kooperativen Einrichtung ausgeübt worden sei. Sofern jedoch Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu dem oben genannten System auch die Zahlung von Beiträgen für seinen gesamten Verdienst gewesen sei, so sei zumindest die Zeit vom 1. Mai 1968 bis 31. Dezember 1987 anzuerkennen, da bis zu diesem Zeitpunkt die Anordnung über die zusätzliche Altersversorgung noch nicht existent gewesen sei, sodass ein fehlender Beitritt zur "vollen" FZR auch nicht zum Verlust der Versorgungsanwartschaft habe führen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 18. Dezember 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Beschäftigungszeiten vom 1. Mai 1968 bis zum 28. Februar 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für verdienstvolle Vorsitzende Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften und kooperativer Einrichtungen (Nr 3 der Anlage 1 zum AAÜG) festzustellen,

hilfsweise, ihm die Beschäftigungszeit vom 1. Mai 1968 bis 31. Dezember 1987 als Zusatzversorgungszeit festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und trägt ua ergänzend vor: Verdienstvolle Vorsitzende kooperativer Einrichtungen der Landwirtschaft hätten nur auf Grund einer Ermessensentscheidung des Vorsitzenden des Rates des Bezirks in das Zusatzversorgungssystem einbezogen werden können. Ein solches Ermessen sei für den Kläger nicht ausgeübt worden und könne aus bundesrechtlicher Sicht auch nicht nachgeholt werden.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

SG und Beklagte haben im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen mit den Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaften und Leiter kooperativer Einrichtungen der Landwirtschaft hat.

Die Vorschriften des AAÜG finden auf den Kläger keine Anwendung (§ 1 AAÜG).

Nach § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz "für Ansprüche und Anwartschaften", die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. "Erworben worden sind" in diesem Sinne aus der Perspektive des am 1. August 1991 in Kraft getretenen AAÜG (Art 3 RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606) Versorgungsanwartschaften auch, wenn Nichteinbezogene rückschauend nach den Regeln der Versorgungssysteme, soweit sie auf Grund des Einigungsvertrags vom 31. August 1990 (BGBl II S 889) Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 am 3. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden waren, praktisch und rechtsgrundsätzlich im Regelfall am 30. Juni 1990 (vgl Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt II Nr 8, § 22 Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990, GBl I S 495) hätten einbezogen werden müssen. Dies ist der Fall, wenn sie - ohne erfolgte Einzelfallregelung (Versorgungszusage, Einzelentscheidung, Einzelvertrag) - aus bundesrechtlicher Sicht einen Rechtsanspruch auf eine Versorgungszusage nach den Regelungen der Versorgungssysteme unter Beachtung des Gleichheitsgebots gehabt hätten. Schließlich wird nach § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG eine Versorgungsanwartschaft fingiert, wenn in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt einmal eine durch Einzelfallregelung konkretisierte Aussicht bestand, im Versorgungsfall Leistungen zu erhalten, diese Aussicht (Anwartschaft) aber auf Grund der Regelungen der Versorgungssysteme vor dem 1. Juli 1990 wieder entfallen war (vgl hierzu BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R - mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Da der Kläger zu keinem Zeitpunkt in der DDR eine Versorgungszusage (Art 19 Satz 1 EinigVtr) oder einen Einzelvertrag mit der konkreten Aussicht hatte, bei Eintritt des Versorgungsfalls Leistungen zu erhalten und auch insoweit keine Rehabilitierungsentscheidung vorliegt, können die Vorschriften des AAÜG mithin auf ihn nur Anwendung finden, wenn ihm aus bundesrechtlicher Sicht nach den Gegebenheiten der DDR, dh nach den insoweit vom EinigVtr noch partiell übernommenen Regelungen der Versorgungssysteme, wären diese unter Beachtung des Gleichheitsgebots umsetzt worden, eine Anwartschaft auf eine Versorgung am 30. Juni 1990 hätte eingeräumt werden müssen, er also, wäre der Versorgungsfall zu diesem Zeitpunkt eingetreten, zum 1. Juli 1990 im (jetzt) rechtsstaatlichen Umfeld ("kraft Gesetzes") Leistungen aus dem Versorgungssystem hätte beanspruchen können. Dies wäre der Fall gewesen, wenn er nach den Regelungen des Versorgungssystems "obligatorisch" im Sinne einer "gebundenen Verwaltung" - ohne Ermessensspielraum des Versorgungsträgers - in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätte einbezogen werden müssen, weil die abstrakt-generellen Voraussetzungen hierfür insoweit am 30. Juni 1990 (und deswegen am 1. August 1991) erfüllt waren. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Aus bundesrechtlicher Sicht hatte der Kläger am 30. Juni 1990 keine Versorgungsanwartschaft im og Sinn "erworben". Er hätte nach § 3 der Anordnung über die zusätzliche Versorgung für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaften lediglich durch eine Ermessensentscheidung (und nicht "kraft Gesetzes") in das Zusatzversorgungssystem einbezogen werden können. Eine derartige Ermessensentscheidung, die auch der Erzeugung politischen und gesellschaftlichen Wohlverhaltens diente, könnte jedoch allein aus der Sicht der DDR und nach deren Maßstäben getroffen werden. Sie darf infolgedessen mangels sachlich objektivierbarer, bundesrechtlich nachvollziehbarer Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden. Sollte der Kläger der Auffassung sein, er würde gegenüber denjenigen ungleich behandelt, die bereits als Vorsitzende einer LPG in das Zusatzversorgungssystem einbezogen gewesen seien, so ist dem entgegenzuhalten, dass - eine mögliche Ungleichbehandlung unterstellt - der Einigungsvertragsgesetzgeber nicht gehalten war, solche bereits in den Versorgungsordnungen angelegten Ungleichbehandlungen nachträglich zu korrigieren. Denn er durfte an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen, wie sie am 2. Oktober 1990 vorgelegen haben, im Rahmen der Rentenüberleitung anknüpfen (vgl BVerfGE 100, 138, 193 f).

Da der Kläger somit am 30. Juni 1990 (und auch zu keinem Zeitpunkt davor oder danach bis zum 1. August 1991) eine Versorgungsanwartschaft iS des § 1 AAÜG "erworben" hatte, fällt er nicht unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Bereits aus diesem Grunde steht ihm - unabhängig davon, dass er nach den Feststellungen des LSG am 30. Juni 1990 nicht Vorsitzender einer LPG war - kein Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach § 5 AAÜG zu. Seine Revision ist mithin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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