Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: B 4 RA 23/04 R
Rechtsgebiete: AAÜG


Vorschriften:

AAÜG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 26. Oktober 2004

Az: B 4 RA 23/04 R

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meyer, die Richterin Tüttenberg und den Richter Husmann sowie den ehrenamtlichen Richter Jungwirth und die ehrenamtliche Richterin Sachse

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 31. März 2004 und des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 16. Oktober 2002 aufgehoben. Die Klagen gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2000 werden abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, Tatbestände von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech), und zwar vom 1. Juli 1968 bis 30. Juni 1990, sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Der im April 1940 geborene Kläger erlangte nach Abschluss seines Studiums im Jahre 1965 den Grad eines Diplom-Ingenieurs der Studienrichtung Milchwirtschaft. Im hier streitigen Zeitraum, in der Zeit von Juli 1968 bis Juni 1990, war er bei der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft des Bezirks N. beschäftigt. Von Juli 1968 bis Dezember 1969 war er dort als Leiter des wissenschaftlich technischen Zentrums, von Januar 1970 bis Dezember 1974 als Ökonom für Datenverarbeitung und von Januar 1975 bis September 1990 als Fachdirektor tätig.

Seinen Antrag auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Juni 2000 ab, weil der Kläger nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens und auch nicht in einem diesem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen sei. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, seine Beschäftigung bei der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft sei mit derjenigen in einer Vereinigung volkseigener Betriebe (VVB) vergleichbar; diese sei in der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) vom 24. Mai 1951 (GBl S 487) zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl S 844) den Produktionsbetrieben gleichgestellt; es habe sich insoweit um ein wirtschaftsleitendes Organ gehandelt. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2000 zurück.

Das SG Neubrandenburg hat durch Urteil vom 16. Oktober 2002 die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Zeiten vom 1. Juli 1968 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG "anzuerkennen" und die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei den in das Versorgungssystem der AVItech Einbezogenen auf Grund verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs 1 AAÜG gleichzustellen. Zwischen den Beteiligten sei "unstreitig", dass er die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die AVItech erfülle. Auch die betriebliche Voraussetzung für eine Einbeziehung habe vorgelegen. Der Kläger sei im og Zeitraum bei der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft N. beschäftigt gewesen. Insoweit handele es sich - nach Wertung der Kammer - um einen gleichgestellten Betrieb iS von § 1 Abs 2 2. DB zur VO-AVItech, nämlich um eine VVB. Von der typischen VVB habe sich die Vereinigung für die Lenkung der milchverarbeitenden Industrie lediglich dadurch unterschieden, dass ihr neben volkseigenen Betrieben (VEB) auch genossenschaftliche Betriebe unterstellt gewesen seien. Sie sei jedoch gemäß Ziffer I.1.2 der Finanzierungsrichtlinie für 1971 - Nahrungsgüterwirtschaft - vom 12. Mai 1971 den Kombinaten der Milchwirtschaft gleichgestellt gewesen.

Mit Urteil vom 31. März 2004 hat das LSG Mecklenburg-Vorpommern die Berufung der Beklagten mit folgender Begründung zurückgewiesen: Der Kläger habe in der DDR zwar keine Versorgungszusage erhalten; er sei jedoch auf Grund verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs 1 AAÜG den in das Zusatzversorgungssystem Einbezogenen gleichzustellen. Denn er hätte bundesrechtlich am 30. Juni 1990 einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Die Einbeziehung in die AVItech sei von drei Voraussetzungen, nämlich einer persönlichen, einer sachlichen und einer betrieblichen, abhängig gewesen. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass der Kläger als Diplom-Ingenieur die persönliche und die fachliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVItech erfüllt gehabt habe. Ferner sei unstreitig, dass die Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft N. nicht ein volkseigener Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens gewesen sei. Die Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft sei jedoch nach Ansicht des Senats ein gleichgestellter Betrieb iS der 2. DB zur VO-AVItech gewesen. Das SG habe zutreffend ausgeführt, dass die VVB ein wirtschaftsleitendes Organ gewesen sei, dem VEB, Kombinate und Einrichtungen unterstellt gewesen seien. Nach § 2 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB vom 28. März 1973 (<Kombinats-VO 1973> GBl I S 129) habe diese Verordnung ua für Betriebe der Landwirtschaft gegolten. Gemäß § 34 aaO sei die VVB für die Durchsetzung der Wirtschaftsaufgaben im Industriezweig verantwortlich gewesen. Finanzwirtschaftlich sei sie Zwischenglied zwischen Staatshaushalt und den unterstellten Betrieben gewesen. Die wirtschaftliche Rechnungsprüfung der VVB sei abgeleitet von der Gewinn- und Verlustrechnung der Betriebe. Die Kombinats-VO 1973 sei nach dem Statut der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft Grundlage der Gründung gewesen; sie sei "entsprechend" der Regelung des § 47 Abs 3 aaO in das Register der volkseigenen Wirtschaft einzutragen gewesen. Die Besonderheit der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft des Bezirks N. habe darin bestanden, dass ihr im Gegensatz zu anderen VVB nicht nur VEB, sondern auch Molkereigenossenschaften unterstellt gewesen seien. Nach Ansicht des Senats ändere diese Tatsache jedoch nichts an dem Charakter der Vereinigung als VVB iS der 2. DB VO-AVItech.

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 1 AAÜG durch das LSG und trägt vor: Der Kläger habe zwar die persönliche Voraussetzung für eine Zugehörigkeit zur AVItech erfüllt, nicht jedoch die sachliche und die betriebliche. Nicht festgestellt sei, ob der Kläger am 30. Juni 1990 als Ingenieur beschäftigt gewesen sei. Er sei nach den Unterlagen als "Direktor Ökonomie" mit der Planung und Lösung von finanzökonomischen Aufgaben der Vereinigung befasst gewesen, nicht jedoch mit ingenieurtechnischen Aufgaben; nur für eine derartige Beschäftigung sei das Versorgungssystem der technischen Intelligenz eingeführt worden. Es fehle auch an der betrieblichen Voraussetzung für eine Zugehörigkeit zur AVItech. Unterstellt gewesen seien den VVB nur Wirtschaftseinheiten, die sich im Volkseigentum befunden hätten. Es sei der Kombinats-VO 1973 nicht zu entnehmen, dass eine derartige VVB sich auch aus VEB und sozialistischen Genossenschaften habe zusammensetzen können. Eine Eintragung der Vereinigung in das Register der volkseigenen Wirtschaft sei als "andere Einrichtung im Bereich der Volkswirtschaft" möglich gewesen. Im Unterschied zu Kooperationsverbänden, ua landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und sozialistischen Betrieben der Nahrungsgüterwirtschaft, hätten derartige Vereinigungen lediglich kombinatsähnlichen Charakter gehabt.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 31. März 2004 und des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 16. Oktober 2002 aufzuheben und die Klagen gegen den Bescheid vom 19. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2000 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor: Entgegen der Ansicht der Beklagten habe er durch seine Beschäftigung als Fachdirektor für Ökonomie in der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft sowohl die sachliche als auch die betriebliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVItech erfüllt. Die Vereinigung sei eine eigenständige selbstständige Firma gewesen, die dem Rat des Bezirks unterstellt gewesen sei. Zuständiges Zentralorgan sei das Ministerium für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft gewesen. Zu dieser Vereinigung hätten verschiedene "Eigentumsformen" gehört, nämlich sechs VEB, zehn Genossenschaften und ein Kombinat. Diese Konstellation sei für die Bildung eines VVB hinderlich, obgleich nach allen anderen Kriterien eine Gleichstellung mit einer VVB festzustellen sei. Mit dem Eintragungsantrag zum Register der volkseigenen Wirtschaft sei das Statut eingereicht worden. Der Hauptdirektor sei vom übergeordneten staatlichen Organ berufen worden. Die Eintragung sei als VVB erfolgt.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben. Denn der Kläger hat keinen mit den Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 SGG) verfolgbaren Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech im Zeitraum vom 1. Juli 1968 bis 30. Juni 1990 sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte (§ 8 Abs 3 Satz 1, Abs 1 und 2 AAÜG). Die Vorschriften des AAÜG finden auf den Kläger bereits keine Anwendung, da die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 AAÜG nicht vorliegen. Im Hinblick hierauf ist nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen nach § 5 Abs 1 AAÜG gegeben sind (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 1).

1. Der Kläger war - wie das LSG festgestellt hat - am 1. August 1991 nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft.

a) Maßstabsnorm ist insoweit § 1 Abs 1 AAÜG. Nach Satz 1 dieser Bestimmung gilt das Gesetz für Versorgungsberechtigungen (Ansprüche oder Anwartschaften), die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG). War ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei einem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Anwartschaftsverlust nach Satz 2 dieser Vorschrift als nicht eingetreten.

Geht man von dem Wortlaut der Vorschrift aus, so erfüllt der Kläger beide Tatbestände nicht.

Der Kläger war nicht Inhaber einer bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG). Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihm zum 1. August 1991 eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden ist, liegt nicht vor; weder hatte er eine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt, noch hatte er nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG eine frühere Versorgungszusage in Form eines nach Art 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakts. Der Kläger war auch nicht auf Grund einer späteren Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der AVItech einbezogen worden.

Für den Kläger gilt § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG ebenfalls nicht. Denn er hatte nach den bindenden Feststellungen des LSG vor dem 30. Juni 1990 keine Versorgungsanwartschaft erlangt, die er bei einem Ausscheiden hätte verlieren können. Nur in diesen Fällen wird kraft Gesetzes eine Anwartschaft nach § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG fingiert (vgl Urteile des BSG, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 15, Nr 3 S 20 f).

b) Der Kläger hatte nach dem am 1. August 1991 gültigen Bundesrecht und auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Umstände aus bundesrechtlicher Sicht auch keinen Anspruch auf Erteilung einer fiktiven Versorgungszusage iS der vom erkennenden Senat vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs 1 AAÜG (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 12, Nr 4 S 26 f, Nr 5 S 32 f, Nr 6 S 39 f, Nr 8 S 72 ff). Zwar hat der EV (Art 9 Abs 2 iVm Anl II Kap VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9) vom 31. August 1990 (BGBl II S 889) eine Neueinbeziehung in ein Versorgungssystem ausdrücklich untersagt; dies ist durch § 22 Abs 1 Rentenangleichungsgesetz DDR vom 28. Juni 1990 (GBl I S 495, Art 9 Abs 2 EV iVm der Anl II Kap VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr 8) bekräftigt worden. Neueinbeziehungen konnten danach seit dem 1. Juli 1990 nicht mehr wirksam werden. Allerdings ist der dieses Verbot durchbrechende § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG aus Gründen der Gleichbehandlung verfassungskonform - erweiternd - auszulegen. Der Senat hat insoweit entschieden, dass eine (fiktive) Versorgungsanwartschaft nicht nur bei denjenigen besteht, die am 30. Juni 1990 zwar nicht in ein Versorgungssystem einbezogen waren, jedoch nach § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG so behandelt werden, weil sie zu irgendeinem Zeitpunkt davor aus dem Versorgungssystem ausgeschieden waren, sondern auch bei denjenigen, die am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme zwar die Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllt gehabt hätten, jedoch aus bundesrechtlich nicht anzuerkennenden Gründen nicht einbezogen worden waren. Unter den Anwendungsbereich des AAÜG fallen somit auch diejenigen, die auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 1. August 1991 gegebenen bundesrechtlichen Rechtslage einen fiktiven "Anspruch" auf eine Versorgungszusage gehabt hätten (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 11).

Ein derartiger - fiktiver - bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage im Bereich der AVItech hängt gemäß § 1 der VO-AVItech iVm § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 2. DB zur VO-AVItech von den folgenden Voraussetzungen ab (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 14, Nr 5 S 33, Nr 6 S 40 f, Nr 7 S 60, Nr 8 S 74), nämlich von

1. der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und

2. der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar

3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs 2 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

2. Obwohl das LSG keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, die eine Beurteilung ermöglichen, ob der Kläger als Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Milchwirtschaft im Hinblick auf seine Beschäftigung als Fachdirektor am 30. Juni 1990 die sachliche Voraussetzung iS der 2. DB zur VO-AVItech erfüllt und im Wesentlichen eine seiner beruflichen Qualifikation entsprechende ingenieurtechnische Beschäftigung ausgeübt hat, kann der Senat abschließend entscheiden. Denn die Feststellungen des LSG ergeben, dass der Kläger am 30. Juni 1990 bereits nicht die betriebliche Voraussetzung für die Erteilung einer fiktiven Versorgungszusage erfüllt hat. Er war nicht in einer den volkseigenen Produktionsbetrieben iS von § 1 Abs 2 2. DB zur VO-AVItech gleichgestellten VVB, sondern in einer hiermit nicht identischen Vereinigung, nämlich derjenigen der Betriebe der Milchwirtschaft, einem Zusammenschluss von VEB und Genossenschaften, also von verschiedenen Arten von sozialistischen Wirtschaftseinheiten (vgl hierzu Heuer, Wirtschaftsrecht 1985, S 75) beschäftigt. Diese ist in dem Katalog der abschließend aufgeführten, den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellten "Einrichtungen" aber nicht enthalten. Das LSG hat zwar die Rechtsauffassung vertreten, bei der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft habe es sich um eine VVB iS der 2. DB aaO gehandelt; unerheblich sei, dass in der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft sowohl VEB als auch Genossenschaften (und Kombinate) zusammengefasst gewesen seien. Insoweit hat das LSG jedoch verkannt, dass es nach den Texten der VO-AVItech iVm der hierzu ergangenen 2. DB nicht genügt, wenn eine Vereinigung einer VVB weitgehend gleichgestellt war. Vielmehr muss tatsächlich eine VVB vorgelegen haben (vgl hierzu entsprechend BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 65); ein lediglich kombinatsähnlicher Charakter der Vereinigung (vgl Heuer, aaO, S 162) ist insoweit nicht ausreichend.

a) Maßgebend für die rechtliche Beurteilung der Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer fiktiven Versorgungszusage iS der erweiternden Auslegung des § 1 Abs 1 AAÜG hat, sind die - sekundär bundesrechtlichen - abstrakt-generellen Regelungen in den Texten der VO-AVItech sowie der 2. DB zur VO-AVItech. Für das Sprachverständnis dieser Texte ist rückschauend auf den staatlichen Sprachgebrauch der DDR am 30. Juni 1990 abzustellen, an den der Bundesgesetzgeber angeknüpft hat (vgl BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 13, Nr 5 S 34, Nr 8 S 73 f). Keine versorgungsrechtliche Bedeutung haben hingegen ua Richtlinien, da es sich insoweit nicht um eine von einem zuständigen Rechtsetzungsorgan in der vorgesehenen Form getroffene abstrakt-generelle Regelung handelt (vgl hierzu entsprechend BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 13/04 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Geht man von diesen Auslegungsgrundsätzen aus, so wird deutlich, dass § 1 Abs 2 2. DB zur VO-AVItech nur bestimmte Arten von Einrichtungen und Institutionen aufführt und diese den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichstellt. Lediglich dann also, wenn der Kläger am 30. Juni 1990 bei einer der dort - abschließend - genannten "Einrichtungen", nämlich - hier allein in Betracht kommend - einer VVB beschäftigt war, könnte er unter - weiteren Voraussetzungen - unter den Anwendungsbereich des AAÜG fallen.

Der - soweit erkennbar - letzte maßgebliche staatliche Sprachgebrauch der DDR zu dem Begriff "VVB" ist in der Kombinats-VO 1973 enthalten. Denn §§ 33 ff dieser Verordnung sind nicht durch die Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und VEB vom 8. November 1979 (<Kombinats-VO 1979> GBl I S 355) aufgehoben worden (§ 43 Abs 2 Kombinats-VO 1979). § 34 Abs 1 Kombinats-VO 1973 definiert die VVB als ein wirtschaftsleitendes Organ, dem VEB, Kombinate und Einrichtungen unterstellt sind. Die Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft hätte infolgedessen - unabhängig von weiteren Voraussetzungen - nur dann ein VVB sein können, wenn die zur Vereinigung gehörenden Genossenschaften "Einrichtungen" iS von § 34 Abs 1 Kombinats-VO 1973 gewesen wären. Dies war jedoch nicht der Fall.

Die Kombinats-VO 1973 selbst enthält zwar keine Definition des Begriffs "Einrichtung". Die "Vorgänger"-Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes vom 9. Februar 1967 (GBl II S 121), die durch die Kombinats-VO 1973 abgelöst wurde und auf der diese aufbaut, hat jedoch allein für VEB und volkseigene Einrichtungen gegolten, also gerade nicht für Genossenschaften. Denn § 49 Abs 2 der Verordnung von 1967 bestimmte, dass unter Beachtung der zweigbedingten Besonderheiten die Verordnung auf alle VEB und volkseigenen Einrichtungen Anwendung finde. Die Differenzierung zwischen volkseigenen Wirtschaftseinheiten und Genossenschaften entspricht im Übrigen dem Wirtschaftsrecht der DDR. Dieses unterschied (ua) zwischen volkseigenen Wirtschaftseinheiten, zu denen VEB, Kombinate und volkseigene Einrichtungen zählten (vgl Heuer, aaO, S 75), und Genossenschaften - einem Zusammenschluss von Werktätigen, die auf der Grundlage von Statuten gemeinsam zu bewirtschaftendes Eigentum bildeten, und den Gewinn ihrer Betriebe ua zur Auszahlung an ihre Mitglieder verwendeten (vgl § 18 Abs 1 Zivilgesetzbuch/DDR vom 19. Juni 1975; GBl I S 465; vgl hierzu im Übrigen BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 43).

c) Die auf der Differenzierung beruhende unterschiedliche rechtliche Behandlung von volkseigenen Wirtschaftseinheiten und Genossenschaften ergibt sich im Übrigen auch aus der vom LSG in Bezug genommenen Anordnung zur Einführung der wirtschaftlichen Rechnungsführung in den Vereinigungen für die Lenkung der milchverarbeitenden Industrie vom 3. Oktober 1967 (GBl II S 708). Zwar hatten die Vereinigungen danach die für die VVB geltenden Grundsätze des Rechnungswesens anzuwenden. Es wurde dort jedoch bei der Bilanzierung, der Mittelverwendung und der Fondsbildung klar unterschieden zwischen den VEB und den Genossenschaften (§ 2 Abs 3, § 3 Abs 5, § 4 aaO; vgl im Übrigen Heuer, aaO, S 162). Gleiches lässt sich der - ebenfalls - vom LSG zitierten Finanzierungsrichtlinie für die Nahrungsgüterwirtschaft von 1971 entnehmen (Ziffer IV Nr 2). Wenn dort (Ziffer I.1.2) darauf hingewiesen wird, dass in den nachfolgenden Ziffern die Vereinigungen als VVB bezeichnet werden, so stellt sich dies - unabhängig davon, dass es sich bei der Richtlinie nicht um eine vom zuständigen Rechtsetzungsorgan in der vorgesehenen Form getroffene Regelung handelt und unabhängig von der oben aufgezeigten unterschiedlichen Behandlung im Rechnungswesen - als eine der Vereinfachung dienende Abkürzung dar und nicht als eine Gleichstellung der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft mit einer VVB. Darüber hinaus war - im Übrigen - vertretungsberechtigtes Organ bei der Vereinigung der Betriebe der Milchwirtschaft ein Hauptdirektor und nicht ein Generaldirektor wie bei der VVB (§§ 35 Abs 2, Abs 3, 47 Abs 1 Kombinats-VO 1973).

3. Der Kläger kann auch nicht im Wege einer weiteren Gesetzes- bzw Rechtsanalogie auf Grund seiner beruflichen Qualifikation als Diplom-Ingenieur und auf Grund einer Beschäftigung in einem wirtschaftsleitenden "Unternehmen" den in § 1 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 2. DB zur VO-AVItech genannten Gruppen durch eine nachträgliche Korrektur gleichgestellt werden. Der EV hat grundsätzlich nur die Überführung damals bestehender Versorgungsansprüche und -anwartschaften von "Einbezogenen" in das Bundesrecht versprochen und Neueinbeziehungen - worauf bereits hingewiesen - ausdrücklich untersagt. Das Verbot der Neueinbeziehung auf Grund von der DDR erlassenen Versorgungsregelungen ist verfassungsgemäß. Eine Erweiterung des einbezogenen Personenkreises durch vollziehende Gewalt oder Rechtsprechung über die in § 1 Abs 1 AAÜG selbst angelegte Modifikation hinaus ist nicht erlaubt (Art 20 Abs 3 GG) und würde das Einbeziehungsverbot unterlaufen. Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung dieser Versorgungssysteme in der DDR ohne Willkür anknüpfen (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 16, Nr 8 S 79). Art 3 Abs 1 und 3 GG gebieten nicht, vorhandene Ungleichheiten rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen (vgl hierzu BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01).

4. Die Revision hat mithin Erfolg.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Ende der Entscheidung

Zurück