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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: B 4 RA 37/03 B
Rechtsgebiete: SGG, GG


Vorschriften:

SGG § 62
SGG § 128 Abs 2
SGG § 160a Abs 2 Satz 3
GG Art 103 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 RA 37/03 B

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 23. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Meyer, die Richterin Tüttenberg und den Richter Dr. Knörr sowie die ehrenamtliche Richterin Grützmacher und den ehrenamtlichen Richter Oster

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 31. Oktober 2002 aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 18. Dezember 2000 zurückgewiesen hat.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Der 1960 geborene Kläger, der den Beruf des Drehers erlernt und bis 1991 ausgeübt hat, begehrt in der Hauptsache die Zuerkennung eines Rechts auf Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Antrag, Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben. Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) am 16. Oktober 2002 eine ergänzende Auskunft des Arbeitgebers des Klägers (R. B. ) eingeholt, die am 22. Oktober 2002 bei Gericht einging. Durchschriften der Anfrage und der Auskunft wurden den Beteiligten am 24. Oktober 2002 zur Kenntnis zugeleitet. In der mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2002 hat der Kläger beantragt, ihm ab 1. Dezember 1998 Rente wegen BU zu zahlen, hilfsweise einen Schriftsatz zur Stellungnahme auf die berufskundliche Auskunft des Arbeitgebers vom 22. Oktober 2002, die erst vor drei Tagen bei ihm eingegangen sei, nachzulassen, weiter hilfsweise, ein berufskundliches Gutachten von den Tarifvertragsparteien zu der Behauptung einzuholen, dass die von ihm ausgeübte Tätigkeit in der Tarifgruppe 3 des Haustarifvertrages des Arbeitgebers keine Tätigkeit sei, die der Anlernebene zuzurechnen sei.

Mit Urteil vom 31. Oktober 2002 hat das LSG die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 1998 bis 31. Januar 2001 Rente wegen BU zu zahlen. Im Übrigen hat es die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 18. Dezember 2000 zurückgewiesen und ausgeführt: Der Kläger könne den bisherigen Beruf des Drehers aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Er könne auch nicht auf seine bis Ende Januar 2001 ausgeübte Tätigkeit als (einfacher) Empfangsangestellter verwiesen werden, weil es sich dabei nach ihrem qualitativen Wert um eine ungelernte Tätigkeit gehandelt habe. Er müsse sich jedoch auf die seit dem 1. Februar 2001 ausgeübte Tätigkeit als 1. Empfangsangestellter verweisen lassen. Es sei nunmehr eine tarifliche Einstufung hinzugetreten, die den Kläger tariflich anderen angelernten Arbeitnehmern gleichstelle. Die Tätigkeit stelle sich als eine gehobene Pförtnertätigkeit dar. Diese Tätigkeit sei dem Kläger auch gesundheitlich zumutbar. Den Hilfsanträgen sei nicht zu folgen gewesen; der anwaltlich vertretene Kläger habe vor der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gehabt, sich mit dem Inhalt der kurzen Arbeitgeberauskunft vom 22. Oktober 2002 vertraut zu machen und darauf während der mündlichen Verhandlung einzugehen. Für die Einordnung des ausgeübten Berufs in das von der Rechtsprechung entwickelte Mehrstufenschema bedürfe es im Übrigen keines berufskundlichen Gutachtens.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Er macht geltend, das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Er habe nicht die Möglichkeit gehabt, zu der Frage Stellung zu nehmen, welche Gründe für die Umgruppierung zum 1. Februar 2001 maßgeblich gewesen seien. Diese ließen sich nicht aus der Auskunft des Arbeitgebers vom 22. Oktober 2002 entnehmen. Der Grundsatz eines fairen Verfahrens hätte es geboten, ihm die Möglichkeit einer schriftsätzlichen Stellungnahme nach Rücksprache mit der Personalabteilung seines Arbeitgebers einzuräumen. Das LSG hätte seinem hilfsweise gestellten Antrag, einen Schriftsatz nachzulassen, entsprechen und erforderlichenfalls die mündliche Verhandlung vertagen müssen. Er habe bei dem Verfahrensablauf keine Möglichkeit gehabt, die Verletzung des rechtlichen Gehörs bereits vor dem LSG geltend zu machen. Die nicht einfach zu beurteilende Frage, ob qualitätsfremde Gründe für die Höhergruppierung ursächlich gewesen seien, habe nicht kurzfristig mit dem Arbeitgeber erörtert und geklärt werden können. Das angefochtene Urteil beruhe auch auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es sei nicht auszuschließen, dass das LSG anders entschieden hätte, wenn er Folgendes hätte vortragen können: Die tarifliche Einstufung erlaube dann keinen Schluss auf die Qualität der Beschäftigung, wenn dafür hauptsächlich der Ablauf einer Bewährungszeit und die Betriebszugehörigkeit entscheidend gewesen sei. In einem solchen Fall komme der tariflichen Einstufung keine Indizwirkung für die Qualität der ausgeübten Tätigkeit zu. Dies sei hier der Fall. Die bisherige Tätigkeit des Klägers sei nur quantitativ angereichert worden. Zudem seien für die Umgruppierung auch Zeiten der Betriebszugehörigkeit und die bisherige berufliche Bewährung maßgeblich gewesen. Außerdem sei die Höhe des Gehalts identisch. Beim Kläger lägen die Voraussetzungen für eine gehobene Pförtnertätigkeit mit dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten beruflichen Anforderungsprofil nicht vor.

Der Kläger rügt ferner eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Das LSG sei seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten und protokollierten Beweisantrag, ein berufskundliches Gutachten der Tarifvertragsparteien einzuholen, ohne hinreichende Gründe nicht gefolgt. Die vom LSG gegebene Begründung, für die Einordnung in das vom BSG entwickelte Mehrstufenschema bedürfe es keines berufskundlichen Gutachtens, sei nicht stichhaltig. Aus der eingeholten Auskunft des Arbeitgebers hätten sich nicht alle Tatsachen ergeben, die in materieller Hinsicht entscheidungserheblich gewesen seien. Dies hätte durch eine ergänzende Auskunft des Arbeitgebers oder ein berufskundliches Gutachten der Tarifvertragsparteien geklärt werden müssen, zu deren Einholung sich das LSG auch hätte gedrängt fühlen müssen. Denn die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit des 1. Empfangsangestellten gehöre zur Gruppe der ungelernten Tätigkeiten.

II

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer unzureichenden Gewährung rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>; Art 103 Abs 1 Grundgesetz <GG>) liegt vor. Es kann deshalb dahin gestellt bleiben, ob das LSG seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) dadurch verletzt hat, dass es die vom Kläger beantragte Beweisaufnahme nicht durchgeführt hat (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

Der Kläger hat zulässig (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) und begründet gerügt, dass das LSG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt hat, dass es verfahrensfehlerhaft (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) unterlassen hat, ihm, wie hilfsweise beantragt, einen Schriftsatz nachzulassen, damit er Gelegenheit erhält, nach Rücksprache mit der Personalabteilung seines Arbeitgebers zur Umgruppierung zum 1. Februar 2001 Stellung zu nehmen.

Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG, der einfachrechtlich das durch Art 103 Abs 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren; dies gilt insbesondere für eine die Instanz abschließende Entscheidung wie das am 31. Oktober 2002 nach mündlicher Verhandlung verkündete Urteil. Demgemäß darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG). Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs im Gerichtsverfahren hat ua zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen und ihnen dazu eine angemessene Zeit eingeräumt wird (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 8; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28; BSG Urteil vom 12. April 2000 - B 9 VH 1/99 R, HVBG-INFO 2000, 2227; BSG Urteil vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 8/02 R, SGb 2003, 152). Dies gilt auch für den Verfahrensabschnitt der mündlichen Verhandlung, in der das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern ist (§ 112 Abs 2 SGG). In der mündlichen Verhandlung, dem "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens (BSGE 44, 292 = SozR 1500 § 124 Nr 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 57), haben die Beteiligten Gelegenheit, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern, sei es erstmalig oder ergänzend zu vorangegangenen Schriftsätzen. Nimmt der Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung eine unerwartete Wendung, etwa dadurch, dass bisher nicht erörterte (evtl entscheidungserhebliche) Gesichtspunkte auftauchen oder das Gericht den Beteiligten mit einer geänderten Rechtsauffassung gegenübertritt (vgl zB BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 20 S 58; BSG Urteil vom 12. April 2000 - B 9 VH 1/99 R, HVBG-INFO 2000, 2227), so muss vom Gericht, um Überraschungsentscheidungen zu verhindern, sichergestellt werden, dass sich die Beteiligten sachgemäß zum Prozessstoff äußern können. Dazu ist ihnen angemessene Zeit einzuräumen und die Möglichkeit zu geben, Rat einzuholen (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 8). Denn die Beteiligten haben Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren (Art 19 Abs 4 und Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG; dazu: BVerfGE 78, 123, 126; 88, 118, 123 ff; BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 2 S 9; BSG Urteil vom 12. April 2000 - B 9 VH 1/99 R, HVBG-INFO 2000, 2227; Urteil des Senats vom 30. Oktober 2001 - B 4 RA 49/01 R, unveröffentlicht). Diese Rechte dürfen nicht dadurch verletzt werden, dass die Gestaltung des Verfahrens in nicht angemessenem Verhältnis zu den auf Sachaufklärung und Verwirklichung des materiellen Rechts gerichteten Verfahrenszielen steht und insbesondere eine Rücksichtnahme auf Verfahrensbeteiligte in der konkreten Situation vermissen lässt. In solchen Fällen hat das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs Vorrang vor der in § 106 Abs 2 SGG verankerten Beschleunigungspflicht, den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (so BSG SozR Nr 13 zu § 106 SGG; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 9; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28; BSG Urteil vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 8/02 R, SGb 2003, 152). Gibt ein Beteiligter zu erkennen, dass er außer Stande ist, sich in der mündlichen Verhandlung ohne weiteren Rat sachgemäß zu erstmals eingeführten Tatsachen, Erfahrungssätzen oder rechtlichen Gesichtspunkten, die möglicherweise für die Sachentscheidung erheblich sind, zu äußern, so ist ihm auf Antrag eine angemessene Frist zur Stellungnahme einzuräumen, falls nicht offensichtlich ist, dass er den Antrag missbräuchlich stellt. Welche Frist angemessen ist, richtet sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls. Hält ein Beteiligter es für erforderlich, Rat oder Informationen von Dritten einzuholen, und ist dies nicht offensichtlich unbegründet, ist ihm im Regelfall - wie bei einer im Rahmen der Anhörung nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gesetzten Frist (dazu: BSG SozR 1300 § 24 Nr 4 S 7 f; BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 7 S 21 ff; BSG Urteil vom 5. Oktober 1995 - 2 RU 11/94, HVBG-INFO 1996, 13; zur Frist im Rahmen der Anhörung nach § 153 Abs 4 SGG: Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 16/97, USK 97100; BSG Beschluss vom 22. Juni 1998 - B 12 KR 85/97 B; BSG Urteil vom 7. November 2000 - B 2 U 14/00 R, USK 2000-76) - eine Frist von zwei Wochen ab Zugang der Mitteilung unter Ausschluss der Postlaufzeiten einzuräumen. Den Beteiligten muss genügend Zeit bleiben, (1) sich mit dem evtl entscheidungserheblichen neuen Gesichtspunkt vertraut zu machen und vorbereitende Überlegungen anzustellen, (2) medizinischen oder rechtlichen Rat oder von Dritten benötigte Informationen einzuholen und (3) eine sachgemäße Äußerung abzufassen. Hierauf ist gerade auch bei der Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung zu achten, so dass Beweisergebnisse (§ 170 SGG) und ggf neues Vorbringen enthaltende Schriftsätze (§ 108 SGG) entsprechend rechtzeitig vor der Verhandlung mitzuteilen sind.

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger nicht ausreichend Zeit, sich mit dem vom LSG erstmals in der mündlichen Verhandlung erörterten entscheidungserheblichen Gesichtspunkt der Verweisung auf den Beruf des 1. Empfangsangestellten vertraut zu machen, ergänzende Informationen vom Arbeitgeber zum qualitativen Wert des Berufs einzuholen und dazu eine sachgemäße Äußerung abzugeben. Dass der Gesichtspunkt der ab 1. Februar 2001 ausgeübten Beschäftigung als 1. Empfangsangestellter, die - anders als die bis dahin ausgeübte Beschäftigung - in die Tarifgruppe 3 des Haustarifvertrages des Arbeitgebers eingestuft war, entscheidungserheblich werden könnte, ist vom LSG erstmals in der Anfrage an den Arbeitgeber vom 16. Oktober 2002 angedeutet worden. Darin wird als Inhalt eines Telefonats mit einer Mitarbeiterin des Arbeitgebers festgehalten, dass der Kläger "ab 1. Februar 2001 als 1. Empfangsangestellter beschäftigt ist". Der Fragenkatalog dieser Anfrage und die Auskunft des Arbeitgebers vom 22. Oktober 2002 enthalten keine weiteren Ausführungen zu dieser Beschäftigung, insbesondere nicht zu deren qualitativem Wert. Durchschriften der gerichtlichen Anfrage und der Arbeitgeberauskunft hat der Kläger nach seinen Angaben erst am 28. Oktober 2002, drei Tage vor der mündlichen Verhandlung vom 31. Oktober 2002, erhalten. Der Niederschrift des Gerichts über die mündliche Verhandlung ist zwar nicht zu entnehmen, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erörtert wurden. Aus den hilfsweise gestellten Anträgen des Klägers auf Nachlass eines Schriftsatzes und auf weitere Sachaufklärung lässt sich jedoch folgern, dass in der mündlichen Verhandlung vor allem erörtert wurde, ob der Kläger auf die von ihm ab 1. Februar 2001 ausgeübte Beschäftigung als 1. Empfangsangestellter verweisbar sei. Zu diesem Ergebnis ist das LSG dann in der Beratung und im anschließend verkündeten und begründeten Urteil gelangt, wobei es davon ausging, dass es sich - anders als bei der bis Ende Januar 2001 ausgeübten Beschäftigung - auf Grund der tarifvertraglichen Einstufung nach ihrem qualitativen Wert um eine angelernte Tätigkeit handele.

Bei dieser Gestaltung des Verfahrens hatte der Kläger vor und in der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit, sich sachgemäß zum qualitativen Wert der von ihm seit 1. Februar 2001 innegehabten Tätigkeit als 1. Empfangsangestellter nach Tarifgruppe 3 des Haustarifvertrags des Arbeitgebers zu äußern (vgl zur Bedeutung der tariflichen Einstufung für den qualitativen Wert des Berufs: Urteil des Senats vom 25. Januar 1994 - 4 RA 35/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr 41 S 170 f). Mit den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsanträgen hat der Kläger deutlich zu erkennen gegeben, dass er für den Fall, dass das LSG die Zurückweisung seiner Berufung in Erwägung zieht, nochmals Gelegenheit zur Äußerung haben will bzw eine weitere Sachaufklärung zu seiner ab 1. Februar 2001 innegehabten Tätigkeit als 1. Empfangsangestellter für erforderlich hält. Das Gericht hätte deshalb dem Kläger den beantragten Schriftsatz nachlassen und ihm damit Gelegenheit zu einer weiteren Äußerung binnen einer angemessenen Frist von 14 Tagen (ohne Anrechnung der Postlaufzeiten) geben müssen. Für den weiteren Verfahrensablauf hätte das LSG verschiedene prozessuale Möglichkeiten gehabt: Es hätte etwa einen gesonderten Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumen können (§ 132 Abs 1 Satz 3 SGG) mit vorhergehender Beratung ua über den nachgelassenen Schriftsatz des Klägers mit denselben Berufs- und ehrenamtlichen Richtern, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben (§ 129 SGG). Es hätte aber auch die mündliche Verhandlung vertagen können (§ 227 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung <ZPO> iVm § 202 SGG; zur Vertagung der mündlichen Verhandlung: BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 8 f; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28 f; BSG Urteil vom 12. April 2000 - B 9 VH 1/99 R, HVBG-INFO 2000, 2227; BSG Urteil vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 8/02 R, SGb 2003, 152; zur Verlegung eines Termins: BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 57 ff; BSG Urteil vom 30. Oktober 2001 - B 4 RA 49/01 R, unveröffentlicht). Ferner hätte es den Termin aufheben und die Beteiligten fragen können, ob sie mit einer Entscheidung ohne (weitere) mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) nach Ablauf angemessener Schriftsatzfristen einverstanden seien. Da das LSG von diesen Gestaltungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht hat, hat es den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.

Auf dieser Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör kann das mit der Beschwerde angefochtene Urteil des LSG auch beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die vom LSG genannte Tätigkeit des 1. Empfangsangestellten (gehobener Pförtner) nicht als zumutbarer Verweisungsberuf angesehen werden kann, etwa wenn die Einwendung des Klägers durchgreift, dass die tarifvertragliche Einstufung ab 1. Februar 2001 im vorliegenden Fall keinen Schluss auf den qualitativen Wert des Verweisungsberufs erlaubt (vgl dazu Urteil des Senats vom 25. Januar 1994 - 4 RA 35/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr 41 S 170 f).

Nach § 160a Abs 5 SGG in der seit dem 2. Januar 2002 geltenden Fassung des Sechsten SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl I 2144) kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch, hebt das Urteil auf, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 18. Dezember 2000 zurückgewiesen hat, und verweist insoweit die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück.

Bei der weiteren Sachbehandlung wird das LSG die ständige Rechtsprechung des Senats zur Prüfung des Versicherungsfalls der BU zu beachten haben (vgl zuletzt BSGE 78, 207 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 14). Für die Frage, ob der Kläger ab 1. Februar 2001 auf den von ihm vollschichtig ausgeübten Beruf des 1. Empfangsangestellten verwiesen werden kann, ist vor allem entscheidend, ob dieser qualitativ gleichwertig mit seinem bisher ausgeübten Beruf des Drehers ist. Der Versicherte darf allenfalls auf die jeweils niedrigere Gruppe des Mehrstufenschemas verwiesen werden.

Das LSG wird bei seiner Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit zu befinden haben.

Ende der Entscheidung

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