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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 06.09.2000
Aktenzeichen: B 6 KA 24/99 R
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 163 Halbsatz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 6. September 2000

in dem Rechtsstreit

Az: B 6 KA 24/99 R

1. ,

2. ,

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Beschwerdeausschuß der Ärzte und Krankenkassen in Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt,

Beklagter und Revisionsbeklagter,

beigeladen:

1. Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt,

2. AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen, Kölner Straße 8, 65760 Eschborn,

3. BKK Landesverband Hessen, Stresemannallee 20, 60596 Frankfurt,

4. IKK-Landesverband Hessen-Thüringen, Abraham-Lincoln-Straße 32, 65189 Wiesbaden,

5. Landwirtschaftliche Krankenkasse Hessen, Luisenstraße 12, 34119 Kassel,

6. Krankenkasse für den Gartenbau, Frankfurter Straße 126, 34121 Kassel,

7. Bundesknappschaft, Pieperstraße 14/28, 44789 Bochum.

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Clemens und Dr. Kretschmer sowie die ehrenamtliche Richterin Dr. Deppisch-Roth und den ehrenamtlichen Richter Schmeinck

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. Februar 1999 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren als Gesamtschuldner zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses.

Die als praktische Ärzte zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger betrieben seit 1987 eine Gemeinschaftspraxis mit einer Haupt- und sechs Zweigpraxen. Ihre Fallzahl belief sich in den Quartalen II/1990 bis I/1991 im Primärkassenbereich auf ca 2300 Fälle (Quartal II/1990: 2272; III/1990: 2330; IV/1990: 2364; I/1991: 2388); ca 1500 der Patienten waren Mitglieder von Krankenkassen (KKn) und deren Familienangehörige, die übrigen Rentner. Mit ihren Fallzahlen lagen sie über dem Durchschnitt der im Bereich der Bezirksstelle Gießen zugelassenen Allgemein- und praktischen Ärzte (Quartal II/1990: 2272 in der aus den zwei Klägern bestehenden Gemeinschaftspraxis gegenüber durchschnittlich 854 je Arzt; - III/1990: 2330 gegenüber 880; IV/1990: 2364 gegenüber 863; I/1991: 2388 gegenüber 861). Ihr Rentneranteil entsprach ungefähr demjenigen der Fachgruppe (Quartal II/1990: +5,88 %; III/1990: 0 %: IV/1990: +5,88 %; I/1991: +2,94 %). Ihr Arzneikostenaufwand mit Verordnungsbeträgen von 192 DM bis 216 DM je Fall überschritt den Durchschnitt der Vergleichsgruppe um 46 DM bis 60 DM bzw um 31 % bis 42 % (Quartal II/1990: 42 %, nämlich 41 % bei den Krankenkassen-Mitgliedern und -Familienangehörigen, 43 % bei den Rentnern; - III/1990: 38 %; IV/1990: 31 %; I/1991: 33 %).

Jeweils nach Vorliegen der Arzneikostenstatistiken der Quartale II/1990 bis I/1991 beantragte der Rechtsvorgänger der Beigeladenen zu 2., der AOK-Landesverband Hessen, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise der Kläger zu überprüfen. Der Prüfungsausschuß setzte Arzneimittelregresse fest, deren Gesamthöhe für alle Quartale ca 45.000 DM betrug. Er beschränkte die Vergleichsprüfung auf die ca 1500 Versicherten der Hessischen AOKn und der Bundesknappschaft (Quartal II/1990: 1505; III/1990: 1539; IV/1990: 1555; I/1991: 1588). Je Behandlungsfall setzte er Regreßbeträge zwischen 5 und 14 DM fest (Quartal II/1990: 14 DM; III/1990: 8,55 DM; IV/1990: 5 DM; I/1991: 5 DM). Davon zog er jeweils 10 % wegen des Apothekenrabatts ab.

Der von den Klägern angerufene beklagte Beschwerdeausschuß zog für die statistische Prüfung als Vergleichsgruppe ebenfalls die im Bereich der Bezirksstelle Gießen zugelassenen Allgemein- und praktischen Ärzte heran und beschränkte sie auf die ca 1500 Versicherten der Hessischen AOKn und der Bundesknappschaft. Ergänzend führte er eine Einzelfallprüfung mit Hochrechnung anhand von 10 % der Fälle durch - je Quartal mindestens 150 Fälle -, die er aus dem Bereich der AOK Lahn-Dill nahm. Die dabei für den Beschwerdeausschuß tätigen Prüfärzte kamen ebenso wie diejenigen, die im Verfahren des Prüfungsausschusses damit befaßt gewesen waren, zu dem Ergebnis, daß die Arzneiaufwendungen überhöht seien. Sie beanstandeten insbesondere, daß die Kläger Verordnungen über längere Zeit ohne Laborkontrollen und über mehrere Quartale ohne Patientenkontakte fortgesetzt sowie beide in ihrem Verhältnis zueinander und im Verhältnis der Haupt- und Zweigpraxen nicht immer die erforderlichen Abstimmungen vorgenommen hätten.

Der Beklagte ermäßigte die Regreßbeträge: für das Quartal II/1990 auf 6,90 DM je Fall und auf insgesamt 10.384,50 DM; für III/1990 auf 6,25 DM je Fall von 1538 Fällen und auf insgesamt 9.612,50 DM; für IV/1990 auf 3,40 DM je Fall und auf insgesamt 5.287 DM; für I/1991 auf 4,50 DM je Fall und auf insgesamt 7.146 DM. Er zog 10 % wegen des Apothekenrabatts ab, wodurch sich ein Gesamtregreßbetrag von nur noch 29.187 DM ergab (Bescheid vom 7. Juli 1994). In seinem Bescheid ist ausgeführt, die für die statistische Prüfung herangezogene Vergleichsgruppe der Bezirksstelle Gießen sei von Landärzten geprägt. Für diese sei die Weiterverordnung von Arzneien nach vorheriger fachärztlicher Behandlung üblich. Die statistische Vergleichsprüfung, die die ca 1500 Versicherten der hessischen AOKn und der Bundesknappschaft berücksichtigt habe, sei wegen der in der sog Übergangszone liegenden Überschreitungswerte durch eine Einzelfallprüfung mit Hochrechnung ergänzt worden, die anhand von 10 % der Fälle durchgeführt worden sei. Diese seien aus dem Bereich der örtlichen AOK - in fortlaufender Reihenfolge, entsprechend der Patientenstruktur anteilsmäßig aufgeteilt auf Mitglieder, Familienangehörige und Rentner - genommen worden. Deren Überprüfung habe unwirtschaftliche Arzneikosten ergeben, wie zB Aufwendungen für Lipidsenker über längere Zeit ohne Laborkontrollen und Arzneiverordnungen über mehrere Quartale ohne Patientenkontakte. Daß im Verhältnis der Kläger zueinander sowie im Verhältnis der Haupt- und Zweigpraxen erforderliche Abstimmungen gefehlt hätten, hätten die Kläger selbst eingeräumt. Praxisbesonderheiten lägen nicht vor. Der Anteil an Asthmatikern, Rheumapatienten usw und an onkologischen Fällen (insoweit ca 1 %) sei nicht überproportional. Weder ein spezielles Leistungsspektrum noch spezielle Therapieformen oder besondere Medikamentenverordnungen seien erkennbar. Kompensierende Einsparungen seien ebensowenig feststellbar. Allerdings sei der im Erstbescheid mit 20 % angesetzte Sicherheitsabschlag auf 30 % zu erhöhen, weil die Dauermedikationen nicht in vollem Umfang als unwirtschaftlich bezeichnet werden könnten. Nach Abzug der Regreßbeträge verblieben den Klägern noch beträchtliche Mehrbeträge, die den Bereich der sog Streubreite überschritten (Quartal II/1990: Regreß 6,90 DM und belassener Mehrbetrag 53,53 DM = 37 % je Verordnungsfall; III/1990: Regreß 6,25 DM und Mehrbetrag 46,97 DM = 33,84 %; IV/1990: Regreß 3,40 DM und Mehrbetrag 43,31 DM = 28,85 %; I/1991: Regreß 4,50 DM und Mehrbetrag 46,10 DM = 30,5 %).

Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Oktober 1997) und ua ausgeführt, die durchgeführte statistische Prüfung anhand des Vergleichs mit den Durchschnittswerten der Fachgruppe der Allgemein- und praktischen Ärzte sei nicht zu beanstanden. Das etwas erweiterte Leistungsspektrum lasse die Vergleichbarkeit mit dieser Fachgruppe nicht entfallen. Der Bereich der Bezirksstelle Gießen sei durch sog Landarztpraxen geprägt. Einer Inhomogenität werde durch die Zuerkennung einer Streubreite von in der Regel 20 % Rechnung getragen. Die in der sog Übergangszone liegenden Überschreitungswerte rechtfertigten iVm den Ergebnissen der ergänzenden Einzelfallprüfung die Schlußfolgerung der Unwirtschaftlichkeit.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 3. Februar 1999) und zur Begründung auf das Urteil des SG Bezug genommen. Zusätzlich hat es ausgeführt, die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe zB nur aus Gemeinschaftspraxen und/oder nur aus Landarztpraxen sei nicht erforderlich gewesen. Eine Besonderheit bestehe lediglich darin, daß die Kläger eine Hauptpraxis mit sechs Zweigpraxen betrieben. Der darin liegenden Gefahr von Doppelverordnungen zu begegnen, obliege den Klägern und begründe keine Praxisbesonderheit. Zu beanstanden sei auch nicht, daß der Beklagte die Überschreitungen der Kläger beim Arzneiaufwand dem sog Übergangsbereich zwischen der normalen Streuung (bis ca 20 %) und dem offensichtlichen Mißverhältnis (ab ca 50 %) zugeordnet habe. Der Beklagte habe dem Erfordernis ergänzender Betrachtung unter medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkten bei im Übergangsbereich liegenden Überschreitungen Rechnung getragen, indem er zusätzlich eine repräsentative Einzelfallprüfung durchgeführt habe. Die ergänzend geprüften Fälle hätten der Zahl nach ausgereicht. Unschädlich sei, daß die vom Prüfarzt erstellte Übersichtsliste die einzelnen Diagnosen nicht ausweise. Nicht zu beanstanden sei auch die Festlegung der Höhe des Regresses durch Addition des je Fall ermittelten unwirtschaftlichen Aufwandes und dessen Hochrechnung auf die Gesamtfallzahl mit nachfolgendem Abzug eines Sicherheitsabschlages von 30 %.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision machen die Kläger geltend, der Beklagte hätte eine engere Vergleichsgruppe bilden müssen. Die Einbeziehung der in der Stadt Gießen gelegenen Praxen sei nicht sachgerecht. Bei Landarztpraxen komme es im Anschluß an fachärztliche Behandlungen häufig zu kostenträchtigeren Folgeverordnungen des im ländlichen Bereich niedergelassenen Hausarztes, weil die Patienten nicht laufend die in den Städten angesiedelten Fachärzte zur Nachbehandlung aufsuchen könnten. Der Beklagte hätte auch berücksichtigen müssen, daß es sich um eine Gemeinschaftspraxis handele, für die ein größeres Leistungsspektrum typisch sei, und weiterhin, daß ihre Praxis - zB auch während der Schulferien - durchgehend geöffnet sei, also keine Verlagerung der in dieser Zeit anfallenden Arzneiverordnungen auf andere Ärzte erfolge. Hinsichtlich der ergänzenden Einzelfallprüfung sei die geringe Zahl überprüfter Patienten zu rügen. Zudem seien nur Fälle der AOK geprüft worden, was eine Negativauswahl darstelle. Ferner habe der Prüfarzt in den Auflistungen keine Diagnosen aufgeführt, wodurch sie nicht nachvollziehbar seien, was sie - die Kläger - gehindert habe, die getätigten Verordnungen zu rechtfertigen.

Die Kläger beantragen,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. Februar 1999 und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 1997 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 7. Juli 1994 zu verpflichten, über ihre - der Kläger - Widersprüche gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses betreffend die Arzneikostenregesse für die Quartale II/1990 bis I/1991 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Der Beklagte, die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) sowie die zu 3. und 4. beigeladenen BKK- und IKK-Landesverbände und die zu 5. beigeladene Landwirtschaftliche Krankenkasse beantragen,

die Revision der Kläger zurückzuweisen.

Sie halten das Berufungsurteil für zutreffend.

II

Die Revision der Kläger hat keinen Erfolg. Das Urteil des LSG, das den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig angesehen hat, ist nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für den vom Beklagten für die Quartale II/1990 bis I/1991 festgesetzten Arzneikostenregreß ist die Regelung des § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten beurteilt. Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Prüfung die Regelprüfmethode (dazu zuletzt BSGE 84, 85, 86 = SozR 3-2500 § 106 Nr 47 S 250; BSG, Urteil vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R -). Die Abrechnungswerte des Arztes werden mit denjenigen der Fachgruppe im selben Quartal verglichen. Dies gilt für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowohl bei der Behandlungsweise als auch bei der Verordnungsweise. Ergänzt durch die sog intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse bringt (hierzu zuletzt Urteil vom 10. Mai 2000 - B 6 KA 25/99 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Ergibt die Prüfung, daß die Verordnungskosten des Arztes je Fall in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den durchschnittlichen seiner Fachkollegen stehen, sie nämlich in einem Ausmaß überschreiten, das sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären läßt, so hat das die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit (st Rspr, vgl zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 27 S 152 f und S 154; Urteil vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R -). Dieser wird allerdings entkräftet, wenn der betroffene Arzt darlegt - und sich dies als zutreffend erweist -, daß bei seiner Arztpraxis besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogenen Ärzte untypisch sind (BSG aaO S 154 und Urteil vom 28. Juni 2000 aaO).

Auf dieser Grundlage haben die Vorinstanzen den vom Beklagten festgesetzten Arzneikostenregreß zu Recht nicht beanstandet. Die festgestellten Überschreitungen der Durchschnittswerte der Vergleichgruppe iVm mit der durchgeführten ergänzenden Einzelfallprüfung mit Hochrechnung rechtfertigen den Regreß.

Ohne Erfolg ist zunächst der Einwand der Kläger, bei der durchgeführten statistischen Vergleichsprüfung hätte nicht die gesamte Gruppe der im Bereich der Bezirksstelle Gießen zugelassenen Allgemein- und praktischen Ärzte als Vergleichsgruppe herangezogen werden dürfen. Ihre Ansicht, es hätte eine engere Vergleichsgruppe der Landarztpraxen und/oder Gemeinschaftspraxen gebildet werden müssen, trifft nicht zu. Die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe kann nach der Rechtsprechung des Senats nur in Betracht kommen, wenn sich die Struktur einer Praxis sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung der Patientenklientel als auch hinsichtlich des ärztlichen Diagnose- und Behandlungsangebots so weit von der Typik einer allgemeinärztlichen Praxis entfernt hat, daß der primärärztliche Versorgungsauftrag nicht mehr umfassend wahrgenommen wird (st Rspr, zuletzt Urteil vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R - mwN). Dafür bestehen aber im Falle der Kläger weder nach den Feststellungen des LSG noch nach deren eigenem Vorbringen greifbare Anhaltspunkte. Daß sie häufig im Anschluß an fachärztliche Behandlungen Folgeverordnungen vornehmen, entspricht der Typik allgemeinärztlicher, auf dem Land gelegener Praxen. Diese sind für die herangezogene Vergleichsgruppe durchaus typisch. Die im Bescheid des Beklagten und den vorinstanzlichen Urteilen zugrunde gelegte ländliche Prägung der im Bereich der Bezirksstelle Gießen zugelassenen Allgemein- und praktischen Ärzte wird durch den Hinweis der Kläger, daß die Stadt Gießen dazu gehöre, nicht in Frage gestellt. Im übrigen enthält ihr Vorbringen insoweit auch keine iS des § 163 Halbsatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beachtliche Revisionsrüge wie zB die Darlegung eines Verfahrensfehlers bei der Tatsachenfeststellung oder des Überschreitens der Grenzen der freien Beweiswürdigung. Eine Verpflichtung zur Bildung einer engeren Vergleichsgruppe kann sich ferner nicht aus dem Gesichtspunkt der Gemeinschaftspraxis ergeben. Abgesehen davon, daß diese Praxisform gerade bei Allgemein- und praktischen Ärzten schon nicht atypisch ist, ist auch nicht erkennbar, inwiefern sich daraus ein höherer Arzneiaufwand je Fall rechtfertigen lassen könnte.

Ebensowenig kann wegen der Landarztpraxis eine Praxisbesonderheit anerkannt werden. Dabei bedarf es keiner grundsätzlichen Entscheidung, ob einer dieser Gesichtspunkte überhaupt von seiner Struktur her eine Praxisbesonderheit ergeben kann. Praxisbesonderheiten sind regelmäßig durch einen bestimmten Patientenzuschnitt charakterisiert, der zB durch eine spezifische Qualifikation des Arztes etwa aufgrund einer Zusatzbezeichnung bedingt sein kann (s BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 43 S 240 mwN). Ein besonderer Patientenzuschnitt oder besondere Behandlungsmethoden lassen sich aus der Eigenschaft als Landarztpraxis jedenfalls dann nicht herleiten, wenn diese sich in einer ohnehin ländlich geprägten Region mit auch vielen anderen Landarztpraxen befindet (vgl zu einem ähnlich gelagerten Fall LSG Baden-Württemberg MedR 1997, 191, 194). Soweit die Kläger geltend machen, im Anschluß an fachärztliche Behandlungen komme es bei ihnen häufig zu kostenträchtigeren Folgeverordnungen, weil die Patienten nicht laufend die in den Städten angesiedelten Fachärzte zur Nachbehandlung aufsuchen könnten, kann dahingestellt bleiben, ob sie mit diesem Vorbringen überhaupt der ihnen für atypische Umstände ihrer Praxis obliegenden Darlegungslast genügen. Jedenfalls in einem Bereich mit vielen anderen Landarztpraxen ergibt sich daraus kein Ansatzpunkt für eine Berücksichtigung als Praxisbesonderheit.

Eine Praxisbesonderheit kann sich auch nicht wegen der von den Klägern gewählten Form der Gemeinschaftspraxis anerkannt werden. Denn diese Ausgestaltung kommt, wie schon ausgeführt, gerade bei Allgemein- und praktischen Ärzten häufig vor. Ohne Erfolg ist ferner die Berufung der Kläger darauf, daß ein größeres Leistungsspektrum für Gemeinschaftspraxen typisch sei. Allein aufgrund eines breiteren Leistungsspektrums, dessen Vorliegen die Kläger im übrigen nicht einmal konkret dargelegt haben, kann eine Praxisbesonderheit nicht anerkannt werden (vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 43 S 240 mwN). Dies ist um so weniger der Fall bei großen Zahlen von Behandlungsfällen, wie sie auch bei den Klägern gegeben sind. Je größer die Zahl, um so mehr gilt die Vermutung, daß sich die Unterschiede zwischen schwereren und leichteren sowie zwischen arzneiaufwendigeren und weniger aufwendigen Fällen ausgleichen (vgl BSG SozR 2200 § 368n Nr 44 S 149/150). Diese Vermutung haben die Kläger nicht entkräftet. Anhaltspunkte dafür, daß dies in ihrem Falle anders zu beurteilen wäre, sind auch nicht ersichtlich.

Eine Rechtfertigung für ihren Arzneimehraufwand kann sich schließlich nicht aus ihrem Vorbringen ergeben, sie hätten aufgrund der Praxisform als Gemeinschaftspraxis sowie aufgrund der sechs Zweigpraxen Schwierigkeiten, ihre Verordnungen aufeinander abzustimmen und Doppelverordnungen zu vermeiden, insbesondere auch Patienten zu hindern, durch mehrfache Vorsprache - uU in verschiedenen (Zweig-)Praxen - mehrfache Verordnungen zu erhalten. Incidenter haben sie damit bestätigt, daß es aufgrund ihrer Praxisstruktur mit verschiedenen Zweigpraxen zu Verordnungskosten kommt, die nicht durch die Erkrankungen der Patienten gerechtfertigt und damit unwirtschaftlich sind. Die Vorinstanzen haben deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß es den Praxisinhabern selbst obliegt, solchen Gefahren zu begegnen, und daß sie, wenn sie diese nicht beherrschen, dies nicht gegenüber einem Arzneimittelregreß einwenden können. Der Mehraufwand kann auch nicht damit begründet werden, sie hätten - zB auch während der Schulferien - durchgehend geöffnet. Ihrem Hinweis, dadurch trete keine Verlagerung der in dieser Zeit anfallenden Arzneiverordnungen auf andere Ärzte ein, kommt kein nennenswertes Gewicht zu. Denn der zusätzliche Aufwand für die Betreuung ihrer Patienten auch während einer typischen Urlaubszeit von zB drei Wochen fällt, gemessen an den drei Monaten des ganzen Quartals, nicht relevant ins Gewicht. Überdies werden so entstehende Zusatzaufwendungen typischerweise ausgeglichen, weil die dauernde Betreuungsbereitschaft auch vermehrt Patienten anzieht, die an sich in der Betreuung anderer Ärzte stehen und nur während des Urlaubs "ihres" Hausarztes zu den Klägern kommen und so vielfach - weniger aufwendige - "Verdünnerfälle" darstellen.

Die Vorinstanzen haben den Bescheid des Beklagten zutreffend auch insoweit als rechtmäßig angesehen, als er Darlegungen zu sonstigen von den Klägern geltend gemachten Praxisbesonderheiten sowie zur Frage kompensierender Einsparungen enthält. Der Bescheid enthält insoweit ausreichend gründliche und nachvollziehbare Ausführungen (vgl BSG SozR 3-2500 Nr 43 S 239 mwN). Da die Kläger diese Aspekte in ihrer Revision nicht wieder aufgegriffen haben, besteht hier kein Anlaß zu weiteren Darlegungen.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, daß der Beklagte und die Vorinstanzen - entgegen der Ansicht der Kläger - auch dem Erfordernis ergänzender intellektueller Betrachtung unter medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkten ausreichend Rechnung getragen haben (vgl dazu zB BSGE 76, 53, 56 f = SozR aaO Nr 26 S 147 f; Urteile vom 10. Mai 2000 - B 6 KA 25/99 R - und vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R - mwN). Dafür, daß sich aus diesem Erfordernis ein Anlaß zu einer abweichenden oder modifizierenden Würdigung ergeben könnte, ist nichts erkennbar.

Das LSG hat zu Recht auch die Schlußfolgerung des Beklagten gebilligt, der Arzneikostenaufwand der Kläger sei unwirtschaftlich.

Allerdings hat der Beklagte den aufgrund der statistischen Vergleichsprüfung ermittelten Arzneimehraufwand gegenüber dem Durchschnitt der Vergleichsgruppe (in den Quartalen II/1990 bis I/1991 zwischen 42 % und 31 %) nicht dem Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses, sondern - nur - dem der sog Übergangszone zugeordnet. Diese liegt zwischen dem Bereich der normalen Streuung, der Überschreitungen um bis zu ca 20 % erfaßt (vgl zB BSGE 46, 136, 138 = SozR 2200 § 368n Nr 14 S 45; SozR 3-2500 § 106 Nr 41 S 225), und der Grenze zum sog offensichtlichen Mißverhältnis. Die Grenze hierfür hat der Senat früher bei einer Überschreitung um ca 50 % angenommen. In jüngerer Zeit hat er - unter bestimmten Voraussetzungen - niedrigere Werte um ca 40 % ausreichen lassen (s zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 41 S 225 und 227; Nr 43 S 239; Nr 45 S 247). Die Prüfgremien haben einen Beurteilungsspielraum, die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis höher oder niedriger festzulegen (s insbesondere BSG 3-2500 § 106 Nr 41 S 225-227; vgl auch SozR aaO Nr 36 S 207 f; Nr 43 S 239). Vor diesem Hintergrund hätte der Beklagte auch die vorliegenden Überschreitungen um 42, 38, 33 und 31 % möglicherweise dem Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses zuordnen können. Indessen hat er dies nicht getan, sondern ist ausdrücklich davon ausgegangen, daß die Überschreitungen dem Bereich der sog Übergangszone zuzuordnen seien. Da sich dies innerhalb des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums hält, sind die Gerichte daran gebunden.

Auch wenn sich die Überschreitungen nur im Bereich der sog Übergangszone bewegen, kann uU Unwirtschaftlichkeit angenommen werden. Wie der Senat wiederholt ausgeführt hat, reicht dafür allerdings die Überschreitung der Durchschnittswerte allein nicht aus. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr, daß die Unwirtschaftlichkeit anhand einer die Behandlungs- bzw Verordnungsweise des Arztes "genügend beleuchtenden Zahl von Beispielen" nachgewiesen wird (vgl zB BSGE 46, 136, 138 = SozR 2200 § 368n Nr 14 S 45; SozR aaO Nr 19 S 52). Diese Einzelfallprüfung braucht nicht den Maßstäben zu genügen, die für Einzelfallprüfungen gelten, die als sog Prüfungsgrundmethode durchgeführt werden (zu den Methoden der Einzelfallprüfung s zB BSGE 70, 246, 255 = SozR 3-2500 § 106 Nr 10 S 53; BSGE 77, 53, 55 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 33 S 185 ff; BSGE 84, 85, 88 = SozR 3-2500 § 106 Nr 47 mwN). Sie muß weder den Anforderungen für umfassende Einzelfallprüfungen noch denen für sog repräsentative Einzelfallprüfungen mit Hochrechnung genügen (bei letzteren Prüfung von mindestens 20 % der abgerechneten Fälle und von mindestens 100 Behandlungsfällen: BSGE 70, 246, 255 = SozR 3-2500 § 106 Nr 10 S 53; s auch BSG SozR 3-2500 § 106 S 245). Zu fordern ist für nur ergänzende Einzelfallprüfungen vielmehr lediglich, daß sie so ausgestaltet werden, daß sie nach dem Gesamtbild des Falles ausreichend abgesicherte Schlußfolgerungen zulassen, ob die im Bereich der Übergangszone befindlichen Überschreitungen als unwirtschaftlich anzusehen sind oder nicht. Generelle Maßstäbe lassen sich insoweit nicht angeben. Auch ist den Prüfgremien ein Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung eingeräumt, nach welcher Methode sie die ergänzende Prüfung durchführen und auf wie viele Fälle sie die ergänzende Einzelfallbetrachtung erstrecken.

Nach diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, daß der Beklagte aufgrund der von ihm in Ergänzung des statistischen Kostenvergleichs vorgenommenen Einzelfallprüfung die Schlußfolgerung der Unwirtschaftlichkeit gezogen hat.

Die ergänzende Einzelfallprüfung hat der Beklagte bei einer ausreichenden Zahl von Fällen vorgenommen, nämlich anhand von 10 % und zugleich von mindestens 150 der vom Arzneikostenregreß betroffenen Fälle. Der Regreß betraf die ca 1500 Versicherten der Hessischen AOKn und der Bundesknappschaft. Grundlage der ergänzenden Einzelfallprüfung waren, wie auch im Berufungsurteil festgestellt ist, 10 % der Fälle der AOK Lahn-Dill. Dies waren je Quartal insgesamt mindestens 150 Fälle (nach Angaben des Beklagten im Quartal II/1990: 150; III/1990: 154; IV/1990: 155; I/1991: 159 Fälle). Bei der im Urteil des LSG insoweit genannten Anzahl von 43 Fällen - was seiner eigenen Berechnung von 10 % widerspricht und woran deshalb das Revisionsgericht nicht gebunden ist - handelt es sich um die aufgrund der Einzelfallprüfung beanstandete Zahl von Fällen. Die Überprüfung hat hinreichend fundierte Beanstandungen ergeben, nämlich insbesondere, daß die Kläger Verordnungen über längere Zeit ohne Laborkontrollen und über mehrere Quartale ohne Patientenkontakte fortsetzten sowie in ihrem Verhältnis zueinander und im Verhältnis der Haupt- und Zweigpraxen nicht immer die erforderlichen Abstimmungen vornahmen. Vor diesem Hintergrund ist der Einwand der Kläger, die ergänzende Einzelfallprüfung habe sich auf eine zu geringe Zahl von Patienten erstreckt, ohne Erfolg.

Zu beanstanden ist auch weder, daß die ergänzende Einzelfallprüfung nur Versicherte der AOK Lahn-Dill zum Gegenstand hatte, noch, daß der Arzneikostenregreß lediglich die Versicherten der hessischen AOKn und der Bundesknappschaft betraf. Prüfungen der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise können grundsätzlich auf die Versicherten einzelner KKn beschränkt werden (vgl zusammenfassend BSG, Urteil vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R - mwN). Die Auswahl gerade der AOK ist entgegen der Ansicht der Kläger nicht zu beanstanden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Kläger bei Versicherten der AOK eher unwirtschaftlich verordnet hätten als bei anderen Patienten.

Die ergänzende Einzelfallprüfung unterliegt auch nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil der im Widerspruchsverfahren tätige Prüfarzt in den Auflistungen der von ihm geprüften Fälle keine Diagnosen aufführte. Der Einwand der Kläger, dadurch seien dessen Schlußfolgerungen nicht nachvollziehbar und das habe sie - die Kläger - gehindert, die getätigten Verordnungen zu rechtfertigen, greift nicht durch. Abgesehen davon, daß zahlreiche Beanstandungen auch ohne Diagnosen nachvollziehbar waren - so der Vorhalt, Verordnungen über längere Zeit ohne Laborkontrollen oder über mehrere Quartale ohne Patientenkontakte fortgesetzt zu haben -, hätten die Kläger anhand der in den Auflistungen angegebenen Namen ohne weiteres mit Hilfe ihrer eigenen Patientenkartei die Diagnosen ermitteln und dann die getätigten Verordnungen - jedenfalls im SG- oder LSG-Verfahren - erläutern können. Dafür, daß diese Vorgehensweise ihnen nicht zuzumuten gewesen wäre, haben sie nichts vorgetragen und ist auch nichts erkennbar.

Das Urteil des LSG hält auch insoweit der revisionsrechtlichen Überprüfung stand, als es den gegen die Kläger festgesetzten Regreß der Höhe nach als rechtmäßig angesehen hat. Die Festlegung der Höhe erfolgte durch Addition des je Fall ermittelten unwirtschaftlichen Aufwandes und dessen Hochrechnung auf die Gesamtzahl der Fälle der Versicherten der Hessischen AOKn und der Bundesknappschaft, mit nachfolgendem Abzug eines Sicherheitsabschlages von 30 %. Die sich so ergebenden Regreßbeträge je Fall von 6,90 DM (Quartal II/1990), 6,25 DM (III/1990), 3,40 DM (IV/1990) und 4,50 DM (I/1991) betrafen zum einen nur einen sehr kleinen Teil der Gesamtverordnungsbeträge der Kläger je Fall (Quartal II/1990: 204,27 DM; III/1990: 192,02 DM; IV/1990: 196,82; I/1991: 216,76 DM) und waren zum anderen gering im Verhältnis zu den ihnen belassenen, über dem Durchschnitt liegenden Mehraufwendungen je Fall von 53,53 DM = 37 % (Quartal II/1990), 46,97 DM = 33,84 % (III/1990), 43,31 DM = 28,85 % (IV/1990) bzw 46,10 DM = 30,5 % (I/1991). Der Sicherheitsabschlag war mit 30 % großzügig bemessen (vgl BSGE 70, 246, 255 = SozR 3-2500 § 106 Nr 10 S 53). Ferner gründete sich die Bewertung als unwirtschaftlich auf eine Gesamtschau aus statistischer Vergleichsprüfung und ergänzender Einzelfallprüfung mit Hochrechnung. Im Ergebnis wurde den Klägern noch ein beträchtlicher Mehraufwand über den Bereich der sog Streubreite hinaus belassen. Vor diesem Hintergrund brauchte nicht noch zusätzlich zum Abzug wegen des Apothekenrabatts ein weiterer Abzug wegen der Selbstbeteiligungen der Patienten zu erfolgen (vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 38 S 212/213 und Urteil vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R -). Demnach hat das LSG die Höhe des Regresses ohne weiteres als unbedenklich ansehen können, und es bedurfte auch keiner weiteren Darlegungen im Bescheid zu dessen Höhe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Ende der Entscheidung

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