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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 11.09.2002
Aktenzeichen: B 6 KA 36/01 R
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 11. September 2002

Az: B 6 KA 36/01 R

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Clemens und Dr. Kretschmer sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Walmuth und Meyer-Dulheuer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. September 2001 geändert. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 5. April 2000 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme.

Der Kläger ist seit 1987 als Praktischer Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seit Oktober 1996 teilte er der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) mehrmals im Monat für verschiedene Leistungen (zB Ganzkörperstatus, neurologische Untersuchung, physikalische Medizin) mit, um welche Prozentsätze er die entsprechenden Teilbudgets bereits überschritten habe, mit der Ankündigung, die Leistungen bis zum Quartalsende nicht mehr selbst zu erbringen, sondern Überweisungen an andere Ärzte oder Krankenhauseinweisungen vorzunehmen. Die Aufforderung der Beklagten (von November 1996) zu erklären, dass er seine Ankündigung nicht aufrecht erhalte, beantwortete er nicht.

In dem daraufhin eingeleiteten Disziplinarverfahren erschien der Kläger nicht zur Verhandlung. Der Disziplinarausschuss der Beklagten verhängte eine Geldbuße von 1.000 DM (Beschluss vom 11. August 1997). In dem Disziplinarbescheid ist ausgeführt, der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt, falls er die in seinen Mitteilungen angekündigten Maßnahmen tatsächlich ergriffen habe - was mangels seiner Mitwirkung nicht festgestellt werden könne. Aber auch ohne Realisierung der Ankündigungen lägen Pflichtverletzungen vor. Dann nämlich habe er durch seine Erklärungen gegenüber der Beklagten den Anschein erweckt, in Wirklichkeit durchgeführte Leistungen nicht erbracht zu haben. Zugleich habe er gegen § 5 Abs 4 KÄV-Satzung verstoßen, weil er seiner Auskunftspflicht nicht nachgekommen sei. Entsprechend den Grundsätzen zur Wahlfeststellung sei für den Ausspruch der Disziplinarmaßnahme von diesen geringer einzustufenden Verstößen auszugehen. Auf dieser Grundlage sowie vor dem Hintergrund früherer disziplinarischer Ahndungen und seiner Uneinsichtigkeit sei die Auferlegung einer Geldbuße von 1.000 DM angemessen.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine Androhung nicht ernst gemeint und die Leistungen weiterhin erbracht zu haben, wie aus den von ihm fortlaufend übersandten Budgetmitteilungen mit stetig wachsenden prozentualen Überschreitungen ersichtlich gewesen sei.

Das Sozialgericht (SG) hat den Disziplinarbescheid aufgehoben (Urteil vom 5. April 2000). Ein Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten lasse sich nicht feststellen. Die Ankündigungen allein ergäben keine Pflichtverletzung. Für die Beklagte sei ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass der Kläger weiterhin die Leistungen erbracht habe. Ihm könne weder eine Falscherklärung noch eine sonstige Pflichtverletzung - durch Verursachung zusätzlicher Arbeit und Auslösen von Irritationen - angelastet werden. Ihm sei es erkennbar darauf angekommen aufzuzeigen, wie früh die Budgets ausgeschöpft seien. Das Urteil enthält am Schluss den Hinweis, dass die Berufung nicht zulässig sei, weil eine Geldleistung von nur 1.000 DM betroffen und deshalb die Berufung gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (<SGG> - in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) nicht statthaft sei.

Die Beklagte hat Berufung eingelegt mit der Begründung, diese sei ohne Zulassung statthaft, weil eine disziplinarische Geldbuße keine Geldleistung iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG sei. In der Sache sei das Urteil des SG aufzuheben. Denn der Disziplinarbescheid sei rechtmäßig, weil jedenfalls die Verweigerung von Auskünften eine Pflichtverletzung darstelle.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung als unzulässig verworfen (Urteil vom 11. September 2001). Im Urteil ist ausgeführt, die Berufung sei nicht statthaft, weil die Klage einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt mit einer Beschwer von nur 1.000 DM betreffe. Der Charakter als disziplinarische Ahndung ergebe weder eine Erhöhung der Beschwer noch, dass eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit vorliege. Von § 144 Abs 1 SGG würden auch Verwaltungsakte erfasst, die keine Sozialleistungen beträfen. Mit der Regelung werde bezweckt, für vermögensrechtliche Streitsachen von geringem Wert die Berufungsinstanz nur über den Weg der Rechtsmittelzulassung zu eröffnen. Die Ungereimtheit, dass im Falle der milderen Disziplinarmaßnahmen der Verwarnung und des Verweises die Berufung ohne Beschränkung statthaft sei, sei hinzunehmen. Dies beruhe auf der Konzeption, zwischen vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten zu unterscheiden und bei Letzteren die Berufung stets, bei vermögensrechtlichen dagegen nur eingeschränkt zu eröffnen.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG. Die Auferlegung einer Geldbuße im Disziplinarverfahren enthalte mehr als die Festsetzung der Zahlung eines Geldbetrages. Die dem Vertragsarzt auferlegte Geldsumme sei von nachrangiger Bedeutung. Im Vordergrund stehe die Feststellung, er habe vertragsärztliche Pflichten verletzt; damit werde sein Verhalten missbilligt. Es wäre widersprüchlich, bei Verhängung der milderen Maßnahmen der Verwarnung oder des Verweises in jedem Fall - ohne besondere Zulassung - die Berufung zu eröffnen, bei Verhängung einer Geldbuße bis 1.000 DM dagegen nur im Wege der Zulassung. Wie bei der Streitwertbemessung, bei der einige Gerichte bei disziplinarischen Geldbußen den Regelstreitwert als Sockelbetrag ansetzten und den auferlegten Betrag hinzurechneten, sei auch im Bereich des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG das Wesen der disziplinarischen Geldbuße als vor allem immaterieller Beschwer anzuerkennen und die auferlegte Zahlung nur als zusätzliche Sanktion anzusehen. Der demgemäß statthaften Berufung sei auch in der Sache stattzugeben. Der Kläger habe jedenfalls durch die Abgabe unrichtiger Erklärungen und die Verweigerung von Auskünften Pflichtverstöße begangen, die angesichts des bereits früher verhängten Verweises mit der Auferlegung einer Geldbuße von 1.000 DM angemessen geahndet worden seien.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. September 2001 und des Sozialgerichts Kiel vom 5. April 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. September 2001 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das Berufungsurteil für zutreffend. Die Vorschrift des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG sei korrekt angewendet worden. Sie gelte für alle auf Geldleistungen gerichteten Verwaltungsakte. Der auch moralische Wert disziplinarischer Bußgelder könne keine andere Beurteilung rechtfertigen. Wäre zB auch bei Bußgeldern von nur 500 DM die Berufung ohne Zulassung statthaft, so unterliefe dies die klare Struktur des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG. Diese Regelung ziele auf Berechenbarkeit und Rechtssicherheit. Der Disziplinarbescheid sei im Übrigen in der Sache zu beanstanden. Der Vorwurf, er - der Kläger - habe durch Abgabe unrichtiger Erklärungen und Verweigerung von Auskünften vertragsärztliche Pflichten verletzt, treffe nicht zu, wie das SG zutreffend ausgeführt habe. Er habe die Leistungen ungeachtet der Ausschöpfung der Teilbudgets weiterhin erbracht. Seine Schreiben stünden im Zusammenhang mit der damaligen engagierten Diskussion um die Neuregelungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä). Seine Meinungsäußerungen so zu ahnden, sei mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung unvereinbar und unverhältnismäßig. Als Rechtfertigung reiche nicht aus, dass bereits früher gegen ihn Disziplinarmaßnahmen verhängt worden seien.

II

Die Revision der Beklagten ist im Ergebnis erfolglos. Das LSG hat ihre Berufung zwar zu Unrecht als unstatthaft verworfen. Diese ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Disziplinarbescheid der Beklagten vielmehr zu Recht aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG ist statthaft gewesen; denn Disziplinarbescheide der KÄVen werden von der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG (hier anzuwenden idF des Art 8 Nr 5 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993, BGBl I 50, bis zur Neufassung ab 1. Januar 2002 durch Art 22 Nr 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2000, BGBl I 1983) nicht erfasst, selbst wenn in ihnen Geldbußen von bis zu 1.000 DM verhängt werden. Nach der genannten Vorschrift bedarf die Berufung bei Klagen, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betreffen und bei denen der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.000 DM (seit dem 1. Januar 2002: 500 €) nicht übersteigt, der Zulassung in dem Urteil des SG oder - auf Beschwerde - durch Beschluss des LSG.

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, in vermögensrechtlichen Streitigkeiten von geringerem Wert - so genannten Bagatellfällen - die höhere Instanz nur über den Weg der Rechtsmittelzulassung zu eröffnen (s BT-Drucks 12/1217 S 51 f; Bernsdorff in Hennig, SGG, Stand April 2002, § 144 RdNr 2; vgl auch BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1 S 4 mwN). Zahlreiche andere Prozessordnungen haben bis vor einiger Zeit vergleichbare Regelungen - mit demselben Zweck - enthalten (vgl zB - bis zum 31. Dezember 1996 - § 131 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Verwaltungsgerichtsordnung idF des Art 1 Nr 31 des Gesetzes vom 17. Dezember 1990, BGBl I 2809, bis zur Neufassung vom 1. November 1996, BGBl I 1626; s auch - bis zum 31. Dezember 2001 - § 546 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung idF des Art 1 Nr 40 des Gesetzes vom 17. Dezember 1990, BGBl I 2847, bis zur Neufassung durch Art 2 Abs 1 Nr 72 des Gesetzes vom 27. Juli 2001, BGBl I 1887; vgl dazu BVerfGE 19, 323, 326 f). Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung ergibt sich, dass Disziplinarbescheide nicht in den Anwendungsbereich des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG fallen. Ein Disziplinarbescheid stellt selbst für den Fall, dass mit ihm eine Geldbuße auferlegt wird, keinen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt dar. Dies ergibt sich aus dem Charakter der Disziplinarmaßnahme, bei der - ungeachtet der jeweils ausgesprochenen konkreten Einzelmaßnahme - die Reaktion der dem Sicherstellungsauftrag verpflichteten KÄV (§ 75 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V>) auf die Verletzung vertragsärztlicher Pflichten, verbunden mit dem Hinwirken auf eine zukünftig ordnungsgemäße Tätigkeit des Vertragsarztes, im Vordergrund steht (vgl bereits Urteil des Senats vom 8. März 2000 - SozR 3-2500 § 81 Nr 6 S 20).

Nach § 75 Abs 2 Satz 2 SGB V haben die KÄVen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen und die Vertragsärzte, soweit notwendig, unter Anwendung der in § 81 Abs 5 SGB V vorgesehenen Maßnahmen zu deren Erfüllung anzuhalten. Erfüllt ein Vertragsarzt diese nicht oder nicht ordnungsgemäß, so kann die KÄV gegen ihn eine Disziplinarmaßnahme verhängen (§ 81 Abs 5 Satz 1 SGB V). Die in § 81 Abs 5 Satz 2 SGB V genannten Disziplinarmaßnahmen unterscheiden sich lediglich nach dem Ausmaß der Schwere der Verfehlung und lauten abgestuft auf Verwarnung, Verweis, Geldbuße oder Ruhen der Zulassung bzw der vertragsärztlichen Beteiligung. Der Gesetzgeber hat in § 81 Abs 5 Satz 2 SGB V somit eine Stufenfolge disziplinarrechtlicher Maßnahmen normiert, die mit der - niedrigschwelligen - Verwarnung beginnt, mit der nächst schwereren Maßnahme des Verweises an Intensität zunimmt, dann auf die Verhängung von Geldbußen (bis zu 20.000 DM; nunmehr: 10.000 €) übergeht und in dem tief einschneidenden maximal zweijährigen Ausschluss von der vertragsärztlichen Versorgung gipfelt. Bei diesem abgestuften Katalog von Disziplinarmaßnahmen knüpft die Verhängung einer Einzelnahme mithin jeweils an die Intensität des vertragsärztlichen Pflichtenverstoßes an (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 6 S 24). Kern einer jeden Disziplinarmaßnahme ist damit die Missbilligung eines Verhaltens und der Vorwurf der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten. Disziplinarverfahren können darüber hinaus auch Bedeutung für die Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung haben. Sie werden vielfach im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - je nach Schwere der Verstöße - vorgeschaltet, bevor mit dem Mittel der Zulassungsentziehung gegen den Vertragsarzt vorgegangen wird (vgl dazu BSGE 88, 20, 25 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 71; s zB auch BSGE 66, 6, 8 = SozR 2200 § 368a Nr 24 S 82 f; BSGE 61, 1, 2 ff = SozR aaO Nr 16 S 58 ff; BSGE 60, 76, 78 f = SozR aaO Nr 15 S 56; vgl ferner BVerfGE 69, 233, 247 = SozR 2200 § 368a Nr 12 S 32). Disziplinarmaßnahmen bilden deshalb oftmals die Vorstufe vor einer Zulassungsentziehung. Ihnen kommt - nicht nur nach der Rechtsprechung, sondern auch aus Sicht der beteiligten Kreise - eine andere Qualität zu als den im Sozialrecht ansonsten verhängten Geldbußen wegen begangener Ordnungswidrigkeiten (vgl zB § 111 Viertes Buch Sozialgesetzbuch, § 307 SGB V, § 320 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, §§ 209 ff Siebtes Buch Sozialgesetzbuch; vgl aber auch - jeweils eine "einmalige Leistung" für Zwangs- und Ordnungsstrafen verneinend - BSGE 2, 157, 158 = SozR Nr 3 zu § 144 SGG; BayLSG, Breithaupt 1959, 411; LSG Nordrhein-Westfalen, SGb 1960, 115, 116). Ein Disziplinarbescheid im Vertragsarztrecht, mit dem eine Geldbuße auferlegt wird, ist somit nicht lediglich auf die Festsetzung einer Geldleistung gerichtet. In erster Linie und vorrangig hat er zum Ziel, eine schwer wiegende Verletzung vertragsärztlicher Pflichten - hinaus gehend über Verwarnung und Verweis - zu missbilligen. Er ist damit auf die Aufrechterhaltung des Systems der vertragsärztlichen Versorgung gerichtet, das der Erfüllung der Leistungsansprüche der Versicherten dient. Eine vertragsarztrechtliche Disziplinarmaßnahme, mit der eine Geldbuße auferlegt wird, wird mithin von der Regelung des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG, die nach ihrem Sinngehalt bloße vermögensrechtliche Streitigkeiten mit Bagatellcharakter von der generellen Berufungsfähigkeit ausnehmen soll, nicht erfasst, selbst wenn die Höhe der Geldbuße nicht mehr als 1.000 DM beträgt. In solchen Fällen ist die Berufung ohne Zulassung durch SG oder LSG statthaft.

Nur diese Handhabung des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG vermeidet im Übrigen das unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz <GG>) problematische Ergebnis des Ausschlusses der generellen Berufungsfähigkeit von Disziplinarmaßnahmen mit Geldbußen bis zu 1.000 DM. Während bei Disziplinarbescheiden, die lediglich eine Verwarnung oder einen Verweis aussprechen, die Berufung statthaft ist, ohne der Zulassung durch SG oder LSG zu bedürfen, müsste im Falle der schwerer wiegenden Maßnahme der Geldbuße (bis zu 1.000 DM) die Berufung vom SG oder LSG zugelassen werden, während bei einem Disziplinarbescheid mit einer Geldbuße ab 1.000,01 DM die Berufung wieder ohne Zulassung statthaft ist. Damit läge eine Rechtsschutzgestaltung vor, deren Sachgerechtigkeit fraglich erschiene (vgl BVerfGE 104, 220, 231 f mwN zu Art 19 Abs 4 GG) und tendenziell dem Gebot sachgemäßer Rechtsschutzgewährung widerspräche.

Soweit demgegenüber vor allem im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, Bußgelder unterlägen generell der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG (so zB Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Aufl 2002, § 144 RdNr 10; Bley in Peters/ Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand April 2001, Bd III, § 144 RdNr 62; Bley in Bley/Gitter, GesKomm-SozVers, Bd 9 <SGG>, Stand Dezember 1994, § 144 Anm 6 e), kommt der rechtlich bedeutsame Unterschied zwischen der Auferlegung eines Bußgeldes zur Sanktionierung des Unrechts nach begangener Ordnungswidrigkeit und einer disziplinarrechtlichen Geldbuße gegen einen Vertragsarzt zur Aufrechterhaltung und Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung der Leistungsberechtigten nicht ausreichend in den Blick (wie hier hingegen: Reinhold in Ehlers <Hrsg>, Disziplinarrecht und Zulassungsentziehung, 2001, RdNr 424; Zeihe, SGG, Stand April 2002, § 144 RdNr 8e cc).

Die mithin statthafte Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg, denn das SG hat den angefochtenen Disziplinarbescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben (zur Rechtsgrundlage von Disziplinarbescheiden vgl zuletzt BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 6 S 22 und Nr 7 S 29). Dieser enthält keine ausreichenden Feststellungen des Sachverhalts, der die Pflichtverletzung ergeben soll. Bei der Bewertung des Verhaltens des Klägers als pflichtwidrig fehlt auch die erforderliche Abwägung mit dem hier in Frage stehenden Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit (Art 5 Abs 1 Satz 1 GG).

Der Disziplinarausschuss ist in seinem Bescheid - wie im Urteil des LSG festgestellt - davon ausgegangen, dass nicht geklärt ist, ob der Kläger den Versicherten rechtswidrigerweise vertragsärztliche Leistungen vorenthielt. Aber auch die weiteren Ausführungen in dem Bescheid, der Kläger habe jedenfalls seine Pflichten zu wahrheitsgemäßen Erklärungen und zur Erteilung von Auskünften verletzt, können die Verhängung der Geldbuße nicht tragen. Dabei bedarf es keiner Prüfung, ob im vorliegenden Fall überhaupt Raum für eine Wahlfeststellung zwischen zwei möglichen Handlungsabläufen entsprechend strafrechtlichen Grundsätzen sein konnte (zu den Voraussetzungen vgl zB Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl 2001, § 1 RdNr 21, 25). Der Bescheid leidet daran, dass dem Kläger der Vorwurf wahrheitswidriger Erklärungen und der Nichterteilung von Auskünften gemacht, aber nicht erwogen wird, ob bzw inwieweit seine Mitteilungen, er werde die Untersuchungen, bei denen er das Budget ausgeschöpft habe, nicht mehr erbringen, eine grundrechtlich gerechtfertigte Meinungsäußerung zur Problematik der Einführung der Teilbudgets darstellte. Da die Bewertung nahe liegt, dass - jedenfalls auch - eine Meinungsäußerung gemäß Art 5 Abs 1 Satz 1 GG vorlag, hätte der Disziplinarausschuss dazu eine Beurteilung vornehmen sowie weiter prüfen müssen, ob sie zulässig oder wegen entgegenstehender Rechtsvorschriften iS des Art 5 Abs 2 GG rechtswidrig war, und dafür hätte er die widerstreitenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen müssen.

Für die Klärung, ob ein Schutz durch Art 5 Abs 1 Satz 1 GG gegeben ist und ob er die Äußerung rechtfertigt, muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zunächst der Inhalt der Äußerung anhand ihres Wortsinns und ihres Kontextes einschließlich der Begleitumstände ermittelt und auch festgestellt werden, ob eine Tatsachenbehauptung oder ein - tendenziell stärker geschütztes - Werturteil gegeben ist (s dazu die Rechtsprechungs-Angaben bei Clemens in Umbach/Clemens <Hrsg>, Grundgesetz - Mitarbeiterkommentar -, 2002, Art 5 RdNr 152, 156, 161 ff, 185; vgl auch Hesral in Ehlers aaO RdNr 117 ff). Der bloße Wortsinn der Schreiben des Klägers deutet zwar auf schlichte Tatsachenmitteilungen hin; der Zusammenhang mit der damals aktuellen Diskussion um die Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der neu eingeführten Teilbudgets spricht aber mehr für ein Werturteil (vgl dazu aaO RdNr 164 aE). Werturteilen kommt vor allem dann besonderes Gewicht zu, wenn sie ein Thema von allgemeinem Interesse betreffen (aaO RdNr 168). Letzteres war bei dem Inhalt der Schreiben des Klägers der Fall, weil diese im Zusammenhang mit der damals aktuellen Diskussion um die Teilbudgets erfolgten, die in der weit verbreiteten Kritik der Vertragsärzte standen. Der sich daraus ergebenden Vermutung für die Rechtmäßigkeit der Äußerungen (vgl aaO RdNr 168 aE) waren indessen die durch §§ 75, 77 ff SGB V geschützten Belange - Verwaltungseffizienz der KÄV, möglichst geringe Störung ihrer Verwaltungsabläufe sowie die damit zusammenhängende Funktionsfähigkeit des vertragsärztlichen Systems - gegenüberzustellen (vgl dazu die berufsgerichtlichen Entscheidungen betr Ärzte zB BVerfG <Kammer>, NJW 1991, 1529; NJW 1994, 2413 = MedR 1994, 151; NJW 2000, 3413 = MedR 2000, 526). In die Abwägung zusätzlich einzubeziehen war zudem der Aspekt, dass das vom Kläger in seinen Schreiben angekündigte Verhalten - nämlich die budgetierten Leistungen nicht mehr zu erbringen - eine schwere Verletzung vertragsärztlicher Pflichten bedeutet hätte (zur Pflicht der Leistungserbringung s BSGE 88, 20, 30 f = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 76 ff).

Entgegen den vorstehend dargelegten Anforderungen lässt sich dem Disziplinarbescheid weder die Wertung, ob das Grundrecht des Art 5 Abs 1 Satz 1 GG betroffen ist, noch, welches Gewicht dem zukommt, noch eine Abwägung mit den gegenläufigen Belangen, die möglicherweise die Verletzung vertragsärztlicher Pflichten durch den Kläger rechtfertigen könnten, entnehmen. Der Bescheid des Disziplinarausschusses muss insbesondere die Feststellung des Sachverhalts sowie Ausführungen zur Auswahl und ggf Höhe der Disziplinarahndung enthalten (vgl zu letzterem bereits BSGE 15, 161, 167 = SozR Nr 4 zu § 368n RVO; 62, 127, 129 = SozR 2200 § 368m Nr 3 S 3 f; SozR 3-2500 § 81 Nr 6 S 26, 27 und Nr 7 S 38). In Fällen, in denen - wie vorliegend - die Bewertung eines Verhaltens als Pflichtverstoß eine grundrechtliche Abwägung erfordert und die Beurteilung als rechtmäßig oder rechtswidrig nicht eindeutig ist, muss der Disziplinarausschuss auch hierzu in seinem Bescheid Stellung nehmen (insofern anders gelagert, weil keinen Zweifelsfall betreffend, BSGE 62, 127, 128 = SozR 2200 § 368m Nr 3 S 3). Die Gerichte haben keine Befugnis, ihrerseits an Stelle des Disziplinarausschusses die nach Maßgabe seiner Entscheidungsspielräume erforderlichen entscheidungserheblichen Feststellungen, Gewichtungen und Abwägungen nachzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).

Ende der Entscheidung

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