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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 13.03.2002
Aktenzeichen: B 6 KA 48/00 R
Rechtsgebiete: SGB V


Vorschriften:

SGB V § 85 Abs 4 Satz 1
SGB V § 85 Abs 4 Satz 2
SGB V § 85 Abs 4 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 13. März 2002

Az: B 6 KA 48/00 R

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Clemens und Dr. Kretschmer sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Dr. Dawid und Dr. Deppisch-Roth

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Mai 2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats über die Honoraranforderungen des Klägers erneut zu entscheiden hat.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Gründe:

I

Umstritten sind Honorarkürzungen wegen Überschreitung von Fallzahlzuwachsgrenzen.

Der Kläger ist als Kinderarzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) kürzte seine Honoraranforderungen für die Quartale III und IV/1997 in Anwendung der Fallzahlzuwachsregelung ihres Honorarverteilungsmaßstabs (HVM), die ihre Vertretungsversammlung mit Wirkung zum 1. Juli 1997 eingeführt hatte. Danach unterlagen diejenigen Arztgruppen einer Fallzahlzuwachsbegrenzung, in denen die Gesamtzahl der vertragsärztlichen Behandlungsfälle gegenüber dem Vorjahresquartal stärker als die Veränderungsrate des nach Kopfpauschalen berechneten Gesamtvergütungsteils stieg. Die Fallzahlgrenzen für den einzelnen Arzt ergaben sich für das Jahr 1997 aus seiner Fallzahl im entsprechenden Quartal des Jahres 1996, diejenigen für die Folgejahre aus den Fallzahlen des jeweiligen Vorjahresquartals. Die Grenze erhöhte sich entsprechend der so genannten Fallzahlzuwachstoleranz, die sich nach der Veränderung des auf die Arztgruppe entfallenden Gesamtvergütungsteils richtete. Das Ausmaß der Kürzung für den einzelnen Arzt ergab sich aus dem Produkt seiner über der Zuwachsgrenze liegenden Fallzahl und der ihm vergüteten durchschnittlichen Fallpunktzahl.

Nach diesen Regelungen berechnete die Beklagte die Kürzungen der Honoraranforderungen des Klägers für die Quartale III und IV/1997. Dabei legte sie für das Quartal III/1997 die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe von 1.230 Fällen zu Grunde, zu der sie eine Zuwachstoleranz von 1 % hinzurechnete, woraus sich als Zuwachsgrenze 1.241 Fälle ergaben. Für den Kläger, der insgesamt 1.452 Fälle hatte, errechnete sie eine Überschreitung um 211 Behandlungsfälle. Multipliziert mit seinem Durchschnittsfallwert von 817,85 Punkten führte dies zu einer Kürzung um 172.566,35 Punkte. Ihm verblieb ein Gesamthonorar von 1.014.951,8 Punkten.

Für das Quartal IV/1997 ging die Beklagte von der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe - 1.336 Fälle - zuzüglich einer Zuwachstoleranz von 1 % aus, legte deshalb als Zuwachsgrenze 1.348 Fälle zu Grunde. Der Kläger überschritt diese mit seinen insgesamt 1.442 Fällen um 94 Behandlungsfälle. Multipliziert mit seinem Durchschnittsfallwert von 828,67 Punkten, ergab sich daraus eine Kürzung um 77.894,98 Punkte. Ihm verblieb ein Gesamthonorar von 1.117.047,1 Punkten.

Das Sozialgericht hat seiner Klage stattgegeben, die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über die Ausgestaltung der Fallzahlzuwachsbegrenzung und die Honoraranforderungen des Klägers neu zu entscheiden (Urteil vom 24. November 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 10. Mai 2000). Es hat zur Begründung ausgeführt, Fallzahlzuwachsbegrenzungen seien zwar im Grundsatz rechtlich möglich. Die Ausgestaltung im Einzelnen, wie sie im HVM der Beklagten erfolgt sei, halte aber der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie greife zu weit gehend in die Berufsfreiheit des Klägers ein; denn sie verhindere außer ungerechtfertigten Fallzahlsteigerungen auch jede normale berufliche Entwicklung und die im freien Beruf wichtige Möglichkeit, sich im Wettbewerb mit anderen Ärzten als besonders kompetent und beliebt zu erweisen, was sich in der Regel gerade in Fallzahlzuwächsen niederschlage. Für den zulässigen Zuwachs werde auf Dauer an das Basisjahr 1996 angeknüpft, dessen Zahlen in den Folgejahren fortgeschrieben würden. Werde einmal der ohnehin nur geringe Fallzahlzuwachs nicht ausgeschöpft, so stelle die nun kleinere Zahl den neuen künftig maßgebenden Basiswert dar. Für die Möglichkeit weiterer wirtschaftlicher Entwicklung durch Steigerung seiner Fallzahlen reiche die eingeräumte Zuwachstoleranz nicht aus. Diese erweise sich der Sache nach lediglich als Weitergabe der Erhöhungen der Gesamtvergütung an die Vertragsärzte.

Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, die Auffassung des LSG, die Fallzahlzuwachsbegrenzung verhindere eine angemessene berufliche Weiterentwicklung und sei deshalb rechtswidrig, treffe nicht zu. Das LSG erkläre solche Begrenzungen für grundsätzlich zulässig, lasse aber nicht erkennen, wie eine zulässige Zuwachsbegrenzung aussehen könnte. Das Argument, die Ärzte würden praktisch dauerhaft auf dem Niveau von 1996 festgehalten, treffe nicht zu. Zum einen gebe es die Zuwachstoleranzregelung, zum anderen komme die Begrenzung nur für solche Arztgruppen zur Anwendung, die insgesamt erhebliche Fallzahlsteigerungen hätten. So greife sie nicht ein, wenn ein Arzt auf Grund seiner Kompetenz und Beliebtheit einen Zuwachs an Patienten habe, ohne dass sich in der Gruppe insgesamt eine relevante Fallzahlsteigerung ergebe. Bei alledem sei zu beachten, dass die Fallzahlzuwachsbegrenzungen die punktwertstabilisierende Wirkung der zum 1. Juli 1997 eingeführten Praxisbudgets absichern sollten.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Mai 2000 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. November 1998 aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält ebenso wie das LSG die Fallzahlzuwachsbegrenzungsregelung der vorliegenden Art für rechtswidrig. Für sie liege schon keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage vor. Entgegen der Vorgabe des § 85 Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), die Verteilung der Gesamtvergütung an Art und Umfang der Leistungen zu orientieren, stelle die Zuwachsbegrenzung keine Verteilungsregelung dar. Sie führe dazu, dass die Leistungen in bestimmten Behandlungsfällen, wenn deren Zahl über die Begrenzung hinausgehe, überhaupt nicht mehr honoriert würden. Sie stelle auch keine Regelung zur Verhütung übermäßiger Ausdehnung der Vertragsarztpraxis dar, da sie nicht am Fallwert ausgerichtet sei. Außer der Art und Weise der Ausgestaltung der Regelung sei auch das Ausmaß der Begrenzung zu beanstanden. Sie lasse nur einen Fallzahlzuwachs entsprechend der Steigerung der Gesamtvergütung zu, womit den Ärzten nur so viel weitergegeben werde, wie ihnen ohnehin zustehe, sodass eine Zuwachstoleranz im eigentlichen Sinn nicht bestehe. Zudem betrage diese seit Jahren allenfalls 1 %, was eine unverhältnismäßig enge Begrenzung darstelle. Zu beanstanden sei ferner, dass als Vergleichszeitraum nicht mehrere - mindestens vier - Quartale herangezogen würden, sondern jeweils nur ein einziges Quartal, nämlich das des Vorjahres. Dessen Ergebnisse könnten auf Zufälligkeiten beruhen, die im nächsten Quartal anders lägen - auch bei bereits etablierten Praxen -. Rechtswidrig sei schließlich, dass es keine abmildernden Ausgleichs- bzw Abfederungsregelungen gebe, die zB die Berücksichtigung nicht vergüteter Punktzahlmengen noch im Rahmen eines Restleistungsvolumens oder in Folgequartalen ermöglichten. Damit habe der Arzt keinerlei Chance, seine besondere Kompetenz und seine Attraktivität im Wettbewerb mit den Kollegen durch die Steigerung seiner Patientenzahlen zur Geltung zu bringen, womit Kernelemente der Freiberuflichkeit iS des Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) verletzt seien. Im Übrigen liege eine krasse Ungleichbehandlung darin, dass die Fallzahlzuwachsbegrenzung nicht alle gleichmäßig treffe, sondern diejenigen freigestellt seien, die einer Fachgruppe angehörten, die insgesamt keine übermäßige Fallzahlsteigerung aufweise.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht die Ausgestaltung der Fallzahlzuwachsbegrenzung in dem HVM der Beklagten beanstandet und dementsprechend die von ihr gegenüber dem Kläger erlassenen Honorarbescheide für die Quartale III und IV/1997 aufgehoben. Die Beklagte hat - nach der Neufassung ihres HVM unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats - erneut über die Honoraranforderungen des Klägers zu entscheiden.

Die von der Beklagten mit Wirkung ab dem 1. Juli 1997 in ihren HVM eingeführte Fallzahlzuwachsbegrenzung (Anlage 2, Beschlüsse der Vertreterversammlung vom 19. März und 18. Juni 1997) erfasste diejenigen Arztgruppen, in denen die Gesamtzahl der vertragsärztlichen Behandlungsfälle gegenüber dem Vorjahresquartal um mehr als die Veränderungsrate des nach Kopfpauschalen berechneten Gesamtvergütungsteils anstieg (Nr 1.1 der Anlage). Die Fallzahlgrenzen für den einzelnen Arzt ergaben sich für das Jahr 1997 aus seiner Fallzahl im entsprechenden Quartal des Jahres 1996, diejenigen in den Folgejahren jeweils aus dem entsprechenden Vorjahresquartal (Nr 2.1 aaO). Die Fallzahlgrenze erhöhte sich entsprechend der so genannten Fallzahlzuwachstoleranz, die nach der Veränderung des auf die Arztgruppe entfallenden Gesamtvergütungsteils berechnet wurde (Nr 2.2 aaO). Sonderregelungen galten bei Neu- und Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit (Orientierung am Mittelwert der Arztgruppe, Nr 2.3.1 und 2.3.3 aaO), außerdem bei Übernahme einer Praxis mit unterdurchschnittlicher Fallzahl (Nr 2.3.2) sowie in weiteren Fällen wie Praxisverlegungen und Gemeinschaftspraxen (Nr 2.3.4 bis 2.3.6). Ferner war eine Regelung für "Härtefälle und anzuerkennende dynamische Entwicklungen" getroffen worden, worüber der Vorstand der KÄV zu entscheiden hatte (Nr 2.3.7). Die Höhe der Kürzung ergab sich aus dem Produkt der Zahl der über der Zuwachsgrenze liegenden Behandlungsfälle und der dem Arzt vergüteten durchschnittlichen Fallpunktzahl (Nr 3 aaO).

Diese Regelungen wandte die Beklagte bei der Berechnung der Kürzungen der Honoraranforderungen des Klägers für die Quartale III und IV/1997 korrekt an. Im Berufungsurteil werden die Berechnungen der Beklagten als im Einklang mit den Regelungen des HVM bezeichnet. Darin wird auch ausgeführt, dass die Ausnahmeregelung für "Härtefälle und anzuerkennende dynamische Entwicklungen" im Falle des Klägers nicht eingreife. Eine dynamische Entwicklung sei nur in besonderen Konstellationen anzunehmen, wie sie typischerweise bei Praxisneugründungen, beim Erwerb einer weiteren Qualifikation oder bei Anschaffung eines neuen Geräts mit entsprechendem Anstieg der Behandlungsfallzahlen aufträten, nicht aber bei einem langsamen stetigen Anwachsen der Fallzahlen durch einen größeren Bekanntheitsgrad, wie dies beim Kläger der Fall sei. Diese Auslegung und Anwendung von Landesrecht, deren Richtigkeit keiner der Beteiligten in Frage stellt, ist der Überprüfung durch das Bundessozialgericht nicht zugänglich (§ 162 Sozialgerichtsgesetz <SGG>, vgl betr HVM BSG SozR 3-2200 § 368f Nr 3 S 4; s ferner zB BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 30 f und Nr 9 S 36).

Die der Berechnung zu Grunde liegenden Regelungen über Fallzahlzuwachsbegrenzungen sind aber rechtswidrig. Sie stehen nicht mit höherrangigem Recht in Einklang, wie im Berufungsurteil im Ergebnis zutreffend ausgeführt ist. Die Möglichkeiten für einen Fallzahlzuwachs werden zu eng beschränkt.

Zu Recht haben die Vorinstanzen die gesetzliche Grundlage für Fallzahlzuwachsbegrenzungen nicht in der Bestimmung gesucht, nach der die KÄV verpflichtet ist, Regelungen zur Verhütung übermäßiger Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes zu treffen (§ 85 Abs 4 Satz 4 SGB V in der Zeit vom 1. Januar 1993 bis 31. Dezember 1998; Satz 5 aaO vom 1. Januar bis 31. Dezember 1999; seit 1. Januar 2000 Satz 6 aaO; bis Ende 1988 § 368f Abs 1 Satz 5 Reichsversicherungsordnung <RVO>). Der Tatbestand der übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist erfüllt, wenn angesichts des Umfangs der von einem Vertragsarzt abgerechneten Leistungen davon auszugehen ist, dass die einzelnen Leistungen nicht mehr in einer der Leistungsbeschreibung entsprechenden Art und Weise erbracht worden sein können, mithin Qualitätsmängel zu befürchten sind (vgl BVerfGE 33, 171, 186 = SozR Nr 12 zu Art 12 GG S Ab 16 R f; BSGE 22, 218, 221 = SozR Nr 4 zu § 368f S Aa 4; BSG SozR 3-2200 § 368f Nr 3 S 5; SozR 3-2500 § 85 Nr 8 S 47; vgl auch BSGE 81, 213, 224 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 159 f). HVM-Bestimmungen zur Umsetzung der aufgezeigten gesetzlichen Vorgabe hat der Senat regelmäßig gebilligt, wenn die Feststellung der übermäßigen Ausdehnung der Praxis anhand der Gesamtzahl der abgerechneten Punkte oder anhand der Kombination von Gesamtpunkt- und Gesamtfallzahl getroffen wurde (vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 8; früher zB BSG SozR 2200 § 368f Nr 15 und allgemein SozR 3-2200 § 368f Nr 3 S 5). Die von der Beklagten geschaffene Regelung über die Begrenzung des Fallzahlzuwachses ist jedoch weder bestimmt noch geeignet, eine übermäßige Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit in dem Sinne, wie die Vorschrift des § 85 Abs 4 Satz 4 SGB V (bzw ihre Vorgängerregelung in § 368f Abs 1 Satz 5 RVO) seit Jahrzehnten verstanden wird, zu verhüten. Sie knüpft allein an das Wachstum der Fallzahl einer Praxis an, das für sich genommen kein zuverlässiges Indiz für eine zu umfangreiche und deshalb qualitativ mutmaßlich unzulängliche Tätigkeit des Arztes darstellt. Sie reagiert damit nicht auf die Überschreitung einer bestimmten absoluten Fallzahlgrenze, sondern sanktioniert durch Honorarkürzungen allein einen (übermäßigen) Zuwachs bei der Fallzahl, ohne den Gesamtumfang der ärztlichen Tätigkeit mit zu berücksichtigen. Eine solche Regelung lässt sich auf die Befugnis zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht stützen; denn es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass ein Arzt allein wegen des Zuwachses an Behandlungsfällen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne qualitativ schlechter behandelt als ein Arzt, dessen Praxis schon immer von überdurchschnittlich vielen Patienten aufgesucht worden ist.

Rechtsgrundlage für Regelungen über Fallzahlzuwachsbegrenzungen ist § 85 Abs 4 Satz 1 bis 3 SGB V (in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes <GRG> vom 20. Dezember 1988, BGBl I S 2477, geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 1999, BGBl I S 2626) iVm Ziff 5 der Vereinbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) zur Einführung von Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 (DÄ 1997, A-403; iF: Praxisbudgetvereinbarung). Nach § 85 Abs 4 Satz 1 bis 3 SGB V haben die KÄVen die Gesamtvergütung nach Maßgabe des im Benehmen mit den Krankenkassen festgesetzten HVM an die Vertragsärzte zu verteilen; bei der Verteilung sind Art und Umfang der Leistungen der Vertragsärzte zu Grunde zu legen. Bei der Ausgestaltung des HVM hat eine KÄV einen Gestaltungsspielraum, weil die Honorarverteilung eine in der Rechtsform einer Satzung ergehende Maßnahme der Selbstverwaltung ist (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 34 S 269; aaO Nr 16 S 105). Diese von der KÄV beschlossene Satzung muss mit der Ermächtigungsgrundlage in Einklang stehen und insbesondere das in § 85 Abs 4 Satz 3 SGB V angesprochene Gebot der leistungsproportionalen Verteilung des Honorars beachten (vgl BVerfGE 33, 171, 184 = SozR Nr 12 zu Art 12 GG S Ab 15 R; BSGE 81, 213, 217 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 152). Fallzahlzuwachsregelungen können mit diesem Gebot in Konflikt geraten, weil Honorarkürzungen bei Überschreitung praxisindividueller Fallzahlgrenzen zur Folge haben, dass sich das Honorar vermindert, obwohl auch die Leistungen in den Behandlungsfällen, die über die zugelassene Fallzahlsteigerung hinaus gehen, der Leistungsbeschreibung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen (EBM-Ä) entsprechend erbracht worden sind. Das Gebot der leistungsproportionalen Verteilung des Honorars ist jedoch nicht mehr als ein Grundsatz, der eingeschränkt werden darf, wenn die KÄV damit andere billigenswerte Zwecke verfolgt (BSGE 83, 1, 2 = SozR 3-2500 § 85 Nr 26 S 183; BSGE 81, 213, 218 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 153; Nr 31 S 236 f). Solche anerkennenswerten Zielsetzungen können sich aus der Verpflichtung der KÄV zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in ihrem Bereich, aus Regelungen des EBM-Ä zur Honorarverteilung oder aus den zur Umsetzung des EBM-Ä getroffenen Vereinbarungen der Partner der Bundesmantelverträge (BMVe), hier der Praxisbudgetvereinbarung, ergeben.

Nach Ziff 5 der Praxisbudgetvereinbarung haben die KÄVen die Möglichkeiten der Vertragsärzte, ihre Fallzahlen zu steigern, durch Mittel der Honorarverteilung zu begrenzen. Die Vorschrift bindet die KÄVen. Nach der Rechtsprechung des Senats sind die Partner der BMVe auf der Grundlage der §§ 72 Abs 2, 82 Abs 1 Satz 1 SGB V berechtigt, die Voraussetzungen für die Erbringung bestimmter Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung festzulegen und damit die Regelungen des EBM-Ä hinsichtlich der Abrechenbarkeit zu ergänzen (zuletzt BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 19; Senatsurteil vom 31. Januar 2001 - B 6 KA 11/99 R -). Die Kompetenz der Partner der BMVe umfasst auch die Vereinbarung von Vorschriften zur Umsetzung und Anwendung des EBM-Ä, durch die den KÄVen ein Instrument an die Hand gegeben wird, mit dem diese eigenverantwortlich Ausnahmen von bestimmten Regelungen im EBM-Ä zulassen können (BSGE 87, 112, 114 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 134 zur Befreiung von Teilbudgets). Zu den Regelungen zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung iS der §§ 72 Abs 2, 82 Abs 1 Satz 1 SGB V zählen auch Vorgaben an die KÄVen zur Umsetzung und Absicherung neu in den EBM-Ä aufgenommener Bewertungsformen wie der zum 1. Juli 1997 eingeführten Praxisbudgets. Bei den Vereinbarungen der Partner der BMVe zur Ergänzung und Umsetzung des EBM-Ä handelt es sich um Verträge mit normativer Wirkung, die auch am Vertragsschluss nicht beteiligte Dritte binden. Als unmittelbar geltendes untergesetzliches Recht bedürfen sie für ihre Rechtsverbindlichkeit keiner Umsetzung mehr im EBM-Ä. Die einzelne KÄV ist im Rahmen der Honorarverteilung an derartige bundesmantelvertragliche Vorgaben gebunden.

Die in Ziff 5 der Praxisbudgetvereinbarung geregelte Verpflichtung zur Begrenzung des Fallzahlzuwachses ist rechtmäßig. Sie ist eine notwendige Funktionsbedingung für die durch den EBM-Ä zum 1. Juli 1997 für die meisten Arztgruppen, auch die der Kinderärzte, eingeführten Praxisbudgets. Die Vorschriften über die Budgets (A I. Allgemeine Bestimmungen Teil B EBM-Ä) haben die Struktur der vertragsärztlichen Vergütung geändert. Die zu erbringenden Leistungen sind bei der Mehrzahl der Arztgruppen drei verschiedenen Bereichen zugeordnet worden, bezeichnet als grüner, gelber und roter Bereich. Der grüne Bereich beschreibt das eigentliche Praxisbudget. Hier wird jedem im Quartal behandelten Patienten, abhängig von dessen Versichertenstatus (Mitglied, Familienangehöriger oder Rentner), eine anhand eines Leistungsbedarfs im Jahr 1994 ermittelte Punktzahl zugeordnet. Das Produkt dieser Punktzahl mit der Zahl der behandelten Patienten bildet das Praxisbudget, das demgemäß für jeden Arzt je nach Zahl und Status der Versicherten und nach Arztgruppe variiert. Leistungen aus dem grünen Bereich kann der einzelne Vertragsarzt nur bis zur Höhe dieses Budgets abrechnen; darüber hinaus erbrachte Leistungen werden nicht honoriert. Der gelbe Bereich umfasst die Zusatzbudgets. Hier werden weitere Punktzahlen pro Behandlungsfall für Leistungen eingeräumt, die entweder eine besondere Qualifikation des behandelnden Arztes oder einen besonderen Versorgungsbedarf voraussetzen und nur von einigen Ärzten aus jeder Arztgruppe schwerpunktmäßig erbracht werden. Die weder im grünen noch im gelben Bereich erfassten Leistungen gehören dem roten Bereich an, der nicht durch Punktzahlvolumina budgetiert ist. Jeder Arztgruppe ist für die einzelnen Leistungsbereiche ein bestimmter Anteil an der Gesamtvergütung zugewiesen. Leistungsmengensteigerungen bei einer Praxis im grünen und gelben Bereich führen solange zu einem höheren Honorar, als das Punktzahlbudget der Praxis noch nicht erschöpft ist, sodass insoweit Leistungen auch bei Mengenausweitungen mit stabilen Punktwerten honoriert werden können. Im roten Bereich besteht zwar die Möglichkeit, unbegrenzt Punktzahlen abzurechnen. Dafür müssen aber angesichts des begrenzten Honorartopfs deutlich floatende Punktwerte in Kauf genommen werden (vgl "Die Einführung von Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 - Gründe und Inhalte", DÄ 1997 C 647 ff; Ballast, ErsK 1996, 440 ff; Schauenburg, BKK 1997, 193 ff; Metzinger/Woggon, KrV 1997, 12 ff). Der Senat hat bereits entschieden, dass die durch den EBM-Ä zum 1. Juli 1997 eingeführten Praxisbudgets mit höherrangigem Recht in Einklang stehen (BSGE 86, 16, 21 = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 120; BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 30; aaO Nr 31). Sie sind geeignet, das Erreichen der vom EBM-Ä angestrebten Ziele der (relativen) Punktwertstabilität und mittelbar der Kalkulierbarkeit der Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit (zu diesem Ziel s BSGE 81, 213, 220 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 155) zu sichern. Das bedarf hier keiner erneuten Begründung, zumal die Verfahrensbeteiligten die Rechtmäßigkeit der Praxisbudgets nicht in Frage stellen.

Zur Umsetzung der Neugestaltung des EBM-Ä haben die Partner der BMVe in Ziff 5 der Praxisbudgetvereinbarung bestimmt, dass die KÄVen verpflichtet sind, die Fallzahlentwicklung zu überprüfen und medizinisch nicht begründbaren Fallzahlsteigerungen entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck ist auch ein Vergleich der Zahl der vom einzelnen Arzt abgerechneten Fälle vor und nach der Einführung der Budgets durchzuführen. Steigt im Bezirk einer KÄV die Fallzahl gegenüber dem Vergleichsquartal des Vorjahres um mehr als 5 %, hat die KÄV Maßnahmen zu ergreifen, die dazu dienen, eine Punktwertminderung, die von einer mehr als 5 %igen Fallzahlsteigerung hervorgerufen würde, zu verhindern.

Eine hierfür vorrangig in Betracht kommende Regelung ist die Begrenzung von Fallzahlzuwächsen. Sie stellt sich als flankierende Maßnahme zur Absicherung der Wirkung der Praxisbudgets dar. Die Zahl der im Quartal abgerechneten Behandlungsfälle ist nämlich der variable Faktor bei der Bildung des Praxisbudgets. Könnte die Fallzahl beliebig gesteigert werden, bestünde trotz der Limitierung der pro Behandlungsfall rechnerisch abrechenbaren Punkte die Möglichkeit, diese unbegrenzt zu vermehren. Angesichts der beschränkten Höhe der zur Verteilung anstehenden Gesamtvergütung könnte das zu einem Punktwertverfall führen, der durch die mit dem EBM-Ä 1997 eingeführten Praxisbudgets gerade verhindert werden sollte. Bereits der oben näher behandelten Verpflichtung der KÄV, im HVM Regelungen zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit vorzusehen (§ 85 Abs 4 Satz 6 SGB V), ist die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass der Arzt den Umfang seiner Tätigkeit in gewissem Umfang steuern kann und dass lenkende bzw präventiv wirkende Vorschriften im HVM geeignet sind, nachhaltig Anreize für eine Begrenzung der Tätigkeit zu geben, die sich sowohl auf den Umfang der Leistungen (Fallwert) als auch auf die Zahl der Behandlungsfälle auswirken können (zur präventiven Zielsetzung der Limitierung der übermäßigen Ausdehnung vgl BSG SozR 3-2200 § 368f Nr 3 S 5).

Allerdings ist die Zahl der Behandlungsfälle einer Praxis nicht in gleicher Weise der Steuerung durch den Vertragsarzt zugänglich wie der Umfang der je Fall erbrachten Leistungen, der sich im Fallwert niederschlägt. Bei idealtypischer Betrachtungsweise bestimmen allein die Patienten die Fallzahl einer Praxis, weil sie sich im Rahmen der ihnen zustehenden freien Arztwahl (§ 76 Abs 1 Satz 1 SGB V) für die Behandlung durch einen bestimmten Arzt entscheiden können und die von ihnen gewählte Praxis so oft aufsuchen, wie sie es aus ihrer Sicht für notwendig halten. In diesem Sinne spiegelt die Fallzahl einer Praxis auch die Attraktivität der Behandlung eines Arztes aus der Perspektive der Patienten wider. Die Gewinnung neuer Patienten erweist sich damit als legitimes Mittel des Arztes, seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern (vgl bereits BSGE 83, 52, 56 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 205 zum zahnärztlichen Bereich). Auf der anderen Seite hat der einzelne Arzt zahlreiche Möglichkeiten, die Zahl der Behandlungsfälle in seiner Praxis weit gehend unabhängig von medizinischen Behandlungsnotwendigkeiten zu beeinflussen. Ein "Fall" im Sinne der Vorschriften über das Praxisbudget (A I. Allgemeine Bestimmungen Teil B, Nr 1.4 EBM-Ä) ist gemäß § 21 Abs 1 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) bzw § 25 Abs 1 Satz 1 Ersatzkassenvertrag-Ärzte (EKV-Ä) die von einem Arzt in einem Quartal gegenüber einem Versicherten vorgenommene ärztliche Behandlung. Ob ein Patient, der vier Mal im Jahr die Praxis eines Arztes zur Behandlung aufsucht, als ein "Fall" zählt oder ob seine Behandlung vier Behandlungsfälle ergibt, hängt allein davon ab, ob die vier Arzt-Patienten-Kontakte im selben Quartal oder in vier verschiedenen Quartalen stattfinden. Außerhalb von Akutbehandlungen kann der Arzt die Fallzahl seiner Praxis mithin durch regelmäßige Wiedereinbestellungen von Patienten zu bestimmten Zeitpunkten deutlich beeinflussen (vgl bereits BSGE 83, 52, 56 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 205). Auch durch Absprachen zwischen Ärzten über die Überweisung von Patienten zur Mitbehandlung (§ 24 BMV-Ä) können gerade im fachärztlichen Bereich Fallzahlen vermehrt werden, ohne dass sich der Behandlungsaufwand gegenüber dem einzelnen Patienten ändert (vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 24 S 165).

Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat gezeigt, dass die im Rahmen der kassen- bzw vertragsärztlichen Behandlung abgerechneten Fallzahlen keine vorgegebenen festen Größen sind, die aus der Natur der Sache unverändert bleiben, solange die Zahl der in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Personen konstant bleibt, und bei denen Verschiebungen nur innerhalb der einzelnen Arztgruppen auftreten. Vielmehr hat sich in den vergangenen Jahren ein kontinuierlicher Anstieg der Fallzahlen ergeben. In den alten Bundesländern (ab 1995 unter Einschluss von Berlin [Ost]) stieg die Fallzahl bei allen Kranken- und Ersatzkassen von 252 Millionen im Jahre 1980 auf knapp 438 Millionen im Jahre 1998, also um etwa 75 % (Grunddaten zur vertragsärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland 2000, hrsg von der KÄBV, B 5). Diesem Anstieg entsprach eine Zunahme der Zahl der abrechnenden Ärzte von 55.127 Ende 1980 auf 92.816 Ende 1998 (Grunddaten, aaO, B 5), während die Zahl der Mitglieder der Krankenkassen im gleichen Zeitraum in den alten Bundesländern prozentual wesentlich geringer, nämlich von ca 35 Millionen auf etwas über 40 Millionen, wuchs (Grunddaten, aaO, G 13). Seit 1996 schließlich entwickelte sich die Fallzahl stärker als die Zahl der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte. So erhöhte sich 1996 in Relation zum Vorjahr die Anzahl der Ärzte um 1,8 %, die Zahl der Fälle aber um 4,4 %, sodass die Fallzahl je Arzt um 2,5 % anstieg. Auch 1997 und 1998 lag die Steigerungsrate bei den Behandlungsfällen über der Zunahme der Zahl der Vertragsärzte, während sich im Mitgliederbestand der Kassen kaum Veränderungen ergaben. Im Jahre 1996 nahm die Zahl der Fälle in Relation zum Vorjahr mit 4,4 % fast zehn Mal so stark zu wie die Zahl der Mitglieder der Kranken- und Ersatzkassen mit 0,5 % (Grunddaten aaO, B 5, G 13). Der fast durchgängige Anstieg der Behandlungsfälle belegt einerseits die Notwendigkeit, in einem Honorarsystem, in dem der einzelne Behandlungsfall für das Gesamthonorar des Arztes einen hohen Stellenwert hat, die Anreize für ihre Vermehrung möglichst zu verringern. Andererseits belegt diese Entwicklung, dass die Zahl der Behandlungsfälle generell und auch bezogen auf den einzelnen Arzt keine vorgegebene Größe, sondern - in gewissem Umfang - der Beeinflussung durch den einzelnen Arzt zugänglich ist. Insbesondere bei einem überproportionalen Anstieg der Behandlungsfallzahlen darf deshalb auf das Verhalten des einzelnen Arztes durch Maßnahmen der Honorarbegrenzung reagiert werden.

Die Partner der BMVe haben sich bei der Normierung der Verpflichtung der KÄVen, durch Maßnahmen der Honorarverteilung einem überproportionalen Zuwachs der Fallzahlen entgegen zu wirken (Ziff 5 der Praxisbudgetvereinbarung), auch auf die Erwägung stützen dürfen, dass sich größere Schwankungen im Leistungsverhalten bei langjährig betriebenen und etablierten Praxen in der Regel nur in begrenztem Umfang ergeben. Diesen Gesichtspunkt hat der Senat bereits in seinen Urteilen vom 21. Oktober 1998 im Rahmen der Prüfung von HVMen Kassenzahnärztlicher Vereinigungen (KZÄVen) angeführt, die den Umfang der vertragszahnärztlichen Tätigkeit der einzelnen Praxis durch die Einführung von Kontingentgrenzen im Wesentlichen auf das in einem bestimmten Zeitpunkt der Vergangenheit erreichte Maß beschränkt haben. Der Senat hat die Einschätzung der beklagten KZÄV für plausibel gehalten, dass Patientenzahl und Behandlungsumfang sowie Behandlungsweise des Praxisinhabers nach Abschluss der Aufbauphase einer Praxis offenbar über einen längeren Zeitraum relativ konstant bleiben und deutliche Verschiebungen bei der Zahl der behandelten Patienten eine eher seltene Ausnahme darstellen (vgl ua BSGE 83, 52, 57 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 206). Es spricht nichts dafür, dass im vertragsärztlichen Bereich grundlegend andere Verhältnisse als im vertragszahnärztlichen Bereich bestehen. Honorarverteilungsregelungen, die unter Beachtung von noch näher zu erörternden Toleranzgrenzen den wirtschaftlichen Anreiz für eine starke Ausweitung der Fallzahl mindern, treffen danach nur eine relativ geringe Zahl von vertragsärztlichen Praxen nachhaltig.

Die Partner der BMVe haben in der Praxisbudgetvereinbarung eine Verpflichtung der KÄV zur Begrenzung des Fallzahlanstiegs für den Fall normiert, dass die Fallzahl gegenüber dem Vergleichsquartal des Vorjahres um mehr als 5 % steigt. Die Entwicklung der letzten zehn Jahre lässt erkennen, dass bezogen auf alle Arztgruppen eine Fallzahlerhöhung innerhalb eines Jahres oberhalb von 5 % die Ausnahme darstellt. Im Bereich der Primär- und Ersatzkassen insgesamt ist es lediglich im Jahr 1990 in Relation zu 1989 zu einem Fallzahlanstieg von 5,1 % gekommen. Ansonsten bewegen sich die Zuwachsraten im Bereich von 1,9 bis 4,4 % (Grunddaten, aaO, B 5). Auch die detaillierte wissenschaftliche Analyse der Gesamtfallzahlentwicklung der Jahre 1988 bis 1993 in sechs ausgewählten KÄVen, die nach Arztgruppen differenziert, zeigt auf, dass eine Fallzahlerhöhung im Jahresrhythmus oberhalb von 5 % eine eher seltene Ausnahme darstellt (vgl dazu: Die Entwicklung der Fallzahlen bei niedergelassenen Ärzten 1980 bis 1993, hrsg vom Wissenschaftlichen Institut der AOK und dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1994, S 49). Die Regelung in Ziff 5 der Praxisbudgetvereinbarung zielt demnach nicht auf eine grundlegende Veränderung der Struktur des Behandlungsverhaltens der niedergelassenen Ärzte. Sie verpflichtet vielmehr die einzelne KÄV lediglich zu solchen Eingriffen, die eine außergewöhnlich schnelle, zudem hohe und darüber hinaus regelmäßig medizinisch nicht plausibel erklärbare Fallzahlsteigerung möglichst verhindern sollen. Auch unter diesem Gesichtspunkt bestehen gegen die Vorgabe in der Praxisbudgetvereinbarung keine durchgreifenden Bedenken.

Die hier streitige Regelung der Fallzahlzuwachsbegrenzung der Beklagten (Nr 2.2 der Anlage 2 zum HVM) setzt die Vorgaben der Praxisbudgetvereinbarung nicht in sachgerechter Weise um und verstößt damit gegen das sich aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG ergebende Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Ziff 5 der Praxisbudgetvereinbarung verpflichtet die KÄVen zum Ergreifen von Maßnahmen bei einer mehr als 5 %igen Fallzahlsteigerung im Verhältnis zum Vergleichsquartal des Vorjahres. Die Partner der Praxisbudgetvereinbarung gehen damit davon aus, dass Fallzahlzuwächse über 5 % die Funktion der Praxisbudgets, den Punktwert zu stabilisieren, gefährden. Die Praxisbudgetvereinbarung verpflichtet die KÄVen jedoch nicht in dem Sinne, dass jedem einzelnen Vertragsarzt jeweils ein Fallzahlzuwachs von bis zu 5 % zugestanden werden muss. Die Regelung begrenzt nicht die sich aus § 85 Abs 4 Satz 1 bis 3 SGB V ergebende Befugnis der KÄVen, im Rahmen der Honorarverteilung weiter gehende Maßnahmen zur Punktwertstabilisierung zu ergreifen. Das hat zur Folge, dass eine Zuwachsgrenze von weniger als 5 % festgesetzt werden kann, sofern gewährleistet ist, dass für den einzelnen Vertragsarzt ein gewisses kontinuierliches Fallzahlwachstum möglich ist. Im Rahmen des der KÄV als Satzungsgeber zustehenden Gestaltungsspielraums stehen ihr verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. So kann sie zB in Anlehnung an Ziff 5 der Praxisbudgetvereinbarung einen zulässigen Fallzahlzuwachs in Höhe von 5 % festlegen und vorschreiben, dass eine Vergütung nur für eine Fallzahl bis zu dieser Grenze nach Maßgabe der durchschnittlich individuellen Fallpunktzahl gewährt wird (vgl den Sachverhalt in den Urteilen vom heutigen Tage in den Verfahren B 6 KA 1/01 R, 13/01 R, 14/01 R und 35/01 R). Sie kann aber auch niedrigere prozentuale Zuwächse etwa mit einer Vergütungsabstaffelung für die Zahl an Behandlungsfällen verbinden, die über der zulässigen Fallzahlzuwachstoleranz liegt.

Die Regelung der Beklagten überschreitet den ihr zustehenden Gestaltungsspielraum; denn sie lässt nicht eine bestimmte prozentuale Steigerung zu, sondern knüpft bei dem zulässigen Fallzahlzuwachs an ein in diesem Zusammenhang unzulässiges Kriterium, nämlich die prozentuale Steigerung des auf die jeweilige Arztgruppe entfallenden Gesamtvergütungsanteils, an. Die höchstmögliche Steigerung des Gesamtvergütungsanteils steht wegen des bei der Gesamtvergütungsvereinbarung zu beachtenden Grundsatzes der Beitragsstabilität im engen Zusammenhang mit der jeweiligen Grundlohnsummensteigerung. Diese variiert nicht nur von Jahr zu Jahr. Sie kann sich auch je nach der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gegen Null belaufen, dies uU über mehrere Jahre hinweg, oder gar rückgängig sein. Bei den derzeitigen Gegebenheiten wären faktisch Fallzahlsteigerungen nur in einem Umfang von unter 2 % jährlich zulässig. Denn nur in diesem Umfang sind die Gesamtvergütungen in den letzten Jahren gestiegen. Der Rechtmäßigkeit der Fallzahlzuwachsregelung der Beklagten steht weiterhin entgegen, dass für den Vertragsarzt im Zeitpunkt der Leistungserbringung noch nicht feststeht, in welchem Umfang er - wenn überhaupt - Fallzahlsteigerungen vergütet erhält (vgl zum Erfordernis der Vorhersehbarkeit BSG SozR 3-2200 § 368f Nr 3 S 6). Die Ausgestaltung der zulässigen Fallzahltoleranz im HVM der Beklagten gibt dem einzelnen Vertragsarzt mithin nicht die Möglichkeit, ein kontinuierliches Wachstum seiner Praxis zu betreiben.

Gegenüber dem Ergebnis, dass die von der Beklagten zum 1. Juli 1997 eingeführte Fallzahlzuwachsregelung rechtswidrig und deshalb unwirksam war, kann nicht eingewandt werden, dass auch Ärzte, die vordergründig durch Regelungen über den Fallzahlzuwachs Honorareinbußen haben hinnehmen müssen, durch die Stabilisierung des Punktwertes in der Regel für die Mehrzahl ihrer vertragsärztlichen Leistungen von diesen Regelungen dennoch profitieren. Darin liegt zwar in der Tat eine gewisse Kompensation für die Zuwachsbegrenzung. Indessen kommt die Stabilisierung allen Vertragsärzten zugute, sodass die betroffenen im Verhältnis zu den nicht betroffenen ungerechtfertigtermaßen benachteiligt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl Senatsurteile vom 30. Januar 2002 - B 6 KA 12/01 R und B 6 KA 73/00 R -, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

Ende der Entscheidung

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