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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: B 6 KA 50/00 R
Rechtsgebiete: SGB V, BVFG


Vorschriften:

SGB V § 85
BVFG § 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az: B 6 KA 50/00 R

Verkündet am 27. Juni 2001

in dem Rechtsstreit

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Dr. Clemens sowie die ehrenamtliche Richterin Dr. Dawid und den ehrenamtlichen Richter Göbel

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) <Klägerin> und der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) <Beklagte> ist umstritten, wer die Kosten für die ärztliche Behandlung einer bestimmten Gruppe von Spätaussiedlern zu tragen hat.

Seit 1989 erhalten Spätaussiedler auf der Grundlage des § 90b des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz <BVFG>) in der ab 1. Januar 1989 geltenden Fassung des Art 38 Nr 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) Leistungen "wie ein Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung", wenn ua der Leistungsgrund innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland eintritt. Die Leistungen gewährt die für den Wohnort des Berechtigten zuständige AOK. Die Berechtigten können unter Vorlage eines Berechtigungsscheins Vertragsärzte in Anspruch nehmen, die ihre Leistungen wie diejenigen gegenüber Versicherten der Krankenkassen (KKn) mit der KÄV abrechnen. Die Höhe der Vergütung entspricht derjenigen bei der Behandlung von Versicherten. Die KÄV rechnet ihrerseits die von den Vertragsärzten über den Berechtigungsschein erbrachten Leistungen mit der AOK ab. Die den KKn entstandenen Aufwendungen werden ihnen aus Mitteln des Bundes erstattet.

Die für die Erfüllung der Erstattungsansprüche der Klägerin zuständige Behörde des beigeladenen Landes lehnte mit Schreiben vom 12. Oktober 1993 gegenüber der Klägerin eine Erstattung in den Fällen ab, in denen rückwirkend die Mitgliedschaft eines Spätaussiedlers in der gesetzlichen Krankenversicherung (KV), insbesondere nach § 5 Abs 1 Nr 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - (Bezug von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit <BA>, insbesondere von Eingliederungshilfe), begründet worden war. Daraufhin verlangte die Klägerin von der Beklagten die Erstattung der zur Honorierung von Leistungen gegenüber diesen Spätaussiedlern geleisteten Zahlungen und rechnete insoweit mit Forderungen der Beklagten aus der Gesamtvergütung auf. Die geltend gemachte Erstattungsforderung belief sich zunächst auf 72.177,16 DM und erhöhte sich bis Ende 2000 auf 523.974,- DM.

Die Klägerin vertrat die Ansicht, infolge der rückwirkenden Eingliederung der Spätaussiedler in die gesetzliche KV habe der beklagten KÄV keine außerhalb der Gesamtvergütung nach § 85 Abs 1 SGB V bestehende Forderung für Leistungen der Vertragsärzte gegenüber diesen Spätaussiedlern zugestanden. Nunmehr stehe fest, daß der betroffene Personenkreis zu den Mitgliedern der KV zähle. Das habe zur Folge, daß die für das Quartal der Leistungserbringung seitens der KK entrichtete Gesamtvergütung auch die Leistungen der Vertragsärzte gegenüber denjenigen Personen erfasse, die ursprünglich auf einem Berechtigungsschein behandelt worden seien. Insofern habe die Beklagte für die entsprechenden Leistungen der Vertragsärzte zu Unrecht Einzelleistungsvergütungen erhalten. Die Beklagte machte demgegenüber geltend, es komme maßgeblich auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung an. Zu diesem Zeitpunkt seien die Spätaussiedler gegen Vorlage des Berechtigungsscheins von den Vertragsärzten behandelt worden und dafür stehe ihr - der Beklagten - gegen die Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer Einzelleistungsvergütung zu, die die Klägerin wiederum gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend machen könne. Da die rückwirkende Eingliederung des betroffenen Personenkreises in die KV keine Erhöhung der Gesamtvergütung wegen Veränderung der Mitgliederzahl nach sich gezogen habe, seien ihr die Leistungen nicht "doppelt" vergütet worden.

Beide Beteiligte haben gegeneinander Klage erhoben, und zwar zunächst die Beklagte auf Zahlung des Anteils der Gesamtvergütung, gegen den die Klägerin aufgerechnet hatte, danach die Klägerin, mit dem Ziel, die Beträge, die sie für die Vergütung von Einzelleistungen aufgewandt hatte, zurückerstattet zu erhalten. Das Sozialgericht (SG) hat beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die Klage der AOK auf Rückerstattung der für die Behandlung von Spätaussiedlern gezahlten Vergütung hat es abgewiesen und auf die Klage der KÄV die AOK verurteilt, der KÄV die ab dem 1. Quartal 1989 einbehaltenen Honorarbeträge für Leistungen nach dem BVFG zu erstatten. Die KÄV sei durch die von ihr vereinnahmten Beträge für Leistungen der Vertragsärzte nicht ungerechtfertigt bereichert, weil diese Leistungen außerhalb der Gesamtvergütung abgewickelt worden seien. Ungeachtet der rückwirkenden Begründung von Versicherungsverhältnissen stehe der AOK ein Aufwendungsersatzanspruch gegen das beigeladene Land zu (Urteil vom 1. November 1995).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach seiner Auffassung hat diese keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der in Streit befindlichen Honorarbeträge, so daß das SG zu Recht diese Klage abgewiesen und der Klage der KÄV stattgegeben habe. Als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch komme allein der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht; die Regelungen der §§ 102 ff Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fänden keine Anwendung, weil weder die Gesamtvergütung noch die von der Klägerin zu Lasten des Bundes zu zahlenden Beträge für Leistungen an Spätaussiedler Sozialleistungen iS der §§ 102 ff SGB X seien. Die Voraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs seien nicht gegeben, weil die Beklagte die Vergütung, mit denen die Klägerin zu Lasten des Bundes Leistungen der Vertragsärzte gegenüber Spätaussiedlern honoriert habe, nicht ohne Rechtsgrund erhalten habe. Der Umstand, daß die Betroffenen rückwirkend Mitglieder der Klägerin geworden seien, ändere nichts daran, daß die Klägerin zum Zeitpunkt der Leistungserbringung verpflichtet gewesen sei, die ärztlichen Leistungen der Vertragsärzte außerhalb der Gesamtvergütung zu honorieren. Solche Zahlungen außerhalb des Gesamtvergütungssystems könnten nicht nach rückwirkender Begründung einer Mitgliedschaft des begünstigten Personenkreises in der gesetzlichen KV innerhalb des Gesamtvergütungssystems rückabgewickelt werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe die Beklagte für die Leistungen der Vertragsärzte gegenüber den Spätaussiedlern nicht zweimal Honorar bezogen. Dieser Personenkreis sei bei der Berechnung der Gesamtvergütung nach einer Kopfpauschale iS des § 85 SGB V nicht berücksichtigt worden. Die Beklagte habe die außerhalb des Gesamtvergütungssystems erbrachten Leistungen gegenüber den Ärzten honoriert und könne die entsprechenden Beträge nicht zurückfordern. Die Ärzte hätten die Leistungen gegenüber den Spätaussiedlern im Vertrauen auf die Gültigkeit der Berechtigungsscheine erbracht und darüber inzwischen bindend gewordene Honorarbescheide erhalten (Urteil vom 10. Mai 2000).

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 85 SGB V sowie des § 11 BVFG. Das LSG habe verkannt, daß Honorare, die von ihr nach dem BVFG auftragsweise gezahlt worden seien, Teil der Gesamtvergütung seien, aus der die vertragsärztlichen Leistungen honoriert würden. Allein die Höhe der Gesamtvergütung sei davon abhängig, ob Grundlage ihrer Ermittlung eine Kopfpauschale oder Einzelleistungen seien. Erst im Zuge der Honorarverteilung seitens der KÄV werde die Vergütung für den einzelnen Leistungsfall konkretisiert. Insofern habe sich die Honorierung der vertragsärztlichen Leistungen gegenüber den Spätaussiedlern grundsätzlich nach den Regeln des Gesamtvergütungssystems gerichtet, so daß auch ihre Rückabwicklung in diesem Rahmen möglich sei. Entgegen der Auffassung des LSG könne in der Rückabwicklung der Vergütung aufgrund der rückwirkend festgestellten Mitgliedschaft einzelner Spätaussiedler in der gesetzlichen KV keine systemwidrige Begünstigung der KK gesehen werden. Sie - die Klägerin - habe zwar aufgrund des nachträglich festgestellten Anspruchs der Spätaussiedler auf Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bzw dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Beiträge erhalten. Aus dem Umstand, daß der betroffene Personenkreis bei der Berechnung der Kopfpauschale nicht berücksichtigt worden sei, könne jedoch nicht geschlossen werden, die für diesen Personenkreis erbrachten Leistungen seien nicht von der Gesamtvergütung abgegolten. Die gesetzliche KV beruhe nicht auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung; im übrigen verhalte es sich bei der Stichtagsregelung für die Ermittlung der Kopfpauschale so, daß einerseits Personen nicht einbezogen seien, die am Stichtag noch nicht versichert gewesen seien, andererseits aber Personen berücksichtigt seien, die in Wirklichkeit aus der Mitgliedschaft bereits ausgeschieden seien. Das sei in Kauf zu nehmen, da es aufgrund der Tatsache, daß beide Möglichkeiten bestünden, sowie nach dem Gesetz der großen Zahl zu einem Ausgleich kommen werde. Soweit das LSG der Auffassung der Beklagten gefolgt sei, eine Rückerstattung könne die Beklagte nur über den Punktwert zu Lasten ihrer jetzigen Mitglieder "abarbeiten", sei das zwar richtig, doch bestehe diese Situation stets. Jeder Betrag, den die KÄV den KKn zu erstatten habe und bei dem sie nicht mehr auf ihre Mitglieder zurückgreifen könne, könne nur aus der laufenden Gesamtvergütung erbracht werden und habe zwangsläufig Auswirkungen auf den aktuellen Punktwert.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 2000 sowie des Sozialgerichts Kiel vom 1. November 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die ihr ab dem 1. Quartal 1989 für die Behandlung von Berechtigten nach § 90b Abs 5 BVFG bzw § 11 Abs 5 BVFG gezahlten Honorare zurückzuerstatten, soweit diese für Leistungen von Mitgliedern der Beklagten zu einem Zeitpunkt gezahlt worden sind, zu dem die Berechtigten rückwirkend Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung geworden waren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend. Zwischen den Beteiligten habe stets Einvernehmen darüber geherrscht, daß die Honorarleistungen, die die Klägerin für die Behandlung von Spätaussiedlern nach dem BVFG erbringe, nicht Teil der zwischen den KKn und der KÄV zu vereinbarenden Gesamtvergütung seien. Das sei als übereinstimmende Rechtsauffassung beider Beteiligten auch im Protokoll der Niederschrift des SG Kiel festgehalten worden. Auf den Umstand, daß die in Rede stehenden Erstattungsbeträge nicht Bestandteil der Gesamtvergütung seien, habe sich die Klägerin in anderem Zusammenhang auch ausdrücklich berufen, um nämlich begründen zu können, daß das Aufrechnungsverbot nach § 12 des Gesamtvertrages die von ihr - der Klägerin - vorgenommene Aufrechnung nicht hindere. Die Übernahme der Leistungen für die Behandlung von Spätaussiedlern gewähre die AOK im Auftrag des Bundes. Die ihr entstehenden Aufwendungen würden aus Bundesmitteln erstattet und seien zu keinem Zeitpunkt Bestandteil der Gesamtvergütung gewesen. Wenn die Klägerin nunmehr die von ihr gezahlten Beträge für die Behandlung der Spätaussiedler zurückerstattet verlange, wolle sie doppelt begünstigt werden. Zum einen seien ihr aufgrund der rückwirkenden Feststellung der Mitgliedschaft bestimmter Spätaussiedler Beiträge von der BA zugeflossen. Zum anderen wolle sie darüber hinaus, ohne selbst Leistungen für diesen Personenkreis aus deren Mitgliedschaftsverhältnis erbracht zu haben, die der Beklagten zugeflossenen Beträge für die tatsächlich durchgeführten Behandlungen mit Hinweis auf die befreiende Wirkung der Zahlung der Gesamtvergütung zurückerhalten. Dem stehe entgegen, daß der nicht ganz kleine Personenkreis der Spätaussiedler bei der Berechnung der Gesamtvergütung bzw bei ihrer Veränderung nicht berücksichtigt worden sei und auch nicht habe berücksichtigt werden können.

Das beigeladene Land stellt keinen Antrag.

II.

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Im Revisionsverfahren ist allein noch streitig, ob der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte darauf zusteht, daß diese die ihr im Wege der Einzelleistungsvergütung zugeflossenen Beträge erstattet, die die Klägerin auf der Grundlage des § 90b Abs 5 aF bzw § 11 Abs 5 BVFG für die Behandlung von Personen gezahlt hat, die zunächst als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind und Berechtigungsscheine nach dem BVFG bei der Behandlung vorgelegt haben, bei denen aber rückwirkend für den Zeitraum der ärztlichen Behandlung eine Mitgliedschaft in einer KK begründet worden ist. Ein solcher Anspruch besteht nicht, wie die vorinstanzlichen Gerichte zutreffend erkannt haben.

Auf der Rechtsgrundlage des § 90b BVFG, an dessen Stelle zum 1. Januar 1993 § 11 BVFG getreten ist (Art 1 Nr 10 des Gesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2094), haben ab dem 1. Januar 1989 Personen, die als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland gelangen, für längstens 78 Wochen Anspruch auf Leistungen wie ein Versicherter der gesetzlichen KV. Die für den neuen Wohnort der Berechtigten zuständige AOK gewährt Leistungen im Krankheitsfall und stellt den berechtigten Personen einen Berechtigungsschein aus, mit dem diese ihre Leistungsberechtigung ua gegenüber den Vertragsärzten nachweisen. Die Vertragsärzte behandeln diese Personen nach den Regelungen der gesetzlichen KV und rechnen ihre Leistungen über den Berechtigungsschein gegenüber ihrer KÄV ab. Diese wiederum erhält von der KK das von ihr an die Vertragsärzte zu zahlende Honorar in der Höhe erstattet, wie es anfallen würde, wenn die Spätaussiedler Versicherte der gesetzlichen KV wären. Der der KK entstehende Aufwand wird ihr nach § 90b Abs 6 BVFG aF bzw § 11 Abs 6 BVFG aus Mitteln des Bundes erstattet; der Bund trägt auch die der KK entstehenden Verwaltungskosten in Höhe eines pauschalen Zuschlags von 8 % des Leistungsaufwands (§ 11 Abs 6 Satz 2 BVFG).

Die Gewährleistung der Krankenversorgung der Spätaussiedler durch die AOK des Wohnorts hat nicht zur Folge, daß die Berechtigten generell oder zumindest dann, wenn sie Leistungen in Anspruch nehmen, zu Mitgliedern dieser KK werden. Das hat zunächst zur Konsequenz, daß die von der AOK auf der Grundlage des § 85 Abs 1 SGB V nach Maßgabe des Gesamtvertrages für die gesamte vertragsärztliche Versorgung mit befreiender Wirkung an die KÄV geleistete Gesamtvergütung nicht die Leistungen erfaßt, die Vertragsärzte für die nach § 90b BVFG aF bzw § 11 BVFG anspruchsberechtigten Spätaussiedler erbringen. Zu Recht hat deshalb in der Vergangenheit zwischen den Beteiligten kein Streit darüber bestanden, daß die Klägerin verpflichtet ist, die Leistungen zugunsten dieses Personenkreises außerhalb der Gesamtvergütung nach Einzelleistungen zu honorieren. Die Einbeziehung dieser ärztlichen Leistungen in die Gesamtvergütung nach § 85 Abs 1 SGB V hätte zur Folge haben müssen, daß zum einen die anspruchsberechtigten Spätaussiedler bei der Berechnung der Gesamtvergütung bzw deren Veränderungen nach § 85 Abs 3 SGB V hätten berücksichtigt werden müssen. Zum anderen hätte in § 90b Abs 6 BVFG aF bzw § 11 Abs 6 BVFG bestimmt werden müssen, wie sich der auf den Personenkreis der Spätaussiedler entfallende Anteil an der Gesamtvergütung der AOK, der im Ergebnis zu Lasten des Bundes gehen soll, berechnet wird. Beides ist nicht geschehen. Daraus folgt, daß die Leistungen zugunsten der betroffenen Spätaussiedler außerhalb der Gesamtvergütung zu honorieren sind. Die Vorschrift des § 85 SGB V findet insoweit keine Anwendung. Zutreffend sind deshalb die Beteiligten früher auch davon ausgegangen (Protokoll der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 1. November 1995), daß Behandlungen auf der Grundlage von Bundesbehandlungsscheinen gesondert vergütet werden und nicht in die Gesamtvergütung fallen.

Rechtsgrundlage der Zahlungen der Klägerin an die Beklagte für Leistungen der Vertragsärzte gegenüber dem in § 90b Abs 1 aF bzw § 11 Abs 1 BVFG beschriebenen Personenkreis ist die von der Klägerin durch Ausstellung des Behandlungsscheins dokumentierte Leistungsberechtigung des einzelnen Spätaussiedlers. Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit, daß die streitgegenständliche Erstattungsforderung nur Leistungen erfaßt, die von Vertragsärzten gegenüber solchen Spätaussiedlern erbracht worden sind, denen gegenüber die Klägerin die Leistungsberechtigung verbindlich anerkannt und zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht widerrufen hatte. Daher sind die Behandlungsleistungen gegenüber den Spätaussiedlern, die die Klägerin ähnlich wie vertragsärztliche Leistungen gegenüber der Beklagten honoriert hat, rechtmäßig erbracht und die dafür gezahlte Vergütung ebenfalls zu Recht geleistet worden. Zweifelhaft kann lediglich sein, ob der Rechtsgrund für die Zahlung nachträglich dadurch entfallen ist, daß einzelne leistungsberechtigte Spätaussiedler rückwirkend Mitglied in einer KK geworden sind. Das ist nicht der Fall.

Nach § 90b Abs 3 Satz 2 BVFG aF bzw § 11 Abs 3 Satz 2 BVFG besteht die Leistungsberechtigung von Spätaussiedlern nur, soweit diese keinen anderweitigen Anspruch auf KV-Leistungen haben. Die so beschriebene Subsidiarität der Leistungsgewährung nach dem BVFG wird realisiert, wenn ein Spätaussiedler Mitglied einer KK wird. In der Regel geschieht das in der Weise, daß eine Mitgliedschaft nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V wegen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB III begründet wird. Spätaussiedler und ihre Ehegatten und Abkömmlinge iS des § 7 Abs 2 BVFG haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn sie arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben, bedürftig sind und einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) nicht haben (§ 418 SGB III). Der Bezug von Eingliederungshilfe steht nach § 421 SGB III dem Bezug von Alhi unter bestimmten Voraussetzungen gleich und begründet ebenfalls die Mitgliedschaft in der KV der Arbeitslosen (Peters in Kasseler Komm, § 5 SGB V RdNr 37). Die Begründung der Mitgliedschaft in der KV der Arbeitslosen ist grundsätzlich auch rückwirkend möglich. Das hat jedoch nicht zur Folge, daß die vor Feststellung der Mitgliedschaft erbrachten und von der Klägerin honorierten Behandlungsleistungen seitens der Vertragsärzte nunmehr als durch die Gesamtvergütung nach § 85 Abs 1 SGB V abgegolten zu behandeln wären.

Im Ausgangspunkt zutreffend geht die Klägerin allerdings davon aus, daß die Gesamtvergütung alle vertragsärztlichen Leistungen eines Quartals erfaßt und sich die befreiende Wirkung der Zahlung nach § 85 Abs 1 SGB V auch auf solche Behandlungen erstreckt, die etwa durch eine Änderung des Versicherungsstatus erst zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend in die Leistungspflicht der KK einbezogen werden (Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts <BSG> vom 24. November 1998 - B 1 KR 21/96 R = SozR 3-1300 § 104 Nr 14). Das hat zur Folge, daß auch Leistungen, die Vertragsärzte gegenüber Personen erbringen, die zu Beginn des Quartals bzw zu dem für die Berechnung der Gesamtvergütung maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht Mitglied der KK waren, durch die Zahlung der Gesamtvergütung als honoriert gelten, wenn sich später das Bestehen einer Mitgliedschaft herausstellt. Soweit die bei der Vereinbarung der Gesamtvergütung zugrunde gelegte Zahl der Mitglieder von der tatsächlichen Zahl der Mitglieder im Vereinbarungszeitraum abweicht, ist die Abweichung bei der jeweils folgenden Vereinbarung der Veränderung der Gesamtvergütung zu berücksichtigen (§ 85 Abs 3c SGB V). Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß sich die zu Beginn eines Quartals bzw zu dem Zeitpunkt, in dem die Gesamtvergütung festgesetzt wird, vorhandene Zahl der Mitglieder einer KK stets ändern wird; regelmäßig kommen im Laufe des Quartals Mitglieder hinzu, Mitglieder versterben, der Kreis der über § 10 SGB V (Familienversicherung) einzubeziehenden Versicherten erweitert sich und Personen scheiden aus der Mitgliedschaft aus. Diese Situation ist indessen nicht mit der Konstellation vergleichbar, die in § 90b BVFG aF bzw § 11 BVFG für die Spätaussiedler geregelt ist. Für deren Behandlung durch Vertragsärzte hat die Klägerin nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften bei Fälligkeit die Vergütungsansprüche der beklagten KÄV erfüllt. Die auf diese Weise begründeten Rechtsbeziehungen einerseits zwischen den Spätaussiedlern und der Klägerin sowie andererseits zwischen der Klägerin und der Beklagten und schließlich zwischen der Beklagten und ihren Mitgliedern können nicht aus Gründen rückabgewickelt werden, die allein auf der rückwirkenden Begründung der Mitgliedschaft von Spätaussiedlern in einer KK beruhen.

Insofern unterscheidet sich die hier zu beurteilende Konstellation von derjenigen, über die das BSG am 24. November 1998 (aaO) entschieden hat. Dort war auf Kosten des klagenden Sozialamtes ein Patient behandelt worden, bei dem mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Behandlung eine Mitgliedschaft bei der beklagten KK wegen der Bewilligung von Alhi begründet wurde. Daß die KK dem Sozialhilfeträger dessen Aufwendungen aus dem Behandlungsfall zu erstatten hat und sich insoweit nicht auf die befreiende Wirkung der Gesamtvergütung berufen kann, beruht darauf, daß die schuldbefreiende Wirkung der Gesamtvergütung nur im Verhältnis zwischen KK und KÄV eintritt und außenstehende Dritte, zB erstattungsberechtigte Sozialleistungsträger, nicht erfaßt. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist in dem vom 1. Senat des BSG entschiedenen Fall die Belastung der KK mit den Kosten der Behandlung ihres rückwirkend hinzugekommenen Mitglieds konsequent, weil sie für dieses Mitglied auch rückwirkend Beiträge von der BA erhalten hat. Würde in der hier zu beurteilenden Konstellation dagegen die Befreiungswirkung des § 85 Abs 1 SGB V rückwirkend für die Vergütung der Behandlung von Spätaussiedlern die Rechtsgrundlage entfallen lassen, hätte die KK zwar rückwirkend Beiträge vereinnahmt, doch würde sich dieser Umstand nicht auf die Höhe der von ihr zu entrichtenden Gesamtvergütung auswirken.

Die Behandlung der Spätaussiedler auf der Grundlage des § 90b aF BVFG bzw § 11 BVFG hat sich im Unterschied zur Behandlung des Sozialhilfeempfängers im aufgezeigten Fall von vornherein innerhalb der Leistungsbeziehungen des Vertragsarztrechts abgespielt, wenngleich nicht im Rahmen einer originären Verpflichtung der KK, sondern kraft einer gesetzlich begründeten Auftragsstellung sowohl der Klägerin als auch der Beklagten. Anders als im Erstattungsstreit zwischen nachrangig verpflichtetem Sozialhilfeträger und vorrangig verpflichteter KK geht es in der hier zu beurteilenden Konstellation darum, daß die unter jedem denkbaren Gesichtspunkt leistungspflichtige KK, die auch tatsächlich geleistet hat, das Leistungsgeschehen in der Weise rückabwickeln will, daß nunmehr fingiert wird, sie habe statt als Beauftragte, der ihrerseits ein Aufwendungsersatzanspruch gegen einen Dritten (Bund) zusteht, kraft eigener Berechtigung als Mitgliedskasse des "Versicherten" geleistet. Im Nachhinein will die Klägerin die Leistungsfälle nämlich so behandelt wissen, als habe sie nicht eine Verpflichtung eines Dritten (Bund), sondern eine eigene Verpflichtung erfüllt, um so rückwirkend in den Genuß der befreienden Wirkung der Gesamtvergütung zu gelangen. Dafür besteht kein Anlaß. Die Leistungsbeziehungen zwischen den Spätaussiedlern, der Klägerin, der Beklagten und deren Mitgliedern sind nach den Vorgaben des § 90b BVFG aF bzw § 11 BVFG in Verbindung mit den Vorschriften des Krankenversicherungsrechts korrekt abgewickelt worden. Den Beteiligten war von vornherein klar, daß die Klägerin die von den Vertragsärzten gegenüber den Spätaussiedlern zu erbringenden Leistungen außerhalb der Gesamtvergütung, und zwar im Ergebnis auf Rechnung des Bundes, honorieren würde.

Hätte sich der Gesetzgeber des BVFG dafür entschieden, Spätaussiedlern ähnlich wie Soldaten und Zivildienstleistenden Heilfürsorgeansprüche zuzubilligen und diesen Personenkreis entsprechend in die Regelung des § 75 Abs 3 SGB V einbezogen (vgl dazu BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 9 und Nr 11), könnte kein Zweifel bestehen, daß eine Rückabwicklung der Honorierung für durchgeführte Behandlungen ausgeschlossen wäre, wenn Spätaussiedler rückwirkend Mitglied einer KK geworden sind. Die K(Z)ÄV könnte in diesem Falle das an ihr Mitglied geleistete Honorar nicht zurückfordern und die Gebietskörperschaft (Bund, Land) könnten ihrerseits keine Rückzahlung von der K(Z)ÄV verlangen. Der Status, in dem ein Berechtigter eine ärztliche Behandlung entgegengenommen hat (Versicherter einer KK, Inhaber eines Berechtigungsscheines, Heilfürsorgeberechtigter, Privatpatient), ist einer Rückabwicklung nicht zugänglich und kann auch nicht rückwirkend entfallen. Ein Patient, der in dem Zeitraum, in dem die Frage seiner Mitgliedschaft bei einer KK nicht geklärt ist, ärztliche Behandlungsleistungen ausdrücklich als Privatpatient entgegengenommen hat, kann das an den Arzt gezahlte Honorar nicht nach § 812 Abs 1 BGB zurückverlangen, wenn nach Abschluß der Behandlung festgestellt wird, daß er kraft Gesetzes Mitglied einer KK gewesen ist. Der Rechtsgrund für die Honorarzahlung ist in der Rechtsbeziehung zwischen dem Arzt und seinem Patient nicht entfallen; ein Ausgleich kann nur zwischen dem Patienten und der KK im Rahmen des § 13 Abs 3 SGB V erfolgen.

Vergleichbares gilt, wenn der Patient die Behandlung als Sachleistung auf der Grundlage eines Behandlungsscheins nach § 11 Abs 5a BVFG entgegengenommen hat. Die KK kann ihre durch die Aushändigung des Behandlungsscheines (mittelbar) gegenüber der KÄV getroffene Leistungsbestimmung, Krankenbehandlung als Sachleistung zugunsten dieses Patienten im Auftrag des Bundes außerhalb der mit der KÄV vereinbarten Gesamtvergütung zu gewähren, nach Abschluß der Behandlung nicht einseitig ändern. Der Ausgleich kann im Falle der rückwirkenden Begründung einer Mitgliedschaft der behandelten Person nur zwischen der KK und dem Bund erfolgen. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, daß die KK mit der Gewährung von Krankenbehandlung nicht zu Gunsten eines Spätaussiedlers - wie ursprünglich gewollt und nach außen dokumentiert - ein fremdes Geschäft im Auftrag des Bundes, sondern ein eigenes Geschäft zugunsten eines Mitglieds geführt hat, kann das allein Auswirkungen auf ihren Aufwendungsersatzanspruch nach § 11 Abs 6 BVFG haben. Zwischen der Klägerin und der zuständigen staatlichen Stelle (hier Landesamt für soziale Dienste des Landes Schleswig-Holstein) ist zu klären, ob die der Klägerin im einzelnen entstandenen Aufwendungen fallbezogen zu ersetzen sind, oder ob der Umstand, daß der Klägerin rückwirkend Krankenversicherungsbeiträge zugeflossen sind, bei pauschalierender Betrachtungsweise als Aufwendungsersatz iS dieser Vorschrift anzusehen ist. Dies beeinflußt die Rechtsbeziehungen der Klägerin zu den Leistungserbringern aber nicht.

Nach allem ist der Rechtsgrund für die von der Klägerin an die Beklagte seit 1989 gezahlte Vergütung für die Behandlung von Spätaussiedlern nicht dadurch entfallen, daß einzelne Aussiedler mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Behandlung Mitglied der Klägerin geworden sind. Ein Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung steht ihr nicht zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Ende der Entscheidung

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