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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 21.10.1998
Aktenzeichen: B 6 KA 60/97 R
Rechtsgebiete: HVM


Vorschriften:

HVM § 4 Abs 1a Nr 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

Az: B 6 KA 60/97 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein, Lindemannstraße 34-42, 40237 Düsseldorf,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

Prozeßbevollmächtigte:

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 21. Oktober 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Kruschinsky sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Bentele und Dr. Schubert

für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 1997 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Gründe:

I

Der seit Dezember 1993 als Vertragszahnarzt zugelassene Kläger wendet sich gegen die seit dem Quartal I/1994 von der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) im Rahmen der Honorarverteilung praktizierte Begrenzung der für konservierend-chirurgische Behandlungen pro Fall höchstens abrechenbaren Punktzahl.

Im Hinblick auf die ab dem Jahre 1993 geltende gesetzliche Budgetierung der Gesamtvergütungen für die vertragszahnärztliche Versorgung (§ 85 Abs 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V>) ergänzte die Beklagte ihren Honorarverteilungsmaßstab (HVM) im Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1995 in der Weise, daß eine Kontingentgrenze der im Rahmen der Honorarverteilung zu berücksichtigenden Punktzahl je Behandlungsfall eingeführt wurde (Beschluß der Vertreterversammlung vom 23. Juni 1993). Diese Grenze ergab sich - nach Vorabvergütung der Leistungsbereiche Individualprophylaxe, Parodontosebehandlung und Kieferbruch mit dem vollen Punktwert - durch Division der Gesamtvergütungen durch die Zahl aller von den Zahnärzten abgerechneten konservierend-chirurgischen Fälle. Die betreffende Ergänzung wurde als Abs 1a des § 4 des HVM beschlossen und umfaßt sieben Unterziffern. Die Kontingentgrenze belief sich auf 97 Punkte je Behandlungsfall.

Durch weiteren Beschluß der Vertreterversammlung vom 20. November 1993 wurde die genannte Vorschrift um eine achte Unterziffer ergänzt, in der dem Vorstand die Befugnis übertragen wurde, auf Antrag insbesondere von Kieferchirurgen und Oralchirurgen sowie von Vertragszahnärzten, die weniger als acht Quartale an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilgenommen haben und weniger als 400 Scheine - pro Quartal - abrechnen, gesonderte Kontingentgrenzen je Fall festzulegen. Diese betrug für Anfängerpraxen 143 Punkte je Behandlungsfall.

Der Kläger rechnete im gesamten Jahr 1994 im Rahmen der vertragszahnärztlich erbrachten Sachleistungen gegenüber der Beklagten 495 Fälle ab. Hierfür machte er 81.976 Punkte geltend, was einem durchschnittlichen Fallwert von 165,6 Punkten entspricht.

Mit Bescheid vom 24. Oktober 1994 verfügte die Beklagte auf der Grundlage der Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale I und II/1994 einen vorläufigen Honorareinbehalt in Höhe von 8.975,20 DM, wobei sie für ihn als Praxisneugründer mit weniger als 400 Scheinen im Quartal die vorläufige Kontingentgrenze von 143 Punkten je Fall ansetzte. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Bescheid vom 16. Februar 1995 zurück.

Nach Abweisung der Klage durch den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 19. April 1996 erließ die Beklagte den endgültigen Kontingentierungsbescheid vom 22. Juli 1996, mit dem die Honorarkürzung für das Jahr 1994 auf 17.408,33 DM festgeschrieben wurde.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 18. Dezember 1996 haben die Beteiligten das Berufungsverfahren gegen den Gerichtsbescheid des SG Düsseldorf für erledigt erklärt. Das LSG hat danach die Entscheidung über die Klage gegen den Bescheid vom 22. Juli 1996 vertagt und der Beklagten aufgegeben, bezüglich der HVM-Änderung vom 20. November 1993 den Nachweis über die Herstellung des Benehmens mit den Verbänden der Krankenkassen zu führen.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 1996 hat sich daraufhin die Beklagte an die Verbände der Krankenkassen gewandt und um "nunmehrige offizielle Benehmensherstellung" gebeten. In der Folgezeit haben sich die Verbände, ohne Bedenken oder Einwände vorzubringen, dahin geäußert, daß sie das Benehmen als hergestellt betrachteten.

Durch Urteil vom 16. Juli 1997 hat das LSG die Klage gegen den Bescheid vom 22. Juli 1996 abgewiesen. Es hat die Budgetierungsregelung des § 85 Abs 3a Satz 1 SGB V als solche mit dem Grundgesetz (GG) für vereinbar gehalten und § 4 Abs 1a des zum 1. Januar 1994 neu gefaßten HVM der Beklagten als verfassungskonforme Umsetzung der gesetzlich angeordneten Begrenzung des Anstiegs der Gesamtvergütungen angesehen. Darüber hinaus ist es davon ausgegangen, daß das Benehmenserfordernis des § 85 Abs 4 Satz 2 SGB V nachträglich wirksam erfüllt worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers, mit der er ausschließlich geltend macht, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil die ihm zugrundeliegende Regelung des § 4 Abs 1a Nr 8 HVM wegen der fehlenden Benehmensherstellung mit den Verbänden der Krankenkassen nicht wirksam gewesen sei. Das Benehmen sei ursprünglich nicht hergestellt gewesen und auch nicht zulässigerweise nachgeholt worden. Die Unwirksamkeit der am 20. November 1993 beschlossenen Ergänzung des HVM führe dazu, daß er - der Kläger - nach § 4 Abs 1a Ziffer 4 Satz 2 HVM idF des Beschlusses der Vertreterversammlung vom 23. Juni 1993 Anspruch auf eine "Vergütung zum vollen Punktwert" habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 1997 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 1996 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Benehmen für nachträglich wirksam hergestellt und verweist hinsichtlich der Rechtmäßigkeit ihres HVM auf das Senatsurteil vom 3. Dezember 1997 (BSGE 81, 213 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der angefochtene Honorarbescheid der Beklagten vom 22. Juli 1996, aufgrund dessen dem Kläger in Anwendung des HVM idF vom 20. November 1993 143 Punkte pro Behandlungsfall vergütet und die überschießende Honoraranforderung gekürzt wurde, deshalb rechtswidrig und unwirksam ist, weil - wie er geltend macht - diese HVM-Regelung ohne ausreichende Herstellung des Benehmens mit den Verbänden der Krankenkassen (§ 85 Abs 4 Satz 2 SGB V) beschlossen worden sei. Ein insoweit bestehender Rechtsmangel würde den Kläger nicht iS des § 54 Abs 2 Satz 1 SGG beschweren, denn eine höhere Vergütung kann er aus Rechtsgründen nicht beanspruchen. Insbesondere steht ihm die volle Honorierung aller abgerechneten Punkte nicht zu.

Nach den Regelungen des HVM idF vom 23. Juni 1993, der nach der Feststellung des Berufungsgerichts (vgl § 162 SGG) für das Jahr 1994 galt, konnte der Kläger nur eine Punktzahl von höchstens 97 je Behandlungsfall beanspruchen. Diese Regelung des HVM unterlag insoweit keinen rechtlichen Bedenken, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 3. Dezember 1997 - 6 RKa 21/97 - BSGE 81, 213 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23).

Der HVM enthielt allerdings keine Bestimmung für Praxisanfänger, wie dies nach der am 20. November 1993 beschlossenen HVM-Regelung mit der Folge der Zuerkennung einer höchstens abrechenbaren Punktzahl von 143 Punkten je Behandlungsfall für Anlaufpraxen der Fall ist. Die Aufnahme einer Anfängerprivilegierungsregelung mit einer noch höheren Punktzahl als 143 Punkte pro Fall in den HVM oder die Zubilligung einer höheren Grenze durch Vorstandsbeschluß auf der Grundlage einer ähnlichen oder gleichen HVM-Regelung und die Erteilung eines dementsprechenden Honorarbescheides kann der Kläger nicht beanspruchen.

Der Senat hat es mit dem aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit (vgl dazu BSGE 73, 131, 138 = SozR 3-2500 § 85 Nr 4 S 26; BSGE 75, 187, 191 = SozR 3-2500 § 72 Nr 5 S 9; BSGE 77, 288, 294 = SozR 3-2500 § 85 Nr 11 S 69; BSG vom 9. September 1998 - B 6 KA 55/97 R -) als unvereinbar angesehen, wenn kleinere Praxen, typischerweise insbesondere Anfängerpraxen durch die Einführung individueller Bemessungsgrenzen daran gehindert werden, ihren Umsatz durch einen Zugewinn von Patienten zumindest bis zum durchschnittlichen Umsatz der Zahnarztgruppe zu steigern (vgl Urteile vom heutigen Tage, B 6 KA 67/97 R, B 6 KA 68/97 R, B 6 KA 71/97 R, B 6 KA 72/97 R, B 6 KA 74/97 R, B 6 KA 35/98 R ). Ungeachtet dieser Einschränkungen hat er das System individueller Bemessungsgrenzen dem Grundsatz nach als rechtmäßig beurteilt, auch soweit es die Umsatzsteigerung durch vom einzelnen Zahnarzt zu beeinflussende Erhöhungen der Fallzahlen beschränkt, und eine nicht indizierte Ausweitung des Behandlungsumfangs je Fall, also Fallwerterhöhungen, begrenzt. Daraus folgt für den hier vorliegenden Fall, daß die Beklagte unter der Geltung einer gesetzlich vorgegebenen Budgetierung der Gesamtvergütungen auch bei Anfängerpraxen nicht verpflichtet sein konnte, alle pro Behandlungsfall abgerechneten Punktzahlen in vollem Umfang zu vergüten. Ansonsten hätten von diesen Praxen durch Ausweitungen des Fallwertes die Auswirkungen, die sich aus der Begrenzung der Gesamtvergütungen für die Honorarverteilung insgesamt ergeben, zu Lasten der übrigen Praxen unterlaufen werden können. Die Einbeziehung von Anfängerpraxen in das System der vom HVM der Beklagten vorgegebenen Kontingentgrenzen erweist sich deshalb als sachgerecht.

Der Kläger kann auch keine über die Kontingentgrenze für Anfänger hinausgehende Vergütung beanspruchen. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt berechtigt wäre, die Grenze für Praxisanfänger höher als auf 143 Punkte festzulegen; jedenfalls ist sie dazu unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet. Nach den vom Senat im Urteil vom 3. Dezember 1997 (BSGE, 81, 213, 222 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 157) zugrundegelegten und für nachvollziehbar gehaltenen Angaben der Beklagten im damaligen Berufungsverfahren hat diese sich bei der Berechnung der Kontingentgrenze generell und auch hinsichtlich der für die einzelnen Untergruppen wie zB den Praxisanfängern maßgeblichen Werte von den Abrechnungsergebnissen aus der Vergangenheit leiten lassen. Von diesem Ausgangspunkt könnte die Beklagte nicht ohne rechtfertigenden Grund abweichen und Praxisanfängern generell eine höhere Kontingentgrenze als die aus den Abrechnungsergebnissen der Vergangenheit abzuleitenden 143 Punkte zubilligen oder sie sogar von jeder Begrenzung freihalten.

Dies wird durch folgende ergänzende Überlegung bestätigt: Der Fallwert von 143 Punkten überschreitet die allgemein geltende Kontingentgrenze im Bereich der Beklagten von 97 Punkten um 46 Punkte, mithin um 47,42 %. Damit handelte es sich um eine Überschreitung in einer Höhe, die im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten bereits über der Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis gelegen hätte, welche bei der weitgehend homogenen Gruppe der Zahnärzte auf höchstens 40 % angesetzt werden könnte und die auch unter Berücksichtigung des Umstandes einer Anfängerpraxis nicht hätte höher festgesetzt werden müssen. Mit der Festlegung eines an den tatsächlichen Abrechnungsergebnissen in der Vergangenheit orientierten Fallwertes für Anfängerpraxen als Grenzwert hat die Beklagte ihren Gestaltungsspielraum nicht sachwidrig überschritten ( vgl BSGE 81, 213, 222 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 157). Eine Verpflichtung der Beklagten, eine über die Kontingentgrenze von 143 Punkten je Behandlungsfall hinausgehende Grenze zu schaffen, also Praxisanfängern die Abrechnung noch höherer Fallwerte deutlich jenseits der Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis zu gestatten, kann auch aus diesem Grund nicht bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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