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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.01.2009
Aktenzeichen: B 7/7a AL 26/07 R
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III F: 23.12.2003 § 53 Abs 1
SGB III F: 23.12.2003 § 53 Abs 2 Nr 3 Buchst b

Entscheidung wurde am 10.09.2009 korrigiert: die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt.
Die Gewährung einer Fahrkostenbeihilfe für die Zeit der Beschäftigung ist als Leistung zur Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung dann nicht notwendig, wenn der Arbeitslose diese auch ohne die Förderung aufnehmen will.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 7/7a AL 26/07 R

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 27. Januar 2009 durch den Richter Dr. Koloczek, den Richter Coseriu und die Richterin Behrend sowie den ehrenamtlichen Richter Liedtke und die ehrenamtliche Richterin Geppert

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 23. März 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Fahrkostenbeihilfe für die Zeit ab 15. September 2004.

Der im Jahre 1962 geborene Kläger wohnt in N , ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder. Er bezog seit Januar 2003 Arbeitslosenhilfe (Alhi), unterbrochen durch eine Beschäftigung vom 18. September 2003 bis 15. Oktober 2003. Der Kläger beantragte bei der Beklagten die Bewilligung von Reisekosten aus Anlass eines Vorstellungsgesprächs bei der K GmbH in R (am 9. September 2004), bei der er dann vom 15. September 2004 bis 31. August 2005 beschäftigt war. Er erzielte dort ein durchschnittliches monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.365 Euro. Die einfache Entfernung zwischen dem Wohnort des Klägers in N und seinem Arbeitsplatz in R betrug 38 km. Die Fahrkosten für das Bewerbungsgespräch wurden ihm erstattet.

Am 11. November 2004 bat der Kläger um Entscheidung über eine Mobilitätshilfe für die täglich mit dem Pkw zurückzulegende Fahrstrecke von N nach R . Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil vor der Arbeitsaufnahme kein Antrag auf eine solche Leistung gestellt worden sei (Bescheid vom 18. November 2004; Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2004).

Das Sozialgericht (SG) Kiel hat den "Bescheid vom 18. November 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2004" (richtigerweise 21. Dezember 2004) "aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Mobilitätshilfe neu zu bescheiden" (Urteil vom 29. Mai 2006). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. März 2007). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, ein Anspruch auf Fahrkostenbeihilfe bei auswärtiger Arbeitsaufnahme setze nach § 53 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) voraus, dass diese Förderung zur Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung notwendig sei. Der Kläger sei unmittelbar nach dem positiv verlaufenen Vorstellungsgespräch bei der K GmbH zu der Agentur für Arbeit in N gefahren, um dort seine Arbeitsaufnahme ab 15. September 2004 anzuzeigen; ob er dabei, wie er behauptet, auch die Fahrkostenbeihilfe für die Zeit der Beschäftigung beantragt habe, könne dahinstehen. Jedenfalls sei er zu diesem Zeitpunkt (9. September 2004) bereits fest zur Arbeitsaufnahme entschlossen gewesen und habe auch schon eine entsprechende Einstellungszusage gehabt. Es fehle daher an der tatbestandlichen Voraussetzung der (objektiven) Notwendigkeit der Förderung iS des § 53 Abs 1 SGB III.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 53 SGB III. Das LSG lege den Begriff der Notwendigkeit unzutreffend aus. Maßstab müsse die tatsächlich vorhandene persönliche Bedürftigkeit des jeweiligen Antragstellers sein. Da er nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen mit einem Verdienst in Höhe von 1.075 Euro netto seine Ehefrau sowie zwei minderjährige Kinder versorgen müsse, liege seine Bedürftigkeit wegen der monatlichen Fahrkosten (367,84 Euro) auf der Hand. Selbst wenn der Leistungsantrag erst am 11. November 2004 gestellt worden wäre, müsse die Leistung wegen unbilliger Härte nachträglich bewilligt werden.

Der Kläger hat schriftsätzlich (sinngemäß) beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen des LSG. Die Bewilligung einer Fahrkostenbeihilfe müsse nach dem Wortlaut des § 53 Abs 2 Nr 3 Buchst b SGB III zur Aufnahme einer Beschäftigung, nicht aber für deren dauerhafte Ausübung notwendig sein.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

II

Die zulässige Revision ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zuschüsse zu den Fahrkosten hat.

Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen; insbesondere war der Beschwerdewert von 500 Euro für die Statthaftigkeit der Berufung (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG idF des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17. August 2001 - BGBl I 2144) überschritten, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat.

Denkbare Rechtsgrundlage für die von dem Kläger begehrte Fahrkostenbeihilfe ist allein § 53 Abs 1 und 2 SGB III (idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 - BGBl I 2848). Nach dieser Vorschrift können Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, durch Mobilitätshilfen gefördert werden, soweit dies zur Aufnahme der Beschäftigung notwendig ist (Abs 1). Die Mobilitätshilfen bei Aufnahme einer Beschäftigung umfassen bei auswärtiger Arbeitsaufnahme ua die Übernahme der Kosten für tägliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle (Fahrkostenbeihilfe nach Abs 2 Nr 3 Buchst b SGB III). Als Fahrkostenbeihilfe können für die ersten sechs Monate der Beschäftigung die berücksichtigungsfähigen Fahrkosten übernommen werden (§ 54 Abs 4 SGB III idF, die die Norm durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 - BGBl I 4607 - erhalten hat). Die Zahlung einer Fahrkostenbeihilfe ist in das Ermessen der Beklagten gestellt (vgl auch § 3 Abs 5 SGB III), weshalb der Arbeitslose grundsätzlich keinen Anspruch auf die Leistung, sondern nur auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 39 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - [SGB I] iVm § 54 Abs 2 Satz 2 SGG) hat, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Leistungen vorliegen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Zwar war der Kläger arbeitslos im Sinne der für das SGB III maßgeblichen Begriffsbestimmung des § 16 SGB III (vgl hierzu näher BSG SozR 4-4300 § 53 Nr 1 RdNr 7), und er hat am 15. September 2004 eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen. Nach den Feststellungen des LSG, die der Kläger nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat und die daher für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), stand die Aufnahme der Beschäftigung durch den Kläger allerdings bereits am 9. September 2004 mit Wirkung zum 15. September 2004 fest, ohne dass der Kläger seine Entscheidung von der Bewilligung von Mobilitätshilfen abhängig gemacht hätte. Die Förderung der Aufnahme der Beschäftigung ist unter Berücksichtigung dieses Umstands schon nach dem Wortlaut der Norm, aber auch nach Sinn und Zweck der Regelung, ihrer historischen Entwicklung und systematischen Erwägungen nicht notwendig iS des § 53 Abs 1 SGB III. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob dem geltend gemachten Anspruch eine verspätete Antragstellung, dh eine solche nach dem Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses der Aufnahme der Beschäftigung (vgl BSG SozR 4-4300 § 324 Nr 2 RdNr 13), entgegensteht und ob diese zur Vermeidung einer unbilligen Härte nach § 324 Abs 1 Satz 2 SGB III zuzulassen wäre (vgl hierzu BSGE 98, 108 ff = SozR 4-4300 § 324 Nr 3, jeweils RdNr 13).

Da die in § 53 Abs 1 SGB III genannten Voraussetzungen "dem geltenden Recht gemäß § 53 Abs 1 Nr 2 bis 5 AFG in Verbindung mit der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zur Förderung der Arbeitsaufnahme" entsprechen sollten (BT-Drucks 13/4941, S 163), kann zwar für die nähere Bestimmung des Begriffs der Notwendigkeit in § 53 Abs 1 SGB III auf die zuvor (bis 31. Dezember 1997) geltenden Regelungen des Arbeitsförderungsrechts zu Mobilitätshilfen zurückgegriffen werden. § 4 Abs 5 der aufgrund der Ermächtigung des § 53 Abs 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erlassenen Anordnung des Verwaltungsrats der (damaligen) BA zur Förderung der Arbeitsaufnahme (AFdA) vom 19. Mai 1989 (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit [ANBA] 997 - idF der 4. ÄndAnO vom 25. November 1994 - ANBA 1995, 1) sah insofern allerdings vor, dass Leistungen nur gewährt werden dürfen, "wenn und soweit dies zur Erreichung ihres Zwecks notwendig ist".

Dieser Zweck bestand damals und besteht auch noch heute darin, finanzielle Hindernisse zu beseitigen, die förderungsberechtigten Personen den Wiedereintritt in das Berufsleben erschweren (Winkler in Gagel, SGB III mit SGB II, § 53 SGB III RdNr 2, Stand Januar 2005; Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, K § 53 RdNr 1, Stand Juni 2005; Bernard in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 9 RdNr 59) und die Möglichkeiten der Arbeitsverwaltung für eine erfolgreiche Vermittlung allgemein zu verbessern (Hennig/Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 53 RdNr 2, Stand März 2007). Anders als andere Vorschriften des SGB III (etwa § 77 Abs 1 Satz 1 Nr 1 oder § 217) formuliert § 53 SGB III als Förderzweck jedoch nicht die "Eingliederung" (aA zu Unrecht Petzold, aaO, RdNr 10, Stand Oktober 2004), sondern knüpft nach seinem Wortlaut unmittelbar nur an die Aufnahme der Beschäftigung durch den Arbeitslosen bzw den von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsuchenden an. Die Mobilitätshilfe soll also einen finanziellen Anreiz bieten, ohne dass es darauf ankommt, ob die Leistung für die Aufrechterhaltung der Beschäftigung oder eine dauerhafte Eingliederung des Arbeitslosen notwendig ist. Bereits für die § 53 AFG entsprechende Vorgängerregelung des § 130 Abs 1 Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), auf die bei Schaffung des AFG verwiesen worden war (BT-Drucks V/2291, S 69 zu § 56), war anerkannt, dass mit den Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme nur "eine verhältnismäßig rasch zu gewährende Hilfe die unmittelbare Arbeitsaufnahme ermöglichen oder erleichtern" sollte (Draeger/Buchwitz/Schönefelder, AVAVG, 1961, § 130 RdNr 4). Die Mobilitätshilfen sind also keine die Beschäftigung selbst unterstützenden Leistungen, sondern haben ausschließlich Anreizfunktion nur für die unmittelbare Aufnahme einer Beschäftigung.

Im Sinne einer "strengen Kausalität" (Hennig in Eicher/Schlegel, SGB III, § 53 RdNr 47, Stand März 2007) sind Mobilitätshilfen vor diesem Hintergrund notwendig nur dann, wenn sie zur Aufnahme einer Beschäftigung unverzichtbar sind. Ihre Bewilligung muss also maßgebend für die Aufnahme der Beschäftigung sein (vgl für die Notwendigkeit der Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme zur beruflichen Eingliederung: BSGE 48, 176, 178 f = BSG SozR 4100 § 44 Nr 21 S 65; BSG SozR 4100 § 44 Nr 33 S 84; vgl auch BSG SozR 4-4300 § 77 Nr 1 RdNr 19). Nicht notwendig sind Mobilitätshilfen demnach immer schon dann, wenn die Aufnahme der Beschäftigung auch ohne diese Leistungen erfolgen würde bzw erfolgt wäre (Hennig aaO; vgl BSG SozR 4-4300 § 324 Nr 2 RdNr 21 zur Notwendigkeit eines Eingliederungszuschusses). Es muss also - anders gewendet - (noch) eine Möglichkeit bestehen, dass die Mobilitätshilfen einen Anreiz zur Aufnahme der Beschäftigung bieten können. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn der Arbeitslose - wie vorliegend - die Beschäftigung ohnedies aufnehmen will. Da bereits am 9. September 2004 und in der Folgezeit die Aufnahme der Beschäftigung durch den Kläger mit Wirkung zum 15. September 2004 feststand, war kein Raum mehr für eine Prognoseentscheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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