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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 25.03.2003
Aktenzeichen: B 7 AL 106/01 R
Rechtsgebiete: SGB III, SGB X


Vorschriften:

SGB III § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 1
SGB III § 434c Abs 1 Satz 2
SGB X § 44
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 25. März 2003

Az: B 7 AL 106/01 R

in dem Rechtsstreit

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2003 durch die Vizepräsidentin Dr. Wolff, die Richter Dr. Steinwedel und Eicher sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Andresen und Lohre

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 24. September 2001 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Im Streit ist die Zahlung höheren Arbeitslosengeldes (Alg) für die Zeit vom 1. April 1999 bis 21. Juni 2000.

Die 1941 geborene (verheiratete) Klägerin war vom 3. November 1970 bis 31. März 1999 als angestellte Lehrkraft bei dem Land Berlin beschäftigt. Seit 1. Januar 1998 erhielt sie ein monatliches Arbeitsentgelt von 6.066,80 DM brutto; im April 1998 wurde jedoch Arbeitsentgelt nur für 17 Tage (1. bis 17. April) in Höhe von 3.458,30 DM brutto und im Juli 1998 für 16 Tage (16. bis 31. Juli) in Höhe von 3.154,09 DM brutto gezahlt, weil die Klägerin arbeitsunfähig geschrieben war. In der Zeit vom 18. April bis 15. Juli 1998 (89 Tage) wurde Krankengeld nach einem Regelentgelt von 17.731,47 DM (kalendertägliches Regelentgelt von 199,23 DM) gezahlt. Das Arbeitsverhältnis wurde aus gesundheitlichen Gründen durch Vereinbarung der Klägerin mit ihrem Arbeitgeber vom 25. September 1998 unter Zahlung einer Abfindung von 75.000,00 DM aufgelöst (Kündigungsfrist: sechs Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres).

Die Klägerin meldete sich zum 1. April 1999 arbeitslos. Die Beklagte bewilligte ihr Alg in Höhe von 444,36 DM wöchentlich (Bescheid vom 21. Mai 1999; Steuerklasse IV, keine Kinder, Bemessungsentgelt 1.400,00 DM). Vom 1. Januar bis 31. März 2000 erhielt die Klägerin Alg in Höhe von 452,20 DM (Bescheid vom 13. Januar 2000 wegen neuer Leistungsentgeltverordnung). Ab 1. April 2000 erhielt die Klägerin Alg in Höhe von 456,54 DM wöchentlich (Dynamisierungsbescheid vom 25. April 2000; Bemessungsentgelt 1.420,00 DM). Gegen keinen der Bescheide hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.

Am 1. September 1999 beantragte die Klägerin im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 1995 (1 BvR 892/88) und erneut dort anhängige Verfahren erstmals die Überprüfung der Bewilligungsbescheide gemäß § 44 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), weil die im Bemessungszeitraum von ihrer Arbeitgeberin gewährten Einmalzahlungen im Bemessungsentgelt nicht enthalten seien (Urlaubsgeld in Höhe von 500,00 DM brutto im Juli 1998; Weihnachtsgeld in Höhe von 4.171,85 DM brutto im November 1998 und anteiliges Weihnachtsgeld in Höhe von 1.042,89 DM brutto im März 1999). Die Beklagte lehnte eine höhere Leistung ab (bestandskräftiger Bescheid vom 16. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. November 1999). Am 25. Juli 2000 beantragte die Klägerin wiederum die Überprüfung der Alg-Höhe gemäß § 44 SGB X unter Hinweis auf die mittlerweile ergangene (zweite) Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000 (1 BvL 1/98 ua) über die Unvereinbarkeit der Regelung des § 134 Abs 1 Satz 3 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) und des § 112 Abs 1 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) mit Art 3 des Grundgesetzes (GG) wegen Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen. Die Beklagte gewährte der Klägerin daraufhin ab 22. Juni 2000 (Tag nach Wirksamwerden der Entscheidung des BVerfG) Alg in Höhe von 490,84 DM (Bemessungsentgelt 1.570,00 DM = Erhöhung um 10 %).

Für die Zeit vor dem 22. Juni 2000 lehnte die Beklagte jedoch die Zahlung von höherem Alg ab (Bescheid vom 7. August 2000), weil die Bewilligungsbescheide zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses des BVerfG bestandskräftig gewesen seien und damit im Einklang mit der Entscheidung des BVerfG höhere Leistungen erst ab dem Zeitpunkt nach Wirksamwerden der Entscheidung des BVerfG gewährt werden könnten. Die Klägerin hat "wegen der Ablehnung einer Nachzahlung für die Zeit ab 25. Mai 2000" Widerspruch eingelegt, den die Beklagte als unbegründet zurückgewiesen hat (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2000).

Die auf Zahlung von höherem Alg ab 1. April 1999 gerichtete Klage blieb erst- und zweitinstanzlich erfolglos (Urteil des Sozialgerichts <SG> vom 15. März 2001; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> vom 24. September 2001). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Höhe des der Klägerin im streitigen Zeitraum gewährten Alg sei nach den Vorschriften des SGB III ordnungsgemäß berechnet. Der Leistung sei insbesondere ein höheres Bemessungsentgelt für die Zeit vor dem 22. Juni 2000 gemäß § 434c Abs 1 SGB III nicht zu Grunde zu legen. Nach dieser Vorschrift sei zwar das Bemessungsentgelt ab 1. Januar 1997 pauschal um 10 % zu erhöhen. Diese Erhöhung gelte jedoch nicht für Ansprüche, über die am 21. Juni 2000 bereits unanfechtbar entschieden gewesen sei. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, die Beklagte hätte nicht endgültig entscheiden dürfen, sondern für den streitigen Zeitraum vorläufige Bescheide gemäß § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III erteilen müssen, weil ihr bekannt gewesen sei, dass beim BVerfG erneut Verfahren über die Verfassungsmäßigkeit der Alg-Bemessung ohne Berücksichtigung von Einmalzahlungen anhängig gewesen seien. Die Beklagte sei nicht gezwungen gewesen, eine solche vorläufige Entscheidung zu treffen. Schließlich könne sich die Klägerin auch nicht auf das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs berufen. Die Beklagte habe nicht pflichtwidrig gehandelt, als sie die Klägerin mit der Leistungsbewilligung nicht von Amts wegen darauf hingewiesen habe, dass beim BVerfG Verfahren anhängig seien, die die Rechtmäßigkeit der Nichteinbeziehung von Einmalzahlungen bei der Bemessung des Alg beträfen. Mit der Rechtsbehelfsbelehrung, gegen die Bescheide Widerspruch einlegen zu können, habe die Beklagte ihrer Belehrungspflicht hinreichend genügt.

Die Klägerin macht geltend, die Beklagte hätte von Amts wegen das Alg gemäß § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III nur vorläufig bewilligen dürfen. Die endgültigen Alg-Bewilligungen für den streitigen Zeitraum seien damit rechtswidrig. Daraus ergebe sich nunmehr eine Korrekturpflicht gemäß § 44 SGB X dahin, dass über § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III hinaus höhere Leistungen auch für die Zeit vor der Verkündung der Entscheidung des BVerfG zu erbringen seien.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Abänderung der Bescheide vom 21. Mai 1999, 13. Januar 2000 und 25. April 2000 höheres Alg für die Zeit vom 1. April 1999 bis 21. Juni 2000 unter Berücksichtigung der im Bemessungszeitraum erzielten Einmalzahlungen in Höhe von 6.014,47 DM zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des LSG. Sie ist im Übrigen der Ansicht, über § 434c Abs 1 SGB III hinaus könne ohnedies eine Korrektur früherer bestandskräftiger Bescheide nicht erfolgen.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Das LSG hat in der Sache zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf höheres Alg hat. Soweit die Beklagte bei den Bewilligungen den wöchentlichen Leistungsbetrag um Pfennigbeträge zu gering angesetzt hat, sind diese Beträge auf Grund der Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung nicht mehr im Streit. Denkbar wäre ein Anspruch auf höheres Alg nur unter Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgelts; ansonsten hat die Beklagte unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben die die Alg-Höhe im Einzelnen bestimmenden Faktoren richtig zu Grunde gelegt. Nichts anderes gilt jedoch auch für das Bemessungsentgelt. Insoweit hat die Beklagte zu Recht für die Zeit vom 1. April 1999 bis 31. März 2000 ein Bemessungsentgelt von 1.400,00 DM und ab 1. April 2000 von 1.420,00 DM (dynamisiert mit dem Anpassungsfaktor 1,0159 - § 138 SGB III) bewilligt. Dabei hat sie zu Recht Einmalzahlungen für die Zeit vor dem 22. Juni 2000 nicht berücksichtigt.

Vorliegend kann dahinstehen, ob der Anspruch auf höheres Alg für die Zeit bis 24. Mai 2000 bereits daran scheitert, dass die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 4. September 2000 eine Rücknahme und Nachzahlung lediglich ab 25. Mai 2000 begehrt hat; der Bescheid über die Ablehnung der Abänderung der früheren Bewilligungsbescheide für die Zeit vor dem 25. Mai 2000 wäre dann bereits bestandskräftig geworden (§ 77 SGG). Unabhängig davon steht der Klägerin ohnedies höheres Alg nach Maßgabe des § 434c Abs 1 Satz 1 SGB III iVm der Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000 (BVerfGE 102, 127 ff = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) nicht zu. Mit dieser Vorschrift hat das BVerfG ua die Regelung des § 134 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III in der vor dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung (durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24. März 1997, BGBl I 594) für mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar erklärt. Danach blieben Arbeitsentgelte, die einmalig gezahlt wurden - wie die hier betroffenen Urlaubs- und Weihnachtsgelder - bei der Bemessung des Alg außer Betracht.

Bereits in der ersten Entscheidung vom 11. Januar 1995 (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6) hat das BVerfG den damaligen Rechtszustand (Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Bemessung des Alg trotz Heranziehung zur Beitragsentrichtung in der Arbeitslosenversicherung) zwar als verfassungswidrig angesehen, es aber zugelassen, die einschlägigen Beitrags- und Leistungsvorschriften bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis 31. Dezember 1996, weiterhin anzuwenden. In der zweiten Entscheidung vom 24. Mai 2000 (BVerfGE 102, 127 ff = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) hat das BVerfG die Neuregelung des § 23a SGB IV und die unverändert beibehaltene bisherige Regelung des § 112 Abs 1 Satz 2 AFG aF bzw die Nachfolgeregelung des § 134 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III aF trotz fortbestehender Verfassungswidrigkeit wiederum nicht für nichtig erklärt, sondern dem Gesetzgeber erneut Gelegenheit gegeben, bis zum 30. Juni 2001 durch eine Neuregelung verfassungsgemäße Zustände zu schaffen.

In dieser zweiten Entscheidung ist der Gesetzgeber allerdings zugleich angewiesen worden, "durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt werden, über deren Gewährung für die Zeit ab dem 1. Januar 1997 noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist." In den Gründen heißt es hierzu, dem Gesetzgeber bleibe es (insoweit) unbenommen, statt einer individuellen Neuberechnung der Altfälle aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Bemessungsentgelte für das Alg pauschal um 10 vH anzuheben; über die Erbringung höherer Leistungen könne nach Bekanntgabe dieser Entscheidung vorläufig entschieden werden (vgl auch § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III). Diese Hinweise bzw Anweisungen des BVerfG, die das Verhalten des Gesetzgebers im Sinne eines Rechtsfolgenmanagements steuern (vgl dazu: BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 42; Spellbrink/Hellmich, SGb 2001, 605, 610), hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 434c Abs 1 SGB III in vollem Umfang aufgegriffen und umgesetzt. Diese Norm ist - schon deshalb - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl zum Stichtag 1. Januar 1997 und zur Pauschalierung der Erhöhung des Bemessungsentgelts BSG, Urteil vom 20. Februar 2002 - B 11 AL 61/01 R -, DBlR Nr 4746a zu § 112 AFG).

In Abs 1 des mit dem Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21. Dezember 2000 (BGBl I 1971) mit Wirkung ab 1. Januar 2001 in das SGB III eingefügten § 434c wird für die vor dem 1. Januar 2001 entstandenen Alg-Ansprüche, soweit sich deren Höhe nach § 112 AFG in der bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung oder § 134 Abs 1 SGB III in der vor dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung richtet, angeordnet, dass eine pauschale - aber auch nur eine solche, keine individuelle - Erhöhung des Bemessungsentgelts ab 1. Januar 1997 um 10 % vorzunehmen ist (Satz 1). Die Erhöhung gilt aber nur für Ansprüche, über die am 21. Juni 2000 noch nicht unanfechtbar entschieden war; anderenfalls erfolgt die Erhöhung erst vom 22. Juni 2000 an (Satz 2). § 434c Abs 1 SGB III stellt damit eine spezielle Übergangsvorschrift dar, bei der es um die Korrektur des Bemessungsentgelts wegen nichtberücksichtigter Einmalzahlungen für die Übergangszeit vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2000 geht; diese spezielle Regelung geht den allgemeinen Regeln der §§ 44, 48 SGB X gemäß § 37 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - vor (Schlegel in Hennig, SGB III, § 434c RdNr 4, Stand März 2001; Valgolio in Hauck/Noftz K § 434c RdNr 3, Stand Oktober 2002). Der besondere Charakter als Korrekturvorschrift ergibt sich insbesondere daraus, dass die fraglichen Regelungen über die Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Beitragsbemessung (§ 112 Abs 1 Satz 2 AFG aF bzw ab 1. Januar 1998 § 134 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III aF) vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2000 (aaO) nicht für nichtig, sondern nur für mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar erklärt und dem Gesetzgeber zum zweiten Mal (nach der früheren Entscheidung vom 11. Januar 1995, BVerfGE 92, 53 ff = SozR 3-2200 § 385 Nr 6) Gelegenheit gegeben worden ist, einen verfassungswidrigen Zustand durch Gesetz - auch rückwirkend - zu beseitigen. Erst die Regelung des § 434c Abs 1 SGB III hat den bis dahin bestehenden Schwebezustand beendet und entscheidungskonform konkretisiert, was der Klägerin vor dem 1. Januar 2001 rechtmäßig zustand.

Dabei hat es einer ausdrücklichen Regelung über den Ausschluss von § 44 SGB X (wie er in § 47a Abs 2 Satz 2 SGB V idF des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes <aaO> enthalten ist) bzw des § 48 SGB X nicht bedurft, weil sich dieser Ausschluss wegen des bezeichneten Schwebezustandes aus der Natur der Sache ergibt. Im Übrigen entspricht der Ausschluss der Erhöhung des Bemessungsentgelts bei Leistungsansprüchen, über die vor dem 22. Juni 2000 bereits unanfechtbar entschieden war, dem Rechtsgedanken des - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden (BVerfGE 20, 230, 236; BSG SozR 4100 § 152 Nr 18 S 48) - § 79 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG): Danach bleiben - vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung - die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer für nichtig (oder für verfassungswidrig) erklärten Norm beruhen, unberührt; nichts anderes gilt im Arbeitsförderungsrecht des SGB III gemäß § 330 Abs 1 SGB III (dazu später). Bei Unanfechtbarkeit der ursprünglichen Leistungsbescheide müssen Leistungen hiernach frühestens für die Zeit nach Wirksamkeit der Entscheidung des BVerfG (hier: ab 22. Juni 2000) erbracht werden. Die Frage, in welchem Verhältnis § 44 Abs 1 SGB X zu § 79 Abs 2 BVerfGG steht (vgl dazu nur: BSG SozR 4100 § 152 Nr 18; SozR 3-8750 § 8 Nr 7 S 42 ff; Steiner in "Freiheit und Eigentum", Festschrift für Walter Leisner, S 569, 579 f; Spellbrink/Hellmich, SGb 2001, 605 f; Schlegel, DStR 2000, 1353, 1355), stellt sich damit im vorliegenden Zusammenhang nicht. Denn der Gesetzgeber hat diese Frage - in Übereinstimmung mit dem BVerfG - im Ergebnis zu Gunsten der Rechtsfolgen des § 79 Abs 2 BVerfGG beantwortet (vgl dazu auch: BSG SozR 3-8750 § 8 Nr 7 S 42 ff; BSG, Urteil vom 9. April 2003 - B 5 RJ 18/02 R; Steinwedel in Kasseler Komm § 44 SGB X RdNr 9, Stand März 2001).

Dass diese vom Gesetzgeber getroffene Lösung Ansprüche betrifft, die bereits vor Inkrafttreten des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes, uU bereits vor dem 1. Januar 1997, entstanden waren, mag im Hinblick auf die Vorgeschichte dieses Gesetzes und die mangelnde Berechenbarkeit politischen Handelns als unbefriedigend empfunden werden, weil dem Gesetzgeber bereits durch die erste Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 1995 (aaO) die Beseitigung der verfassungswidrigen Rechtslage bezüglich der Behandlung der Einmalzahlungen ab 1. Januar 1997 nahe gelegt worden war, ohne dass er diesem Hinweis im Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 12. Dezember 1996 (BGBl I 1859) für das Alg entsprochen hätte. Gleichwohl ist eine Verfassungswidrigkeit der nunmehr getroffenen Übergangs- und Korrekturregelung des § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III nicht zu erkennen. Die Regelung entspricht in vollem Umfang der Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000, die ihrerseits Gesetzeskraft hat (§ 31 Abs 2 Satz 1 BVerfGG); sie enthält auch keine verfassungswidrige Rückwirkung. Denn § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III greift nicht in eine bereits zuvor (vor der Verabschiedung des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes bzw vor der Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000) bestehende günstigere Rechtsposition der Klägerin ein; die in § 44 SGB X allgemein vorgesehene Möglichkeit, einen rechtswidrigen Leistungsbescheid trotz eingetretener Bestandskraft rückwirkend im Zugunstenweg zu beseitigen bzw zu korrigieren, war bereits durch § 330 Abs 1 SGB III eingeschränkt bzw ausgeschlossen, der im Übrigen sinnfälliges Beispiel dafür ist, dass der Gesetzgeber - auch von Verfassungs wegen - nicht gehindert ist, den allgemeinen Korrekturanspruch des SGB X zu beschränken.

Aus § 330 Abs 1 SGB III, der eine von § 44 SGB X abweichende Rechtsfolge für die Fälle enthält, in denen die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes der Beklagten vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach dem Erlass des Verwaltungsaktes für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, ergibt sich ohnedies, dass die Klägerin einen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bewilligungsbescheides (über die Ablehnung einer höheren Leistung) erst bzw frühestens mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des BVerfG gehabt hätte bzw hätte geltend machen können. Dabei kann offen bleiben, ob trotz des fortbestehenden Schwebezustandes (vgl dazu: BVerfGE 87, 114, 135 mwN; BSG SozR 3-1700 § 31 Nr 1 S 5 ff; BSG, Urteil vom 9. April 2003 - B 5 RJ 18/02 R; Steiner, aaO, S 575) und auch ohne Rückgriff auf die diesen Schwebezustand beendende Umsetzungsnorm des § 434c Abs 1 SGB III die Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Bescheide bereits vor dem 1. Januar 2001 iS des § 330 Abs 1 SGB III endgültig festgestanden hätte. Auch wenn dies bejaht würde, hätte die Klägerin eine Zugunstenentscheidung nach § 330 SGB III erst für die Zeit nach der Entscheidung vom 24. Mai 2000 geltend machen können. Gemeint ist mit dem Terminus "nach der Entscheidung" die Zeit nach Wirksamwerden der Entscheidung des BVerfG, die hier erst mit der ersten Zustellung - am 21. Juni 2000 - eingetreten ist (vgl dazu Rennert in Umbach/Clemens, BVerfGG, 1992, § 31 RdNr 23), weil die Entscheidung vom 24. Mai 2000 - als Beschluss - nicht verkündet worden ist (die in § 31 Abs 2 BVerfGG aus Gründen der Publizität vorgeschriebene Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesgesetzblatt - vorliegend am 25. Juli 2000, BGBl I 1082 - hat lediglich deklaratorische Bedeutung <Rennert aaO, RdNr 23 und 110>). Der am 25. Juli 2000 von der Klägerin - erneut - beantragten Überprüfung der Alg-Höhe hinsichtlich der mittlerweile ergangenen (zweiten) Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000 hätte daher - wenn es § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III nicht gäbe - nach § 330 Abs 1 SGB III auch nur für die Zeit ab 22. Juni 2000 stattgegeben werden können.

Nach allem ist § 44 SGB X im Falle der Klägerin nicht anwendbar und könnte selbst bei seiner Anwendung nicht dazu führen, dass ihr - über § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III hinaus - auch für die streitige Zeit vor dem 22. Juni 2000 höheres Alg unter Berücksichtigung der im Bemessungszeitraum erzielten Einmalzahlungen zu gewähren wäre. Denn über ihren Alg-Anspruch war bereits mit den Bescheiden vom 21. Mai 1999 und 25. April 2000 unanfechtbar entschieden. Abgesehen davon, dass auch das erste Überprüfungsverfahren bereits vor der Entscheidung des BVerfG (24. Mai 2000) bestandskräftig abgeschlossen war, stellt § 434c Abs 1 SGB III insoweit - wie § 44 Abs 1 SGB X - auf die Bestandskraft der Bescheide über die Leistungsbewilligung ab. Unanfechtbarkeit im Sinne dieser Norm liegt mithin dann vor, wenn gegen die ursprünglichen Bewilligungsbescheide keine Rechtsbehelfe eingelegt worden sind bzw über eingelegte Rechtsbehelfe bereits abschließend entschieden war (§ 77 SGG). Nicht abgeschlossene Überprüfungsverfahren iS der §§ 44, 48 SGB X, über die bis zur Entscheidung des BVerfG oder bis zum Inkrafttreten des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes noch nicht entschieden ist bzw war, unterfallen hingegen dem Anwendungsbereich des § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III. Weder der Wortlaut noch der Regelungszweck dieser Bestimmung lassen eine Auslegung dahin zu, dass Ansprüche auf Zugunstenentscheidung, über die am 21. Juni 2000 noch nicht unanfechtbar entschieden war, wegen des darin liegenden "Protests" gegen die Rechtmäßigkeit der früheren Leistungsbewilligungen, so zu behandeln seien, als ob über die früheren Leistungsansprüche selbst noch nicht unanfechtbar entschieden wäre.

Nicht entscheidungserheblich ist es entgegen der Ansicht der Klägerin, ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, über ein (höheres) Alg, das über das endgültig bewilligte Alg hinausgegangen wäre, gemäß § 328 SGB III vorläufig zu entscheiden. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob die Beklagte gezwungen gewesen wäre, über die Leistungserhöhung zu entscheiden. Selbst wenn eine Verpflichtung zu einer vorläufigen Entscheidung iS der Klägerin zu bejahen wäre, bliebe es vorliegend bei der Regelung des § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III: Über die Bewilligung von Alg war, soweit es den streitigen Zeitraum betrifft, unanfechtbar endgültig - also gerade nicht vorläufig - entschieden; eine Korrektur für die Zeit vor dem Wirksamwerden der Entscheidung des BVerfG kommt damit nicht in Betracht.

Ein der Klägerin günstigeres Ergebnis lässt sich schließlich nicht aus dem so genannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten. Er hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 SGB I), verletzt hat (vgl nur BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 S 37 mit umfassenden Nachweisen); ferner muss zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (BSG aaO), und der durch pflichtwidriges Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil muss durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur muss also mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang stehen (BSG aaO S 38 mwN). Gerade letzteres ist vorliegend zu verneinen. Denn die Regelung des § 434c Abs 1 SGB III greift ausdrücklich die Ausführungen des BVerfG in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2000 auf (BT-Drucks 14/4371 S 14 und 15 zu § 434c Abs 1). Sowohl in der Entscheidung des BVerfG als auch in der Norm selbst ist damit unverzichtbare Voraussetzung für die Gewährung höherer Leistungen für die Zeit vor der Entscheidung des BVerfG, dass die Bewilligungsbescheide noch nicht bestandskräftig waren. Diese Regelung würde konterkariert, wenn die Beklagte nur auf Grund der fehlenden Empfehlung eines Widerspruchs wegen der zu erwartenden Entscheidung des BVerfG - auf die Möglichkeit des Widerspruchs als solche wurde hingewiesen - trotz bestandskräftiger Bescheide Leistungen für die Vergangenheit bewilligen müsste. Es bliebe dann kein Raum für § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III, weil die Leistungsempfänger bei entsprechendem Hinweis im Zweifel Widerspruch eingelegt hätten, aber auch bei fehlendem Hinweis - und dieser dürfte regelmäßig gefehlt haben - Leistungen zu erbringen wären.

Die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs 1 SGG wegen eines Einwirkens der Beklagten auf die Leistungsempfänger, von einer Anfechtung der Bewilligungsbescheide abzusehen (vgl dazu BSG, Urteil vom 25. März 2003 - B 1 KR 36/01 R -, zur Regelung über das Krankengeld), stellt sich vorliegend nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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