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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 03.07.2003
Aktenzeichen: B 7 AL 216/02 B
Rechtsgebiete: SGG, ZPO


Vorschriften:

SGG § 158
SGG § 71
SGG § 72 Abs 1
ZPO § 56
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 7 AL 216/02 B

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat am 3. Juli 2003 durch die Vizepräsidentin Dr. Wolff, die Richter Dr. Steinwedel und Dr. Spellbrink sowie die ehrenamtlichen Richter Gimpel und Liedtke beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. März 2002 (L 3 AL 4655/01) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin Verfahrensmängel im Berufungsverfahren, eine Divergenz sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

Ausgangspunkt des Rechtsstreits ist die im Oktober 1991 beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhobene Klage mit dem Antrag, "der Arbeitsverwaltung durch Urteil und unter Zwangsgeldandrohung zu untersagen, die von ihrem arbeitsmedizinischen Dienst über mich erstellten Gutachten zu verwenden (auch auszugsweise) und zu verbreiten". Die Klägerin trug vor, die Beklagte habe insgesamt vier falsche Gutachten (substantiiert äußert sich die Klage dann nur zu den Gutachten Dr. P. vom 5. April 1983 sowie Dr. F. vom 28. November 1989) über sie erstellt, die unzutreffende Befunde enthielten. Diese Gutachten habe sie verwendet und verbreitet, und zwar nicht nur als Grundlage von ihr (der Klägerin) gegenüber ergangenen Entscheidungen, sondern auch in der Argumentation in verschiedenen Gerichtsverfahren, worauf die Gutachten vom Gericht verwendet worden seien. Das SG hat mit Urteil vom 5. Dezember 1996 die Klage als unzulässig abgewiesen. Soweit sich die Klägerin gegen die Verwendung der vom arbeitsamtsärztlichen Dienst erstellten Gutachten innerhalb der Arbeitsverwaltung wende, sei die gerichtliche Überprüfung der Gutachten lediglich im Rahmen anfechtbarer Verwaltungsentscheidungen und der insoweit vorgesehenen Rechtsbehelfe möglich; eine Verbreitung der Gutachten gegenüber unbefugten Dritten stehe nicht im Streit.

Im Verfahren über die Berufung der Klägerin wartete der zuständige 3. Senat des Landessozialgerichts (LSG) ua den Ausgang eines Betreuungsverfahrens ab, das die Klägerin Anfang 2000 auf Anregung des 4. (KR-)Senats des LSG beantragt hatte; im dortigen Verfahren (L 4 KR 3840/98) war ein von Prof. Dr. Täschner erstelltes Gutachten nach Aktenlage vom 25. November 1999 ua zum Ergebnis gekommen, die Klägerin sei "nicht mehr ... fähig ..., Prozesshandlungen selbstständig und voll wirksam vorzunehmen". Mit Beschluss vom 3. April 2000 (Az: 1a XVII 2/00) lehnte das Amtsgericht (AG) B. - Vormundschaftsgericht - die Bestellung eines Betreuers ab; es genüge, der Klägerin "nach Sozialrecht einen Rechtsanwalt beizuordnen". In seinem die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteil vom 15. Dezember 2000 ging der 4. Senat des LSG von der Prozessfähigkeit der Klägerin aus. Dem wollte sich der 3. Senat des LSG jedoch nicht anschließen. Anfragen, ob sie bereit sei, sich einer Untersuchung durch Prof. Dr. T. zu unterziehen, ließ die Klägerin unbeantwortet, worauf ihr das LSG mitteilte, dass sie (dann) als prozessunfähig anzusehen sei; ein besonderer Vertreter nach § 72 Sozialgerichtsgesetz (SGG) werde nicht bestellt, da der Senat davon ausgehe, dass die Klägerin nicht bereit sei, die entsprechenden Kosten zu tragen. Ende März 2001 regte der Berichterstatter des LSG-Verfahrens erneut die Bestellung eines Betreuers an, was das AG B. - Vormundschaftsgericht - mit Beschluss vom 16. November 2001 (1a XVII 20/01) ablehnte. Die mündliche Verhandlung des LSG fand am 13. März 2002 in Abwesenheit der Klägerin (deren persönliches Erscheinen angeordnet worden war) statt; das LSG hat mit Urteil vom selben Tag die Berufung verworfen:

Die Klägerin sei nicht prozessfähig. Nach Überzeugung des Senats liege bei ihr eine partielle Prozessunfähigkeit im Sinne eines Querulantenwahns vor, die zeitlich und inhaltlich von Anbeginn an das vorliegende Berufungsverfahren erfasse. Eine weitere Sachaufklärung komme nicht in Betracht; weitere Erkenntnismöglichkeiten beständen nicht. Mit Schutzbehauptungen habe sich die Klägerin dem angeordneten persönlichen Erscheinen vor Gericht entzogen; sie verweigere sich auch einer ärztlichen Begutachtung. Ein besonderer Vertreter nach § 72 Abs 1 SGG sei wegen der fehlenden Erfolgsaussicht nicht zu bestellen gewesen. Zum einen wäre eine Genehmigung der bisherigen Prozessführung fraglich, sodass - mangels Genehmigung - die Berufung dann doch als unzulässig verworfen werden müsste. Zudem würde die Klägerin mit den Kosten des besonderen Vertreters wirtschaftlich belastet, die sie keinesfalls zu tragen bereit sei. Allein die derzeit beim Senat anhängigen fünf Berufungsverfahren würden angesichts des für den besonderen Vertreter zu erwartenden Arbeitsaufwandes zur Gebührenforderung von mehreren 1.000 € führen. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) komme mangels Erfolgsaussicht nicht in Betracht. Mit ihrem Begehren, die Beklagte zur Unterlassung zu verurteilen, könnte die Klägerin auch im Falle bestehender Prozessfähigkeit keinen Erfolg haben. Im vorliegenden Fall existiere keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Nichtverwertung eingeholter Gutachten im Rahmen der Entscheidungen der Beklagten. Die vorbeugende Unterlassungsklage hinsichtlich der Weitergabe von Gutachten an unbefugte Dritte sei schon deshalb unzulässig, weil die von der Klägerin befürchtete Handlung der Beklagten nicht drohe. Es seien keine Hinweise darauf erkennbar, dass die Beklagte Gutachten an Dritte unbefugt weitergegeben hätte; konkreter schlüssiger Vortrag der Klägerin liege nicht vor.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision. Gerügt wird eine Verletzung der §§ 158 (Unzulässigkeit der Berufung), 71 (Prozessfähigkeit) und 72 Abs 1 (besondere Vertreter) SGG iVm § 56 Zivilprozessordnung <ZPO> (Mangel der Prozessfähigkeit von Amts wegen zu berücksichtigen): Das LSG habe die Berufung unter Annahme der Prozessunfähigkeit nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Denn aus § 72 Abs 1 SGG folge, dass eine Prozessabweisung wegen Prozessunfähigkeit eines Beteiligten grundsätzlich unmöglich sei, da zumindest ein besonderer Vertreter zu bestellen sei (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> vom 28. Mai 1957, BSGE 5, 176 ff). Insoweit gelte allenfalls die Ausnahme, dass die Klage offensichtlich haltlos sei, was im vorliegenden Fall nicht zutreffe und auch in dieser Form vom LSG nicht festgestellt sei. Ihr (der Klägerin) Beharren auf einer Beachtung ihrer Persönlichkeitsrechte (Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 Grundgesetz <GG>) sei keinesfalls offensichtlich haltlos. Die Behauptungen in den beanstandeten Gutachten seien ohne persönliche Untersuchung oder zureichende Befunderhebung aufgestellt worden. Sich hiergegen zu wehren, sei ihr gutes Recht. Soweit das LSG darauf hinweise, es sei nicht erkennbar, dass die Beklagte Gutachten an Dritte unbefugt weitergegeben habe, sei dem entgegenzuhalten, dass die Verwaltungsakten dem AG B. - Vormundschaftsgericht - sowie dem Sachverständigen Prof. Dr. T. zur Verfügung gestellt worden seien. Im gerügten Verfahrensfehler liege ein absoluter Revisionsgrund iS des § 547 Nr 4 ZPO (nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten). Auch sei das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) verletzt. Das LSG hätte die Prozessunfähigkeit nur feststellen können, wenn es die Klägerin zuvor persönlich angehört hätte (Hinweis auf BSG vom 5. Mai 1993, SozR 3-1500 § 71 Nr 1). Dies sei ebenso unterblieben wie eine schriftliche Anhörung zur bevorstehenden Verwerfung der Berufung wegen Prozessunfähigkeit. Als weiteren Verfahrensmangel rügt die Beschwerdebegründung eine Verletzung des § 71 SGG iVm § 76 ZPO; das LSG habe die Berufung nicht als unzulässig zurückweisen dürfen, da die Klägerin tatsächlich prozessfähig sei. Daneben bestehe eine Divergenz zur Entscheidung BSGE 5, 176. Schließlich sei die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Zu einer persönlichen Untersuchung zur Erstellung eines medizinischen Gutachtens über ihre Prozessfähigkeit war die Klägerin auch im Revisionsverfahren nicht bereit.

II

1. Die Beschwerde ist trotz der Prozessunfähigkeit der Klägerin zulässig.

Ebenso wie das LSG nimmt der Senat eine partielle Prozessunfähigkeit der Klägerin zumindest für sozialgerichtliche Verfahren an. Denn bei gewichtigen Bedenken gegen die Prozessfähigkeit hat das Gericht von der Prozessunfähigkeit auszugehen, wenn sich auch nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten nicht feststellen lässt, dass der betreffende Beteiligte prozessfähig (§ 71 Abs 1 SGG) ist (zB Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> vom 7. November 1986 - 5 B 58/86 ua, in JURIS; Bundesarbeitsgericht <BAG> vom 20. Januar 2000, BAGE 93, 248, 251; Bundesgerichtshof <BGH> vom 4. November 1999, BGHZ 143, 122, 124; BGH vom 9. Januar 1996 - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059, 1060; jeweils mwN). So aber liegt der Fall hier. Angesichts des Gesamtinhalts der ihm zur Verfügung stehenden Beklagten- und Gerichtsakten hat der Senat erhebliche Zweifel an der Prozessfähigkeit der Klägerin. Diese können nicht behoben werden. Einer persönlichen Anhörung durch das Gericht hat sich die Klägerin im Berufungsverfahren verweigert. Zu einer psychiatrischen Begutachtung auf Grund persönlicher Untersuchung war die Klägerin im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde ebenso wenig bereit wie vor dem LSG. Da die Prozessfähigkeit des Klägers eine Sachurteilsvoraussetzung ist, deren Vorliegen stets von Amts wegen festzustellen ist (vgl die oa Rechtsprechung), hat die Klägerin in der Tat im Ergebnis die (objektive) Beweislast für ihre eigene Prozessfähigkeit zu tragen.

An der Annahme der Prozessunfähigkeit ist der Senat nicht dadurch gehindert, dass das zuständige Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Betreuers (§ 1896 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>) abgelehnt hat. Weder setzt eine derartige Bestellung Prozessunfähigkeit voraus noch muss bei Prozessunfähigkeit zwingend ein Betreuer bestellt werden. Ferner kann das Vormundschaftsgericht weder die Geschäfts-(Prozess-)fähigkeit noch die Geschäfts-(Prozess-)unfähigkeit rechtskräftig oder sonst wie verbindlich feststellen (Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl 2001, § 1896 BGB RdNr 28). Auch kann im vorliegenden Fall die Ablehnung der Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht nicht als Beweis oder Beweisanzeichen für eine Prozessfähigkeit gewertet werden.

Die Prozessunfähigkeit der Klägerin stellt jedoch kein Verfahrenshindernis für die vorliegende Beschwerde dar. Denn das Rechtsmittel eines Beteiligten, der sich dagegen wendet, dass er in der Vorinstanz zu Unrecht als prozessunfähig (bzw prozessfähig) behandelt worden sei, ist ohne Rücksicht darauf zulässig, ob die für die Prozessfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen festgestellt werden können (vgl BGH vom 4. November 1999, BGHZ 143, 122, 123; BGH vom 9. Januar 1996 - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059 f; ebenso bereits BSG vom 27. Mai 1957, BSGE 5, 176, 177); entsprechend ist auch die zur Einlegung des Rechtsmittels erteilte Prozessvollmacht wirksam (BVerwG vom 8. November 1994 - 1 D 66/87, in JURIS).

2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt nach § 160a Abs 5 SGG zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Nach dieser Bestimmung kann das BSG das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beschwerde rügt in einer den Maßstäben des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Weise und zu Recht den Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), dass das Berufungsgericht der Klägerin keinen besonderen Vertreter nach § 72 Abs 1 SGG bestellt hat, obwohl Klage und Berufung nicht offensichtlich haltlos waren.

a) In der Sozialgerichtsbarkeit darf ein Rechtsmittel grundsätzlich nicht mangels Prozessfähigkeit des Klägers abgewiesen werden. Vielmehr ist, so lange kein gesetzlicher Vertreter (insbesondere ein Betreuer - § 1896 BGB -) bestellt ist, ein besonderer Vertreter nach § 72 Abs 1 SGG zu bestellen (BSG vom 28. Mai 1957, BSGE 5, 176, 178 f). Hiervon gilt jedoch dann eine Ausnahme, wenn das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen derart offensichtlich haltlos ist, dass die Genehmigung der Prozessführung durch den gesetzlichen oder besonderen Vertreter von vornherein ausgeschlossen erscheint (s BSG aaO). An dieser Ausnahme, die eng auszulegen und nur Fälle einer schlechthin aussichtslosen, in der Sache abwegigen Rechtsverfolgung erfasst, hält der Senat fest. Er sieht auch keinen Anlass, die Pflicht zur Bestellung eines besonderen Vertreters unter Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte - etwa der Bedeutung des Streitgegenstands für die Existenzsicherung - einzuschränken.

Er vermag sich insbesondere nicht der - weitergehenden - Ansicht des LSG anzuschließen, die Zurückweisung der Klage eines Prozessunfähigen als unzulässig sei bereits dann möglich, wenn es an der hinreichenden Erfolgsaussicht iS der Bestimmungen über die PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO) mangele. Diese Ansicht kann nicht lediglich als Interpretation der bereits im Urteil vom 28. Mai 1957 formulierten Ausnahme verstanden werden; im Gegenteil war bereits zu dieser Zeit die "hinreichende Aussicht auf Erfolg" für das (im Verfahren vor dem BSG damals einschlägige) Armenrecht geläufig (§ 167 Abs 2 SGG iVm § 114 ZPO, jeweils in der damaligen Fassung; vgl Mellwitz, DAngVers 1957, 162), sodass sich die Formulierung "offensichtlich haltlos" hiervon bewusst abgesetzt hat.

Für die Ansicht des LSG spricht entgegen dessen Argumentation auch nicht, dass (bereits) bei einer fehlenden "hinreichenden Aussicht auf Erfolg" ein besonderer Vertreter die Prozessführung nicht genehmigen würde. Der besondere Vertreter ist nämlich - ebenso wenig wie ein Betreuer nach § 1896 BGB - nicht notwendigerweise ein (Voll-)Jurist, geschweige denn ein mit dem einschlägigen Rechtsgebiet vertrauter Jurist. Der Begriff "hinreichende Aussicht auf Erfolg" - im PKH-Verfahren (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 114 ZPO) - stellt dagegen zuvörderst auf eine fachjuristische Beurteilung der Sach- und Rechtslage ab. Über ihr Vorliegen entscheiden die für das Hauptsacheverfahren zuständigen Berufsrichter. Im Gegensatz dazu wird ein besonderer Vertreter zur Wahrung der Interessen des Prozessunfähigen lediglich dann von einer Genehmigung absehen, wenn er selbst die Rechtsverfolgung für unter jedem Gesichtspunkt aussichtslos hält (entsprechend hat auch der das BSG in seinem Urteil vom 28. Mai 1957 - nur - bei einer "offensichtlich haltlosen" Klage eine Genehmigung als ausgeschlossen erachtet). Hiermit setzt er den von ihm Vertretenen auch - abgesehen von seinen eigenen Kosten - keinem Kostenrisiko aus. Denn jedenfalls im Rahmen des § 183 SGG (nF) ist das Verfahren vor den Sozialgerichten nach wie vor kostenfrei.

Nach alledem ist zur Entscheidung, ob die Rechtsverfolgung "offensichtlich haltlos" ist, ein strenger Maßstab anzulegen. Neben absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz (zB Klage auf "Zuteilung" einer Ehefrau/eines Ehemannes) kommen insoweit etwa von vornherein offensichtlich unschlüssige Klagebegehren in Betracht oder Vorbringen, das bereits mehrmals (zB im Rahmen von Überprüfungen von § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X>) Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war.

Ein ähnlich aussichtsloser Fall liegt hier jedoch nicht vor. Klage und Berufung der Klägerin waren zumindest teilweise nicht in diesem Sinne offensichtlich haltlos.

b) Die Klage richtet sich ua darauf, der Beklagten zu untersagen, (bestimmte) arbeitsamtsärztliche Gutachten "zu verbreiten". Diesen Antrag hat das SG im Wege der Auslegung dahingehend eingegrenzt, dass der Beklagten verboten werden solle, die Gutachten "unbefugt" zu verbreiten. Es hat die entsprechende Unterlassungsklage als unzulässig behandelt, da von der Klägerin nicht behauptet werde, die Beklagte habe die Gutachten unzulässig verbreitet und daher bestehe Wiederholungsgefahr; vielmehr seien nach dem klägerischen Vortrag die Gutachten lediglich im Rahmen von Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen, "mithin unter Befugten" verwendet worden. Diese Argumentation hat sich das LSG (im Rahmen seiner Einschätzung der Erfolgsaussicht) im Wesentlichen angeschlossen.

Die Unterlassungsklage war jedoch als solche (unabhängig von einer möglicherweise schon damals bestehenden Prozessunfähigkeit der Klägerin) nicht bereits offensichtlich unzulässig; es spricht im Gegenteil viel für ihre Zulässigkeit: Es könnte insoweit ausreichen, dass der Klagende behauptet, er habe einen Rechtsanspruch, dessen drohende Verletzung zu besorgen sei (vgl BSG vom 15. November 1995 - 6 RKa 17/95, USK 95 139). So aber lag der Fall hier. Dem Vorbringen der Klägerin war zu entnehmen, dass sie auch die Weiterleitung der ihrer Ansicht nach unzutreffenden Gutachten an das Gericht als "unbefugt" ansieht. Ob das angegriffene Verhalten der Behörde dann in der Tat rechtmäßig oder rechtswidrig ist, könnte dann keine Frage der Zulässigkeit sein, sondern der Begründetheit der Klage.

Der Zulässigkeit der Klage dürfte dann auch das Urteil des 2. Senats des BSG vom 28. Januar 1993 (2 RU 8/92, USK 93 117) nicht zwingend entgegenstehen. Dieses hatte die Unzulässigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage bei einem Begehren angenommen, den Versicherungsträger zu verurteilen, es in Zukunft zu unterlassen, medizinische Daten der Klägerin nicht am Verfahren beteiligten Dritten zu offenbaren, wenn und solange die damalige Klägerin von ihrem Widerspruchsrecht gemäß § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X Gebrauch mache; hierzu hatte sich der 2. Senat darauf bezogen, dass auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG keine ernstliche Wiederholungsgefahr bestehe. Im vorliegenden Fall jedoch hat das LSG jedenfalls keine Feststellung dahingehend getroffen, dass die Beklagte die beanstandeten Gutachten auch an die Gerichte nicht herausgeben werde (ob bei dem vom 2. Senat entschiedenen Sachverhalt eher eine Unterlassungsklage - und keine vorbeugende Unterlassungsklage - vorlag, kann hier offen bleiben; zur Unterscheidung s BSG vom 25. Oktober 1978, BSGE 47, 118, 119 = SozR 1200 § 35 Nr 1).

Die Unterlassungsklage jedenfalls hinsichtlich des "Verbreitens" war auch in materieller Hinsicht nicht von vornherein aussichtslos. Nach ihrem Vortrag wendet sich die Klägerin ua gegen die Übermittlung bestimmter über sie vom arbeitsamtsärztlichen Dienst angefertigter Gutachten an Gerichte, die über von der Klägerin erhobenen Klagen bzw von ihr beantragten einstweiligen Anordnungen entscheiden: Insofern sind zwar die Behörden grundsätzlich zur Vorlage ihrer Akten verpflichtet (s § 119 Abs 1 SGG; § 69 Abs 1 Nr 1 SGB X in der bis zum 30. Juni 1994 geltenden Fassung; § 69 Abs 1 Nr 2 idF ab 1. Juli 1994, Gesetz vom 13. Juli 1994, BGBl I 1229). Gleichzeitig ist jedoch § 76 SGB X zu beachten: Nach Abs 1 dieser Vorschrift steht die Offenbarung ua medizinischer Daten unter besonderen Voraussetzungen; hiervon macht wiederum Abs 2 Nr 1 eine Ausnahme bei Begutachtungen wegen der Erbringung von Sozialleistungen, regelt jedoch gleichzeitig ein Widerspruchsrecht des Betroffenen.

Ein Widerspruch nach § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X ist zwar weder vom SG noch vom LSG festgestellt; er könnte jedoch - spätestens - in der erhobenen Klage gesehen werden. Es kann ferner davon ausgegangen werden, dass die Beklagte nicht gewillt ist, sich diesem Widerspruch entsprechend zu verhalten, da sie jeweils Klagabweisungsantrag gestellt hat.

Gegen eine "offensichtliche Haltlosigkeit" des vorliegenden Klagebegehrens spricht auf dieser Grundlage, dass bei der Anwendung des § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X wesentliche und auch im vorliegenden Fall einschlägige Fragen noch nicht geklärt sind (s die einschlägige Kommentarliteratur sowie zB Rasmussen, NZS 1998, 67).

Insgesamt ist daher jedenfalls die Klage, soweit sie sich gegen die Verbreitung der streitigen Gutachten durch Übermittlung an die Gerichte wendet, nicht "offensichtlich haltlos". Dies kann der Senat seiner Beurteilung auch ungeachtet des Grundsatzes zu Grunde legen, dass bei der Beurteilung eines Verfahrensfehler des LSG in materieller Hinsicht von dessen Rechtsauffassung auszugehen ist. Dies gilt bereits deswegen, weil sich das Berufungsgericht nach dem Gesamtzusammenhang seiner Entscheidungsgründe lediglich (hilfsweise) über die (hinreichende) Erfolgsaussicht des Klagebegehrens geäußert hat, nicht jedoch dazu, ob es als offensichtlich haltlos anzusehen ist. Ebenso wenig kann die Berufung der Klägerin als offensichtlich haltlos eingeschätzt werden. Sie war nicht verfristet; ein Ausschlussgrund nach § 144 Abs 1 SGG ist auch vom LSG nicht angenommen worden.

Auf dieser Grundlage aber ist dem LSG dadurch ein Verfahrensfehler unterlaufen, dass es die Berufung der Klägerin allein wegen ihrer Prozessunfähigkeit als unzulässig verworfen hat. Es hätte vielmehr der Klägerin einen besonderen Vertreter bestellen müssen, nachdem zwei Versuche des LSG gescheitert waren, die Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB anzuregen. Da in dem Verfahrensfehler gleichzeitig ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG iVm § 547 Nr 4 ZPO liegt (die Klägerin war nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten), erübrigen sich Ausführungen zum Beruhen des Berufungsurteils auf dem Verfahrensfehler.

c) Offen bleiben kann auch, ob Klage und Berufung hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Unterlassung der Verwendung (im Gegensatz zur Verbreitung) der arbeitsamtsärztlichen Gutachten offensichtlich haltlos waren. Zwar handelt es sich insoweit um einen getrennten Streitgegenstand. Ein besonderer Vertreter nach § 72 Abs 1 SGG kann jedoch nicht nur für Teile eines Verfahrens - und seien sie abtrennbar (§ 202 SGG iVm § 145 Abs 1 ZPO) - bestellt werden. Ist also hinsichtlich eines von mehreren Streitgegenständen eines einheitlichen Verfahrens die Rechtsverfolgung nicht offensichtlich haltlos, so ist für das gesamte Verfahren ein besonderer Vertreter zu bestellen.

d) Für dessen Kosten kann - wovon auch das LSG ausgegangen ist - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (§ 73a SGG iVm § 114 ZPO) PKH gewährt werden; insoweit ist allerdings nach dem bisherigen Stand der BSG-Rechtsprechung auch die "hinreichende Aussicht auf Erfolg" iS des § 114 ZPO Voraussetzung (BSG vom 8. September 1982, SozR 1500 § 72 Nr 2). Ob diese im vorliegenden Fall vorliegt - oder ob es zur Bestellung eines besonderen Vertreters im Wege der Prozesskostenhilfe reicht, dass die Rechtsverfolgung nicht offensichtlich haltlos ist -, wird das LSG nach Zurückverweisung zu entscheiden haben. Ebenso kann beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens offen bleiben, wie zu entscheiden ist, wenn die Bestellung eines besonderen Vertreters (aus welchen Gründen auch immer) scheitert.

e) Bereits nach dem Vorstehenden ist die Aufhebung des Berufungsurteils sowie die Zurückverweisung nach § 160a Abs 5 SGG gerechtfertigt; auf die weiteren geltend gemachten Zulassungsgründe ist nicht einzugehen. Dem Vorgehen nach § 160a Abs 5 SGG steht nicht entgegen, dass die Klägerin mit der Beschwerde nicht nur Verfahrensfehler gerügt hat: Ein Rechtsstreit kann auch dann gemäß § 160a Abs 5 SGG im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wegen eines Verfahrensmangels an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, wenn die Beschwerde zusätzlich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bzw eine Divergenz gestützt ist, der Verfahrensmangel aber selbst bei Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung bzw der Divergenz und bei Zulassung der Revision - wie hier - voraussichtlich zur Zurückverweisung führen würde (so zu § 133 Abs 6 Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO>: BVerwG vom 3. Februar 1993, Buchholz 310 § 133 <nF> VwGO Nr 10; vom 26. Juni 2000, Buchholz 428 § 1 Abs 3 VermG Nr 15).

3. Der Senat konnte entscheiden, ohne selbst einen besonderen Vertreter für die Klägerin zu bestellen. Die Unterstellung der Prozessfähigkeit im Rechtsmittelverfahren (s o unter 1 aE) wirkt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Frage der Prozessfähigkeit (zB Bundesfinanzhof <BFH> vom 3. Dezember 1971, BFHE 105, 230, 234; BGH vom 11. Februar 1982, LM Nr 5 zu § 71 ZPO, Bl 2). Dem Anliegen, dass der Prozessunfähige im Verfahren durch einen Prozessfähigen handeln kann, war im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten war.

Das LSG wird auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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