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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 01.04.2004
Aktenzeichen: B 7 AL 52/03
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 1. April 2004

Az: B 7 AL 52/03 R

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Udsching, die Richter Eicher und Dr. Spellbrink sowie die ehrenamtliche Richterin Geppert und den ehrenamtlichen Richter Lohre

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Mai 2002 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) wegen eines nicht angezeigten Steuerklassenwechsels für den Zeitraum vom 1. September 1999 bis 30. April 2000 sowie eine Erstattungsforderung in Höhe von 8.305,79 DM.

Der im Jahre 1962 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Zuletzt war er bis 30. Juni 1999 als Sachbearbeiter beschäftigt. Mit Wirkung zum 1. Juli 1999 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos. Zu diesem Zeitpunkt war auf seiner Lohnsteuerkarte wie auch zu Beginn des Jahres die Steuerklasse III/2 eingetragen. Der Kläger wurde im Antragsformular darauf hingewiesen, dass er alle Änderungen in seinen persönlichen Verhältnissen unverzüglich anzeigen müsse. Er bestätigte bei seiner Arbeitslosmeldung zudem den Erhalt und die Kenntnisnahme des Merkblattes für Arbeitslose "Dienste und Leistungen". Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab dem 1. Juli 1999 Alg in Höhe von 563,85 DM wöchentlich. Dabei legte sie die Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III), ein Bemessungsentgelt von 1.280,00 DM und den erhöhten Leistungssatz von 67 vH zu Grunde. Durch Änderungsbescheid vom 13. Januar 2000 passte die Beklagte den wöchentlichen Leistungssatz an die Leistungsentgeltverordnung 2000 an und gewährte dem Kläger für die Zeit ab 1. Januar 2000 einen Zahlbetrag von wöchentlich 577,36 DM. Der Kläger erhielt bis zum 30. April 2000 Alg unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C. Mit Wirkung zum 1. September 1999 wechselte der Kläger die Lohnsteuerklasse. Auf seiner Lohnsteuerkarte wurde die Lohnsteuerklasse V/0 und bei seiner Ehefrau die Lohnsteuerklasse III/2 eingetragen. Die Ehefrau des Klägers ging seit September 1999 einer Tätigkeit nach. Aus dieser erzielte sie im September 1999 710,83 DM, im Oktober 1999 1.003,93 DM, im November 1999 736,89 DM und im Dezember 1999 383,53 DM brutto. Von dem Lohnsteuerklassenwechsel zum 1. September 1999 erhielt die Beklagte zunächst keine Kenntnis. Die Beklagte erfuhr hiervon erst im Mai 2000. Die Beklagte hörte den Kläger an. Dieser erklärte - wie auch später im Widerspruchs- und Klageverfahren -, seiner Vorgehensweise habe keine betrügerische Absicht zu Grunde gelegen. Seit der Arbeitslosigkeit lebe seine Familie in einer prekären wirtschaftlichen Situation. Er müsse ein Darlehen für ein Einfamilienhaus mit monatlich ca 1.400,00 DM bedienen. Durch die Änderung der Steuerklassen zum 1. September 1999 habe er lediglich bewirken wollen, dass er bereits aktuell über den Betrag habe verfügen können, den er im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs sowieso erstattet bekommen hätte. Das Merkblatt habe er von der Beklagten zwar erhalten, aber nicht den gesamten, sehr umfangreichen Inhalt gegenwärtig gehabt. Die Beklagte hob die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 1. August 1999 bis 31. Dezember 1999 und vom 1. Januar 2000 bis 30. April 2000 teilweise auf, weil dem Kläger im Aufhebungszeitraum Alg lediglich unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe D zugestanden habe. Er habe den Lohnsteuerklassenwechsel dem Arbeitsamt nicht mitgeteilt und dadurch seine Mitteilungspflicht nach § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) verletzt. Zugleich forderte sie Erstattung in Höhe von insgesamt 9.329,41 DM (Bescheide vom 23. Juni 2000). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. August 2000). Nach Klageerhebung hat sich die Beklagte bereit erklärt, ihre Bescheide insoweit zu ändern, als eine Teilaufhebung der ursprünglichen Alg-Bewilligung erst ab 1. September 1999 erfolge. Zugleich reduzierte sie den ursprünglich geltend gemachten Erstattungsbetrag um 1.023,62 DM. Der Kläger nahm dieses Teilanerkenntnis an. Mit Urteil vom 14. August 2001 hat das Sozialgericht die Klage im Übrigen abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 23. Mai 2002). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dem Kläger habe ab dem 1. September 1999 Alg nicht in der ihm bewilligten Höhe zugestanden. Gemäß § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) würden bei Ehegatten die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tag an berücksichtigt, an dem sie wirksam würden, wenn sich auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Alg ergebe, das geringer sei als das Alg, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergeben hätte. Ein solcher beachtlicher Lohnsteuerklassenwechsel sei bei dem Kläger mit Wirkung zum 1. September 2000 eingetreten. Die Beklagte sei damit gehalten gewesen, den Steuerklassenwechsel zu beachten, ohne dass es darauf ankomme, ob die neu eingetragenen Steuerklassen dem monatlichen Arbeitsentgelt beider Ehegatten entsprächen, mithin für die Eheleute wirtschaftlich sinnvoll gewesen seien. Der Kläger habe seine aus § 60 Abs 1 Nr 2 SGB I resultierende Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig verletzt (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch <SGB X>). Er habe im Widerspruchsverfahren eingeräumt, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten zu haben. Bei einer sorgfältigen und von ihm zu erwartenden Lektüre dieses Merkblattes hätte er wissen müssen, dass er dem Arbeitsamt sofort einen Lohnsteuerklassenwechsel mitzuteilen habe. Über diese Verpflichtung sei er im Merkblatt ausdrücklich informiert worden. Dass er trotz der eindeutigen, klar gefassten Hinweise seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei, sei als grob fahrlässig einzustufen. Unerheblich sei sein Einwand, er habe nicht den gesamten Inhalt des umfangreichen Merkblattes präsent gehabt. Dass die Rückzahlung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen für den Kläger und seine Familie möglicherweise zu einer besonderen Härte führe, sei im Rahmen des § 330 Abs 3 SGB III unbeachtlich.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner - vom Senat zugelassenen - Revision. Er rügt eine Verletzung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III. Die Norm sei verfassungswidrig. Sie verstoße gegen Art 6 Grundgesetz (GG), gegen das Sozialstaatsprinzip (Art 20 GG) und gegen Art 3 GG. Art 6 GG statuiere eine besondere Schutzpflicht der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie. In dieses Grundrecht werde durch § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III eingegriffen, denn hierdurch werde grundsätzlich nicht der Schutz der Ehe und Familie in den Vordergrund gestellt, sondern die Ersparnis für die Beklagte. Das Sozialstaatsprinzip gebiete den Schutz des Schwächeren sowie soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit. Gegen diese Grundsätze werde durch § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III verstoßen. Er habe den Steuerklassenwechsel nur deshalb vorgenommen, damit seine Ehefrau monatlich weniger Steuern zahlen müsse. Dies sei erforderlich gewesen, weil sie Darlehen für ein gefördertes Eigenheim hätten zurückzahlen müssen und auf Grund der monatlichen Belastung auf den Steuervorteil für die Ehefrau angewiesen gewesen seien. Es sei fraglich, ob der Gesetzgeber die Höhe des Alg von einer reinen Formalie abhängig machen dürfe. Steuerrechtlich seien die von den Eheleuten am Ende eines Jahres zu zahlenden Steuern immer gleich, unabhängig von der Frage, nach welcher Lohnsteuerklasse die Steuern zunächst einbehalten worden seien. Er und seine Ehefrau hätten mithin die nunmehr eingesparten Steuern am Jahresende ohnehin zurückerhalten. § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III sei auch deshalb problematisch, weil ein Steuerklassenwechsel vorgenommen worden sei, der zwar Vorteile für die Beklagte mit sich bringe, aber letztlich doch nicht dem Verhältnis der Arbeitsentgelte beider Ehegatten entspreche. Hierin liege ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG. § 137 SGB III diene nicht der Verwaltungsvereinfachung, denn die Beachtung der gewählten Steuerklassen verursache einen ebenso großen Verwaltungsaufwand wie die Nichtbeachtung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Mai 2002 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14. August 2001 sowie die Bescheide der Beklagten vom 23. Juni 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III sei nicht verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen Art 6 GG liege schon deshalb nicht vor, weil die Norm nicht bezwecke, Eheleuten ein möglichst geringes Alg zur Verfügung zu stellen. § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III erhalte vielmehr Eheleuten die persönliche Dispositionsmöglichkeit über die Regelung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III hinaus, allerdings nur, soweit sich hierdurch nicht ein höheres Alg ergebe. Grund für derartige Steuerklassenwechsel sei in der Regel die günstigere Gestaltung der Besteuerung der Gesamteinkünfte von Ehegatten. Die so individuell erlangte günstigere Situation könne jedoch keinesfalls zu einer hieraus resultierenden Belastung der Beitragszahler führen. Dies sei aber der Fall, wenn § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III derartige Steuerklassenwechsel nicht auf die Fälle begrenze, in denen sich im Ergebnis ein niedrigeres Alg ergebe. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liege nicht vor. Dem Gesetzgeber sei auf dem Gebiet des Sozialrechts ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Sozialpolitische Entscheidungen seien hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlerhaft noch mit der Werteordnung des GG unvereinbar seien. Der Gesetzgeber könne Massenerscheinungen auch ordnen, indem er Typisierungen vornehme. Es komme nicht darauf an, ob der Gesetzgeber jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen habe, sondern darauf, ob sachlich einleuchtende Gründe für die Differenzierung vorlägen. Ein sachlich einleuchtender Grund für die vom Gesetzgeber in § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III vorgenommene Differenzierung sei die damit bezweckte Verwaltungsvereinfachung, möge diese in Einzelfällen auch zu geringeren Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung führen.

II

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz). Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht abschließend entschieden werden, ob der Kläger im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen ist, als hätte er den Lohnsteuerklassenwechsel zum 1. September 1999 nicht vorgenommen. In diesem Falle wäre der auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X iVm § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III gestützte (Teil-)Aufhebungsbescheid der Beklagten rechtswidrig, weil dem Kläger auch ab 1. September 1999 Alg unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) zustünde und keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten wäre.

Die Beklagte kann die Bewilligung von Alg bzw Arbeitslosenhilfe (Alhi) nur dann wegen eines vorangegangenen Steuerklassenwechsels auf Grund von § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III teilweise aufheben, wenn sie den Betroffenen bereits bei der Antragstellung bzw vor der Leistungsbewilligung hinreichend über die Auswirkungen eines Wechsels der Steuerklassen auf die Höhe der Sozialleistung informiert hat. Die Beklagte trifft insoweit eine besondere Beratungspflicht, weil die in § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III angeordnete Rechtsfolge andernfalls nicht zu rechtfertigen wäre. Diese Regelung begegnet ebenso verfassungsrechtlichen Bedenken wie das Gesamtkonzept der Norm des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III (hierzu unter 1). Der Senat schließt sich insoweit dem 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) an, der bereits verfassungsrechtliche Zweifel gegen § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III erhoben hat (BSG SozR 3-4300 § 137 Nr 3). Diese Bedenken sind zum einen darin begründet, dass § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III das Eigentumsgrundrecht des Arbeitslosen aus Art 14 Abs 1 GG berührt (vgl 1a). Zum anderen bestehen Bedenken gegenüber der unzureichenden Normenklarheit des Regelungskonzepts des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III insgesamt. Hier treten auch Wertungswidersprüche zwischen den Rechtsfolgen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III und denen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III auf (vgl zum Ganzen 1b). Deshalb müssen dem verheirateten Versicherten die leistungsrechtlichen (arbeitsförderungsrechtlichen) Konsequenzen eines Lohnsteuerklassenwechsels hinreichend klar und deutlich vor Augen geführt werden. Die Beklagte kann den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 137 Abs 4 SGB III dadurch begegnen, dass sie die Betroffenen jeweils bereits bei Arbeitslosmeldung bzw Leistungsbewilligung gesondert und eingehend auf die Gefahren eines steuerrechtlichen Lohnsteuerklassenwechsels für den arbeitsförderungsrechtlichen Anspruch und eine konkrete Beratungsnotwendigkeit durch die Arbeitsämter (jetzt: Agenturen für Arbeit) hinweist (im Einzelnen unter 2). Die von der Beklagten ausgehändigten Merkblätter in ihrer gegenwärtigen Fassung genügen dieser spezifischen Hinweispflicht, die ausschließlich den Lohnsteuerklassenwechsel von Ehegatten betrifft, nicht, weil sie lediglich den Gesetzestext paraphrasieren und wegen ihres Umfangs die für Laien notwendige Warnung vor einem Steuerklassenwechsel nicht sicherstellen können. Ihrer Beratungspflicht kann die Beklagte nur dadurch genügen, dass sie im Einzelnen deutlich und von dem üblichen Merkblatt getrennt einen Hinweis auf die Gefahren des Lohnsteuerklassenwechsels gibt, der auch für die Laiensphäre verständlich macht, welche leistungsrechtlichen Gefahren bei einem Lohnsteuerklassenwechsel drohen können. Aus der Verletzung dieser Hinweis- und Beratungspflicht der Beklagten kann dem Arbeitslosen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen (vgl unter 3). Die bisherige Rechtsprechung des BSG im Rahmen des § 113 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zur "Tatbestandswirkung der eingetragenen Lohnsteuerklasse" steht einem solchen Herstellungsanspruch nicht entgegen.

1. § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Das Eigentumsrecht des Art 14 Abs 1 GG ist bereits deshalb berührt, weil die Neuregelung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand unter Geltung des AFG bis 31. Dezember 1997 darstellt. Der Anspruch des Klägers auf Alg ist im vorliegenden Fall am 1. Juli 1999 entstanden. Die dreijährige Rahmenfrist des § 124 Abs 1 SGB III wurde mithin zum Teil unter Geltung des AFG erfüllt, weshalb bereits die zum 1. Januar 1998 bestehende Anwartschaft durch die Neuregelung tangiert wurde. Wie vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits mehrfach entschieden (vgl BVerfGE 72, 9; 74, 925; 74, 203, 213; 76, 220, 235; 92, 365, 404), fällt der Anspruch auf Alg unter den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG (vgl Papier in Maunz/Dürig, GG, RdNr 152 ff zu Art 14 GG, 40. Lfg, Juni 2002). Die Neuregelung des § 137 Abs 4 SGB III berührt den Schutzbereich dieses Grundrechts, soweit die unter Geltung des AFG bereits zurückgelegte Anwartschaft mit einer neuen Belastung (§ 137 Abs 4 Satz 1 SGB III) beschwert wird. Dahinstehen kann deshalb, inwieweit auch die Bewilligung von Alg (hier zum 1. Juli 1999) ebenfalls bereits eine eigentumsgeschützte Position zu Gunsten des Klägers darstellt, in die nachträglich auf Grund der in § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III normierten Rechtsfolge eingegriffen wurde.

Der "Eingriffscharakter" des § 137 Abs 4 SGB III erschließt sich zunächst aus einer rechtsgeschichtlichen Betrachtung der Behandlung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten im AFG. Zunächst wurde im AFG die Lohnsteuerklasse bei der Höhe des Alg überhaupt nicht berücksichtigt. Nach §§ 111, 112 AFG wurde ab 1969 lediglich ein "Hauptbetrag" (nebst Familienzuschlägen) ermittelt, für dessen Höhe die vorherige Lohnsteuerklasse des Arbeitslosen irrelevant war. Mit dem Haushaltsstrukturgesetz-AFG vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) wurde zum 1. Januar 1976 erstmals die Berechnung des Alg nach Leistungsgruppen (entsprechend der Lohnsteuerklasse) eingeführt. Der neue § 113 AFG sah eine Berücksichtigung des Wechsels von Lohnsteuerklassen nur vor, wenn der Ehegatte des Arbeitslosen nunmehr keine oder nur noch eine Teilzeitbeschäftigung ausübte. § 113 Abs 2 AFG idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG (5. AFG-ÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189; in Kraft ab 1. August 1979) bestimmte schließlich, dass ein Steuerklassenwechsel zwischen Ehegatten bei der Höhe des Alg nur berücksichtigt wird, wenn der Arbeitslose dies beantragt. Es stand mithin zur Disposition des Arbeitslosen, ob er den Lohnsteuerklassenwechsel arbeitsförderungsrechtlich berücksichtigt haben wollte. Mit Wirkung zum 1. Januar 1981 wurde § 113 Abs 2 AFG durch das Steuerentlastungsgesetz 1981 vom 16. August 1980 (StEntlG 1981, BGBl I, 1381) neu gefasst. § 113 Abs 2 AFG lautete nunmehr:

"(2) Haben Ehegatten die Steuerklassen gewechselt, so werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem die Änderung wirksam wird. Entsprechen die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen an diesem Tage offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten, so sind die diesem Verhältnis entsprechenden Lohnsteuerklassen für die Höhe des Arbeitslosengeldes maßgebend. Ein Ausfall des Arbeitslohns, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründet, bleibt bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitslöhne außer Betracht."

Diese Fassung des § 113 Abs 2 AFG galt im Wesentlichen unverändert von 1981 bis zum Inkrafttreten des SGB III am 1. Januar 1998. Lediglich Satz 4 des Abs 2 wurde durch das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 (BGBl I, 2044) angefügt.

Zur Begründung der Neufassung des § 113 Abs 2 AFG ist in den Materialien des StEntlG 1981 (BT-Drucks 8/3901, S 77) ausgeführt:

"Ein Steuerklassenwechsel soll künftig immer dann berücksichtigt werden, wenn der Steuerklassenwechsel objektiv geboten war, beispielsweise, wenn sich der Arbeitsverdienst eines Ehegatten nach der Ausstellung der Lohnsteuerkarten erheblich verändert hat. In diesen Fällen sollen die Lohnsteuerklassen maßgebend sein, die dem Verhältnis der Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprechen."

Es war also klar erkennbarer Wille des Gesetzgebers, die "objektive Gebotenheit" eines Steuerklassenwechsels zwischen Ehegatten zu überprüfen. Unter Geltung des § 113 Abs 2 AFG hatte sich die Praxis so entwickelt, dass bei jedem Steuerklassenwechsel von Ehegatten eine Zweckmäßigkeitsprüfung seitens der Bundesanstalt (jetzt: Bundesagentur) für Arbeit (BA) zu erfolgen hatte. Bezogen zu dem Zeitpunkt, zu dem der Steuerklassenwechsel wirksam wurde, beide Ehegatten Arbeitsentgelte, so war eine steuerrechtliche Zweckmäßigkeitsprüfung vorzunehmen; bezog ein Ehegatte oder bezogen beide zu diesem Zeitpunkt Entgeltersatzleistungen, so war eine fiktive steuerrechtliche Zweckmäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung des Arbeitsentgelts erforderlich, das vor dem Bezug der Entgeltersatzleistung verdient worden war (arbeitsförderungsrechtliche Tunlichkeitsprüfung). Die von Ehepartnern geänderten Lohnsteuerklassen wurden jeweils arbeitsförderungsrechtlich zu Grunde gelegt, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen "den geringsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug zur Folge haben" (so Urteil des Senats vom 11. Februar 1988, BSG SozR 4100 § 113 Nr 7, S 44; Zusammenfassung der Rspr des BSG zu § 113 Abs 2 AFG in dem Urteil des Senats vom 4. September 2001 - BSGE 88, 299, 302 f). Das Arbeitsamt war unter Geltung des § 113 Abs 2 AFG bei einem Steuerklassenwechsel immer verpflichtet, die materielle Richtigkeit der Steuerklassenwahl im Einzelnen zu überprüfen und auch das Alg nach dem Ergebnis dieser Prüfung zu berechnen (vgl auch BSG SozR 4100 § 113 Nr 11, S 64 f). Im hier zu entscheidenden Fall hätte der Kläger also unter Geltung des § 113 Abs 2 AFG weiterhin Alg nach Leistungsgruppe C beziehen können, weil angesichts der Einkünfte seiner Ehefrau aus abhängiger Beschäftigung die Lohnsteuerklassenkombination III (Kläger)/V (Ehefrau) materiell (angesichts der Einkommensverhältnisse: aktuelles Arbeitsentgelt der Ehefrau, Arbeitsentgelt des Klägers vor dem Alg-Bezug) die richtige war. § 113 Abs 2 AFG erlaubte es mithin, dass die Ehefrau des Klägers Steuern nach Lohnsteuerklasse III bezahlt hätte, während der Kläger Alg ebenfalls unter Zugrundelegung von Lohnsteuerklasse III erhalten konnte.

Dieses Ergebnis lässt sich unter Geltung des § 137 Abs 4 SGB III einfachrechtlich nicht mehr rechtfertigen. § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III enthält zwei Alternativen der Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels zwischen Ehegatten, je nach dem, ob sich aus dem Wechsel ein höherer Anspruch auf Alg ergeben könnte.

- Hätte der Kläger auf Grund des Wechsels der Lohnsteuerklasse einen Anspruch auf höheres Alg, so prüft die BA, ob die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen (§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III).

- Hätte der Kläger auf Grund des Wechsels der Lohnsteuerklasse einen Anspruch auf niedrigeres Alg, findet der Wechsel mithin zu Ungunsten des Klägers statt (vgl zur Struktur des § 137 Abs 4 SGB III insbes Pilz in Gagel, § 137 SGB III RdNr 61 ff, Stand Juli 2003), so braucht die BA hingegen keine arbeitsförderungsrechtliche Tunlichkeitsprüfung mehr vorzunehmen, sie kann ohne jede materielle Prüfung in der Sache von der arbeitsförderungsrechtlich ungünstigeren Kombination zu Lasten der Ehepartner ausgehen (§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III).

Letzteres ist im vorliegenden Fall geschehen. Der Kläger hat die Lohnsteuerklasse V gewählt, die arbeitsförderungsrechtlich wegen ihrer Untunlichkeit zu einer geringeren Leistung führt, obwohl sie steuerrechtlich offensichtlich zweckmäßig ist. Auf Grund der Norm des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III muss er sich an dieser (arbeitsförderungsrechtlich ungünstigen) Wahl festhalten lassen. § 137 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III entbindet die BA gänzlich von einer materiellen Prüfung der arbeitsförderungsrechtlichen Tunlichkeit der Lohnsteuerklassenwahl.

Mithin stellt § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III eine Verschlechterung des Rechtszustandes im Vergleich zu § 113 Abs 2 AFG dar. Die Neufassung des § 137 Abs 4 SGB III insgesamt wird in den Materialien zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom Gesetzgeber mit lediglich einem Satz wie folgt gerechtfertigt:

"Die Vorschrift entspricht in neuem Aufbau im Wesentlichen den §§ 111 Abs 2, 113 AFG. Die Neuregelung zum Steuerklassenwechsel von Ehegatten soll stärker als das geltende Recht (§ 113 Abs 2 AFG) Manipulationen zu Lasten der Arbeitslosenversicherung verhindern" (BT-Drucks 13/4941, S 179).

Die Verfassungsgemäßheit des § 137 Abs 4 SGB III ist auch im Lichte dieser Gesetzesbegründung zu würdigen. Denn der Wechsel des "Regimes" von § 113 Abs 2 AFG zu § 137 Abs 4 SGB III könnte den Kläger in seinem Eigentumsgrundrecht aus Art 14 Abs 1 GG beeinträchtigen. Eine das Eigentumsrecht einschränkende Norm muss den Anforderungen genügen, die an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG zu stellen sind (vgl Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 39 RdNr 40 ff). Regelungen, die zu Eingriffen in eigentumsrechtlich geschützte Positionen führen, sind nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind. Dabei müssen die Eingriffe zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich sein, insbesondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein (beispielhaft BVerfGE 76, 220, 238 f). Das genannte Regelungsziel des Gesetzgebers, Manipulationen zu Lasten der Arbeitslosenversicherung zu verhindern, ist in der vorliegenden Fallkonstellation (Kläger hat bereits Alg nach Lohnsteuerklasse III <Leistungsgruppe C> bewilligt erhalten) nicht zu erreichen (so bereits zutreffend: Urteil des 11. Senats vom 29. August 2002, SozR 3-4300 § 137 Nr 3, S 15 ff). Der Kläger erhielt bereits das für ihn höchstmögliche Alg. Ein Lohnsteuerklassenwechsel in eine Lohnsteuerklasse, aus der sich ein niedrigeres Alg ergibt, stellt keine Manipulation zu Lasten der Arbeitslosenversicherung dar. Von daher stimmt bereits der angegebene Gesetzeszweck nicht mit der tatsächlichen Auswirkung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III überein.

Diese zu erheblichen Leistungseinschränkungen führende Regelung ist aber auch im Hinblick auf andere denkbare Ziele nicht erforderlich. Eine Regelung ist erforderlich, wenn keine anderen, den Bürger weniger belastenden Maßnahmen zur Verfügung stehen, mit denen das gleiche Ziel erreicht werden kann. Eine solche Regelung lag mit § 113 Abs 2 AFG vor, die auch den (arbeitsförderungsrechtlichen) Schutz von Ehepartnern bei der Wahl von "falschen" Lohnsteuerklassen nach Eintritt von Arbeitslosigkeit bezweckte. Den oben zitierten Vorgängerregelungen des § 137 Abs 4 SGB III kann ein gewisser Schutzzweck zu Gunsten von Ehepaaren nicht abgesprochen werden, den § 137 Abs 4 SGB III weitgehend aufhebt. Zwar war die obligatorische Zweckmäßigkeitsprüfung gemäß § 113 Abs 2 Satz 2 AFG verwaltungsaufwändig, jedoch ist nach dem Gesamtkonzept des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III die Beklagte keineswegs von jeder Zweckmäßigkeitsprüfung befreit, vielmehr hat sie eine solche in unsystematischer und tendenziell gleichheitswidriger (Art 3 Abs 1 GG) Weise durchzuführen (vgl sogleich 1b), wenn Ehepartner eine Lohnsteuerklassenkombination wählen, die zu einem höheren Alg führt (§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III). Hieraus folgt nicht, dass der Gesetzgeber das Regelungskonzept des § 113 Abs 2 Satz 2 AFG (aus verfassungsrechtlichen Gründen) nicht hätte aufgeben dürfen. Vielmehr ist lediglich festzuhalten, dass das neue Konzept des § 137 Abs 4 SGB III nicht erforderlich war in dem Sinne, dass eine den Bürger weniger belastende gesetzliche Regelung nicht denkbar wäre bzw zu demselben Ergebnis führen könnte. Dabei kann auch dahinstehen, ob die ursprüngliche Regelung des AFG ab 1969 vorzugswürdig wäre, nach der die Lohnsteuerklasse sich überhaupt nicht auf die Höhe des Alg auswirkte. Letztlich kann dies dahinstehen, zeigt der Vergleich unterschiedlicher Regelungsmöglichkeiten doch, dass die Regelung des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III jedenfalls im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erforderlich war. Im Hinblick auf die ab dem Jahre 2006 bestehende Rechtslage bleibt zu überdenken, ob eine Überprüfung des Lohnsteuerklassenwechsels von Ehegatten unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität ganz aufgegeben werden könnte. Nach den Regelungen des Gesetzes zur Reform am Arbeitsmarkt (vom 24. Dezember 2003, BGBl I 3002) wird der Anspruch auf Alg gemäß § 127 SGB III im Regelfall (für unter 55-jährige) nur noch zwölf Monate betragen. Da durch die Regelungen des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (sog "Hartz IV-Gesetz" vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954) die Anschluss-Alhi ab 1. Januar 2005 gänzlich entfallen wird, dürfte sich bei einem dann im Regelfall einjährigen Bezug von Alg verstärkt die Frage stellen, inwiefern der Gesetzgeber nicht generell bei der Höhe des Alg an die bei Arbeitslosmeldung vorliegende Lohnsteuerklasse anknüpfen könnte, ohne dass spätere Wechsel überhaupt Berücksichtigung finden.

Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ergeben sich Bedenken auch aus der Relation von gesetzgeberischem Ziel (Vermeidung von Missbrauch bzw Verwaltungsvereinfachung) und Tragweite des Eingriffs beim Versicherten. Letzterer verliert faktisch - zusammen mit seinem Ehegatten - das Recht, die steuerlich sinnvolle Steuerklasse zu wählen auch dann, wenn vor Eintritt der Arbeitslosigkeit die zweckmäßigen Lohnsteuerklassen gewählt worden waren. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III keinesfalls minimal und ohne weiteres hinnehmbar sind. Der Kläger "verliert" hier im konkreten Fall in acht Monaten Arbeitslosigkeit über 8.000 DM (mithin 1.000 DM monatlich), die er auch nicht später zurückerhält, weil ein "Alg-Jahresausgleich" nicht stattfindet. Durch § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III erleidet er mithin eine substanzielle Einbuße an seinem eigentumsgeschützten Recht auf Alg. Stellt man die Bedürfnisse des Bürgers - die unter Geltung des § 113 Abs 2 AFG noch gewahrt waren - und die Bedürfnisse der Verwaltung gegenüber (insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III weiterhin eine intensive Zweckmäßigkeitsprüfung geboten ist), so bestehen erhebliche Bedenken, ob die Neuregelung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III als dem Arbeitslosen zumutbar betrachtet werden kann.

b) Der Übergang von dem Regelungskonzept des § 113 Abs 2 AFG zu dem des § 137 Abs 4 SGB III kann im Rahmen des Art 3 Abs 1 GG auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt werden. Unter diesem Gesichtspunkt hat das BVerfG typisierende und pauschalierende Regelungen bei der Bestimmung der Höhe des Alg im Regelfall für zulässig erachtet (vgl Osterloh in Sachs, GG, 3. Aufl 2002, RdNr 104 ff zu Art 3 GG; Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 39 RdNr 148 ff, jeweils mwN). Die Gewährung von Alg ist ein Massenphänomen und soll nicht mit aufwändigen Einzelfallprüfungen belastet werden, wobei das BVerfG auch betont hat, dass es im Interesse des Leistungsempfängers liege, die Leistung zeitnah (schnell) zu erhalten (vgl BVerfGE 63, 255, 262). Indessen rechtfertigt die Notwendigkeit der Ordnung und verwaltungspraktikablen Bearbeitung von Massenerscheinungen in Form typisierender Regelungen nicht jede Härte im Einzelfall. Die Grenzen zulässiger Typisierung hat das BVerfG wie folgt umschrieben: Eine Typisierung setze voraus, "dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Wesentlich ist ferner, ob die Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären; hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht" (vgl BVerfGE 84, 348, 360; vgl auch BVerfGE 87, 234, 255 f; 91, 93, 115).

Insofern bestehen vielmehr Bedenken gegen das Regelungskonzept des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 und Nr 2 SGB III. Wenn einzig die Verwaltungspraktikabilität im Vordergrund der Regelung stehen würde, so ist die unterschiedliche Behandlung von Lohnsteuerklassenwechseln, die zu einem höheren und solchen, die zu einem niedrigeren Alg führen, kaum zu rechtfertigen. Denn nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III hat die Beklagte eine (verwaltungsaufwändige) materielle Zweckmäßigkeitsprüfung des Lohnsteuerklassenwechsels vorzunehmen, wenn der Alg-Anspruch des Arbeitslosen auf Grund des Lohnsteuerklassenwechsels höher ausfallen würde. Insoweit ist gegenüber der alten Rechtslage nach § 113 Abs 2 AFG keine Änderung eingetreten. Die Neuregelung kann im Einzelfall aber zu Ergebnissen führen, die im Widerspruch zur pauschalen Berücksichtigung der für das Alg "schlechteren" Lohnsteuerklasse nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III stehen.

Lag etwa bei einem arbeitslosen Ehepartner bei Arbeitslosmeldung zunächst die Lohnsteuerklasse V vor und war diese auch der Bewilligung zu Grunde gelegt worden (Leistungsgruppe D), wechselte dieser Arbeitslose aber später in Lohnsteuerklasse III (Leistungsgruppe C), so ist dieser Wechsel im Sinne des Gesetzgebers wohl "manipulativ", da mit ihm eine höhere Leistung bezweckt wird. Dieser "manipulative" Wechsel ist zu Gunsten des Arbeitslosen aber auch dann zu berücksichtigen, wenn sich nach der Zweckmäßigkeitsprüfung ergibt, dass die Kombination der Lohnsteuerklassen IV/IV die zweckmäßigste für das Ehepaar gewesen wäre. Denn im Rahmen der Zweckmäßigkeitsprüfung nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III genügt die Wahl einer bloß "zweckmäßigeren" Lohnsteuerklassenkombination (vgl BSGE 88, 299 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1). Die Wahl der zweckmäßigsten Kombination ist hier gerade nicht erforderlich. Insofern bestehen Bedenken, ob diese unterschiedliche Behandlung von Ehepaaren auch im Lichte des Art 3 Abs 1 GG gerechtfertigt werden kann. Während bei dem Ehepaar, dessen Leistungsempfänger in eine arbeitsförderungsrechtlich "schlechtere" Lohnsteuerklasse wechselt, diese gemäß § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III ohne jede Prüfung zu Grunde gelegt wird, wird zu Gunsten des Alg-Empfängers, der eine günstigere (und die Solidargemeinschaft mithin stärker belastende) Lohnsteuerklassenkombination wählt, eine umfangreiche und aufwändige Zweckmäßigkeitsprüfung durchgeführt, an deren Abschluss ihm auch dann das höchstmögliche Alg nach Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) zusteht, wenn die Kombination IV/IV steuerrechtlich die richtige gewesen wäre.

Als völlig "ungereimt" und nicht berechenbar erweist sich das Regelungskonzept des § 137 Abs 4 SGB III schließlich im Fall einer Zweckmäßigkeitsprüfung nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III, bei der ebenfalls ein Wechsel des Leistungsempfängers von Lohnsteuerklasse V in Lohnsteuerklasse III erfolgt, die Kombination III/V sich aber noch nicht einmal als die zweckmäßigere erweist, weil etwa das zu berücksichtigende Arbeitsentgelt des Partners leicht über dem der Berechnung des Alg zu Grunde liegenden Arbeitsentgelt des Arbeitslosen liegt. Stellt die Beklagte in diesem Fall nach einer aufwändigen Zweckmäßigkeitsprüfung im Rahmen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III fest, dass die Lohnsteuerklassenkombination IV/IV die zweckmäßigste wäre, so scheidet eine Berücksichtigung dennoch aus, wenn die bisherige Lohnsteuerklasse V die zweckmäßigere Lohnsteuerklasse und die vom Leistungsempfänger tatsächlich gewählte Klasse III die unzweckmäßigste aller drei möglichen Kombinationen ist. In diesem letzteren Fall wird dem Arbeitslosen dann aber auch die Gewährung von Alg nach der zweckmäßigen Lohnsteuerklasse IV verweigert, weil nach den zu Grunde liegenden Arbeitsentgelten der beiden Ehepartner für den Leistungsempfänger die neu gewählte Lohnsteuerklasse III nicht einmal die zumindest zweckmäßigere gewesen wäre. Die Beklagte müsste hier aber lediglich das mit erheblichem Aufwand gewonnene Ergebnis noch in einem Bescheid "umsetzen", was sie aber auf Grund des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III unterlassen darf.

Hierbei ist auch zu beachten, dass nach § 137 Abs 4 Satz 1 iVm § 137 Abs 4 Satz 2 SGB III hinsichtlich der Ermittlung der jeweils für den steuerrechtlichen Vergleich zu Grunde zu legenden Arbeitsentgelte der Ehegatten auf den Tag abzustellen ist, an dem der Lohnsteuerklassenwechsel wirksam wurde (vgl umfassend BSG SozR 4100 § 113 Nr 7). Damit ist insbesondere für einen Arbeitslosen, der bereits im Bezug einer Lohnersatzleistung ist, auch die Frage, von welchem (insofern fiktiven) Arbeitsentgelt bei ihm die Arbeitsverwaltung gemäß § 137 Abs 4 Satz 2 SGB III jeweils ausgehen wird, nicht einfach zu beantworten, sodass stets von Unwägbarkeiten abhängig ist, von welchem "Arbeitsentgelt" bei dem Vergleich der Ehegatteneinkommen auszugehen ist bzw welche Gestaltung sich als zweckmäßig (oder zweckmäßiger) erweist und ggf im Rahmen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III noch zu berücksichtigen ist oder nicht. Der Senat tritt nicht zuletzt deshalb den Ausführungen des 11. Senats des BSG bei, der auf den Wertungswiderspruch zwischen den steuerrechtlichen Regelungen und deren arbeitsförderungsrechtlichen Konsequenzen hingewiesen hat (BSG SozR 3-4300 § 137 Nr 3, S 15 f). Die dem Leistungsempfänger bereits durch Bescheid bewilligte grundrechtsgeschützte Rechtsposition (Anspruch auf Alg nach Leistungsgruppe C) wird nachträglich eingeschränkt, nur weil er eine steuerrechtlich zulässige und vielleicht sogar steuerrechtlich erwünschte Handlungsoption wahrgenommen hat. Arbeitsförderungsrechtlich lässt sich diese - zum Teil erhebliche - Einbuße jedenfalls nicht rechtfertigen. Die Beitragshöhe bemisst sich ohnehin nach dem Bruttoentgelt (§ 341 Abs 3 SGB III), ohne dass es hierfür auf die Lohnsteuerklasse ankäme, und durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse ändert sich auch am leistungsrechtlichen Status des Arbeitslosen (Verfügbarkeit, Beschäftigungssuche) nichts. Die Gefahr erheblicher Einbußen bei der Höhe des Alg wegen eines Steuerklassenwechsels erschließt sich dem Laien somit nicht unmittelbar, und es kann keinesfalls unterstellt werden, dass die Folgen sich aus der "Natur der Sache" herleiten oder "auf der Hand liegen".

Von daher vermag auch das Argument, der Arbeitslose wähle schließlich "in freier Entscheidung" die für ihn arbeitsförderungsrechtlich schlechtere Lohnsteuerklasse und müsse sich folglich an dieser "freien Wahl" festhalten lassen (ebenso Pawlak in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 11 RdNr 323), wenig zu überzeugen. Dieses Argument könnte nur verfangen, wenn unterstellt werden könnte, dass die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Rechtsfolgen (unter Unterstellung der fiktiven Situation einer rationalen Wahl) die Steuerklassenwahl getroffen hätten. Wie dargelegt ist es aber auch für einen Fachmann äußerst schwer einzuschätzen, welche leistungsrechtlichen Folgen ein Lohnsteuerklassenwechsel haben kann. Auch der hier zu entscheidende Fall zeigt, dass die steuerrechtlich aktuell zweckmäßigere Wahl für die Ehegatten (Ehefrau Lohnsteuerklasse III/Kläger Lohnsteuerklasse V) ab 1. September 1999 zwar einen geringen Steuervorteil zur Folge hatte, arbeitsförderungsrechtlich aber zu erheblichen Einbußen beim Kläger führte, die auch nicht - im Rahmen eines "Alg-Jahresausgleichs" - wieder reparabel sind. Von einer "freien Wahl" der Lohnsteuerklasse durch den Arbeitslosen kann danach nur ausgegangen werden, wenn ihm zuvor die arbeitsförderungsrechtlichen Konsequenzen eines derartigen Wechsels deutlich vor Augen geführt worden sind (hierzu sogleich unter 2.)

2. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Regelungskonzept des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III zwingen nicht zu einer Vorlage gemäß Art 100 Abs 1 GG an das BVerfG, weil die Beklagte ihnen durch Maßnamen im Verwaltungsvollzug begegnen kann. Die aus den Ungereimtheiten des Regelungskonzepts des § 137 Abs 4 SGB III und aus dem Wertungswiderspruch zur steuerrechtlichen Gestaltungsfreiheit sich ergebenden verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht mehr durch, wenn der Arbeitslose rechtzeitig in die Lage versetzt wird, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dies erfordert allerdings einen das übliche Maß erheblich übersteigenden Beratungsbedarf. Auch insoweit stimmt der erkennende Senat mit dem 11. Senat überein (BSG SozR 3-4300 § 137 Nr 3 S 17). Die Beklagte ist zunächst generell gehalten, verheiratete Arbeitslose auf die Rechtsfolgen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 und Nr 2 SGB III hinzuweisen und vor einem Lohnsteuerklassenwechsel ohne vorherige Beratung durch die Agenturen für Arbeit zu warnen. Ein solcher Hinweis muss über die übliche Aushändigung eines Merkblattes deutlich hinausgehen, da das Merkblatt sachnotwendig eine solche Vielzahl von Informationen enthält, dass in der Menge die besonderen Gefahren des Lohnsteuerklassenwechsels nicht ausreichend betont werden und damit von einem Laien nicht ausreichend verarbeitet werden können. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass das Merkblatt der Beklagten generell ein untaugliches Mittel der Aufklärung und Beratung der Versicherten darstellt. Vielmehr ist lediglich und ausschließlich der besonderen Situation im Rahmen des Lohnsteuerklassenwechsels Verheirateter Rechnung zu tragen. Nur die verfassungsrechtlichen Zweifel gegenüber § 137 Abs 4 SGB III begründen eine gesonderte und hervorgehobene Beratungspflicht der Beklagten, die über die übliche Aushändigung eines Merkblattes hinausgeht. Denn erst durch die konkrete, auf die Warnung folgende Beratung, die dem Versicherten als Laien deutlich macht, in welche leistungsrechtlichen Gefahren er sich im Arbeitsförderungsrecht bei einem steuerrechtlich sinnvollen Steuerklassenwechsel mit seinem Ehepartner begibt, wird der Arbeitslose überhaupt in die Lage versetzt, eine rationale Wahl (unter Abschätzung aller Rechtsfolgen) zu treffen. Nur wenn - eine intensivere Beratung durch die Beklagte unterstellt - der Versicherte sich bewusst (in Ansehung der arbeitsförderungsrechtlichen Folgen) für eine bestimmte Lohnsteuerklassenkombination entschieden bzw trotz der vorherigen Warnhinweise, den Wechsel ohne weitere Beratung einzuholen vollzogen hat, kann der Versicherte an eine "freie Wahl" der Steuerklasse gebunden werden und hat die mit dieser Wahl verbundenen arbeitsförderungsrechtlichen Konsequenzen zu tragen. Nimmt er das Beratungsangebot, das mit der Warnung ausgesprochen wurde, nicht wahr, so geht dies zu Lasten des Arbeitslosen und ggf sogar zu Lasten dessen Ehegatten.

Die Merkblätter der Beklagten für die Jahre 1998 und später genügen diesen Anforderungen nicht. In dem Merkblatt für 1999 (Stand April 1999), das der Kläger hier erhalten haben dürfte, obwohl dies vom LSG nicht eindeutig festgestellt worden ist, wird erst auf S 31 (!) im Wesentlichen der Gesetzestext des § 137 Abs 4 SGB III paraphrasiert. Zwar ist - wie bereits im Merkblatt 1998 - in einem schwarzen Kasten der Hinweis hervorgehoben: "Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden. Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein." Mit diesem gesonderten Hinweis, den die Beklagte in ihrem Revisionsvorbringen ebenfalls hervorhebt, ist aber noch nicht deutlich gemacht, dass überhaupt und welche Gefahren bei einem Steuerklassenwechsel für die Anspruchshöhe drohen. Gerade ein Arbeitsloser, der bereits Alg nach Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) erhält, muss hier einen Hinweis erhalten, der ihm klar aufzeigt, dass jeder Lohnsteuerklassenwechsel eine erhebliche Anspruchseinbuße im Rahmen der Arbeitslosenversicherung zur Folge haben kann. Dieser Hinweis muss außerhalb des üblichen Merkblattes etwa auf einem gesonderten Blatt erfolgen und inhaltlich so gefasst sein, dass für einen Laien verständlich und klar zu erkennen ist, dass das Alg bei einem Lohnsteuerklassenwechsel niedriger ausfallen kann und ein solcher Schritt damit in jedem Falle leistungsrechtlich "gefährlich" ist.

3. Wenn die Beklagte den aufgezeigten Beratungspflichten nicht nachgekommen ist, kann dem Kläger aus der Verletzung dieser Pflichten ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen.

Der Anspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht (a), insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 SGB I), verletzt hat (b). Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang (c) besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (d). Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (e) (vgl zB Senatsurteil vom 25. Januar 1994, BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 S 37 mwN).

Einem Herstellungsanspruch des Klägers im Bereich des "Steuerklassenwechsels" steht die bisherige Rechtsprechung des BSG nicht entgegen. Der Kläger wäre - unterstellt, er hätte den Steuerklassenwechsel zum 1. September 1999 unterlassen, wenn er hinreichend bei Arbeitslosmeldung von der Beklagten vor den leistungsrechtlichen Konsequenzen eines Steuerklassenwechsels gewarnt oder über diese beraten worden wäre, was das LSG noch festzustellen haben wird - so zu stellen, als hätte er den Wechsel von Lohnsteuerklasse III zur Lohnsteuerklasse V unterlassen. Die Beklagte kann den Kläger auch "so stellen", als hätte er die Lohnsteuerklasse nicht gewechselt. Eine solche Rechtsfolge entspricht der "Funktion" der Norm des § 137 Abs 4 SGB III und liegt damit auch im rechtlich zulässigen Handlungs- und Zuständigkeitsbereich der Beklagten.

Beide für das Arbeitsförderungsrecht zuständigen Senate des BSG haben zwar entschieden, dass im Wege des Herstellungsanspruchs eine in die Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse nicht durch eine günstigere Steuerklasse ersetzt werden könne (7. Senat: Senatsurteil vom 10. Dezember 1980 - 7 RAr 14/78, DBlR Nr 2689a zu § 113 AFG; ebenso Senatsurteil vom 18. März 1982 - 7 RAr 11/81, DBlR Nr 2770a zu § 111 AFG; als obiter dictum im Rahmen einer ausführlichen Darstellung der Differenzierung zwischen "ersetzbaren" und "nicht ersetzbaren" Voraussetzungen wiederholt im Senatsurteil vom 25. Januar 1994, SozR 3-4100 § 249e Nr 4; wiederum tragender Grund im Senatsurteil vom 1. Juni 1994 - 7 RAr 86/93, DBlR Nr 4144a zu § 249b AFG; 11. Senat: Urteil vom 30. Mai 1990 - 11 RAr 95/89, DBlR Nr 3731a zu § 113 AFG). Die Entscheidungen stehen jedoch letztlich der Annahme eines Herstellungsanspruchs im hier zu entscheidenden Fall nicht im Wege.

Die zitierte Rechtsprechung hat der Senat in seinem Urteil vom 10. Dezember 1980 (7 RAr 14/78, DBlR Nr 2689a zu § 113 AFG) so begründet, dass im Wege des Herstellungsanspruchs die Vornahme einer gesetzeswidrigen Amtshandlung nicht begehrt werden könne. Im Falle der damaligen Klägerin hätte die Beklagte entgegen den Vorschriften der §§ 111, 113 AFG von einer Lohnsteuerklasse ausgehen müssen, die nicht auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin eingetragen war. Ein solcher Herstellungsanspruch hätte sich - so der Senat - nur dann durchsetzen lassen, wenn die streitige Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin tatsächlich eingetragen gewesen wäre (§ 111 Abs 2 Nr 1 Buchst a AFG). Dem stehe jedoch entgegen, dass für die Eintragung der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte die Gemeinde als örtliche Landesfinanzbehörde zuständig sei (§ 39 Abs 3 und 6 Einkommensteuergesetz). Es handele sich hierbei um eine Tatbestandsvoraussetzung, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Beklagten liege und aus diesem Grunde im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht ersetzt werden könne. Die (damalige) Klägerin wurde daher auf den Amtshaftungsanspruch verwiesen (insoweit übereinstimmend auch Senatsurteil vom 18. März 1982, DBlR Nr 2770a zu § 111 AFG; im Ergebnis ebenso unter jeweiliger Bezugnahme auf das Urteil vom 10. Dezember 1980 auch die Urteile BSG SozR 3-4100 § 249e und vom 1. Juni 1994, DBlR Nr 4144a zu § 249b AFG).

Der 11. Senat hat sodann in seinem Urteil vom 30. Mai 1990 (DBlR Nr 3731a zu § 113 AFG) das Vorliegen eines Beratungsfehlers des Arbeitsamts im konkreten Fall dahingestellt sein lassen, da selbst für diesen Fall die Beklagte nicht zu einer anderen Entscheidung verurteilt werden könne, denn die in der Steuerkarte eingetragene Steuerklasse habe für die Berechnung des Alg Tatbestandswirkung. Diese sei der Disposition der Beklagten entzogen. Dementsprechend komme ein sogenannter Herstellungsanspruch nicht in Betracht, weil dieser nur dann gegeben sei, wenn ein Lebenssachverhalt vorliege, der den geltend gemachten Anspruch rechtfertige.

In dieser allgemeinen Form stimmte die Argumentation schon mit der damaligen Gesetzeslage nicht überein, wenn sie sich auch in den entschiedenen Einzelfällen als im Ergebnis zutreffend erwies. Bereits seit der oben unter 1) zitierten Änderung des § 113 AFG durch das 5. AFG-ÄndG mit Wirkung ab 1. August 1979 waren unter Umständen auch nicht eingetragene Lohnsteuerklassen der Bemessung des Alg zu Grunde zu legen. Dies war dann der Fall, wenn nach einem Steuerklassenwechsel zwischen Ehegatten dieser auf Antrag berücksichtigt werden sollte und "die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragene Lohnsteuerklasse dem für die Wahl der Lohnsteuerklasse maßgebenden Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht entsprach" (§ 113 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG). Dann galt nicht die Lohnsteuerklasse, in die gewechselt worden war, sondern diejenige, "die dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten zu Beginn des Kalenderjahres entsprochen hätte" (aaO Satz 3). Im Zeitpunkt des zitierten Urteils war ferner bereits das StEntlG 1981 (vom 16. August 1980, BGBl I 1381) verkündet, nach dem § 113 Abs 2 Satz 1 und 2 AFG die bis zum 31. Dezember 1997 geltende Fassung (siehe oben unter 1) erhalten hat und nach der von der Beklagten - wie ausgeführt - die Zweckmäßigkeit der Wahl der Lohnsteuerklassenkombination von Ehegatten in vollem Umfang und ohne Bindung an die tatsächlich eingetragenen Lohnsteuerklassen zu überprüfen war.

Entgegen den Ausführungen des Senats zum Herstellungsanspruch in den Urteilen vom 10. Dezember 1980 (aaO) und vom 18. März 1982 (aaO) bestand also bereits damals keine ausnahmslose Bindung an die eingetragene Lohnsteuerklasse. Im Ergebnis freilich könnte man diese Bindung aus den jeweils besonderen Umständen der beiden konkret entschiedenen Fälle herleiten. Denn die Änderungen durch das 5. AFG-ÄndG und das StEntlG 1981 waren auch angesichts der Übergangsregelungen in § 113 Abs 3 und 4 AFG jeweils nicht einschlägig, da keine Änderung der Lohnsteuerklassen vorgenommen worden war. Dann aber konnte in der Tat weiterhin nur die eingetragene Steuerklasse berücksichtigt werden.

Jedenfalls war aber die Aussage irreführend, die Beklagte könne nur "entgegen den Vorschriften der §§ 111, 113 AFG" von einer Lohnsteuerklasse ausgehen, die nicht auf der Lohnsteuerkarte eingetragen sei. Diese Ausführungen des Senats in den Urteilen vom 10. Dezember 1980 und vom 18. März 1982 haben dann jedoch augenscheinlich dazu geführt, dass in der Folgezeit das Urteil des 11. Senats vom 30. Mai 1990 sowie die Senatsurteile vom 25. Januar 1994 (insoweit obiter dictum) und vom 1. Juni 1994 - soweit erkennbar, ohne nähere Prüfung - von einem uneingeschränkten Rechtssatz ausgingen, dass im Wege des Herstellungsanspruchs eine in die Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse nicht durch eine andere (günstigere) ersetzt werden könne.

Bei genauerer Prüfung ergibt sich allerdings wiederum, dass auch in den später entschiedenen Fällen kein vorheriger Lohnsteuerklassenwechsel vorgenommen worden war. Mithin fehlten gerade die Grundvoraussetzungen dafür, eine andere als die eingetragene Lohnsteuerklasse der Leistungsberechnung zu Grunde zu legen. Der 11. Senat hatte im Urteil vom 30. Mai 1990 (DBlR Nr 3731a zu § 113 AFG) bei einer (im Dezember 1986 beantragten und am 6. Januar 1987 durchgeführten Änderung der Lohnsteuerkarten - Tausch der Steuerklassen V und III -) keinen Lohnsteuerklassenwechsel iS des § 113 Abs 2 AFG (während des Kalenderjahres; hierzu Senatsurteil vom 25. August 1987, SozR 4100 § 113 Nr 6 S 39f) gesehen. Damit lag aber - wie bei den Urteilen des erkennenden Senats 1980 und 1982 - kein Fall vor, der die Berücksichtigung einer nicht aktuell eingetragenen Steuerklasse ermöglicht hätte. Nichts anderes gilt für das Senatsurteil vom 1. Juni 1994 (DBlR Nr 4144a zu § 249e AFG). Auch hier war nie ein Lohnsteuerklassenwechsel erfolgt. Die dortige Klägerin machte lediglich geltend, sie sei nicht über die Möglichkeit eines derartigen Wechsels mit Folgen für die Leistungshöhe (damals Altersübergangsgeld) beraten worden. Damit schied ebenfalls die Berücksichtigung einer nicht aktuell eingetragenen Steuerklasse aus.

Nach alledem aber ist im Fall des Klägers der Weg frei für die Prüfung eines Herstellungsanspruchs in Abgrenzung zu der bisherigen Rechtsprechung des Senats und ohne Anfrage beim 11. Senat. Es liegt auch keine Divergenz zur bisherigen Senatsrechtsprechung vor, wonach im Grundsatz der zu einem Herstellungsanspruch führende Nachteil mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Amtshandlung, ausgleichbar zu sein hat, bzw wie im Fall der fehlenden Arbeitslosmeldung eine Ersetzung auf Grund der gesetzlichen Funktion der Arbeitslosmeldung nicht möglich ist (hierzu zB Senatsurteil vom 21. Juni 2001, BSGE 88, 180, 184 = SozR 3-4300 § 150 Nr 1 unter Bezug auf: BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 14, S 56 <Arbeitslosmeldung: Ersetzung nicht möglich>; BSGE 58, 104, 109 = SozR 4100 § 103 Nr 36 <Verfügbarkeit: Ersetzung nicht möglich>; BSGE 51, 89, 94 = SozR 2200 § 381 Nr 44 <Versäumung von Ausschlussfristen: Ersetzung möglich>; BSG SozR 3-4100 § 110 Nr 2, S 10 <Verschiebung der Antragstellung auf ein späteres Datum: möglich>).

Die Gewährung von Alg nicht nach der aktuellen, sondern nach der zuvor eingetragenen Lohnsteuerklasse sieht das Gesetz jedenfalls vor. Nach der hier anzuwendenden Neuregelung durch das SGB III kann auch weiterhin - wie bereits nach § 113 Abs 2 AFG - eine nicht eingetragene Lohnsteuerklasse die Höhe des Alg bestimmen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn bei einem Wechsel der Lohnsteuerklassen unter Ehegatten die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten nicht oder zumindest nicht besser (vgl BSGE 88, 299 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1) entsprechen (§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III, vgl oben unter 1b). Ebenso besteht von Gesetzes wegen keine Bindung an die tatsächlich eingetragene Lohnsteuerklasse, wenn sich auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein niedrigeres Alg ergibt (§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2), wovon im hier zu entscheidenden Fall die Beklagte auch ausging. Unter Geltung des § 137 Abs 4 SGB III ist somit nach einem Wechsel der Lohnsteuerklassen die Zahlung von Alg entweder auf der Grundlage der neuen Lohnsteuerklasse möglich oder aber derjenigen, die vor dem Wechsel eingetragen war.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Gewährung von Alg an den Kläger nach Lohnsteuerklasse III (Leistungsgruppe C) keine von vornherein "gesetzwidrige Handlung" darstellen würde und auch die Funktion der Anbindung der Leistungshöhe an die Lohnsteuerklasse dem nicht widerspricht. Darüber hinausgehende Forderungen an die "Ersetzbarkeit" einer nicht vorliegenden Leistungsvoraussetzung sind nicht angebracht. Denn der Herstellungsanspruch kommt immer nur dann zum Einsatz, wenn die bestehenden gesetzlichen Regelungen keine Korrektur zulassen. Damit geht es in diesen Fällen um die Gewährung von Sozialleistungen auch dann, wenn nicht sämtliche Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Die "ersetzbaren" Handlungen können daher nicht auf die Fälle verspäteter Antragstellung, verspäteter Beitragsentrichtung oder verspäteter Vorlage von Unterlagen beschränkt werden.

Sollte die Beklagte ihre Beratungspflichten verletzt haben, könnte der Kläger von der Beklagten so gestellt werden, als hätte er den Wechsel zur Lohnsteuerklasse V zum 1. September 1999 nicht vorgenommen. Ob die subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X iVm § 330 Abs 3 SGB III im Hinblick auf die unterlassene Meldung des Steuerklassenwechsels - wie der 11. Senat angenommen hat - nach einem generellen Maßstab der groben Fahrlässigkeit zu beurteilen sind (SozR 3-4300 § 137 Nr 3 S 16), lässt der Senat noch offen, zumal dieser in Fallkonstellationen, in denen keine Erstattungsforderung gemäß §§ 48, 50 SGB X im Raume steht, ohnehin nicht zur Ausräumung der verfassungsrechtlichen Bedenken beitragen kann. Der Senat hat insoweit Bedenken, dem 11. Senat zu folgen, zumal dieser seine Entscheidung im Hinblick auf die vorliegende Entscheidung des erkennenden Senats zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch möglicherweise nicht aufrecht erhalten wird. Es ist deshalb untunlich, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Das LSG wird noch Feststellungen zur Kausalität der Pflichtverletzung für das Handeln des Klägers zu treffen haben. Es ist im Einzelnen festzustellen, ob der Kläger den Wechsel in Lohnsteuerklasse V unterlassen hätte, wenn die Beklagte ihn zuvor entsprechend der oben unter 2) aufgezeigten Anforderungen beraten hätte.

Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

Ende der Entscheidung

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