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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 04.09.2001
Aktenzeichen: B 7 AL 6/01 R
Rechtsgebiete: BRAGO, AFG


Vorschriften:

BRAGO § 8 Abs 2 Satz 2
BRAGO § 116 Abs 2
AFG § 128
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az: B 7 AL 6/01 R

in dem Rechtsstreit

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 4. September 2001 durch den Richter Dr. Steinwedel - als Vorsitzenden -, die Richter Eicher und Dr. Spellbrink sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Brandenburg und die ehrenamtliche Richterin Dörr

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. November 2000 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22. März 2000 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Höhe zu erstattender Anwaltskosten für ein isoliertes Widerspruchsverfahren; die Beteiligten streiten über den Gegenstandswert.

Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) stellte mit formularmäßigem Bescheid vom 28. Mai 1997 fest, die Klägerin sei verpflichtet, das dem früheren Arbeitnehmer der Klägerin, Wilhelm S. (S.), ab 10. September 1998 "gezahlte" Arbeitslosengeld bzw die Arbeitslosenhilfe und die hierauf entfallenen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie zur sozialen Pflegeversicherung für längstens 624 Tage zu erstatten. Der Vordruck führt zur Begründung aus: "Der o.g. Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 56. Lebensjahres beendet wurde, war in Ihrem Unternehmen innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit mindestens 720 Kalendertage beitragspflichtig beschäftigt. Er erfüllt derzeit nicht die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit." Weitere, zum Ankreuzen vorgesehene Ausführungen zur Begründung (zB: "Umstände, die nach § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 7 bzw. Abs. 2 Nr. 2 AFG den Nichteintritt der Erstattungspflicht rechtfertigen, wurden nicht vorgetragen und sind auch nach Aktenlage nicht erkennbar.") sind nicht markiert. Auf den Widerspruch hob die Beklagte den Bescheid in vollem Umfang auf und entschied, die notwendigen und nachgewiesenen Kosten des Widerspruchsverfahrens seien auf Antrag zu erstatten.

Mit der Kostennote vom 25. August 1997 machten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin einen Erstattungsanspruch von 1.137,12 DM geltend. Dabei gingen sie von einer 7,5/10 Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von 35.736,48 DM aus. Die Beklagte, die die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts anerkannte, errechnete einen Gesamterstattungsbetrag von 603,75 DM, der nach dem Widerspruchsbescheid auf einer 7,5/10 Gebühr nach einem Gegenstandswert von 8.000 DM beruhte (Bescheid vom 24. September 1997; Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1998). Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, zum Bescheid vom 28. Mai 1997 habe aus der Sache heraus kein Gegenstandswert festgelegt werden können, weil damit lediglich die Grundlage für eine eventuelle Forderung habe gelegt werden sollen. Es müsse daher der für nichtvermögensrechtliche Verfahren geltende Wert von 8.000 DM als Gegenstandswert herangezogen werden.

Auf die Klage hat das Sozialgericht Köln (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte (antragsgemäß) verurteilt, der Klägerin weitere 533,37 DM (insgesamt Kosten nach einem Gegenstandswert von 35.736,48 DM) zu zahlen (Urteil vom 22. März 2000). Die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 30. November 2000 zurückgewiesen. Das LSG hat sich der Ansicht des SG angeschlossen, der nicht bezifferte Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) habe einen bezifferbaren wirtschaftlichen Wert. Die Auffangvorschrift des § 8 Abs 2 Satz 2 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) sei deshalb nicht anzuwenden. Auch ein Grundlagenbescheid, der eine Erstattungspflicht lediglich dem Grunde nach ausspreche, habe - wie Statusbescheide im Bereich des Kassenarztrechts - einen wirtschaftlichen Wert. Ergänzend hat das LSG auf Rechtsprechung hingewiesen, die den Gegenstandswert von Bescheiden über den Grund von Beiträgen nach den zu erwartenden Beiträgen bestimmt (zB BVerwG NVwZ 1988, 1019). Auch wenn der Grundlagenbescheid keinen konkreten vermögensrechtlichen Anspruch zum Gegenstand habe, sei er doch auf eine geldwerte Leistung gerichtet. Allerdings sei die Klägerin durch einen Grundlagenbescheid weniger belastet als durch einen vollstreckbaren Erstattungsbescheid. Mangels konkreter Anhaltspunkte sei deshalb ein Abschlag von 20 % angemessen. Da die Beklagte im Falle S. einen Betrag in Höhe von 74.250,44 DM für die Zeit vom 10. September 1998 bis 27. November 1999 (Beginn des Rentenbezugs) errechnet habe, ergebe sich hier bei einem Abschlag von 20 vH ein Gegenstandswert von 59.400,35 DM. Dieser Wert sei höher als der von der Klägerin geltend gemachte und vom SG ausgeurteilte. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei nicht zu folgen, weil diese "mit der kostenrechtlichen Auslegung des Begriffs der nicht vermögensrechtlichen Gegenstände nicht in Einklang" stehe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 8 Abs 2 Satz 2 BRAGO. Sie führt aus, für die Berechnung von Anwaltsgebühren nach § 116 Abs 2 BRAGO seien die allgemeinen Vorschriften maßgebend. Da der Gegenstandswert sich nicht aus den in § 8 Abs 2 Satz 2 BRAGO angeführten Vorschriften ergebe und auch sonst nicht feststehe, sei er nach billigem Ermessen zu bestimmen. Da genügende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung nicht gegeben seien, sei ein Gegenstandswert von 8.000 DM anzunehmen. Dies entspreche der Rechtsprechung des BSG zu Grundlagenbescheiden nach § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Nur soweit tatsächlich Abrechnungsbescheide ergangen seien, sei deren Gegenstandswert außerdem zu berücksichtigen. Mit dem sog Grundlagenbescheid habe jedenfalls nicht vollständig über das Vorliegen der Erstattungsvoraussetzungen entschieden werden können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. November 2000 sowie das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22. März 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Berufungsurteil. Der Streit um die Rechtmäßigkeit des Grundlagenbescheides sei eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Der Bescheid habe eine Entscheidung über die Erstattungspflicht getroffen. Von irgendwelchen Einschränkungen oder Zweifeln sei insoweit nicht die Rede gewesen.

II

Die Revision der Beklagten hat Erfolg, denn die Entscheidung des LSG beruht auf einer Verletzung des § 8 Abs 2 Satz 2 BRAGO. Der Klägerin steht ein über die festgesetzten 603,75 DM hinausgehender Kostenerstattungsanspruch nicht zu.

Der erkennende Senat schließt sich auch für den vorliegenden Fall der Rechtsprechung des 11. Senats des BSG an (s dessen Urteil vom 22. März 2001 - B 11 AL 91/00 R -, das den Beteiligten zur Kenntnis übermittelt worden ist). Im einzelnen gilt folgendes:

Soweit ein Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendung zu erstatten (§ 63 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch <SGB X>). Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs 2 SGB X). Über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren bestimmt die Kostenentscheidung (§ 63 Abs 3 Satz 2 SGB X).

Die erstattungsfähigen Anwaltsgebühren werden in Verfahren aufgrund von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach dem Gegenstandswert berechnet (§ 116 Abs 2 Nr 3 BRAGO). Diese Regelung bezieht sich allerdings unmittelbar nur auf das sozialgerichtliche Verfahren. Außerhalb des gerichtlichen Verfahrens regelt § 118 Abs 1 Nr 1 BRAGO anwaltliche Gebührenansprüche. Danach erhält der Anwalt 5/10 bis 10/10 der vollen Gebühr für das Betreiben des Geschäfts. An diesen Rahmen hat sich die Beklagte bei der Festsetzung gehalten. Weitere Vorschriften über die Bemessung von Anwaltsgebühren für die Tätigkeit in Verwaltungsverfahren enthält das Gesetz nicht. Nach § 2 BRAGO sind auch für das Verwaltungsverfahren die Vorschriften für das gerichtliche Verfahren sinngemäß anzuwenden (Madert in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 14. Aufl 1999, § 118 RdNr 21). Dies gilt für die Wertvorschriften um so mehr, als das Verwaltungsverfahren (§ 119 Abs 1 BRAGO) mit dem Grundlagenbescheid einen Gegenstand betraf, der auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte. Die Anwendung des § 8 Abs 2 BRAGO entspricht mithin einem in § 8 Abs 1 Satz 2 BRAGO in anderem, aber vergleichbarem Zusammenhang enthaltenen Rechtsgedanken (Madert in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, aaO § 8 RdNr 13). Da für das Verfahren der Sozialleistungsträger Gebühren nicht erhoben werden (§§ 1, 64 Abs 1 SGB X) und mithin Wertvorschriften nicht vorgesehen sind, ist der Gegenstandswert nach § 8 Abs 2 BRAGO festzusetzen. Der Gegenstandswert ergibt sich aus den in § 8 Abs 2 Satz 1 BRAGO angeführten Vorschriften der Kostenordnung (KostO), die sich auf privatrechtliche Gegenstände beziehen, auch nicht sinngemäß. Da ferner der Gegenstandswert des Grundlagenbescheides nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen.

Die Vorinstanzen haben in rückschauender Betrachtung die für die Zeit vom 10. September 1998 bis 27. November 1999 in Betracht kommenden Erstattungsleistungen als Anhaltspunkt für eine Schätzung herangezogen und im Hinblick darauf, daß die Beklagte lediglich einen Grundlagen-, nicht aber einen Erstattungsbescheid erlassen habe, einen Abschlag in Höhe von 20 % des errechneten Betrags vorgenommen. Demgegenüber folgt der erkennende Senat der Rechtsprechung des 11. Senats (Urteil vom 22. März 2001 - B 11 AL 91/00 R), weil es bei dem Grundlagenbescheid im vorliegenden Fall an hinreichenden Anhaltspunkten für eine Schätzung nach der sich für den Kläger ergebenden Bedeutung der Sache (vgl § 13 Abs 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz <GKG>) fehlt.

Die Beklagte hat den Grundlagenbescheid vom 28. Mai 1997 zu einem Zeitpunkt erlassen, in dem sie über den Grund des Erstattungsanspruchs noch nicht entscheiden konnte. Eine Erstattung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit an den am 10. September 1940 geborenen S. kamen nämlich erst über ein Jahr später, ab 10. September 1998 (Vollendung des 58. Lebensjahres) in Betracht. Ob S. zu diesem Zeitpunkt noch arbeitslos und verfügbar sein würde, ließ sich zum Zeitpunkt des Erlasses des Grundlagenbescheides noch nicht beurteilen. Soweit der Grundlagenbescheid überhaupt eine Regelung iS des § 31 SGB X enthält, läuft sie im Ergebnis auf die Feststellung von positiven oder negativen Elementen eines Erstattungsanspruchs hinaus - hier, neben der Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis des bei der Klägerin beschäftigten S. nach Vollendung von dessen 56. Lebensjahr beendet worden sei, insbesondere der Feststellung, daß S. "derzeit" nicht die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs 1 Satz 2 Nr 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfülle.

Da sich die Beklagte mit dem Erlaß von Grundlagenbescheiden der Möglichkeit berühmt, mit diesen Verwaltungsakte zu erlassen, die Bindungswirkung für die noch zu erlassenden Erstattungsbescheide entfalten, haben die Adressaten Anlaß, Grundlagenbescheiden mit Rechtsbehelfen entgegenzutreten. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß die "Bedeutung der Sache" iS des hier heranzuziehenden § 13 Abs 1 GKG für die Klägerin geringer ist als bei einem Bescheid, der eine konkrete Zahlungspflicht regelt. Der Hinweis des LSG auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Gegenstandswert von Beitragsbescheiden dem Grunde nach (BVerwG vom 8. September 1997, Buchholz 360 § 25 GKG Nr 2 = NVwZ 1988, 1019) wird deshalb der unterschiedlichen Fallgestaltung nicht gerecht.

Da sich die Regelung des Grundlagenbescheides im wesentlichen darin erschöpft, das "derzeitige" Vorliegen von Voraussetzungen eines künftigen, komplexen, Erstattungsanspruchs festzustellen (hier: § 128 Abs 1 Satz 2 Teilsatz 1 AFG), können mehr als ein Jahr und drei Monate später entstehende Ansprüche von S. wegen Arbeitslosigkeit keinen Anhaltspunkt für die Schätzung des Gegenstandswertes des Grundlagenbescheides abgeben. Maßgebend für die Schätzung des Gegenstandswerts ist grundsätzlich der mit dem Rechtsstreit angestrebte unmittelbare wirtschaftliche Erfolg. Der mittelbare wirtschaftliche Erfolg des Rechtsstreits ist nicht zu berücksichtigen (vgl zur Revisionssumme zB Bundesfinanzhof <BFH> vom 13. September 1985, BFHE 144, 341, 342 f mwN). Genügende tatsächliche Anhaltspunkte iS des § 8 Abs 2 Satz 2 BRAGO für eine Schätzung des unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolgs liegen nicht vor.

Diese Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn es sich - wie hier - um einen vermögensrechtlichen Gegenstand handelt. Das zeigt insbesondere § 30 KostO, dem § 8 Abs 2 Satz 2 BRAGO nachgebildet ist. Die hier in zwei Halbsätzen geregelten Fallgestaltungen regelt § 30 KostO in zwei Absätzen (vgl dazu näher Madert in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 14. Aufl 1999, § 8 RdNr 23). Die Merkmale "Ermangelung tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und nicht vermögensrechtliche Anwendungsfälle" betreffen verschiedene Anwendungsfälle und nicht etwa kumulative Voraussetzungen für die Berücksichtigung des subsidiären Gegenstandswerts von 8.000 DM.

Da Anhaltspunkte für eine Schätzung des Gegenstandswertes nicht vorliegen und der Grundlagenbescheid der Sache nach lediglich den Tatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Teilsatz 1 AFG betrifft, besteht kein Anlaß, von dem in § 8 Abs 2 Satz 2 BRAGO vorgesehenen Wert von 8.000 DM abzuweichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Ende der Entscheidung

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