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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 25.06.1999
Aktenzeichen: B 7 AL 86/98 R
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art 3 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 25. Juni 1999

Az: B 7 AL 86/98 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit, Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 1999 durch die Vizepräsidentin Dr. Wolff, die Richter Eicher und Dr. Spellbrink sowie die ehrenamtlichen Richter Biswanger und Kovar

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 27. Juli 1998 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 15. Dezember 1995 bis 31. Dezember 1996.

Er war vom 1. Mai 1992 bis 31. Dezember 1994 bei der Sparkasse H. - W. - (Niedersachsen) als Filialdirektor beschäftigt und erzielte dabei in den letzten sechs Monaten ein durchschnittliches monatliches Arbeitsentgelt von 6.547,88 DM. Danach war er vom 1. Januar 1995 bis 31. Mai 1995 in Brandenburg bei der M. Sparkasse als Filialdirektor gegen ein durchschnittliches monatliches Arbeitsentgelt von 6.705,32 DM und vom 1. Juni bis 14. Dezember 1995 bei der B. Bank beschäftigt, wobei bis zu seinem Ausscheiden für die Monate Juni bis November monatlich 7.771,00 DM und für die Zeit vom 1. Dezember bis 14. Dezember 1995 3.590,00 DM (bei einer tatsächlichen und tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einem Anspruch auf Arbeitsentgelt für insgesamt 119 Tage) abgerechnet und bezahlt waren.

Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit bewilligte ihm auf entsprechenden Antrag Alg nach der Leistungsgruppe C (Steuerklasse III) und dem allgemeinen Leistungssatz (keine Kinder), und zwar ab 15. Dezember 1995 nach einem Bemessungsentgelt von 1.490,00 DM (Leistungsbemessungsgrenze "Ost") in Höhe von 556,20 DM (bestandskräftiger Bescheid vom 13. Dezember 1995) sowie ab 1. Januar 1996 nach einem Bemessungsentgelt von 1.590,00 DM (Leistungsbemessungsgrenze "Ost") in Höhe von 592,20 DM (bestandskräftiger Bescheid vom 11. Januar 1996).

Am 25. März 1996 beantragte der Kläger die Überprüfung der Bescheide im Hinblick auf die für die alten Bundesländer geltende Regelung über die (höhere) Leistungsbemessungsgrenze. Die Beklagte lehnte eine Änderung ihrer Bescheide ab, weil nach § 249c Abs 9 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die Leistungsbemessungsgrenze maßgebend sei, die in dem Gebiet gelte, in dem der Arbeitslose vor Entstehung des Anspruchs zuletzt in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe (Bescheid vom 24. Oktober 1996; Widerspruchsbescheid vom 15. November 1996).

Die Klage hiergegen blieb erst- und zweitinstanzlich erfolglos (Urteil des Sozialgerichts <SG> vom 2. Oktober 1997; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> vom 27. Juli 1998). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Höhe des dem Kläger bewilligten Alg entspreche den gesetzlichen Regelungen; diese seien verfassungsgemäß.

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Die gesetzlichen Regelungen ließen außer acht, daß er durch die eingetretene Arbeitslosigkeit deutlich schlechter gestellt werde als ein Arbeitsloser in den alten Bundesländern mit gleichen Einkommensverhältnissen, obwohl er überwiegend in den alten Bundesländern beschäftigt gewesen sei. Deshalb sei bei der Bemessung des Alg uneingeschränkt von seinem Monatsverdienst bei der B. Bank in Höhe von 7.771,00 DM auszugehen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 24. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm höheres Alg für die Zeit vom 15. Dezember 1995 bis 31. Dezember 1996 unter Abänderung der Bescheide vom 13. Dezember 1995 und 11. Januar 1996 nach einem anfänglichen Bemessungsentgelt von 1.790,00 DM zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verweist auf die ihres Erachtens zutreffenden Gründe in der Entscheidung des LSG.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist auf Grund ausdrücklicher Erklärung des Klägers ein Anspruch auf höheres Alg nur für die Zeit vom 15. Dezember 1995 bis 31. Dezember 1996. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler, die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstünden, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil gemäß §§ 143, 144 Abs 1 Satz 2 SGG statthaft.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen als die, die ihm die Beklagte bewilligt hat; die bestandskräftigen Bewilligungsbescheide der Beklagten sind rechtmäßig; eine Rücknahme dieser Bescheide nach § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) ist ausgeschlossen.

Nach § 111 AFG (hier idF des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 - BGBl I 2353) beträgt das Alg für Arbeitslose, bei denen weder der Ehegatte noch sie selbst ein Kind iS des § 32 Abs 1, 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 60 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112). Dabei bestimmt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Leistungssätze jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung, der es ua als Leistungsbemessungsgrenze die nach § 175 Abs 1 Nr 1 AFG für den Beitrag zur Bundesanstalt geltende Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen hat (§ 111 Abs 2 Satz 1 Nr 5 AFG). Gemäß § 249c Abs 9 AFG (hier idF, die die Vorschrift durch das Beschäftigungsförderungsgesetz 1994 vom 26. Juli 1994 - BGBl I 1786 - erhalten hat) ist bei der Anwendung der Rechtsverordnung (AFG-LeistungsVO) die jeweilige Leistungsbemessungsgrenze maßgebend, die in dem Gebiet gilt, in dem der Arbeitslose vor Entstehung des Anspruchs zuletzt in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat. Gemäß § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG iVm § 249d Nr 15 AFG (vgl seit 1. Januar 1998 § 341 Abs 3 Satz 3 und Abs 4 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - <SGB III> iVm § 408 SGB III) und den Verordnungen über die maßgebenden Rechengrößen der Sozialversicherung für 1995 und 1996 betrug die entsprechende Beitrags- und damit Leistungsbemessungsgrenze für das Jahr 1995 in den neuen Bundesländern (§ 3 Abs 2 RechengrößenVO) 6.400,00 DM monatlich und für das Jahr 1996 6.800,00 DM monatlich.

Unter Berücksichtigung dieser Vorschriften steht dem Kläger höheres Alg nicht zu, weil ihm die Beklagte zu Recht das höchstmögliche Alg nach der Leistungsbemessungsgrenze "Ost" bewilligt und gezahlt hat. Nach § 249c Abs 9 AFG (vgl seit 1. Januar 1998 § 409 SGB III) galt für ihn die Leistungsbemessungsgrenze "Ost", weil er vor Entstehung des Alg-Anspruchs zuletzt in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung in den neuen Bundesländern gestanden hat (1. Januar bis 14. Dezember 1995). Er war bis unmittelbar vor Entstehung des Anspruchs im Beitrittsgebiet beschäftigt, und der gesamte sechsmonatige Bemessungszeitraum des § 112 Abs 2 AFG erfaßt nur im Beitrittsgebiet zurückgelegte Zeiten mit die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen. Damit ist jedenfalls den gesetzlichen Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal "zuletzt" genügt (nicht ganz eindeutig insoweit der 11. Senat in BSG SozR 3-4100 § 249c Nr 6, der hierüber indes nicht entscheiden mußte). Ist gerade das im Bemessungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt (Bemessungsentgelt) neben den beiden anderen Kriterien (Familienstatus; Steuerklasse) für die Höhe des Alg bestimmend, ist für vorliegenden Fall eine andere Auslegung nicht gerechtfertigt. Nach dem System des AFG knüpft nämlich die Berechnung des Regelentgelts im Grundsatz an das aktuell vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erzielte (beitragspflichtige) Entgelt an, weil davon ausgegangen wird, daß der Arbeitnehmer Entgelt in dieser Höhe künftig weiter erzielen kann (BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 11 S 41); ihm soll mithin durch das Alg - einzelne Ausnahmen ausgenommen - Lohnersatz auf der Grundlage dieses Entgelts gewährt werden (vgl nur BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 17 mwN). Diese Konzeption gewährleistet die für den Lohnersatzcharakter des Alg gebotene zeitliche Nähe zum aktuellen Entgelt und trägt dem Versicherungsprinzip Rechnung (BSG aaO). Daß der Kläger nicht allein durch im Beitrittsgebiet zurückgelegte Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung die Anwartschaft für den Alg-Anspruch erfüllt hat (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 249c Nr 6), ist für die Entscheidung ohne Bedeutung.

Die Vorschrift des § 249c Abs 9 AFG ist auch nicht verfassungswidrig. Insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des 11. Senats (BSG SozR 3-4100 § 249c Nrn 2 und 6) an, wonach die Entscheidung des Gesetzgebers zur Anwendung unterschiedlicher Leistungsverordnungen sowie das Abstellen auf die letzte Beschäftigung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verstößt. Für das Abstellen auf unterschiedliche Leistungsbemessungsgrenzen (= Beitragsbemessungsgrenzen) im Beitrittsgebiet einerseits (1.490,00 DM für 1995; 1.590,00 DM für 1996) und in den alten Bundesländern andererseits (1.820,00 DM für 1995; 1.870,00 DM für 1996) gibt es angesichts des erheblichen wirtschaftlichen Gefälles zwischen dem Beitrittsgebiet und den alten Bundesländern zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung und danach vernünftige und einleuchtende Gründe; bei der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands war vom Gesetzgeber eine einzigartige Aufgabe zu bewältigen, die ihm einen großen Gestaltungsspielraum beließ (BSG aaO). Zudem stellt sich die Übergangsproblematik unterschiedlicher Leistungsbemessungsgrenzen vorliegend deshalb mit geringerer Schärfe, weil sich die Leistungsbemessungsgrenzen von Jahr zu Jahr angenähert haben (BSG SozR 3-4100 § 249c Nr 6 S 34).

Art 3 Abs 1 GG ist auch nicht dadurch verletzt, daß nach § 249c Abs 9 AFG die Leistungsbemessungsgrenze des letzten Beschäftigungsortes gilt; insoweit wird der Kläger wie jeder andere Arbeitslose behandelt. Eine Ungleichbehandlung liegt damit überhaupt nicht vor; vielmehr erstrebt er eine solche, wenn er wie ein zuletzt in den alten Bundesländern Beschäftigter behandelt werden will. Ein Abstellen auf die Leistungsbemessungsgrenze "Ost" ist schon deshalb nicht willkürlich, weil der Kläger während seiner Beschäftigung Beiträge auch nur unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze des Gebiets seiner Beschäftigung gezahlt hat (vgl BSG SozR 3-4100 § 249c Nr 2 S 7 f).

Die Anwendung der hier für den streitigen Zeitraum im Beitrittsgebiet geltenden Leistungsbemessungsgrenze verletzt schließlich nicht die nach Art 14 Abs 1 GG geschützten Eigentumsrechte des Klägers. Insoweit liegt bereits kein Eingriff in bestehende Rechtspositionen vor. Zu Recht hat der 11. Senat in seiner Entscheidung vom 21. September 1995 darauf hingewiesen, daß der Alg-Anspruch und die ihn begründende Anwartschaft nicht statisch gestaltet, sondern fließende Rechtspositionen sind, die im Rahmen der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums den im AFG selbst formulierten Voraussetzungen unterliegen (BSG SozR 3-4100 § 249c Nr 6). Zum Zeitpunkt des Wechsels des Klägers in die neuen Bundesländer bestand ein Alg-Anspruch noch nicht, und die vom Kläger erworbene Rechtsposition war von Anfang an durch die Regelung des § 249c Abs 9 AFG belastet. Selbst wenn man hierin einen Eigentumseingriff sehen wollte, wäre dieser unter Berücksichtigung der historischen Aufgabe der Wiedervereinigung, der daraus erwachsenden Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ohnedies gerechtfertigt. Denn der Kläger könnte allenfalls die Aufrechterhaltung einer vor dem Wechsel in die neuen Bundesländer erworbenen Position verlangen. Er hat jedoch auch in den letzten sechs Monaten seiner Tätigkeit in den alten Bundesländern nach den Feststellungen des LSG monatlich nur 6.547,88 DM an beitragspflichtigem Arbeitsentgelt erzielt. Demgegenüber hat die Beklagte bereits ab 1. Januar 1996 das Alg des Klägers nach einem höheren Arbeitsentgelt bemessen; denn das zugrunde gelegte Bemessungsentgelt von 1.590,00 DM entspricht nach der AFG-LeistungsVO einem Monatsentgelt bis zu 6.911,62 DM. Selbst für die Zeit vom 15. Dezember bis 31. Dezember 1995 liegt der Bemessung des Alg ein Monatsverdienst von bis zu 6.478,29 DM zugrunde, wobei sich aus dem Verdienst des Klägers in den letzten sechs Monaten vor seinem Wechsel in die neuen Bundesländer lediglich ein um 6,60 DM wöchentlich erhöhter Leistungsbetrag ergäbe. Angesichts dieser Umstände kann eine unzumutbare Belastung des Klägers unter keinem Gesichtspunkt bejaht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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