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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.07.2000
Aktenzeichen: B 7 AL 88/99 R
Rechtsgebiete: SGB X


Vorschriften:

SGB X § 45 Abs 4 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 27. Juli 2000

in dem Rechtsstreit

Az: B 7 AL 88/99 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit, Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juli 2000 durch die Vizepräsidentin Dr. Wolff, die Richter Eicher und Dr. Spellbrink sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Grieshaber und Hannig

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. September 1999 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide über Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum vom 1. Juli 1993 bis 31. Januar 1994 und über Unterhaltsgeld (Uhg) für den Zeitraum vom 1. Februar 1994 bis 17. November 1994 und eine damit verbundene Rückforderung in Höhe von insgesamt 13.128,90 DM.

Der im Jahre 1959 geborene Kläger war vom 1. Juni 1991 bis 30. Juni 1993 als Bereichsleiter bei einer Gebäudereinigungsfirma tätig. Zum 1. Juli 1993 meldete er sich arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Bei seinem Ausscheiden hatte der Kläger in den abgerechneten Lohnabrechnungszeiträumen April bis Juni 1993 insgesamt 11.450 DM brutto Arbeitsentgelt (Monatslohn) bei einer vereinbarten und tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit von 39 Wochenstunden erzielt. Das monatliche Bruttoentgelt betrug zuletzt im Juni 1993 3.860 DM.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 1. Juli 1993 Alg in Höhe von 582,60 DM wöchentlich unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C (allgemeiner Leistungssatz) und eines gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelts von 1.410 DM (Bescheid vom 16. Juli 1993). Ab 1. Januar 1994 wurde der Zahlbetrag des Alg aufgrund der neuen Leistungsverordnung sodann auf 543 DM wöchentlich herabgesetzt (Änderungsbescheid vom 14. Januar 1994). Seit 1. Februar 1994 nahm der Kläger an einer Bildungsmaßnahme teil, wofür die Beklagte ab 1. Februar 1994 Uhg in Höhe von zunächst 606,60 DM wöchentlich (Leistungsgruppe C, erhöhter Leistungssatz, gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 1.410 DM; Bescheid vom 12. April 1994) und ab 1. Juli 1994 nach Dynamisierung des Bemessungsentgelts in Höhe von 621 DM wöchentlich (Änderungsbescheid vom 15. Juli 1994) bewilligte.

Im Oktober 1994 bemerkte die Beklagte, daß sie das den Leistungsbewilligungen zugrundeliegende Bemessungsentgelt falsch berechnet hatte, weil sie irrigerweise davon ausgegangen war, das im Bemessungszeitraum erzielte Bruttoentgelt von 11.450 DM sei in 305,33 Arbeitsstunden erzielt worden (richtig: 507 Stunden). Am 19. Oktober 1994 richtete die Beklagte deshalb ein Anhörungsschreiben an den Kläger, in dem dieser aufgefordert wurde, zu der Überzahlung von Alg bzw Uhg Stellung zu nehmen. In seinem Schreiben vom 1. November 1994 teilte der Kläger ua mit, er habe im Vertrauen auf die Richtigkeit der Bescheide das bewilligte Geld für die unmittelbaren Lebensbedürfnisse seiner Familie ausgegeben.

Durch Bescheid vom 25. Juli 1995 nahm die Beklagte ihre Entscheidungen über die Bewilligung von Alg vom 1. Juli 1993 bis 31. Januar 1994 und über Uhg vom 1. Februar 1994 bis 17. November 1994 teilweise zurück und forderte die Erstattung von Alg in Höhe von 4.851 DM und Uhg in Höhe von 8.277,90 DM. Zur Begründung führte sie aus, das für die Leistung maßgebende Bemessungsentgelt sei aufgrund eines Bearbeitungsfehlers zu hoch festgesetzt worden. Durch Widerspruchsbescheide vom 22. Dezember 1995 (betreffend das Alg) und 26. Januar 1996 (betreffend das Uhg) wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung hat sie ua ausgeführt, aufgrund der Höhe der gewährten Lohnersatzleistungen habe der Kläger von Anfang an nicht in gutem Glauben sein können, daß die Leistung richtig berechnet sei, zumal das Alg ab 1. Juli 1993 das zuletzt erzielte Nettoentgelt des Klägers sogar noch überstiegen habe. Es sei allgemein bekannt, daß Alg und Uhg den entgangenen Verdienst nicht in voller Höhe ersetzten.

Die zunächst getrennt erhobenen Klagen zum Sozialgericht (SG) hat das SG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Durch Urteil vom 25. Februar 1997 hat es den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 1995 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22. Dezember 1995 und 26. Januar 1996 aufgehoben. Die Rücknahme scheitere hier daran, daß die Beklagte die Bewilligungsbescheide nicht innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurückgenommen habe, welche die Rücknahme der rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsakte für die Vergangenheit rechtfertigten (§ 45 Abs 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren <SGB X>). Bereits im Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidungen (zuletzt vom 15. Juli 1994) hätten der Beklagten alle Angaben vorgelegen, die eine zutreffende Berechnung der Lohnersatzleistungen möglich gemacht hätten. Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X beginne in diesem Fall auch nicht erst mit der Anhörung des Klägers.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 3. September 1999 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei den Bewilligungsbescheiden über Alg und Uhg habe es sich um teilweise rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte gehandelt. Der Leistungsbewilligung hätte aufgrund des vom Kläger im Bemessungszeitraum erzielten Bruttoentgelts lediglich ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von zunächst 880 DM zugrunde gelegt werden dürfen. Der Kläger habe die Rechtswidrigkeit der Bewilligungen auch in grob fahrlässiger Weise nicht erkannt, weil er bei Anstellung ganz naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, daß der Leistungsbemessung ein wöchentliches Bruttoentgelt von 1.410 DM zugrunde gelegt worden und dieses Bemessungsentgelt viel höher gewesen sei als das Brutto-Arbeitsentgelt, das der Kläger zuletzt bei seinem Arbeitgeber erzielt habe. Auch habe sich das zuerkannte Alg im Bereich des zuletzt erzielten Nettoeinkommens bewegt. Es sei allgemeinkundig, daß das Alg nicht in voller Höhe den vorherigen Verdienst ersetze. Eine entsprechende Einsichtsfähigkeit sei bei dem Kläger gegeben. Die Beklagte habe ihren Rücknahmebescheid auch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erlassen, welche die Rücknahme der rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsakte für die Vergangenheit rechtfertigten. Die Frist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X werde nicht schon durch die bloße Kenntnis der Tatsachen ausgelöst, die die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts begründeten. Vielmehr seien von der Behörde auch die maßgeblichen Tatsachen zu den übrigen Rücknahmevoraussetzungen zu ermitteln, insbesondere also aufzuklären, ob der Begünstigte die Rechtswidrigkeit der Leistungserbringung gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Daher könne die Jahresfrist regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen zu laufen beginnen, weil die Behörde erst hierdurch die erforderliche Kenntnis aller für die Rücknahmeentscheidung maßgeblichen Tatsachen erlange. Der Kläger habe hier am 1. November 1994 seine schriftliche Stellungnahme gegenüber der Beklagten abgegeben. Die Rücknahmeentscheidung vom 25. Juli 1995 liege damit in jedem Falle innerhalb der gesetzlichen Frist.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X. Beide Instanzen seien davon ausgegangen, die Bescheide seien hier derart offensichtlich rechtswidrig gewesen, daß jeder Leistungsempfänger, der auch nur das Merkblatt des Arbeitsamtes gelesen habe, sofort habe erkennen müssen, daß die Berechnung der Bewilligungsbescheide vorliegend nicht stimmen könne und die Leistung zu hoch berechnet sei. Damit ergäben sich die Tatsachen zu den Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X direkt aus den fehlerhaften Leistungsbewilligungsbescheiden. In einem Anhörungsverfahren hätten hierzu keine weiteren Tatsachen mehr ermittelt werden müssen, um zu einer Rücknahmeentscheidung kommen zu können. Wenn sich alle Tatsachen aber bereits aus den Bescheiden selbst ergäben, könne die Jahresfrist nicht erst nach Anhörung des Betroffenen zu laufen beginnen. Ansonsten hätte es die Behörde in der Hand, willkürlich den Beginn der Jahresfrist selbst zu bestimmen. Der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 25. Juli 1995 sei mithin erst nach Ablauf der Jahresfrist ergangen und damit rechtswidrig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. September 1999 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 25. Februar 1997 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung. Auch das Argument des Klägers, bei einer so evidenten Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes müßten keine weiteren Sachverhaltsfeststellungen mehr vorgenommen werden, greife im Ergebnis nicht durch. Nach Maßgabe des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs sei von grober Fahrlässigkeit auszugehen, wenn der Kläger aufgrund einfachster ganz naheliegender Überlegungen die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes hätte erkennen können. Mithin könne das Vorliegen grober Fahrlässigkeit nur anhand der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, des Einsichtsvermögens und des Verhaltens des Betroffenen sowie der besonderen Umstände des Einzelfalls festgestellt werden. Folglich könne die Entscheidung über eine Rücknahme erst nach Anhörung des Klägers erfolgen, weil sonst der subjektive Fahrlässigkeitsbegriff verlassen werde und statt dessen ein objektiver Fahrlässigkeitsbegriff zur Anwendung gelange. Dies liefe aber der Intention des § 45 SGB X entgegen, denn diese Vorschrift solle gerade dem Vertrauensschutz dienen, weil sie nur den auf die Richtigkeit der behördlichen Entscheidung vertrauenden Bürger schütze. Folglich habe die Jahresfrist hier erst mit der Anhörung (November 1994) zu laufen begonnen.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Beklagte die Bewilligungen von Alg für den Zeitraum vom 1. Juli 1993 bis 31. Januar 1994 und von Uhg für den Zeitraum vom 1. Februar 1994 bis 17. November 1994 teilweise zurücknehmen bzw aufheben und vom Kläger die Erstattung von überzahltem Alg in Höhe von 4.851 DM und Uhg in Höhe von 8.277,90 DM fordern durfte.

Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 25. Juli 1995, mit dem die Ausgangsbescheide über die Bewilligung von Alg (16. Juli 1993) und die Bewilligung von Uhg (12. April 1994) teilweise zurückgenommen worden sind, ist § 45 SGB X iVm § 152 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz <AFG> (idF, die § 152 AFG durch das 1. Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms - 1. SKWPG - vom 21. Dezember 1993, BGBl I 2353, erhalten hat; vgl zur Anwendung dieser Gesetzesfassung auf Rücknahmebescheide, die nach dem 1. Januar 1994 ergangen sind BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 13, S 92 f; vgl im folgenden unter 1). Soweit die Folgebescheide vom 14. Januar 1994 (Alg) und 15. Juli 1994 (Uhg) zurückgenommen worden sind, ist Rechtsgrundlage § 48 SGB X iVm § 152 Abs 3 AFG (§ 152 AFG ebenfalls idF des 1. SKWPG; vgl im folgenden unter 2). Sowohl hinsichtlich der Rücknahme gemäß § 45 SGB X als auch der Aufhebung gemäß § 48 SGB X hat die Beklagte die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X (bzw des § 48 Abs 4 Satz 1 iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X) eingehalten (vgl unter 3).

1. Nach § 45 Abs 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, im Falle seiner Rechtswidrigkeit nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden.

Die Ausgangsbescheide vom 16. Juli 1993 (Alg) und 12. April 1994 (Uhg) waren bereits bei ihrem Erlaß rechtswidrig, weil die Beklagte das Bemessungsentgelt für das Alg - das gemäß § 44 Abs 8 und Abs 3 Nr 1 AFG auch der Bewilligung des Uhg zugrunde zu legen war - gemäß § 112 Abs 2 und 3 AFG (idF, die § 112 AFG ab 1. Januar 1993 durch das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992, BGBl I 2044 erhalten hat), falsch berechnet hat. Für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts wird das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden vervielfacht, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG). Nach § 112 Abs 3 Satz 2 AFG gilt Arbeitsentgelt, das nach Monaten bemessen ist als in der Zahl von Arbeitsstunden erzielt, die sich ergibt, wenn die Zahl der vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden mit 13 vervielfacht und durch 3 geteilt wird. Die Beklagte hat hier bei der Ausgangsbewilligung von Alg die von dem Kläger im Bemessungszeitraum (April bis Juni 1993, vgl § 112 Abs 2 Satz 1 AFG idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1992, BGBl I 2044, der gemäß § 242q Abs 7 AFG idF des 1. SKWPG auch der Ausgangsbewilligung von Uhg im April 1994 zugrunde zu legen war) erzielten 11.450 DM durch 305,33 dividiert und mit 37,5 multipliziert. Richtig wäre es gewesen, das erzielte Entgelt durch 507 (insgesamt vereinbarte Arbeitsstunden) zu dividieren und mit 39 (tarifliche wöchentliche Arbeitszeit) zu multiplizieren. Bei richtiger Berechnungsweise nach § 112 Abs 3 AFG hätte sich ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 880 DM und nicht - wie in den Ausgangsbescheiden über Alg und Uhg zugrunde gelegt - von 1.410 DM wöchentlich ergeben.

Bei Zugrundelegung des Bemessungsentgelts von 880 DM und der (richtigen) Leistungsgruppe C/1 (erhöhter Leistungssatz) hätte dem Kläger ab 1. Juli 1993 Alg in Höhe von wöchentlich 420,60 DM zugestanden. Die Beklagte hatte ihm zunächst ab 1. Juli 1993 Alg in Höhe von 582,60 DM wöchentlich (Bemessungsentgelt 1.410 DM) bewilligt. Bei richtiger Berechnung des Bemessungsentgelts hätte dem Kläger ab 1. Februar 1994 Uhg in Höhe von 408 DM wöchentlich zugestanden (Bemessungsentgelt 880 DM, erhöhter Leistungssatz). Bewilligt worden war dem Kläger von der Beklagten aber Uhg ab 1. Februar 1994 in Höhe von 606,60 DM wöchentlich nach einem Bemessungsentgelt von weiterhin 1.410 DM (Bescheid vom 12. April 1994).

Da die Beklagte die teilweise Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligungsbescheide für die Vergangenheit erstrebt, ist hier § 45 Abs 4 SGB X einschlägig. Danach wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen des Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 des § 45 SGB X für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X). Zu Recht hat das LSG entschieden, daß hier die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X gegeben waren. Danach kann sich der Kläger auf Vertrauen nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Das LSG hat hierzu ausgeführt, der Kläger habe schlechterdings von der Rechtmäßigkeit der Höhe des ihm bewilligten Alg bzw Uhg nicht ausgehen können. Denn das Bemessungsentgelt sei viel höher gewesen als das Bruttoarbeitsentgelt, das der Kläger zuletzt tatsächlich erzielt habe. Eine entsprechende Einsichtsfähigkeit sei bei dem Kläger gegeben gewesen. Es liege grobe Fahrlässigkeit vor, weil der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits entschieden (BSGE 47, 180), daß die Entscheidung über das Vorliegen grober Fahrlässigkeit nur in engen Grenzen revisionsrechtlich nachprüfbar ist. Es ist hier weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich, daß das LSG den revisionsrechtlich überprüfbaren Entscheidungsspielraum bei der Feststellung der groben Fahrlässigkeit überschritten hätte. Insbesondere ist auch nicht erkennbar, daß das LSG den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder nicht beachtet hätte, daß sich die Bösgläubigkeit grundsätzlich auf den Teil des Verwaltungsaktes erstrecken muß, der zurückgenommen werden soll. Denn § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X läßt eine Rücknahme bzw Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide nur zu, "soweit" der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides kannte oder grob fahrlässig nicht kannte; dh die Bösgläubigkeit muß sich gerade auf den zurückgenommenen Teil des Verwaltungsaktes erstrecken bzw sich mit diesem decken. Das bedeutet allerdings nicht, daß der Begünstigte die Rechtswidrigkeit der erfolgten "Überzahlung" nach Heller und Pfennig gekannt bzw grob fahrlässig nicht gekannt haben muß. Es reicht vielmehr aus, daß er hinsichtlich eines bestimmten Teils des Verwaltungsaktes - hier des dem Alg zugrunde gelegten Bemessungsentgelts - bösgläubig war, weil sich die Rücknahmeentscheidung der Beklagten gerade und nur auf die Korrektur des Bemessungsentgelts (und die daraus resultierende Überzahlung des Alg) beschränkt. Ob es ausnahmsweise für den Fahrlässigkeitsvorwurf bei einer entsprechenden Teilaufhebung auch ausreichen würde, daß der Leistungsbezieher die Unrichtigkeit der Bewilligung allein aus der evident zu hohen Leistung hätte erkennen müssen, braucht nicht entschieden zu werden.

2. Diese "Bösgläubigkeit" des Klägers ist auch hinsichtlich der beiden streitbefangenen Folgebescheide gegeben, mit denen das dem Kläger gewährte Alg für den Zeitraum vom 1. Januar 1994 bis 31. Januar 1994 aufgrund der Leistungsverordnung 1994 neu festgesetzt (Bescheid vom 14. Januar 1994) bzw das Uhg ab 1. Juli 1994 dynamisiert worden ist (Bescheid vom 15. Juli 1994). Rechtsgrundlage für die Aufhebung dieser Bescheide ist allerdings nicht § 45 SGB X, sondern § 48 SGB X, weil beide Bescheide nur einen eingeschränkten Regelungsgehalt besitzen (vgl zum Dynamisierungsbescheid BSGE 82, 198, 201 = SozR 3-4100 § 242 Nr 1; BSG SozR 3-4800 § 63 Nr 1; zum Bescheid aufgrund einer neuen Leistungsverordnung angedeutet in BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 9, S 64, unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 23. Juli 1996, 7 RAr 112/95, vgl hierzu Eicher in Wissing/Pitschas/Eicher, SGB III, 6. Ergänzungslieferung 1999, RdNr 52 zu § 328 SGB III mwN) und hinsichtlich des hier vorliegenden Fehlers eines zu hohen Bemessungsentgelts lediglich auf den Regelungen der Ausgangsbescheide aufbauen. Deshalb ist erst mit Rücknahme der insoweit rechtswidrigen Ausgangsbescheide vom 16. Juli 1993 (Alg) bzw 12. April 1994 (Uhg) für die Folgebescheide eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten (vgl BSGE 79, 92, 94 mwN; BSG SozR 1300 § 45 Nr 37), die auch hinsichtlich dieser Bescheide eine Teilaufhebung in dem von der Beklagten bestimmten Umfang rechtfertigt. Da sich der Aufhebungsbescheid in seinem Verfügungssatz nicht ändert, wenn er hinsichtlich der Folgebescheide nicht mehr - wovon die Beklagte offenbar ausging - auf § 45 SGB X, sondern auf § 48 SGB X gestützt wird, handelt es sich nicht um eine Umdeutung iS von § 43 SGB X, sondern der Rücknahmebescheid wird hinsichtlich der Aufhebung - bei gleichbleibender Regelung - lediglich auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt. Bei den Folgebescheiden vom 14. Januar 1994 bzw 15. Juli 1994 muß sich dann allerdings der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zwangsläufig auf die Ausgangsbescheide über die erstmalige Leistungsbewilligung bzw die aus diesen übernommenen Berechnungselemente beziehen. Da das LSG - wie ausgeführt - für den Senat verbindlich gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgestellt hat, daß der Kläger hinsichtlich des den Ausgangsbescheiden vom 16. Juli 1993 und 14. April 1994 zugrunde gelegten (zu hohen) Bemessungsentgelts von 1.410 DM bösgläubig war, wiederholt sich dieser Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich des in den Folgebescheiden lediglich übernommenen Bemessungsentgelts von 1.410 DM, ohne daß noch gesonderte Feststellungen zur Fahrlässigkeit des Klägers im Januar bzw Juli 1994 getroffen werden müßten.

3. Durfte die Beklagte mithin gemäß § 45 Abs 4 Satz 1 iVm § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X bzw gemäß § 48 Abs 4 iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 iVm § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X die bewilligenden Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen bzw aufheben, so scheitert diese Befugnis der Beklagten auch nicht an der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X, die gemäß § 48 Abs 4 SGB X hier auch für die teilweise Aufhebung der Folgebescheide gilt (vgl auch BSG SozR 1300 § 45 Nr 37). Zu Recht hat das LSG als maßgeblichen Zeitpunkt für die Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme der rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakte rechtfertigen, auf die Äußerung des Klägers vom 1. November 1994 auf das Anhörungsschreiben der Beklagten abgestellt. Dem Kläger ist einzuräumen, daß der bloße Wortlaut des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X, der auf die Kenntnis der "Tatsachen" abstellt, die die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigen, Art und Umfang der von der rücknehmenden Behörde zu fordernden Kenntnis nicht hinreichend deutlich macht. Das BSG hat jedoch in ständiger Rechtsprechung entschieden und klargestellt, daß - weil nach § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X ein Verwaltungsakt nur in den Fällen des Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 des § 45 SGB X bzw nach § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann - der Behörde folglich auch diejenigen Tatsachen bekannt sein müssen, die § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X bzw § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X für die Aufhebung voraussetzen (BSGE 60, 239, 240 f = SozR 1300 § 45 Nr 26; BSGE 62, 103, 108 = SozR 1300 § 48 Nr 39; BSGE 65, 221, 228 = SozR 1300 § 45 Nr 45; BSGE 66, 204, 210 = SozR 3-1300 § 45 Nr 1; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 2; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 26; BSGE 77, 295, 299 f = SozR 3-1300 § 45 Nr 27; BSG Urteil vom 6. März 1997 - 7 RAr 40/96 -, DBlR Nr 4372 zu § 45 SGB X). Bei einer Rücknahmeentscheidung, die sich auf den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit bzw Kenntnis der Rechtswidrigkeit stützt, beginnt die Jahresfrist mithin dann zu laufen, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, daß der Kläger die (teilweise) Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Maßgeblich ist damit der Zeitpunkt, zu dem die Behörde aufgrund des ermittelten Sachverhalts Kenntnis von der Bösgläubigkeit des Klägers hatte. Die Frage, wann die Behörde die Tatsachen, die eine abschließende Prüfung der Rücknahmevoraussetzung erlauben, kennt, ist weder ausschließlich anhand objektiver Kriterien noch allein aufgrund der subjektiven Einschätzung der Behörde zu beantworten. Die zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis für die Vergangenheit dient der Rechtssicherheit (BSGE 74, 20, 26 mwN = SozR 3-1300 § 48 Nr 32). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (BSGE 74, 20, 26 f = SozR 3-1300 § 48 Nr 32). Hierbei ist hinsichtlich der erforderlichen Gewißheit über Art und Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Linie auf den Standpunkt der Behörde, und zwar des für die Rücknahmeentscheidung zuständigen Sachbearbeiters, abzustellen, es sei denn, deren sichere Kenntnis liegt bei objektiver Betrachtung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor (BSGE 77, 295, 298 f = SozR 3-1300 § 45 Nr 27).

Zwar ist der Revision einzuräumen, daß die Tatsachen, aus denen die Beklagte die grobe Fahrlässigkeit des Klägers abgeleitet hat, bereits im wesentlichen bei Erlaß der Bewilligungsbescheide vorlagen. Dies betrifft insbesondere das den Ausgangsbescheiden zugrundeliegende Bemessungsentgelt, das erheblich höher als das frühere Bruttoentgelt war. Der Kläger verkennt dabei jedoch, daß grobe Fahrlässigkeit nur dann anzunehmen ist, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt hat. Hierfür genügt es nicht, daß er mit der Rechtswidrigkeit rechnen mußte. Verlangt wird vielmehr eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem besonders hohen Ausmaße, die dann zu bejahen ist, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn also nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten mußte (BSGE 62, 103, 107 = SozR 1300 § 48 Nr 39; BSG SozR 4100 § 152 Nr 10). Dabei ist jedoch nicht ein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen. Die Behörde kann deshalb nicht allein auf den Akteninhalt abstellen (vgl dazu BSGE 77, 295, 300 f = SozR 3-1300 § 45 Nr 27; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 26; BSG Urteil vom 6. März 1997 - 7 RAr 40/96 -, DBlR Nr 4372 zu § 45 SGB X). Ansonsten wäre die Beklagte jeweils gezwungen, einen Verwaltungsakt vorsorglich, sozusagen "auf Verdacht" zu erlassen (vgl BSGE 74, 20, 26 = SozR 3-1300 § 48 Nr 32). Die Beklagte muß vielmehr vor einer Rücknahme- bzw Aufhebungsentscheidung dem Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen geben, abgesehen davon, daß eine solche Anhörungspflicht grundsätzlich aus § 24 SGB X folgt. Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X kann daher regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen (BSGE 77, 295, 301 mwN = SozR 3-1300 § 45 Nr 27). Von diesem Grundsatz läßt der vorliegende Fall keine Ausnahme zu. Insbesondere sind keine Umstände ersichtlich, die nach dem Grundsatz von Treu und Glauben einen anderen Zeitpunkt des Beginns der Jahresfrist rechtfertigen könnten, etwa, wenn die Beklagte bewußt davon abgesehen hätte, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen.

Im vorliegenden Fall konnte die Beklagte, nachdem ihr im Oktober 1994 bewußt geworden war, daß das Bemessungsentgelt gemäß § 112 Abs 3 AFG falsch berechnet worden war, nicht ohne weitere Überprüfung davon ausgehen, daß der Kläger hinsichtlich der erhaltenen Alg- bzw Uhg-Zahlbeträge bösgläubig war. Um dem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff und den bei dessen Prüfung zu beachtenden Kriterien Rechnung tragen zu können, mußte sich die Beklagte zunächst zu aufklärenden Maßnahmen veranlaßt sehen. Sie konnte nicht von vornherein ausschließen, daß der Kläger aus seiner Sphäre nicht noch Tatsachen geltend machen konnte bzw würde, nach denen möglicherweise die Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht gerechtfertigt war. Die Gelegenheit zu einer solchen Stellungnahme hat die Beklagte dem Kläger mit dem Anhörungsschreiben vom 19. Oktober 1994 eröffnet. Frühestens mit dem Eingang der Rückäußerung des Klägers vom 1. November 1994 verfügte die Beklagte somit - iVm dem Akteninhalt - über die notwendigen tatsächlichen Informationsgrundlagen, um die Rücknahmeentscheidung treffen zu können.

Gemäß § 152 Abs 2 und Abs 3 AFG war eine Ermessensausübung der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme bzw Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht erforderlich.

Zutreffend hat das LSG weiterhin entschieden, daß die Beklagte in ihren Bescheiden die Erstattungsforderung gemäß § 50 Abs 1 SGB X richtig berechnet hat.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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