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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 08.11.2007
Aktenzeichen: B 9/9a V 1/06 R
Rechtsgebiete: BVG, OrthopädieVO, SGG, SGB X


Vorschriften:

BVG § 11 Abs 1 Nr 8
BVG § 13
BVG § 64 Abs 2 Satz 2
BVG § 64a Abs 1
OrthopädieVO § 1
OrthopädieVO § 2
SGG § 77
SGB X § 48 Abs 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 9/9a V 1/06 R

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 8. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, die Richter Dau und Dr. Knörr sowie den ehrenamtlichen Richter Fehl und die ehrenamtliche Richterin Setzer-Pathe

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 2003, der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Februar 2001 sowie die ablehnende Entscheidung im Bescheid des Beklagten vom 30. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 1998 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt orthopädische Versorgung mit einer Armprothese und einer Augenprothese nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1937 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Serbien und hat dort seinen Wohnsitz. Anfang 1944 erlitt er in der Nähe seines Geburtsortes B. bei der Explosion eines herumliegenden Sprengkörpers schwere körperliche Verletzungen. Er ist deshalb in seinem Heimatland als ziviles Kriegsopfer mit einem Anspruch auf Rente (Kriegsinvalidität 100 vH) anerkannt.

Am 28.4.1988 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Fulda, ihm wegen der Folgen dieser Verletzungen Kriegsopferversorgung nach dem BVG zu gewähren. Nachdem der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und das Hessische Sozialministerium nach § 8 Satz 1 BVG iVm § 64 Abs 2 BVG einer Teilversorgung nach Maßgabe der geltenden besonderen Regelungen zugestimmt hatten, teilte das Versorgungsamt Fulda dem Kläger im Bescheid vom 15.5.1990 Folgendes mit:

"Das Versorgungsamt hat die Prüfung Ihres Antrages auf Kriegsopferversorgung abgeschlossen und bewilligt Ihnen als Kannleistung gemäß § 64e Abs 1 bzw § 64 Abs 2 BVG Versorgung mit Wirkung vom 1.4.1988 an in Höhe von 139 DM monatlich.

Bei der Bemessung dieser Versorgung sind vor allem Art und Ausmaß der Gesundheitsstörungen, die das Versorgungsamt als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG ansehen kann, berücksichtigt worden, und zwar für folgende Gesundheitsstörungen:

1. Verlust des rechten Armes im Unterarm,

2. Teilverlust des Endgliedes des II. Fingers links sowie zahlreiche Narben im Bereich des linken Unterschenkels und des linken Knies,

3. Narbe im Bereich der rechten Orbita,

4. Verlust des rechten Auges.

Es wurde ein Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 (Siebzig) vom Hundert zugrunde gelegt."

Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 23.9.1991 mit folgender Begründung zurück:

"Mit Bescheid vom 15.5.1990 wurde Ihnen Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - um 70 vH als Kannleistung ab 1.4.1998 gewährt.

Dieser Bescheid ist nicht zu beanstanden.

Mit Ihrem Widerspruch begehren Sie einen höheren Grad der MdE für die anerkannten Schädigungsfolgen .... Die anerkannten Schädigungsfolgen sind ... in der Höhe der MdE zutreffend bewertet .... Eine zusätzliche Bezeichnung einer eigenständigen Schädigungsfolge kommt nicht in Betracht .... Bei dieser Sachlage muss es bei der getroffenen Entscheidung verbleiben."

Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main (S 11 V 3193/91) stellte das Versorgungsamt nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 8.3.1993 von Amts wegen fest, dass der am 15.5.1990 erteilte Grundbewilligungsbescheid und alle in seiner Folge ergangenen Neufeststellungsbescheide schon im Erlasszeitpunkt rechtswidrig gewesen seien, weil der Kläger als ziviles Kriegsopfer wegen der gleichen Schäden einen Anspruch auf Versorgung (Invalidenrente) gegen einen anderen Staat besitze und deshalb ein Versorgungsanspruch nach § 7 Abs 2 BVG ausgeschlossen sei. Die Bescheide könnten nach § 45 SGB X nicht mehr zurückgenommen werden, weil seit der Bekanntgabe des Grundbewilligungsbescheides mehr als zwei Jahre vergangen seien. Weitere Leistungserhöhungen dürften jedoch nach § 48 Abs 3 SGB X nicht mehr vorgenommen werden; gewahrt bleibe der zuletzt bindend zuerkannte Zahlbetrag.

Die Rechtsmittel des Klägers gegen die Verwaltungsakte in den Bescheiden vom 15.5.1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.9.1991 sowie im Bescheid vom 8.3.1993 sind erfolglos geblieben.

Einen Antrag des Klägers vom 16.4.1992 auf Versorgung mit einer Armprothese (Kunstarm) und einer Augenprothese (Kunstauge) lehnte der Beklagte ab, weil ein Versorgungsanspruch nach dem BVG dem Grunde nach ausgeschlossen sei. Dies sei mit Bescheid vom 8.3.1993 festgestellt worden (Bescheid vom 30.7.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.1.1998).

Das SG Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 8.2.2001): Der Kläger gehöre nicht zum Kreis der Versorgungsberechtigten. Dessen Versorgung mit Hilfsmitteln bzw Körperersatzstücken sei nach § 7 Abs 2 BVG ausgeschlossen, weil er in seinem Heimatland wegen derselben Ursache als ziviles Kriegsopfer einen Anspruch auf Versorgung habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei es dabei unerheblich, in welcher Höhe diese Leistung gewährt und ob sie überhaupt ausgezahlt werde.

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 11.12.2003). Es hat seine Entscheidung unter Bezugnahme auf die Gründe des Gerichtsbescheids des SG wie folgt begründet: Das SG habe zu Recht ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Hilfsmittel bzw Körperersatzstücke habe, denn es sei durch Bescheid vom 8.3.1993 rechtskräftig und bindend festgestellt worden, dass dieser nicht zum Personenkreis der Versorgungsberechtigten nach dem BVG gehöre. Nach § 7 Abs 2 BVG sei eine Doppelversorgung ausgeschlossen.

Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von § 64 Abs 2 Satz 2, § 64a Abs 1 BVG iVm § 11 Abs 1 Nr 8, § 13 BVG und der §§ 1, 2 Orthopädieverordnung sowie von § 77 SGG iVm § 48 Abs 3 SGB X: Er habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, insbesondere auf Ausstattung mit Körperersatzstücken. § 7 Abs 2 BVG stehe diesem Anspruch nicht entgegen, denn er könne seinen Anspruch auf die bestandskräftige Entscheidung im Bescheid vom 15.5.1990 über die Feststellung von Schädigungsfolgen stützen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Bescheids im Bescheid vom 8.3.1993 sei auf die Anwendung des § 48 Abs 3 SGB X beschränkt. Dies habe das BSG bereits entschieden. Es sei demnach trotz Aussparung des Versorgungszahlbetrags Heilbehandlung wegen anerkannter Schädigungsfolgen zu gewähren.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11.12.2003, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8.2.2001 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30.7.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.1.1998 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihn mit einer Armprothese (Kunstarm) sowie einer Augenprothese (Kunstauge) zu versorgen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Der bestandskräftige Bescheid vom 15.5.1990 enthalte keine Aussagen zur Heil- und Krankenbehandlung bzw zur orthopädischen Versorgung. Ein diesbezüglicher Anspruch sei deshalb daraus nicht herzuleiten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

II

Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als auf dessen kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG) hin der Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu verpflichten ist, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden. Im Übrigen hat die mit der Revision weiter verfolgte Leistungsklage des Klägers keinen Erfolg.

1. Das LSG hat (dem Beklagten und dem SG folgend) unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) entschieden, dass dem Kläger nach dem BVG in keinem Fall Versorgung mit Hilfsmitteln bzw Körperersatzstücken - wie die begehrte orthopädische Versorgung mit einer Armprothese und einer Augenprothese - zu gewähren ist.

Der als serbischer Staatsangehöriger in Serbien wohnende Kläger wird zwar nicht vom persönlichen Anwendungsbereich des BVG iS des § 7 Abs 1 BVG erfasst. Ausländischen Kriegsopfern, die - wie der Kläger - ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in den Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien haben und mit Ausnahme des Wohnsitzes die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG erfüllen, kann jedoch im Ermessenswege nach § 8 Satz 1, § 64a Abs 1, § 64e Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 BVG iVm § 1 Auslandsversorgungsverordnung (AuslVersV) vom 30.6.1990 (BGBl I 1321) wegen der anerkannten Folgen einer Schädigung Teilversorgung gewährt werden, die auch die Heilbehandlung - wie die orthopädische Versorgung mit Körperersatzstücken - umfasst (§§ 9, 11 Abs 1 Nr 8, § 13 Abs 1, § 64a Abs 1, § 64e Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 BVG). Daraus folgt ein Anspruch auf pflichtgemäße (fehlerfreie) Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I). Ein diesbezügliches Begehren ist mit der Verpflichtungsklage (Bescheidungsklage) zu verfolgen (§ 54 Abs 1 SGG), die hier in der vom Kläger erhobenen Leistungsklage enthalten ist.

2. Der Kläger hat mit der Revision zu Recht geltend gemacht, dass dem Anspruch auf Versorgung nach dem BVG (hier also auf pflichtgemäße <fehlerfreie> Ausübung des Ermessens) im vorliegenden Fall § 7 Abs 2 BVG nicht entgegensteht; denn der Beklagte hat mit Bescheid vom 15.5.1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.9.1991 die darin genannten Gesundheitsstörungen (ua Verlust des rechten Armes im Unterarm; Verlust des rechten Auges) als Schädigungsfolgen anerkannt und dem Kläger insoweit Teilversorgung nach § 64e Abs 1 BVG zuerkannt.

a) Nach § 7 Abs 2 BVG wird auf Kriegsopfer, die aus derselben Ursache einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzen, das BVG nicht angewendet, es sei denn, dass zwischenstaatliche Vereinbarungen etwas anderes bestimmen. Nach den Feststellungen des LSG sind diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben, da der Kläger wegen der hier betroffenen Schädigungsfolgen Leistungen als ziviles Kriegsopfer von seinem Heimatstaat erhält. Die daraus folgende Nichtanwendung des BVG gilt auch im Verhältnis zur Republik Serbien, denn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (hierzu BSG, Urteil vom 28.7.1999 - B 9 V 19/98 R, SozR 3-3100 § 7 Nr 6 S 22) bzw den Nachfolgestaaten "Serbien und Montenegro" und Republik Serbien gibt es keine zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die etwas anderes bestimmen.

Weiter ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl BSG, Urteil vom 25.11.1976 - 9 RV 188/75, SozR 3100 § 7 Nr 2; BSG, Urteil vom 20.5.1992 - 9a RV 11/91, SozR 3-3100 § 7 Nr 1; BSG, Urteil vom 20.5.1992 - 9a RV 12/91, SozR 3-3100 § 7 Nr 2; BSG, Urteil vom 10.8.1993 - 9/9a RV 39/92, SozR 3-3100 § 7 Nr 3; BSG, Urteil vom 28.7.1999 - B 9 V 19/98 R, SozR 3-3100 § 7 Nr 6) Kriegsopfer, die nach § 7 Abs 2 BVG aus dem berechtigten Personenkreis ausgeschlossen sind, nicht über § 8 Satz 1 BVG im Ermessenswege einbezogen werden dürfen.

b) Das für den Kläger günstige Ergebnis beruht darauf, dass der Beklagte mit Bescheid vom 15.5.1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.9.1991 beim Kläger ua einen Verlust des rechten Armes und des rechten Auges als Schädigungsfolgen anerkannt und dem Kläger insoweit Teilversorgung bewilligt hat (aa). Diese nach § 77 SGG bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakte entfalten Bindungswirkung dahingehend, dass die Regelung des § 7 Abs 2 BVG einer Gewährung von Heilbehandlung wegen der beim Kläger anerkannten Schädigungsfolgen nicht entgegensteht (bb). Die betreffenden Verwaltungsakte sind durch den Bescheid vom 8.3.1993 nicht aufgehoben worden und damit nach § 39 Abs 2 SGB X weiterhin wirksam (cc).

aa) Der Beklagte hat bei der Erstentscheidung über eine Teilversorgung im Bescheid vom 15.5.1990 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.9.1991) entgegen § 7 Abs 2 BVG eine ihn bindende positive Grundentscheidung über die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen getroffen und dem Kläger insoweit Teilversorgung nach § 64e Abs 1 BVG bewilligt. Dies ergibt sich aus der Auslegung dieser Bescheide, die auch dem Revisionsgericht obliegt (hierzu BSG, Urteil vom 11.6.1987 - 7 RAr 105/85, BSGE 62, 32, 36 = SozR 4100 § 71 Nr 2 S 5; BSG, Urteil vom 31.5.1989 - 4 RA 19/88, SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14; BSG, Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89, BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11; BSG, Urteil vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R, SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26). Maßstab der Auslegung eines Verwaltungsaktes ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (hierzu BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11; BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26). Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung.

Legt man zunächst den Bescheid vom 15.5.1990 nach diesen Grundsätzen aus, so ergibt sich aus der Sicht eines verständigen Empfängers Folgendes: Die Versorgungsverwaltung hat mit dem Verfügungssatz

"Das Versorgungsamt ... bewilligt Ihnen als Kannleistung gemäß § 64e Abs 1 ... BVG Versorgung mit Wirkung vom 1.4.1988 an in Höhe von ... 139,-- DM monatlich."

entgegen § 7 Abs 2 BVG im Ermessenswege ("als Kannleistung") eine Teilversorgung nach § 64e Abs 1 BVG bewilligt, und zwar zunächst ab einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten monatlichen Geldbetrag.

Die in den Folgesätzen gewählten Formulierungen legen es trotz einer gewissen sprachlichen Einschränkung ("als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG ansehen kann") aus der Sicht eines verständigen Empfängers nahe, dass der Beklagte außerdem rechtsverbindlich mit bleibender Wirkung für die Zukunft eine weitere Verfügung treffen und die im Bescheid im einzelnen und nummeriert aufgeführten Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen iS des § 1 BVG anerkennen wollte. Der Beklagte tat einen solchen Willen jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 23.9.1991 kund. Dessen Text enthält wiederholt die Worte "anerkannte Schädigungsfolgen". Der Kläger konnte deshalb den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides nur so verstehen, dass damit zum einen bindend Schädigungsfolgen anerkannt worden sind, zum anderen aber auch bereits eine bindende Grundentscheidung über eine Teilversorgung nach § 64e Abs 1 BVG getroffen worden ist. Insoweit unterscheidet sich dieser Bescheid von den Bescheiden, über deren Rechtsverbindlichkeit das BSG in den Urteilen vom 5.12.1972 (10 RV 807/71, SozR Nr 6 zu § 64 BVG) und vom 26.2.1986 (9a RV 36/84, veröffentlicht in juris) entschieden hat. Dort enthielten die jeweiligen Verfügungssätze nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt ua keine Feststellung von Schädigungsfolgen.

bb) Diese iS von § 31 SGB X eigenständigen Verwaltungsakte über die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen (so schon BSG, Urteil vom 21.1.1959 - 11/8 RV 181/57, BSGE 9, 80, 83 f = SozR Nr 17 zu § 55 SGG; BSG, Urteil vom 24.2.1960 - 9 RV 286/56, BSGE 12, 25, 26 sowie zuletzt BSG, Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R, SozR 4-3100 § 1 Nr 3 RdNr 12 und BSG, Urteil vom 6.7.2006 - B 9a V 4/05 R, SozR 4-3100 § 62 Nr 1 RdNr 17) und über eine Teilversorgung nach § 64e Abs 1 BVG wirken sich zusammengenommen dahin aus, dass der vom Kläger begehrten Versorgung mit Prothesen nicht entgegengehalten werden kann, dass dieser insoweit nicht zum versorgungsberechtigten Personenkreis gehöre, weil die einschlägigen Vorschriften über die Heilbehandlung von Kriegsopfern gemäß § 7 Abs 2 BVG auf ihn nicht angewendet werden dürften.

Solange die Anerkennung eines Leidens als Schädigungsfolge besteht, ist bei der Entscheidung über die Gewährung von Heilbehandlung (hier im Rahmen eines Anspruchs auf pflichtgemäße <fehlerfreie> Ausübung des Ermessens) von dieser Anerkennung auszugehen (so schon BSG, Urteil vom 14.11.1961 - 9 RV 1434/59, BSGE 15, 228, 229 = SozR Nr 1 zu § 10 BVG). Mit der Anerkennung von Schädigungsfolgen ist zwar nicht die Tatsache des schädigenden Ereignisses, auf das sie zurückgeführt werden, mit Wirkung für einen Versorgungsanspruch wegen anderer gesundheitlicher Folgen rechtsverbindlich festgestellt (BSG, Urteil vom 14.3.1972 - 9 RV 388/71, SozR Nr 84 zu § 1 BVG). Hinsichtlich der anerkannten Schädigungsfolgen muss jedoch davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Kreis der potenziell versorgungsberechtigten Personen gehört (zur Verschlimmerung oder zu Folgeschäden von als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen: BSG, Urteil vom 9.12.1998 - B 9 V 45/97 R, SozR 3-1500 § 141 Nr 6 S 8; anders bei der zusätzlichen Anerkennung weiterer davon unabhängiger Schädigungsfolgen: BSG, Urteil vom 9.12.1998 - B 9 V 46/97 R, BSGE 83, 171, 173 = SozR 3-3100 § 7 Nr 5 S 17).

Bezogen auf die anerkannten Schädigungsfolgen umfasst die im Bescheid vom 15.5.1990 getroffene wirksame und bindende Grundentscheidung über eine Teilversorgung nach § 64e Abs 1 BVG auch Heilbehandlung (hier im Rahmen eines Anspruchs auf pflichtgemäße <fehlerfreie> Ausübung des Ermessens), denn der in dem genannten Bescheid aufgeführte § 64e Abs 1 BVG sieht Teilversorgung nach den Abs 2 bis 4, also gemäß § 64e Abs 3 Satz 1 BVG auch Leistungen der Heilbehandlung nach § 64a Abs 1 BVG einschließlich der Versorgung mit Körperersatzstücken vor.

cc) Die in dem Bescheid vom 15.5.1990 enthaltenen Verwaltungsakte sind in der Folgezeit weder mit Bescheid vom 8.3.1993 noch später zurückgenommen worden. Sie haben sich auch nicht iS von § 39 Abs 2 SGB X durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt. Die im Bescheid vom 8.3.1993 getroffene Regelung beschränkte sich darauf, gemäß § 48 Abs 3 SGB X eine weitere Leistungserhöhung auszusparen und bis zur Höhe des Bestandsschutzes abzuschmelzen (hierzu BSG, Urteil vom 29.8.1990 - 9a/9 RV 32/88, SozR 3-3100 § 62 Nr 1 S 4; BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 26/94, SozR 3-3100 § 62 Nr 2 S 7 f; BSG, Urteil vom 28.7.1999 - B 9 V 18/98 R, SozR 3-3100 § 62 Nr 3 S 11; BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 V 26/98 R ,SozR 3-3100 § 62 Nr 4 S 15 ff; BSG, Urteil vom 19.9.2000 - B 9 SB 3/00 R, BSGE 87, 126, 128 f = SozR 3-1300 § 45 Nr 43 S 144 f; BSG, Urteil vom 16.12.2004 - B 9 VS 1/04 R, BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 jeweils RdNr 7). Dies setzt die Feststellung der Rechtswidrigkeit des nicht mehr rücknehmbaren Ausgangsverwaltungsaktes als eigenständig anfechtbaren Verwaltungsakt voraus (hierzu BSG, Urteil vom 22.6.1988 - 9/9a RV 46/86, BSGE 63, 266, 269 = SozR 3642 § 9 Nr 3 S 10; BSG, Urteil vom 18.3.1997 - 2 RU 19/96, BSGE 80, 119, 122 = SozR 3-1300 § 48 Nr 61 S 143; BSG, Urteil vom 16.12.2004 - B 9 VS 1/04 R, BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 jeweils RdNr 7). Eine solche Feststellung hat aber nicht zur Folge, dass damit die Bindungswirkung der Anerkennung von Schädigungsfolgen nach § 1 BVG und der Zuerkennung einer Teilversorgung nach § 64e Abs 1 BVG im Bescheid vom 15.5.1990 beseitigt wäre, denn diese Verwaltungsakte können, obwohl sie wegen Nichtbeachtung des § 7 Abs 2 BVG rechtswidrig sind, wegen Ablaufs der Zweijahresfrist (§ 45 Abs 3 Satz 1 SGB X) gerade nicht mehr zurückgenommen werden (vgl BSG, Urteil vom 22.6.1988 - 9/9a RV 41/86, BSGE 63, 259, 262 = SozR 1300 § 48 Nr 49 S 139).

3. Der Kläger kann demnach vom Beklagten entsprechend § 8 Satz 1 BVG iVm § 64e Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 64a Abs 1 BVG im Wege der Teilversorgung mit Hilfsmitteln versorgt, also mit Körperersatzstücken ausgestattet werden, soweit diese Heilbehandlung in ursächlichem Zusammenhang mit den anerkannten Schädigungsfolgen steht. Im Rahmen der dabei zu treffenden Ermessensentscheidung haben für die Versorgungsverwaltung die "Regelungen für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa (Richtlinien Ost 1990)" vom 7.12.1990 (BABl 2/1991, 97) im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz ergänzende Bedeutung (vgl BSG, Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R, BSGE 88, 153, 160 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9 S 39). Nach Nr 9 dieser Richtlinien werden Hilfsmittel nach § 13 Abs 1 BVG, wie Körperersatzstücke, nicht vom Ausschluss des § 64e Abs 3 Satz 4 BVG erfasst. Für diese kann eine Gewährung im Einzelfall nach Maßgabe besonderer Regelungen in Betracht kommen (Zusatzregelungen Ost, Richtlinien des BMA vom 1.12.1981 - VIa 1-53340-2/1, nicht veröffentlicht, zitiert nach Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 64a RdNr 12).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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