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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 15.07.2004
Aktenzeichen: B 9 V 24/03 B
Rechtsgebiete: SGG, ZPO


Vorschriften:

SGG § 202
ZPO § 295 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 V 24/03 B

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 15. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, den Richter Dau und die Richterin Knickrehm sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Döhnert und Pathe

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. März 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Streitig ist die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Das Versorgungsamt Essen lehnte durch bindenden Bescheid vom 12. Mai 1980 die Gewährung einer Beschädigtenrente an den Kläger ab, weil dessen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und der Nieren keine mittelbaren Folgen einer während der Ableistung des Kriegsdienstes 1943/44 durchgemachten Erkrankung seien (bestätigt durch rechtskräftiges Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen <LSG> vom 29. Januar 1991; vgl auch Beschluss des Bundessozialgerichts <BSG> vom 9. September 1991 über die vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde). Der Antrag des Klägers auf Überprüfung dieser Entscheidung nach § 44 SGB X ist erfolglos geblieben (Bescheid des Beklagten vom 2. April 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1992; Urteile des Sozialgerichts Osnabrück <SG> vom 23. März 1995 und des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25. März 2003). Das LSG hat zur Begründung der Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Bereits die Auswertung der während des Gerichtsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten der Professoren Dr. Z. und Dr. S. , unter Heranziehung des im Jahre 1984 von Prof. B. erstatteten Gutachtens, habe ergeben, dass die bei dem Kläger vorliegendenden Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems sowie der Nieren keine mittelbaren Schädigungsfolgen seien. Es komme daher nicht darauf an, ob das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. K. - dessen Ergebnis nicht von dem der anderen Gutachten abweiche - unverwertbar sei, weil es von dem Arzt Dr. E. unterschrieben und von dem beauftragten Sachverständigen nur mit den Worten gezeichnet worden sei: "Kraft eigener Kenntnis einverstanden".

Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil gerichteten Beschwerde macht der Kläger Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) geltend. Er rügt die Verwertung der Sachverständigengutachten der Professoren K. und S. . Beide seien ihrem Auftrag nicht persönlich nachgekommen, sondern hätten sich bei der Erstellung der Gutachten anderer Ärzte bedient (im Fall des Prof. S. - Dr. Ku. ), ohne den Umfang dieser Tätigkeit sowie die Qualifikation der Ärzte kenntlich zum machen und die Mithilfe durch das Gericht genehmigen zu lassen.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 160a Abs 5 SGG).

Soweit sich der Kläger gegen die Verwertung des von Prof. Dr. K. und Dr. E. unterzeichneten Gutachtens wendet, übersieht er, dass sich das LSG auf dieses ausdrücklich nicht gestützt, sondern dessen Verwertbarkeit offen gelassen hat. Der gerügte Verfahrensfehler liegt jedoch im Hinblick auf das von dem Sachverständigen Prof. Dr. S. vorgelegte Sachverständigengutachten vor. Wie der Kläger zutreffend darlegt, durfte das LSG dieses Gutachten nicht verwerten, ohne vorher, wie von ihm beantragt, den Umfang der Mitarbeit und die Qualifikation der Ärztin Dr. Ku. zu klären (§ 118 SGG iVm § 407a Abs 2 Zivilprozessordnung <ZPO>).

Der Senat hat bereits entschieden hat, dass ein Verstoß gegen § 407a Abs 2 ZPO grundsätzlich einen Fehler bei der Sachaufklärung bedingen kann und daher als ein beachtenswerter Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG in Betracht zu ziehen ist (vgl Beschluss des Senats vom 18. September 2003 - B 9 VU 2/03 B -, JURIS - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Nach § 407a Abs 2 Satz 1 ZPO ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (§ 407a Abs 2 Satz 2 ZPO).

Zwar führt die Mitarbeit eines anderen Arztes - hier Dr. Ku. bei der Erfüllung des Gutachtensauftrags durch Prof. S - für sich allein genommen noch nicht zu einer Unverwertbarkeit des Sachverständigengutachtens. § 407a Abs 2 Satz 2 letzter Halbsatz ZPO erlaubt dem Sachverständigen, sich zur Erledigung des Gutachtensauftrags anderer Personen - auch anderer Ärzte - zu bedienen. Auch mag man die Pflicht, gemäß § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO den Namen und Umfang der Tätigkeit der mitarbeitenden Person mitzuteilen, in erster Linie als eine formale Aufgabe des Sachverständigen gegenüber dem Gericht werten. Seine uneingeschränkte persönliche Verantwortung für das Gutachten erklärt der beauftragte Sachverständige nämlich durch seine Unterschrift mit dem sinngemäßen Zusatz, er habe die Arbeit seines qualifizierten Mitarbeiters selbst nachvollzogen und sich zu Eigen gemacht, er sei auf Grund eigener Überzeugung und Urteilsbildung einverstanden (vgl Thomas/Putzo, ZPO, 23. Auflage, § 407a RdNr 3, 4; vgl auch Beschluss des Senats vom 18. September 2003 mwN). Erst wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit des weiteren Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine - das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden - Zentralaufgaben delegiert (vgl BSG aaO), ist die Grenze der erlaubten Mitarbeit überschritten, liegt ein unverwertbares Gutachten vor.

Ob aus dem Beitrag des mitarbeitenden Arztes auf das Überschreiten der zuvor beschriebenen Grenze geschlossen werden kann, wird im Einzelfall vom Umfang seiner Mitarbeit, aber auch von seiner Qualifikation abhängen. Aus diesem Grunde kann das Sachverständigengutachten bei Fehlen der nach § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO erforderlichen Angaben grundsätzlich einem Verwertungsverbot unterliegen (vgl auch Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, III; RdNr 68). Das Gebot der Anzeige der Heranziehung von Hilfspersonen für nicht nur untergeordnete Tätigkeiten nach § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO soll eine verdeckte Übertragung von Aufgaben in unerlaubtem Maße verhindern (vgl Zöller, Zivilprozessordnung, 24. Aufl, 2004, § 407a RdNr 2b); den Beteiligten soll die Möglichkeit eröffnet werden nachzuvollziehen, an wen und in welchem Umfang Aufgaben delegiert worden sind, damit sie die Einhaltung der oben beschriebenen Grenzen überprüfen können. Zugleich sollen die Beteiligten Gelegenheit erhalten, Einwendungen gegen Person und Sachkunde des Mitarbeiters vorzubringen (vgl BT-Drucks 11/3621, S 40). Somit hat es auch für die Beteiligten eine besondere Bedeutung, ob der Sachverständige seiner Verpflichtung aus § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO gegenüber dem Gericht nachgekommen ist.

Wird demnach einem Beteiligten wegen der fehlenden Information nach § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO die Möglichkeit genommen, die Grenzen der erlaubten Mitarbeit zu überprüfen, folgt hieraus ein (ggf vorläufiges) Verbot der Verwertung des Gutachtens. Diese Rechtsfolge setzt allerdings voraus, dass (1) der betreffende Beteiligte objektiv ein berechtigtes Interesse an den Angaben nach § 407a Abs 2 Satz 2 SGG hat und (2) das Gericht dessen Antrag, vom Sachverständigen die Informationen nach dieser Vorschrift anzufordern, übergangen hat.

(1) Ein berechtigtes Interesse des Beteiligten an einer gesonderten (weiteren) Auskunft iS von § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO ist dann gegeben, wenn die ihm zugänglichen Informationen objektiv nicht darauf schließen lassen, ob und ggf in welchem Umfang ein weiterer Arzt an der Erstellung eines Sachverständigengutachtens mitgearbeitet hat und über welche Qualifikation dieser verfügt, der betreffende Beteiligte mithin an Hand der Erkenntnisse aus dem Verfahren die Einhaltung der Grenzen der zulässigen Mitarbeit nicht überprüfen kann. Das wird insbesondere dann nicht der Fall sein, wenn der Sachverständige von sich aus oder auf eine mit dem Gutachtenauftrag verbundene Bitte des Gerichts hin schon in seinem Gutachten hinreichende Angaben gemacht hat. Auch anlässlich einer persönlichen Untersuchung kann der Beteiligte bereits entsprechende Erkenntnisse gewonnen haben.

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger objektiv ein berechtigtes Interesse an den von ihm gewünschten Angaben nach § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO; er hatte noch nicht auf andere Weise die notwendigen Informationen erhalten. Das betreffende Sachverständigengutachten des Prof. S ist nach § 109 SGG angefordert und nach Aktenlage erstellt worden. Es galt zudem, eine schwierige Kausalitätsfrage zu beurteilen. Bei einem Sachverständigengutachten nach Aktenlage kann sich der Beteiligte kein eigenes Bild von dem mitarbeitenden Arzt, dem Umfang seiner Tätigkeit und seiner Qualifikation machen. War zudem gemäß § 109 SGG ein bestimmter Sachverständiger wegen seiner besonderen Kompetenz als Arzt des Vertrauens benannt worden, ist es um so dringender erforderlich, Fragen zur Tätigkeit des anderen Arztes nachzugehen, um überprüfen zu können, ob die Grenze der erlaubten Mitarbeit überschritten ist.

(2) Liegt ein berechtigtes Interesse objektiv vor, folgt ein Verwertungsverbot allerdings nur dann, wenn der betreffende Beteiligte die Anforderung der Informationen iS des § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO beantragt hat und das Gericht einen derartigen Antrag übergeht. Der Beteiligte muss also dem Gericht bereits während des Verfahrens zu verstehen geben, aus seiner Sicht bestehe insoweit weiterer Aufklärungsbedarf.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren am 6. Dezember 2002 und 8. Januar 2003 einen entsprechenden Antrag schriftsätzlich gestellt, den das LSG übergangen hat, indem es die erforderlichen Informationen nicht angefordert hat.

Der Kläger hat sein Recht, den danach vorliegenden Verfahrensmangel zu rügen, auch nicht nach § 202 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO verloren. Abgesehen von seinen schriftsätzlichen Anträgen vom 6. Dezember 2002 und 8. Januar 2003 hat er im Rahmen seiner Erklärung vom 5. Februar 2003 zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 124 Abs 2 SGG) nochmals beantragt, den Umfang der Tätigkeit und die Qualifikation der Klinikärztin Dr. Ku. mitzuteilen, weil er Zweifel habe, ob das Sachverständigengutachten des Prof. S. dem Gutachtensauftrag entspreche.

Auf dem gerügten Verfahrensmangel kann das angegriffene Berufungsurteil auch beruhen. Das LSG hat sich zur Verneinung einer Fortwirkung der 1943/44 wehrdienstbedingt eingetretenen Erkrankungen des Klägers längere Zeit über die Beendigung des Wehrdienstes im Mai 1945 hinaus und einer Verursachung der streitgegenständlichen Gesundheitsschäden sowohl im Sinne eines Rezidivs als auch im Sinne einer Folgeerkrankung ausdrücklich nicht nur auf das Sachverständigengutachten des Prof. Z. , sondern auch auf das des Prof. S. gestützt.

Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG somit vorliegen, steht es im Ermessen des erkennenden Gerichts, nach § 160a Abs 5 SGG zu verfahren. Da im weiteren Rechtsstreit zunächst einmal zu klären ist, in welchem Umfang und mit welcher Qualifikation Dr. Ku. tätig geworden ist und ob das Sachverständigengutachten des Prof. S. danach verwertet werden kann, sprechen prozessökonomische Gründe für eine unmittelbare Zurückverweisung des Sache, zumal auch ein durch Zulassung eröffnetes Revisionsverfahren zu keinem anderen Ergebnis führen könnte.

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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