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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: B 9 V 3/02 R
Rechtsgebiete: BVG, BSchAV, AusglV


Vorschriften:

BVG § 30 Abs 3 ff
BSchAV § 9
BSchAV § 10
AusglV § 2 Abs 1 Nr 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 V 3/02 R

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 16. Dezember 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, den Richter Masuch und die Richterin Knickrehm sowie die ehrenamtlichen Richter Manzewski und Kadoke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. Mai 2002, der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Januar 2002 und der Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2001 aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für alle drei Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Berufsschadensausgleichs (BSchA) des Klägers nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1923 geborene schwer kriegsbeschädigte Kläger erhält seit seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben im Jahre 1982 zu seinen Bezügen nach dem BVG auch BSchA. Als derzeitiges Bruttoeinkommen wird dabei ua die Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt. Diese Leistung wurde 1998 rückwirkend ab 1. Januar 1992 unter zusätzlicher Anrechnung pauschaler persönlicher Entgeltpunkte für 60 Monate Kindererziehungszeiten (KEZ) erhöht.

Mit Bescheid vom 21. Januar 1999 setzte der Beklagte daraufhin den BSchA unter Berücksichtigung der neuen Rentenhöhe ab 1. Januar 1992 herab und stellte eine Überzahlung von 8.958,-- DM fest. In Höhe von 8.601,-- DM machte er beim Rentenversicherungsträger einen Erstattungsanspruch auf die Rentennachzahlung des Klägers geltend, die restlichen 357,-- DM behielt er von den laufenden Versorgungsbezügen des Klägers ein. Dessen Widerspruch blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 16. März 2001).

Das Sozialgericht Karlsruhe hat die Klage im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2002): KEZ seien in der gesetzlichen Rentenversicherung Beitragszeiten eigener Art, aber mit vergleichbarer materieller Wirkung. Wie Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten hingen sie mit der Erwerbstätigkeit zusammen, weil sie an Stelle mit Erwerbstätigkeit verbundener Beitragszeiten träten. Durch das Rentenreformgesetz 1999 sei dieser Charakter nicht verloren gegangen, obwohl KEZ seither neben Beitragszeiten zu berücksichtigen seien. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 7. Mai 2002). Es hat seine Entscheidung insbesondere auf die Erwägungen gestützt: Der Kläger könne nur verlangen, wegen der KEZ nicht schlechter gestellt zu werden, als er bei voller Erwerbstätigkeit gestanden hätte. Das sei bei Hinzurechnung der auf KEZ entfallenden Rentenanteile zum derzeitigen Bruttoeinkommen gewährleistet. Die vom Kläger angestrebte Besserstellung gegenüber Erwerbstätigen verbiete sich.

Der Kläger macht mit der Revision geltend: Das Berufungsurteil verletzte § 30 Abs 3 ff BVG, §§ 9, 10 Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) und § 2 Abs 1 Nr 8 Ausgleichsrentenverordnung (AusglV). Zum derzeitigen Bruttoeinkommen rechneten nur Einnahmen aus einer früheren oder gegenwärtigen unselbständigen Tätigkeit. Rentenrechtlich berücksichtigte KEZ führten nicht zu einer solchen Einnahme. Ebenso wie die auf freiwilligen, nicht aus Erwerbseinkünften finanzierten Beiträgen beruhenden Rentenanteile seien auch diejenigen Rentenanteile zu behandeln, die auf Beiträgen beruhten, die der Bund für KEZ gezahlt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 7. Mai 2002 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Januar 2002 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2001 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffenen Entscheidungen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Vorinstanzen haben die vom Kläger angefochtene Verwaltungsentscheidung des Beklagten zu Unrecht bestätigt.

Der Beklagte kann die rückwirkende Herabsetzung des BSchA des Klägers nicht auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) stützen. Zwar stellen die Bescheide über die Höhe des BSchA Verwaltungsakte mit Dauerwirkung dar, in der mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 19. Oktober 1998 erfolgten Neufeststellung der Regelaltersrente des Klägers wegen nachträglicher Anerkennung von KEZ für fünf Kinder liegt jedoch keine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die bei Erlass der BSchA-Bewilligungen bestanden haben. Die auf KEZ beruhenden Rentenanteile sind bei der Bemessung des BSchA nicht zu berücksichtigen.

Nach § 30 Abs 3 BVG idF vom 21. Juni 1991 (BGBl I 1310; mit späteren, hier nicht bedeutsamen Änderungen) erhalten rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, nach Anwendung des Abs 2 dieser Vorschrift einen BSchA in Höhe von 42,5 vH des auf volle DM nach oben abgerundeten Einkommensverlustes. Dabei ist Einkommensverlust der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen (§ 30 Abs 4 Satz 1 BVG). Was im Einzelnen als derzeitiges Einkommen gilt, bestimmt die BSchAV (vgl die Ermächtigungsgrundlage in § 30 Abs 14 BVG). Gemäß § 9 Abs 1 Nr 1 BSchAV idF vom 16. Januar 1991 (BGBl I 136; mit späteren, hier nicht bedeutsamen Änderungen) gelten als derzeitiges Bruttoeinkommen ua alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert aus einer früheren oder gegenwärtigen unselbstständigen Tätigkeit, soweit in § 30 Abs 11 Satz 1 und § 64 Abs 2 Satz 2 und 3 BVG sowie in § 10 BSchAV nichts anderes bestimmt ist. Zu den Einnahmen aus früherer unselbst-ständiger oder selbstständiger Tätigkeit gehören insbesondere auch Renten aus den ge-setzlichen Rentenversicherungen, mit Ausnahme des Rentenanteils, der auf freiwilligen Beiträgen beruht, die der Beschädigte nicht - auch nicht mittelbar - aus Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit entrichtet hat (vgl § 9 Abs 2 Nr 2 BSchAV).

Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine Berücksichtigung der auf KEZ beruhenden Rentenanteile nicht bereits nach § 10 BSchAV ausgeschlossen. Danach gehören zum derzeitigen Bruttoeinkommen iS des § 30 Abs 4 Satz 1 BVG nicht die in § 2 Abs 1 AusglV genannten Einkünfte. Soweit § 2 Abs 1 Nr 8 AusglV Kinderzuschüsse, Kinderzulagen, Kinderzuschläge, Kindergelder uä Leistungen aufführt, die für Kinder gezahlt werden, erfasst er damit nicht solche kinderbezogenen Vergünstigungen, die - wie hier - in eine Rentenberechnung der gesetzlichen Rentenversicherung eingehen (so bereits BSG SozR 3-3100 § 40a Nr 1).

Zur Berücksichtigung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat der Senat bereits grundsätzlich entschieden (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 52 S 210), dass § 9 Abs 2 Nr 2 BSchAV im Lichte der in § 9 Abs 1 BSchAV enthaltenen Definition, die in Abs 2 einleitend als Oberbegriff der folgenden Beispiele wiederholt wird, einschränkend auszulegen ist. Danach gelten als derzeitiges Bruttoeinkommen ua alle Einnahmen an Geld oder Geldeswert aus einer früheren unselbstständigen Tätigkeit. Somit darf eine Versichertenrente wie die des Klägers nur insoweit angerechnet werden, als sie Bruttoeinkommen aus früherer unselbstständiger Tätigkeit ist, also auf eine solche Erwerbsquelle zurückgeht. Das ist hinsichtlich der auf KEZ beruhenden Rentenanteile nicht der Fall.

KEZ sind nach Maßgabe der §§ 56, 249 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Pflichtbeitragszeiten, für die Beiträge als gezahlt gelten bzw (ab 1. Januar 1999) vom Bund erbracht werden (vgl § 177 SGB VI). Nach § 70 Abs 2 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) erhielten KEZ für jeden Kalendermonat 0,0625, mindestens jedoch die nach Abs 1 der Vorschrift ermittelten Entgeltpunkte (EP). Danach wirkten sich KEZ bei gleichzeitigem Vorhandensein entsprechend hoch bewerteter anderer Beitragszeiten bei der Rentenberechnung nicht aus. Diese Regelung ist durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. März 1996 für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt worden (vgl BVerfGE 94, 241 = SozR 3-2200 § 1255a Nr 5). Mit Wirkung ab 1. Juli 1998 sind für KEZ pro Monat 0,0833 EP vorgesehen, die überdies zeitgleichen EP für sonstige Beitragszeiten bis zur Erreichung eines Höchstwertes hinzugerechnet werden (vgl § 70 Abs 2 SGB VI idF des Gesetzes vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2998; zur Übergangsregelung für Bestandsrenten vgl § 307d SGB VI).

Anders als Ersatz-, Anrechnungs- oder Zurechnungszeiten folgen KEZ nicht dem Prinzip der Schließung von Beitragslücken (vgl dazu BVerfG SozR 3-2200 § 1255a Nr 5 S 14 ff; aA noch BSG SozR 2200 § 1255a Nr 20); vielmehr werden sie unabhängig von einer vorherigen oder späteren Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft der Beitragszahler gewährt. Wer vor dem 1.1.1992 fünf Kinder erzogen hat, erfüllt damit die Wartezeit für eine Regelaltersrente (vgl § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Die nach altem Recht vorgesehene Subsidiarität von KEZ gegenüber anderen Beitragszeiten hat das BVerfG mit der Begründung als verfassungswidrig angesehen, dadurch werde dem Wert der KEZ für den Fortbestand des Rentenversicherungssystems nicht hinreichend Rechnung getragen (vgl BVerfG SozR 3-2200 § 1255a Nr 5 S 16 f). Dementsprechend tritt der Gesichtspunkt einer Honorierung der Erziehungsleistung im neuen Recht (additive Berücksichtigung von EP wegen Kindererziehung) deutlicher hervor. Mit dieser Konzeption wäre es unvereinbar, die auf KEZ beruhenden Rentenanteile im Rahmen des § 9 Abs 2 BSchAV einer früheren Erwerbstätigkeit zuzuordnen.

Auch wenn die Kindererziehung als solche ein schädigungsunabhängiger Vorgang ist, rechtfertigt dies nicht, die auf KEZ beruhenden Rentenanteile als derzeitiges Bruttoeinkommen zu berücksichtigen. Sollte die Kindererziehungstätigkeit eines Kriegsbeschädigten zu Einbußen bei seinem derzeitigen Einkommen führen, müsste diesem Umstand nach Maßgabe der so genannten Nachschadensregelung (vgl § 30 Abs 11 BVG) Rechnung getragen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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