Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 11.11.2004
Aktenzeichen: B 9 VG 2/04 R
Rechtsgebiete: LBliGG


Vorschriften:

LBliGG § 2 Abs 1
LBliGG § 6 Abs 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 VG 2/04 R

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 11. November 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, den Richter Masuch und die Richterin Knickrehm sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Roos und Fehl

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beigeladenen werden die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 17. Dezember 2003 und des Sozialgerichts Dessau vom 18. Oktober 1999 geändert. Die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 15. August 1996 und 9. Oktober 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 1997 wird in vollem Umfang abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für alle drei Instanzen keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist, ob vom Beklagten für die Vergangenheit geschuldete Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) an den durch eine Gewalttat erblindeten Kläger oder an den Beigeladenen auszuzahlen sind, der dem Kläger Landesblindengeld gewährt hat.

Der 1959 geborene, im Gebiet des Beigeladenen ansässige Kläger wurde 1981 in Dresden in Folge eines tätlichen Angriffs an den Augen geschädigt. Der Beigeladene gewährte ihm seit Januar 1992 Blindengeld nach dem Gesetz über das Blindengeld im Land Sachsen-Anhalt (LBliGG) vom 19. Juni 1992 (GVBl Sachsen-Anhalt S 565). Das monatliche Blindengeld belief sich im hier fraglichen Zeitraum ab Juli 1993 auf 766,00 DM, ab Juli 1994 auf 804,00 DM und ab Juli 1995 auf 840,00 DM.

Auf den vom Kläger im Juni 1993 gestellten Antrag gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 15. August 1996 Beschädigtenversorgung nach dem OEG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Danach leistete er dem Kläger - wegen einer Blindheit rechts und einer hochgradigen Sehschwäche links - ab Januar 1991 eine Grundrente und ab Januar 1993 zusätzlich eine Ausgleichsrente. Mit Wirkung vom 1. Mai 1994 stellte der Beklagte als Schädigungsfolge Blindheit fest und bewilligte dem Kläger zusätzlich zu den genannten Leistungen Pflegezulage nach Stufe III (zunächst 826,00 DM), Kleiderverschleißpauschale (zunächst 39,00 DM), Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe I (zunächst 92,00 DM) und Führzulage (zunächst 184,00 DM). Für den Zeitraum vom 1. Januar 1991 bis 31. August 1996 berechnete der Beklagte (im Bescheid vom 15. August 1996) eine Nachzahlung von insgesamt 85.564,00 DM, die er für etwaige Erstattungsansprüche anderer Stellen vorläufig einbehielt; ab 1. September 1996 zahlte er die Versorgungsbezüge monatlich laufend. Mit - hier nicht angegriffener - Verfügung vom 14. Oktober 1996 berichtigte der Beklagte den Nachzahlungsbetrag auf 83.832,00 DM.

Der Beigeladene bezifferte seinen im Juli 1996 beim Beklagten angemeldeten Erstattungsanspruch mit Schreiben vom 27. September 1996 auf 24.620,00 DM (Blindengeld für die Zeit von Mai 1994 bis Oktober 1996). Gegenüber dem Kläger hob er seine Bewilligung von Blindengeld durch Bescheid vom 10. Oktober 1996 mit Wirkung ab 1. November 1996 auf. Der Beklagte teilte sodann dem Kläger unter dem 9. Oktober 1996 mit, dass er dem Beigeladenen einen Betrag von 22.940,00 DM (für die Zeit von Mai 1994 bis August 1996) erstatten und 60.892,00 DM an ihn, den Kläger, auszahlen werde. Der Widerspruch des Klägers gegen die Erstattung an den Beigeladenen ("Verrechnung") blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. Januar 1997).

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) Chemnitz hat die Klage mit Beschluss vom 5. Mai 1997 an das SG Dessau verwiesen, welches mit Urteil vom 18. Oktober 1999 die Bescheide des Beklagten vom 15. August und 9. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 1997 geändert und den Beklagten zur Zahlung weiterer 16.260,00 DM an den Kläger verurteilt hat; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Leistungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten gelte nach § 107 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als erfüllt, soweit - wie hier - ein Erstattungsanspruch nach § 103 Abs 1 SGB X bestehe. Der Beigeladene könne vom Beklagten Erstattung verlangen, weil die vom Beklagten geschuldeten Versorgungsleistungen zum Teil gemäß § 2 Abs 1 LBliGG als gleichartige Leistungen auf das Blindengeld anzurechnen seien. Dies treffe aber nur auf die für den Zeitraum von Mai 1994 bis August 1996 bewilligte Führzulage (5.512,00 DM) und Kleiderverschleißpauschale (1.168,00 DM) zu; die Pflegezulage nach § 35 Abs 1 BVG sei keine gleichartige Leistung, denn sie werde nicht wie das Blindengeld zum Ausgleich von durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen geleistet. Der Gewährung einer Pflegezulage nach Stufe III an Blinde liege die gesetzliche Vermutung zu Grunde, dass Blinde stets hilflos seien.

Die Berufungen des Beigeladenen und des Beklagten hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) mit Urteil vom 17. Dezember 2003 zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung auf folgende Gesichtspunkte gestützt: Der mit den Berufungen angefochtene Teil des SG-Urteils sei im Ergebnis richtig; der Beklagte sei verpflichtet, dem Kläger noch den entsprechenden Betrag (16.260,00 DM = 8.313,61 €) zu zahlen. Für ein Erlöschen des Anspruch auf diesen Betrag auf Grund des vom Beigeladenen angemeldeten Erstattungsanspruchs fehle es an einer Rechtsgrundlage. Die vom SG herangezogene Regelung des § 107 Abs 1 SGB X sei weder unmittelbar noch auf Grund der Verweisung in § 6 Abs 2 LBliGG entsprechend anwendbar; eine Erfüllungsfiktion könne auch nicht aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz zur Vermeidung von Doppelleistungen abgeleitet werden. Das auf Grund von Landesrecht gewährte Blindengeld gehöre nicht zu den Sozialleistungsbereichen des SGB (Hinweis auf VG Hamburg vom 19. Dezember 2000, NordÖR 2001, 202). Die in § 6 Abs 2 LBliGG angeordnete entsprechende Anwendung des SGB X könne nur als Landesrecht Geltung erlangen. Die in Art 70 Grundgesetz (GG) den Ländern eingeräumte Gesetzgebungskompetenz erfasse nicht bundesrechtlich geregelte Sozialleistungen, zu denen der Anspruch des Klägers auf Versorgungsleistungen nach dem OEG iVm dem BVG gehöre. Es bestehe auch kein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass zur Vermeidung von Doppelleistungen eine an einen Sozialleistungsträger erbrachte Leistung, auf die nach dem für ihn geltenden Recht eine von einem anderen Sozialleistungsträger zu erbringende Leistung anzurechnen sei, als Erfüllung der zu erbringenden Leistung gelte. Eine planwidrige Gesetzeslücke in diesem Sinne sei nicht anzunehmen, wenn eine Regelung - wie hier - in Folge der verfassungsrechtlichen Abgrenzung zwischen den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder fehle. Ebenso scheide ein Rückgriff auf den gewohnheitsrechtlich anerkannten allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aus. Eine Umdeutung (§ 43 SGB X) des fehlerhaften Bescheides vom 9. Oktober 1996 in eine Verrechnung nach § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beigeladene mit Bescheid vom 10. Oktober 1996 die Bewilligung des Blindengeldes erst mit Wirkung vom 1. November 1996 aufgehoben habe.

Mit seiner Revision rügt der Beigeladene eine Verletzung von § 2 Abs 1 und § 6 Abs 2 LBliGG. Dazu trägt er vor: § 6 Abs 2 LBliGG schreibe in verfassungsgemäßer Weise - ebenso wie Landesblindengeld- bzw Landespflegegeldgesetze anderer Bundesländer - eine entsprechende Anwendung des SGB I und des SGB X in der jeweils gültigen Fassung (dynamische Verweisung) vor. Bei der Entschädigung von Gewaltopfern komme das OEG als besonderer Teil des SGB (§ 68 Nr 7 SGB I) und demzufolge das Verwaltungsverfahrensrecht des SGB X zur Anwendung. Auf Grund dieses 1976 beschlossenen Bundesgesetzes seien die Länder zur Gewährung von Versorgung verpflichtet (§ 4 Abs 1 Satz 1 OEG), an deren Kosten sich der Bund auf Grund des Art 104a GG mit 40 vH der Geldleistungen beteilige (§ 4 Abs 2 Satz 1 OEG). Die Kosten für Sachleistungen fielen in voller Höhe allein dem jeweiligen Landeshaushalt zur Last. Die Nichtanwendung der Erstattungsvorschriften des SGB X dürfe im Ergebnis nicht zur Gewährung von Doppelleistungen, damit zu einer ungewollten Vermögensverschiebung zwischen den Leistungsträgern führen. Zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen erhalte das Gewaltopfer - neben der Führzulage und der Kleiderverschleißpauschale - auch eine pauschale Pflegezulage nach Stufe III. Dem gleichen Zweck diene das unabhängig vom Einkommen und Vermögen allen Zivilblinden zustehende (Landes-)Blindengeld ebenso wie die einkommens- und vermögensabhängig gezahlte Blindenhilfe (§ 67 Bundessozialhilfegesetz <BSHG>) und die Blindenhilfe im Rahmen der Kriegsopferfürsorge (§ 27d Abs 1 Nr 4 BVG). Für die genannten Leistungen gelte, dass sie beim Landesblindengeld im vollen Umfang als vorrangige Leistungen zu berücksichtigen seien.

Der Beigeladene beantragt sinngemäß,

die Urteile des LSG vom 17. Dezember 2003 und des SG vom 18. Oktober 1999 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt unter näherer Darlegung,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beklagte hat sich nicht zur Sache geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II

1. Die Revision des Beigeladenen ist zulässig.

a) Der Beigeladene macht geltend, das Berufungsurteil beruhe auf der Verletzung einer Vorschrift, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des LSG hinaus erstreckt (§ 162 SGG; vgl dazu neuerdings BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 20/03 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, mwN). Er rügt insoweit ausdrücklich eine fehlerhafte Anwendung von § 2 Abs 1 und § 6 Abs 2 LBliGG durch das LSG und macht damit im Kern geltend, das LSG habe die Erstattung von landesrechtlichem Blindengeld auf Grund der §§ 102 ff SGB X zu Unrecht abgelehnt. Damit stützt er seine Revision auf die Verletzung der Vorschriften in § 2 Abs 1 und § 6 Abs 2 LBliGG, welche sich inhaltsgleich in den Landesblindengeldgesetzen weiterer Bundesländer finden (vgl etwa § 3 Abs 1, § 9 Abs 3 niedersächsisches Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde idF vom 18. Januar 1993, NdsGVBl S 25; § 5 Abs 1, § 8 Abs 1 sächsisches Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche vom 14. Dezember 2001, SächsGVBl S 714).

b) Der Beigeladene wird durch die von ihm angegriffene Entscheidung des LSG auch beschwert. Die Zurückweisung seiner Berufung gegen das Urteil des SG, das den Beklagten zur Zahlung weiterer 16.260,00 DM an den Kläger verurteilt hat, beeinträchtigt ihn in seinen Rechten. Das LSG hat dazu ausgeführt, es folge im Ergebnis der Begründung des SG, wonach der Beigeladene in dieser Höhe keinen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten habe; mithin sei der Anspruch des Klägers insoweit nicht untergegangen. Die Entscheidung über die Verwendung des Nachzahlungsbetrages betrifft zugleich das Recht des Beigeladenen auf Erstattung: Ihre Rechtskraft müsste er sich - ungeachtet der verschiedenen Streitgegenstände bei Erstattungs- und Leistungsanspruch - entgegenhalten lassen, wenn er insoweit vom Beklagten Erstattung fordert (vgl BSG SozR 1500 § 141 Nr 13 S 17, 19; SozR 1300 § 104 Nr 7 S 12, 23 f: "Einwendung").

2. Die Revision ist auch begründet.

a) Im Revisionsverfahren ist über den ursprünglichen Streitgegenstand nur insoweit zu entscheiden, als das SG der Klage stattgegeben hat. Von dem vom Beigeladenen beanspruchten Teil des Nachzahlungsbetrages (22.940,00 DM) sind dem Kläger 16.260,00 DM zugesprochen worden, während das SG 6.680,00 DM (5.512,00 DM Führzulage und 1.168,00 DM Kleiderverschleißpauschale für die Zeit von Mai 1994 bis August 1996) zur Erstattung an den Beigeladenen freigegeben hat. Da der Kläger gegen die teilweise Abweisung seiner Klage kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist das erstinstanzliche Urteil insoweit rechtskräftig geworden. Soweit es den noch streitigen Betrag von 16.260,00 DM betrifft, ist insbesondere zu prüfen, ob der Beigeladene diesbezüglich im Erstattungswege auf die dem Kläger für den betreffenden Zeitraum bewilligte Pflegezulage zugreifen kann.

b) Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 15. August 1996 und 9. Oktober 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 1997 in vollem Umfang abzuweisen. Der Kläger wendet sich ausschließlich dagegen, dass der ihm vom Beklagten für die Zeit von Mai 1994 bis August 1996 zuerkannte Nachzahlungsbetrag teilweise an den Beigeladenen ausgekehrt werden soll. Eine ihn belastende Regelung (§ 31 SGB X) enthält insoweit allein der Bescheid vom 9. Oktober 1996. Der Bewilligungsbescheid vom 15. August 1996 stellt den Anspruch des Klägers auf Versorgungsleistungen ua auch für den Streitzeitraum fest; soweit der Beklagte darin die Auszahlung bis zur Klärung der Ansprüche Dritter zurückgestellt hat, ist der Kläger dem nicht mit der Behauptung entgegen getreten, dadurch in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Hinsichtlich des Bewilligungsbescheides erweist sich die Klage mithin bereits als unzulässig und ist schon aus diesem Grunde abzuweisen.

c) Anders als das LSG meint, erfasst der Geltungsbereich des SGB X auch den vorliegenden Fall eines Zusammentreffens von bundes- und landesrechtlichen Sozialleistungen (dazu näher unter aa). Der Erstattungsanspruch des Beigeladenen scheitert - entgegen der Auffassung des SG - auch nicht daran, dass es sich insoweit bei (Landes)Blindengeld und Pflegezulage nach der Stufe III um Leistungen handelt, die nicht vergleichbaren Zielen dienen (dazu näher unter bb).

aa) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt (§ 107 Abs 1 SGB X). Bei Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf den vorliegenden Fall gilt der Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Auszahlung eines Teils der Nachzahlung (16.260,00 DM betreffend Pflegezulage nach Stufe III für die Zeit vom 1. Mai 1994 bis 31. August 1996; ab 1. September 1996 wurde die Beschädigtenversorgung laufend monatlich gezahlt) als erfüllt, vorausgesetzt, es besteht ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegen den Beklagten ("Erfüllungsfiktion"). Mit Antrag und Klage verfolgt der Kläger - gegen den zur Leistung verpflichteten Beklagten als Leistungsträger - einen Anspruch auf Auszahlung einer Sozialleistung (Opferentschädigung nach dem OEG iVm dem BVG), auf die sich das SGB fraglos erstreckt (vgl § 68 Nr 7 SGB I). In diesem Punkt geht die vom LSG vertretene Auffassung ins Leere, die Vorschrift des § 107 SGB X könne hier nicht angewendet werden. Das LSG hat insoweit zu Unrecht allein das LBliGG in den Blick genommen.

Weiter ist zu prüfen, ob der vom Beigeladenen verfolgte, in § 107 Abs 1 SGB X vorausgesetzte Erstattungsanspruch gegen den Beklagten besteht. Auch insoweit greifen die vom LSG angeführten Bedenken nicht durch. Das LSG brauchte - von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht - nicht zu entscheiden, auf welcher Rechtsgrundlage der Beigeladene vom Beklagten Erstattung in Höhe des im streitigen Zeitraum aufgewendeten Blindengeldes verlangen kann. Das SG ist in diesem Punkt - zutreffend - von der Anwendbarkeit des § 103 Abs 1 SGB X ausgegangen (§ 104 SGB X kommt hier nicht zum Tragen, weil der Beigeladene nicht anfänglich nachrangig geleistet hat; vgl dazu Kater in Kasseler Komm, SGB X § 103 RdNr 5). Danach gilt:

Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

Das Blindengeld ist eine "Sozialleistung", auf die der Anspruch mit der späteren, rückwirkenden Gewährung von Beschädigtenversorgung nachträglich entfallen ist. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die Erstattungsregelung sei nur anwendbar, wenn es sich bei der erbrachten wie auch bei der vom zuständigen Leistungsträger zu erbringenden Leistung um Sozialleistungen auf Grund des SGB oder derjenigen Gesetze handelt, die als besondere Teile des SGB gelten (vgl Kater in Kasseler Komm, aaO RdNr 8). Wie gezeigt, ist dies hinsichtlich der vom Beklagten geleisteten Beschädigtenversorgung zweifellos der Fall. Diesen Gesichtspunkt der Unterwerfung der Beschädigtenversorgung unter das Regime des SGB X hat das LSG nicht weiter in seine Prüfung einbezogen; damit wurde es zu der missverständlichen Formulierung verleitet, "dem Landesgesetzgeber (sei) eine Regelung von Gegenständen der Bundesgesetzgebung verwehrt", auf Grund der Verweisung in § 6 Abs 2 LBliGG könne daher das SGB X auf bundesrechtlich geregelte Sozialleistungen nicht - auch nicht entsprechend - angewendet werden. Das LSG verkennt dabei, dass es der Bundesgesetzgeber selbst gewesen ist, der die Anwendung des SGB X auf das Versorgungsrecht gesehen hat.

Durch § 6 Abs 2 Satz 1 LBliGG ist nun die entsprechende Anwendung des SGB X auf das Blindengeld landesrechtlich angeordnet (insoweit unterscheidet sich diese Fallgestaltung von der bei Geltung des Beihilferechts; vgl dazu BSG SozR 3-1200 § 46 Nr 3: "Leistungsträger" verneint, weil keine Sozialleistungen iS des SGB). Damit erklärt der Landesgesetzgeber auch das Blindengeld zur "Sozialleistung" iS von § 103 SGB X. Einen Kompetenzkonflikt sieht das LSG nun darin, dass sich das Landesrecht mit solcher Gesetzgebungstechnik einen Erstattungsanspruch durch Zugriff auf ein Recht ("Kompetenz") des Bundes "verschafft". Indessen greifen verfassungsrechtliche, insbesondere auf die Kompetenzordnung des GG gestützte Bedenken vorliegend nicht durch.

Das Bundessozialgericht (BSG) ist in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Landesgesetzgeber die Regelungen des SGB X auf Rechtsmaterien des Landes erstrecken kann, ohne die Frage nach der Legitimation aufzuwerfen (vgl zB Urteil vom 18. Februar 2004, - B 10 EG 10/03 R -, SozR 4-6940 Art 3 Nr 1 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; Urteil vom 27. Juli 2004 - B 7 SF 1/03 R -, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Zu Zweifeln bestand auch aus den vom LSG benannten Gründen kein Anlass, konnte doch ein "Übergriff" eines Landesgesetzgebers in das Bundesrecht nicht angenommen werden, im Gegenteil.

Das LSG bezieht sich in seiner Begründung auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. Dezember 2000, - 5 VG 3662/96 - (NordÖR 2001, 202), nach dessen Begründung es den Grundsätzen des Föderalismus und der Länderhoheit über die Gesetzgebung widerspricht, die Regelungen der §§ 102 ff SGB X "einseitig" über das Landesrecht für anwendbar zu erklären, wenn damit ein anderes Bundesland verpflichtet werden soll (ebd S 202); damit verschaffe sich der Landesgesetzgeber mittels einer landesrechtlichen dynamischen Verweisung auf das SGB X selbst einen Zugriff (Erstattungsanspruch) auf die Leistung des anderen Bundeslandes. Soweit es nun die vorliegende Fallgestaltung betrifft, lässt sich dieser Gedanke jedenfalls nicht übertragen. Es ist hier der Bundesgesetzgeber selbst, der den Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X in Fällen "entsprechender Leistungen" vorsieht; anordnen durfte er dies allerdings selbst nur für Sozialleistungen, die seiner (bundesrechtlichen) Regelungskompetenz unterliegen. Die landesrechtlich bewirkte Gleichstellung einer Leistung - wie hier des Landesblindengeldes - mit einer "Sozialleistung" im Sinne des SGB begegnet angesichts des weiten Begriffs (vgl nur Rüfner in Wannagat, SGB I, § 1 Rz 4) keinen kompetenzrechtlichen Bedenken; dies gilt namentlich im Hinblick darauf, dass die Gestaltung öffentlich-rechtlicher Sozialleistungen keineswegs allein dem Bund vorbehalten ist (Argument aus Art 74 GG).

Soweit in der vorliegenden Erstreckung des SGB X auf das Blindengeld auch eingeschlossen ist, dass damit eine bundesrechtliche Erstattungsregelung "zu Gunsten" einer landesrechtlichen Sozialleistung eröffnet wird, ist diese Nebenfolge ebenfalls unbedenklich. Es besteht gerade angesichts der Zwecksetzung der Regelungen der §§ 102 ff SGB X kein Zweifel daran, dass auch vom Bundesgesetzgeber selbst gewollt ist, eine doppelte Erbringung zweckidentischer Leistungen unabhängig davon zu vermeiden, ob diese landesrechtlich geregelt sind (vgl BSG SozR 1300 § 103 Nr 4, 5; § 104 Nr 15; Kater in Kasseler Komm aaO, § 103 RdNr 2 mwN, RdNr 5). Für die Sinnfälligkeit der hier getroffenen Einordnung von (Landes-)Blindengeld unter den Begriff "Sozialleistung" iS von § 103 SGB X sprechen dabei auch die vom Beigeladenen angeführten Verweise auf die vergleichbaren und ebenfalls dem SGB X unterliegenden Leistungen (Blindenhilfe nach dem BSHG und im Rahmen der Kriegsopferfürsorge, Pflegegeld für Unfallblinde). Wenn - was unter bb) noch darzustellen ist - Zweckidentität gegeben ist, führte eine Nichtanwendung des Erstattungsrechts gerade dazu, das Doppelleistungsverbot zu unterlaufen. Dass der Schaden dann - aus den vom Beigeladenen genannten Gründen - beim Landeshaushalt eintritt, ist aus dieser Sicht ohne Belang.

Weitere Bedenken gegen die gefundene Lösung ergeben sich nicht. Insbesondere ist hier nicht fraglich, dass institutionell gleichrangige Sozialleistungsträger beteiligt sind (vgl dazu BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 12). Die Lösung ist auch nicht etwa deshalb abzulehnen, weil anderes Landesrecht entgegenstünde. Soweit das LSG unter Hinweis auf Rechtsprechung des LSG Niedersachsen (ZfF 2003, 88) angesprochen (aber offen gelassen) hat, dass § 6 Abs 2 LBliGG deshalb nicht zur Anwendung des § 107 SGB X führen könnte, weil das LBliGG in seinem § 2 Abs 1 "anderes bestimmt", ist Folgendes zu beachten: Das zitierte Urteil des LSG Niedersachsen hat auf eine landesrechtliche Erstattungsregelung in § 9 niedersächsisches LBliGG abgestellt und ausgeführt, dort sei "anderes" bestimmt mit der Folge, dass die Erstattungsvorschriften des SGB X nicht zur Anwendung kämen (vgl ZfF 2003, 88, 89). Eine vergleichbare Regelung im vorliegenden LBliGG, die als "andere" Bestimmung gesehen werden könnte, ist nicht gegeben. Dies gilt auch für § 2 Abs 1 LBliGG, der lediglich vorsieht, dass auf das Blindengeld nur gleichartige Leistungen angerechnet werden, die der Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen auf Grund anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften erhält. Im Übrigen unterscheidet sich die Verweisungsregelung auch von der im Urteil des LSG Niedersachsen zitierten: Dort nahm § 9 Abs 3 niedersächsisches LBliGG nur "für das Verwaltungsverfahren" auf SGB I und X Bezug, eine Einschränkung, die hier (in § 6 Abs 2 LBliGG) gerade nicht getroffen worden ist.

bb) Die Zweckidentität von Blindengeld und der hier noch streitigen Versorgungsleistung Pflegezulage ist zu bejahen. Blindengeld dient bestimmungsgemäß zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen (§ 1 Abs 1 LBliGG). Pflegezulage iS von § 35 Abs 1 BVG setzt ebenso bestimmungsgemäß voraus, dass der Beschädigte für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf (Satz 2 aaO) und deckt damit einen durch die Schädigung bedingten Mehraufwand ab. Dieser Charakter wird durch § 35 Abs 1 Satz 5 BVG, wonach Blinde mindestens die Pflegezulage nach Stufe III erhalten, nicht in Frage gestellt; die pauschalierte Annahme eines erhöhten Pflegebedarfs widerlegt nicht den Charakter einer Mehraufwandsentschädigung, sondern bestätigt diesen gerade (vgl zur Abgrenzung von Mehraufwandsentschädigung und so genannter "immaterieller Funktion" von Beschädigtengrundrente und Schwerstbeschädigtenzulage: Senatsurteil vom 12. Juni 2003, SozR 4-3100 § 84a Nr 1 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

Zurück