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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 17.09.2003
Aktenzeichen: 1 BvL 3/98
Rechtsgebiete: AAÜG, RÜG


Vorschriften:

AAÜG § 6 Abs. 2 Satz 1
AAÜG § 6 Abs. 2 Satz 2
RÜG Art. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvL 3/98 - - 1 BvL 9/02 - - 1 BvL 2/03 -

IM NAMEN DES VOLKES

In den Verfahren

zur verfassungsrechtlichen Prüfung,

ob § 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 AAÜG in der Fassung des AAÜG-ÄndG vom 11. November 1996 (BGBl I S. 1674) insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als die bei der Berechnung einer Rente nach dem SGB VI zu Grunde zu legenden Arbeitsentgelte aus einer Tätigkeit als Offizier der NVA der ehemaligen DDR in jedem Fall zu kürzen sind, falls sie die Werte der Anlage 4 zum AAÜG bei einer Addition der in § 6 Abs. 2 Satz 2 AAÜG genannten Entgelte - insbesondere der Vergütung für das Dienstalter - überschreiten,

- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. Februar 1998 (S 6 An 157/97) -

- 1 BvL 3/98 -,

ob § 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 8 in Verbindung mit den Anlagen 4 und 5 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebietes (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG), verkündet als Artikel 3 des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991, in Kraft getreten am 1. August 1991, geändert durch das Gesetz zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 18. Dezember 1991, durch das Gesetz zur Ergänzung der Rentenüberleitung vom 24. Juni 1993, durch das 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vom 23. Juni 1994, durch das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15. Dezember 1995, durch das AAÜG-Änderungsgesetz vom 11. November 1996 in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1939) insoweit mit Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar ist, als die sozialversicherungspflichtigen Entgelte in jedem Fall um die Beträge oberhalb der jeweiligen Durchschnittsverdienste, wie sie in der Anlage 5 des AAÜG bestimmt sind, gekürzt werden, falls die Summe der in § 6 Abs. 2 Satz 2 AAÜG genannten Einkünfte die jeweiligen Werte der Anlage 4 zum AAÜG überschreitet,

- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. April 2002 (S 18 RA 3109/96 - W00-W02) -

- 1 BvL 9/02 -,

ob § 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 AAÜG, verkündet als Art. 3 des RÜG vom 25. Juli 1991, in Kraft getreten am 1. August 1991, geändert durch Gesetz zur Änderung des RÜG vom 18. Dezember 1991 und durch Gesetz zur Ergänzung der Rentenüberleitung vom 24. Juni 1993, 2. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz vom 23. Juni 1994 (BGBl I S. 1311), Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S. 1824), AAÜG-Änderungsgesetz vom 11. November 1996 (BGBl I S. 1674), 2. AAÜG-Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1939), insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als die bei der Berechnung einer Rente nach dem SGB VI zugrunde zu legenden Arbeitsentgelte aus einer Tätigkeit als Abteilungsleiter im Ministerium für Bauwesen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in jedem Fall zu kürzen sind, falls die Werte der Anlage 4 zum AAÜG bei einer Addition der in § 6 Abs. 2 Satz 2 AAÜG genannten Beträge erreichen,

- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. September 2002 (S 35 RA 549/96 W01) -

- 1 BvL 2/03 -,

hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen Jaeger, Haas, der Richter Hömig, Steiner, der Richterin Hohmann-Dennhardt und der Richter Hoffmann-Riem, Bryde

am 17. September 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Selbstablehnung des Präsidenten Papier wird für begründet erklärt.

Gründe:

I.

1. Die vorliegenden Verfahren betreffen die Verfassungsmäßigkeit der besonderen Entgeltbegrenzungen für bestimmte Gruppen von Zusatz- und Sonderversorgungsberechtigten nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606, 1677) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG-Änderungsgesetz - AAÜG-ÄndG) vom 11. November 1996 (BGBl I S. 1674). Die Vorläuferregelung des § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz - Rü-ErgG) vom 24. Juni 1993 (BGBl I S. 1038) hat das Bundesverfassungsgericht mit Wirkung ab dem 1. Juli 1993 für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt (BVerfGE 100, 59). Die vorlegenden Gerichte vertreten die Auffassung, dass § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des AAÜG-Änderungsgesetzes ebenfalls gegen das Grundgesetz verstößt.

2. Präsident Papier hat den Senat gebeten, ihn gemäß § 19 Abs. 3 BVerfGG von einer Mitwirkung an einer Entscheidung in den vorliegenden Verfahren zu entbinden. Hierzu verweist er darauf, dass er bereits in den Verfahren 1 BvL 22/95 und 1 BvL 34/95 (vgl. BVerfGE 100, 59), die § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes betrafen, von der Mitwirkung an der Entscheidung entbunden war (Beschluss des Ersten Senats vom 26. Mai 1998, 1 BvL 11/94; vgl. zum Verfahren 1 BvL 11/94 BVerfGE 98, 134). Zwar sei der vorliegende Prüfungsgegenstand nicht identisch mit demjenigen, zu dem er sich zuvor gutachterlich geäußert habe. Dennoch könnten seine wissenschaftlichen Äußerungen zu § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes bei den Klägern der Ausgangsverfahren zu Zweifeln an seiner Unbefangenheit führen, da er bereits diese "strengere" Regelung für verfassungskonform gehalten habe.

3. Die Beteiligten der Ausgangsverfahren hatten Gelegenheit zur Äußerung. Sie haben davon keinen Gebrauch gemacht.

II.

1. Die Erklärung von Präsident Papier ist eine Erklärung nach § 19 Abs. 3 BVerfGG, mit der er sich selbst für befangen erklärt. Die Erklärung lässt erkennen, dass er eine Senatsentscheidung über die Besorgnis seiner Befangenheit für erforderlich hält. Die mitgeteilten Umstände geben dazu auch objektiv Anlass.

2. Die Selbstablehnung ist begründet.

a) Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 82, 30 <38>; 98, 134 <137>; stRspr). Wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren relevanten Rechtsfrage können für sich genommen zwar keine Befangenheit begründen. Etwas anderes gilt nach dem Beschluss des Ersten Senats vom 26. Mai 1998 (1 BvL 11/94) aber dann, wenn die Nähe solcher Äußerungen zu der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsauffassung bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu übersehen ist und die wissenschaftliche Tätigkeit des Richters vom Standpunkt anderer Beteiligter aus die Unterstützung dieses Beteiligten bezweckte. Die Sorge, dass der Richter die streitige Rechtsfrage nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, ist dann bei lebensnaher Betrachtungsweise verständlich (vgl. BVerfGE 98, 134 <138>).

b) So liegt es auch im vorliegenden Fall. § 6 Abs. 2 AAÜG in der hier zur Prüfung vorgelegten Fassung nimmt zwar eine weniger weit reichende Begrenzung der Berücksichtigung von Arbeitsentgelten und Arbeitseinkommen bei der Bemessung der Renten vor als § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung, über die der Senat bereits entschieden hat (vgl. BVerfGE 100, 59). Insofern bezieht sich die Selbstablehnung von Präsident Papier auf eine andere Regelung als seinerzeit. Es liegt aber nahe, dass bei unbefangener Betrachtungsweise der Eindruck entstehen kann, die Bejahung der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes durch Präsident Papier werde sich auch auf die weniger "strenge" Bestimmung des § 6 Abs. 2 AAÜG in der hier zur Prüfung gestellten Fassung erstrecken und könne als Unterstützung der Rechtsauffassung eines Beteiligten gewertet werden. Insofern ist die vorliegende Erklärung von Präsident Papier rechtlich nicht anders zu beurteilen als seine Selbstablehnung, die dem Beschluss des Senats vom 26. Mai 1998 zugrunde lag.

Ende der Entscheidung

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