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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 24.09.2009
Aktenzeichen: 1 BvQ 43/09
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 32
GG Art. 19 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Verfahren

...

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts

durch

den Präsidenten Papier und

die Richter Eichberger, Masing

gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG

in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473)

am 24. September 2009

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antrag hat keinen Erfolg.

1.

a)

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Eine einstweilige Anordnung dient der vorläufigen Sicherung der in einem späteren Hauptsacheverfahren durchzusetzenden Rechte.

b)

Dabei steht der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG nicht entgegen, dass ein Antrag in der Hauptsache noch nicht gestellt wurde. Es ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits ein Verfahren in der Hauptsache anhängig ist (vgl. BVerfGE 105, 235 <238>; 113, 113 <119 f.>; stRspr). Dies setzt allerdings voraus, dass nachfolgend ein Hauptsacheantrag gestellt werden könnte, der nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 113, 113 <120>). Diese Möglichkeit besteht hier.

c)

Allein aus der Ankündigung der Antragsteller, gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zukünftig eine Verfassungsbeschwerde einzulegen, folgt allerdings nicht die Notwendigkeit, ihre Rechte in einem späteren Hauptsacheverfahren durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu sichern. Die nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG bestehende Verfassungsrechtslage ist nicht so zu verstehen, dass sie einem Beschwerdeführer unter allen Umständen die Möglichkeit gewährleistet, vor Vollzug eines Hoheitsakts eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sei es im Verfassungsbeschwerdeverfahren, sei es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG, zu erhalten. Eine Verfassungsbeschwerde richtet sich in aller Regel gegen eine rechtskräftige, den Rechtsweg abschließende Gerichtsentscheidung, der eine Entscheidung der rechtsstaatlich gebundenen Behörde und nicht selten andere Gerichtsentscheidungen vorangegangen sind. Diese sind im allgemeinen spätestens mit dem Eintritt der Rechtskraft vollziehbar oder vollstreckbar. Die Rechtsordnung sieht nicht vor, dass mit der Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen solange innezuhalten sei, bis ein Betroffener dem Bundesverfassungsgericht darlegen kann, die Entscheidung verletze ihn in Grundrechten, und Gelegenheit hatte, ihn durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung vor den faktischen Folgen möglicher Grundrechtsverletzungen zu schützen (vgl. BVerfGE 94, 166 <212 f.> ). Anders als der von Art. 19 Abs. 4 GG geprägte vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren ist das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG nicht darauf angelegt, möglichst lückenlosen Schutz vor dem Eintritt auch endgültiger Folgen der Vollziehung hoheitlicher Maßnahmen zu bieten, weshalb das Instrument der verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung zurückhaltend und unter Anlegung eines strengen Maßstabs anzuwenden ist (vgl. BVerfGE 94, 166 <216 f.> ).

2.

Gemessen daran sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG hier nicht erfüllt. Aus dem Vorbringen der Antragsteller ergibt sich nicht, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung dringend geboten ist.

Dringlich in diesem Sinne ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann, wenn im Hinblick auf das im Hauptsacheverfahren als verletzt gerügte Recht ein schwerer Nachteil droht, der durch ein Obsiegen des Antragstellers im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden kann (vgl. BVerfGE 12, 36 <40>; 118, 111 <123>). Eine solche Dringlichkeit lässt der Vortrag der Antragsteller hier nicht erkennen.

a)

Die Antragsteller machen mit ihrem Antrag in erster Linie die Verletzung von Verfahrensrechten durch das Bundesverwaltungsgericht geltend. Sie rügen, dass das Bundesverwaltungsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt und ihnen nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt habe. Ferner seien entscheidungserhebliche Rechtsfragen zum Artenschutz zu Unrecht nicht dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorgelegt worden. Damit werden nur das Verfahren und überwiegend allein der (von den Antragstellern zum Teil nur prognostizierte) einfachrechtliche Inhalt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kritisiert. Soweit mit diesem Vorbringen Verfassungsverstöße gerügt werden, könnten sie, wenn sie tatsächlich vorlägen, durch eine Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Bundesverwaltungsgericht (§ 95 Abs. 2 BVerfGG) korrigiert werden.

b)

Die Gefahr, dass mit dem angekündigten Vollzugsbeginn alsbald eine irreversible Beeinträchtigung des jedenfalls mittelbar als verletzt gerügten Eigentums der Antragsteller drohen könnte, ergibt sich aus ihrem Vorbringen nicht mit einer solchen Dringlichkeit, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt wäre. Die Antragsteller tragen lediglich vor, dass mit dem Bau des planfestgestellten Autobahnabschnitts am 25. September 2009 begonnen werden solle. Aus den von ihnen in Bezug genommen Presseberichten ergibt sich jedoch nur, dass an diesem Tage der "erste Spatenstich" stattfinden soll und bereits erste Vorbereitungsmaßnahmen getroffen wurden; andererseits werden nach diesen Presseberichten für einige Brückenbauwerke die Aufträge erst jetzt europaweit ausgeschrieben. Daraus lässt sich nicht entnehmen, ab wann und in welcher Weise die Grundstücke der Antragsteller in Anspruch genommen werden sollen; erst recht vermag nicht festgestellt zu werden, dass diese Inanspruchnahme nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden könnte, sollte sich eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts als erfolgreich erweisen. Die von den Antragstellern für ihr einstweiliges Rechtsschutzbegehren konkret als irreversibel ins Feld geführten Folgen der Baumaßnahmen betreffen allein den Arten- und den Naturschutz, die für die Durchführung der Maßnahme notwendigen finanziellen Aufwendungen sowie die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Daraus folgt indes keine unmittelbare und unumkehrbare Beeinträchtigung des Grundeigentums oder sonstiger verfassungsrechtlicher Positionen der Antragsteller. Zwar können sie als durch den Planfeststellungsbeschluss mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung Betroffene nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. nur BVerwGE 67, 74 <76> sowie BVerfGE 56, 249 <263>) im Rahmen ihres Angriffs hiergegen auch Verletzungen objektiven Rechts rügen; die dringende Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG lässt sich mit der drohenden Umsetzung von Maßnahmen in diesem objektivrechtlichen Bereich allenfalls begründen, wenn solche Nachteile besonders offensichtlich und gravierend sind. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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