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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 16.11.2002
Aktenzeichen: 1 BvQ 47/02
Rechtsgebiete: BVerfGG, FTG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 93 d Abs. 2
FTG § 5
FTG § 5 Abs. 2
GG Art. 8
GG Art. 140
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvQ 47/02 -

In dem Verfahren über den Antrag,

im Wege der einstweiligen Anordnung

unter Aufhebung der Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 15. November 2002 - 4 B 326/02 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die Verfügung des Polizeipräsidiums Frankfurt/Oder vom 11. November 2002 mit den Maßgaben des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder vom 15. November 2002 wieder herzustellen,

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993

(BGBl I S. 1473) am 16. November 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) liegen nicht vor. Die gebotene Beurteilung und Abwägung der Folgen, die im Falle des Erfolgs oder Misserfolgs des Antrags einträten, führen im vorliegenden Verfahren zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.

Die Verbotsverfügung und die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts sind hauptsächlich darauf gestützt, dass die geplante Versammlung in Halbe am Volkstrauertag gegen § 5 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 des Feiertagsgesetzes des Landes Brandenburg (FTG) verstoßen würde. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Vorschrift in der Weise ausgelegt, dass - bezogen auf den Volkstrauertag - öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und öffentliche Auf- und Umzüge von 4 Uhr bis 24 Uhr verboten seien. Auf die in Abs. 1 des § 5 FTG enthaltene Beschränkung auf solche Versammlungen, die zu einer unmittelbaren Störung des Gottesdienstes führten, komme es - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) - bei Anwendung des § 5 Abs. 2 FTG nicht an, weil diese Vorschrift dann praktisch gegenstandslos wäre. Die Versammlung am Volkstrauertag würde daher die öffentliche Sicherheit im Sinne von § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes unmittelbar gefährden.

Die Auslegung von Normen des einfachen Rechts ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Die von dem Oberverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung von § 5 Abs. 2 FTG ist zumindest vertretbar und sie ist verfassungsrechtlich nicht als offensichtlich fehlsam zu beanstanden. Das Oberverwaltungsgericht hat den verfassungsrechtlichen Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV und Art. 14 der Verfassung des Landes Brandenburg berücksichtigt. In seine Entscheidung hat es auch mit dem Blick auf die konkret geplante Versammlung die Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG einbezogen. Dabei hat es das Feiertagsgesetz einengend dahingehend ausgelegt, dass das Verbot auf Versammlungen beschränkt sei, die mit dem Charakter des Volkstrauertages als Tag des stillen Gedenkens an die Opfer der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus nicht vereinbar seien. Die Wertung, dass die Versammlung - geplant als "Einmarsch" von etwa 1.000 Teilnehmern in den Waldfriedhof in Halbe und unter dem Motto "Ruhm und Ehre den deutschen Frontsoldaten" - das durch das Feiertagsgesetz geschützte ungestörte Gedenken am Volkstrauertag stören würde, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dazu getroffenen Tatsachenfeststellungen zum Charakter des Waldfriedhofs - dem Ruheplatz von über 20.000 Soldaten und Zivilpersonen, die bei der so genannten Kesselschlacht um Halbe noch im April 1945 gefallen sind, von nahezu 6.000 Opfern sowjetischer Internierungslager sowie von Soldaten, die von der Wehrmacht hingerichtet wurden, und von ausländischen Internierten und Zwangsarbeitern - werden auch von den Antragstellern nicht in Zweifel gezogen. Die darauf aufbauende Tatsachenwürdigung zum Schutz des Gedenkens der Hinterbliebenen an ihre im Krieg und unter der nationalsozialistischen Herrschaft gestorbenen Angehörigen, das an einem solchen Tag gerade auf einer Ruhestätte wie Halbe stattfinden wird, ist nicht offensichtlich fehlsam.

Ebenso ist die Annahme verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass beschränkende Auflagen als milderes Mittel ausscheiden. Es ist nicht erkennbar, wie durch Auflagen die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden könnte, ohne den durch das Zusammenspiel von Zeitpunkt, Motto, Erscheinungsbild und Veranstaltungsort geprägten Charakter der Versammlung erheblich zu verändern.

Auf die weitere Frage der Gefährdung der öffentlichen Ordnung, auf die das Oberverwaltungsgericht ergänzend abgestellt hat, kommt es angesichts der Feststellungen zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht mehr an.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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