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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.01.2003
Aktenzeichen: 1 BvQ 54/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvQ 54/02 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren über den Antrag,

eine einstweilige Anordnung dahingehend zu erlassen, dass Art. 11 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S. 4637) bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin nicht in Kraft tritt, hilfsweise außer Vollzug gesetzt wird

hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des Präsidenten Papier, der Richterinnen Jaeger, Haas, der Richter Hömig, Steiner, der Richterin Hohmann-Dennhardt und der Richter Hoffmann-Riem, Bryde

am 15. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

A.

I.

1. Die Antragstellerin betreibt europaweit einen Großhandel für Arzneimittel. In Deutschland erzielt sie mit etwa 18 vom Hundert des Gesamtumsatzes des pharmazeutischen Großhandels den zweithöchsten Anteil. Sie beantragt, die sie beschwerenden Regelungen in Art. 11 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S. 4637) vorerst nicht In-Kraft-Treten zu lassen, hilfsweise, sie außer Vollzug zu setzen. Art. 11 BSSichG lautet:

Gesetz zur Einführung von Abschlägen der pharmazeutischen Großhändler

§ 1

Abschläge der pharmazeutischen Großhändler

Die pharmazeutischen Großhändler gewähren den Apotheken für Fertigarzneimittel, die der Verschreibungspflicht auf Grund von § 48 oder § 49 des Arzneimittelgesetzes und dem Versorgungsanspruch nach § 23 Abs. 1, §§ 27 und 31 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch unterliegen, einen Abschlag in Höhe von 3 vom Hundert des Arzneimittelabgabepreises.

§ 2

Abschläge bei unmittelbarem Bezug

Für Arzneimittel, die Apotheken unmittelbar von pharmazeutischen Unternehmen bezogen haben, gewähren die pharmazeutischen Unternehmen den Abschlag nach § 1.

§ 3

Weiterleitung der Abschläge

Für Arzneimittel nach den §§ 1 und 2 erhalten die Krankenkassen von den Apotheken einen Abschlag in Höhe von 3 vom Hundert des Arzneimittelabgabepreises.

2. Die Arzneimittelpreise werden nach der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) vom 14. November 1980 (BGBl I S. 2147), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 10. November 2001 (BGBl I S. 2992), gebildet. Die nach der Verordnung zulässigen Großhandelszuschläge für Fertigarzneimittel fallen prozentual umso geringer aus, je höher der Herstellerpreis ist. Die Zuschläge liegen zwischen 21 und 15 vom Hundert bei den preisgünstigen Medikamenten; sie betragen bei Herstellerabgabepreisen zwischen 55,59 und 684,76 € noch 12 vom Hundert und selbst bei einem Abgabepreis von 1.000 € noch mehr als 9 vom Hundert.

Die Zuschläge sind als Höchstzuschläge ausgestaltet, so dass der Großhändler den Apothekern Rabatte gewähren darf.

Über deren Ausmaß gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Die Antragstellerin gibt für den Branchendurchschnitt Wettbewerbsrabatte in Höhe von 6 bis 7 vom Hundert des Gesamtumsatzes an, ohne allerdings auf ihre eigene Situation einzugehen. Im Gesetzgebungsverfahren war von einem Rabattvolumen zugunsten der Apotheker von 1,1 Mrd. € die Rede (vgl. BT-Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, Protokoll der 3. Sitzung am 12. November 2002, S. 26). In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, die Heranziehung des Großhandels zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung sei gerechtfertigt, weil dieser über das gesetzlich geregelte Vertriebssystem an der Arzneimittelversorgung der Versicherten in erheblichem Umfang wirtschaftlich beteiligt sei und aus seiner im Vergleich zu anderen europäischen Nachbarstaaten hohen Handelsspanne den Apothekern Rabatte gewähre, die der Versichertengemeinschaft nicht zugute kämen (vgl. BTDrucks 15/28, S. 20). Der Gesetzgeber verspricht sich von Art. 11 BSSichG jährliche Minderausgaben der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 0,6 Mrd. € (vgl. BTDrucks 15/75, S. 1).

II.

1. Die Antragstellerin hält Art. 11 § 1 BSSichG für verfassungswidrig. Sie hat mit ihrer inzwischen erhobenen Verfassungsbeschwerde (1 BvR 2415/02) die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG unter anderem mit der Begründung gerügt, dass es an einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes fehle, jedenfalls aber an der notwendigen Zustimmung des Bundesrats. Im Übrigen handele es sich um eine unverhältnismäßige Berufsausübungsregelung, die einer Berufswahlregelung nahe komme, weil das Einsparvolumen höher sei als der vom gesamten Großhandel im Vorjahr erwirtschaftete Gewinn vor Steuern.

2. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei geboten, weil nach In-Kraft-Treten des Gesetzes der pharmazeutische Großhandel in Deutschland nicht mehr gewinnbringend betrieben werden könne, wenn die ihm auferlegten Zwangsabschläge - wovon die Bundesregierung ausgehe - nicht auf die Apotheker abwälzbar seien. Die Folgenabwägung spreche für eine Suspendierung des Gesetzes. Beim In-Kraft-Treten seien irreversible Nachteile für die Gesamtbranche und damit für das System der Arzneimitteldistribution in Deutschland zu erwarten. Leidtragende seien dabei auch alle Verbraucher von Arzneimitteln. Die Branche könne ihre Ertragssituation nicht mehr wesentlich verbessern; ihre Strukturen seien bereits effizient. Von den pharmazeutischen Herstellern seien keine nennenswerten Preiszugeständnisse zu erwarten, weil sie ihrerseits bestrebt seien, den ihnen durch Art. 1 Nr. 8 BSSichG auferlegten Finanzierungsbeitrag weiterzugeben. Selbst wenn es möglich sei, die in Art. 11 BSSichG normierten Abschläge an die Apotheken weiterzugeben, werde sich bei der Antragstellerin der Gewinn vor Steuern um 59 vom Hundert verringern; branchenweit werde er sich mehr als halbieren. Solche Belastungen könnten, falls das Gesetz für verfassungswidrig erklärt werde, nicht rückgängig gemacht werden, weil die Krankenkassen ein solches Verfahren nicht verkraften könnten und auch die 20.000 hiervon betroffenen Apotheken damit überfordert wären. Die Suspendierung des Gesetzes führe hingegen nur zu geringen Nachteilen, weil Nachzahlungspflichten bei den Großhändlern realisierbar wären. Die Krankenkassen hätten überhaupt keinen Nachteil, weil Art. 11 § 3 BSSichG nicht angegriffen werde. Allerdings sei dessen Suspendierung gegebenenfalls von Amts wegen als sachdienlich vorzunehmen.

B.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

I.

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Wegen der meist weit reichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab. Soll das In-Kraft-Treten eines Gesetzes verhindert oder der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden, so erhöht sich diese Hürde noch, weil hiermit stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verbunden ist. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts darf nicht zu einem Mittel werden, mit dem Betroffene, deren Anliegen beim Gesetzgeber kein Gehör fand, das In-Kraft-Treten des Gesetzes verzögern können. Die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, müssen daher im Vergleich zu Anordnungen, die weniger schwer in die Interessen der Allgemeinheit eingreifen, bei Gesetzen besonderes Gewicht haben (vgl. BVerfGE 104, 23 <27 f.>; 104, 51 <55 f.>).

2. Bei der Prüfung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Gesetzes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag ist von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die angegriffene Norm nicht in Kraft träte oder außer Vollzug gesetzt würde, sie sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erweisen würde.

II.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und die Frage, ob das Gesetz mit Art. 12 Abs. 1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren.

2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art. 11 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen, welche die Antragstellerin und den pharmazeutischen Großhandel insgesamt treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird.

a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich aber das Gesetz zur Einführung von Abschlägen der pharmazeutischen Großhändler später als verfassungsgemäß, drohen dem gemeinen Wohl schwere Nachteile.

aa) Bei der Folgenabwägung ist von einer vorübergehenden Außerkraftsetzung des Art. 11 BSSichG im Ganzen auszugehen. Die von der Antragstellerin angedeutete Möglichkeit, die Apotheker mit Abschlägen zu belasten, die vom Großhandel wegen der einstweiligen Anordnung zunächst nicht eingefordert werden, unterliefe die gesetzliche Regelung. Der Gesetzgeber hat mit Art. 11 BSSichG eine Belastung der pharmazeutischen Großhändler angeordnet, deren finanzielle Auswirkungen von den Apothekern an die gesetzliche Krankenversicherung weiterzuleiten sind. Von Gesetzes wegen ist eine eigenständige finanzielle Belastung der Apotheken über die hiermit eventuell verbundene Verwaltungslast hinaus nicht beabsichtigt. Nicht erhaltene Abschläge können die Apotheken aber nicht weiterleiten.

bb) Die infolge einer einstweiligen Anordnung zu erwartenden Mehrausgaben in Höhe von 0,6 Mrd. € sind absolut und relativ von erheblicher Bedeutung für das System der gesetzlichen Krankenversicherung, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert wird. Geht man mit dem Gesetzgeber davon aus, dass jeder Teilbeitrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten, wird diese in dem Ausmaß gefährdet, in dem die Rabatte nicht realisiert werden können. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 15/75, S. 1) werden die Minderausgaben durch die den pharmazeutischen Großhandel treffenden Abschläge größer sein als die bei Ärzten und Krankenhäusern zusammen. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Das Beitragsaufkommen wird durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erhöht, das Sterbegeld wird abgesenkt, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern werden Nullrunden vorgeschrieben und bei den Arzneimitteln tragen neben den Großhändlern auch die Pharmaunternehmen und die Apotheken durch Rabatte zu den Minderausgaben bei. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Maßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleiches Gewicht zu.

Träte infolge der einstweiligen Anordnung ein Teil der finanziellen Entlastung nicht ein, müssten sich die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Gesetzgeber sofort auf höhere Ausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen, mit der Belastung sonstiger Gruppen oder mit Einsparungen bei den Leistungen reagieren.

b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich das Gesetz aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, drohen allerdings der Antragstellerin und sonstigen pharmazeutischen Großhändlern jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache wirtschaftliche Nachteile. Ein endgültiger und auf Dauer nicht kompensierbarer Schaden ist aber nicht anzunehmen. Die vorübergehend zu erwartenden Nachteile sind auch nicht sehr schwerwiegend.

Die Antragstellerin und ihre Konkurrenten auf dem deutschen Markt haben gegenüber den Apotheken angekündigt, dass sie den sie treffenden 3%igen Abschlag mit den bisher gewährten Großhandelsrabatten verrechnen werden. Deshalb werden die pharmazeutischen Großhändler lediglich geringfügige finanzielle Einbußen erleiden. Zum einen geht ein Teil des Arzneimittelumsatzes nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und ist von der hier angegriffenen Regelung gar nicht betroffen. Insoweit reduzieren sich die von der Antragstellerin geschilderten Nachteile bei der Verrechnung mit früher ausgehandelten Rabatten, soweit der einzelnen Apothekern eingeräumte Rabatt niedriger als der Zwangsabschlag nach Art. 11 BSSichG ist. Dieser Niedrigrabattbereich hat nach den Ausführungen der Antragstellerin einen Anteil an ihrem Gesamtumsatz von 13 vom Hundert, betrifft aber nur zum Teil Produkte, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden. Das vergrößert den Spielraum zur Verrechnung mit den dort bisher maßgeblichen Rabatten von durchschnittlich 1,7 vom Hundert. Bei 87 vom Hundert ihres Umsatzes kann die Antragstellerin nach eigenem Vortrag die Belastung voll an die Apotheker weitergeben und diesen dennoch Einkaufsrabatte zwischen 2 und 4 vom Hundert einräumen. Damit liegt auf der Hand, dass die verbleibenden Einbußen nicht von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sind.

Die von der Antragstellerin befürchteten weiteren Nacheile, wie Wanderbewegungen der Kunden und eine Verminderung der Anzahl der Apotheken im Zuge von Insolvenzen, betreffen wirtschaftliche Risiken, die aus dem Marktgeschehen resultieren, an dem die Antragstellerin teilnimmt, wobei der Zusammenhang dieser Folgen mit der vorliegend angegriffenen gesetzlichen Regelung in Art. 11 BSSichG nur schwer nachvollziehbar ist. Die Differenzen in der Höhe der Rabattgewährung entsprechen den Effizienzgewinnen beim Großhandel infolge unterschiedlichen Bestellverhaltens der Apotheken; Wanderbewegungen mögen zwar zu Änderungen der für den jeweiligen Kunden maßgebenden Rabatthöhe führen, nicht aber zu Gewinneinbußen des Großhändlers, sofern er seine Rabatte nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten staffelt. Die Antragstellerin hat in diesem Zusammenhang auch nicht dargelegt, dass die Geschäfte, bei denen sie mit 8,9 vom Hundert den höchsten Rabatt auf Arzneimittelbestellungen gewährt, ihre Rendite mehr belasten als die Handelsgeschäfte im Niedrigrabattbereich.

c) Schon wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber stehen, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, das angegriffene Gesetz nicht am In-Kraft-Treten zu hindern, bevor geklärt ist, ob es vor der Verfassung Bestand hat (vgl. BVerfGE 104, 51 <60>). Vorliegend ergibt die Abwägung, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen sogar überwiegen, die der Antragstellerin und dem pharmazeutischen Großhandel insgesamt bei Ablehnung des Antrags drohen.

Eine generelle Gefährdung der Arzneimitteldistribution und eine Minderversorgung der Kranken kann vorliegend ausgeschlossen werden. Die geringfügigen Einbußen, die den Großhändlern verbleiben, sofern es ihnen nicht gelingt, mit den Pharmaherstellern und den Apothekern veränderte Konditionen auszuhandeln, fallen kaum ins Gewicht. Das Gesetz verändert die Rahmenbedingungen, unter denen die Großhändler mit den Pharmaunternehmen auf der einen Seite und den Apotheken auf der anderen Seite die Preise aushandeln. Verkleinert hat sich der Spielraum, den die Arzneimittelpreisverordnung dem Großhandel belässt und der bisher den Apotheken und dem Großhandel, an dem etwa zur Hälfte die Apotheker auch genossenschaftlich beteiligt sind, zugute kam. Voraussichtlich wird sich das Gesamtgefüge des Pharmahandels verändern. Wie letztlich die Belastungen des Beitragssatzsicherungsgesetzes verteilt werden und welchen Anteil des sie treffenden 3%igen Abschlags schließlich die Großhändler tragen, welchen sie an die Pharmaunternehmen weitergeben und inwiefern sie sich bei den Apotheken entlasten können, ist nicht sicher vorherzusagen.

Demgegenüber wiegt das Anliegen des Gesetzgebers, bis zu einer größeren Reform die gesetzliche Krankenversicherung unter Einbeziehung zahlreicher Gruppen sofort finanziell zu entlasten, schwerer. Denn die negativen Folgen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung treten bei einer vorläufigen Aussetzung des Gesetzes sofort ein, können später kaum oder nur unzureichend ausgeglichen werden und beeinflussen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Dem Gemeinwohlbelang der finanziellen Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass die Abschläge für den pharmazeutischen Großhandel nur einen geringen Anteil an den Gesamtausgaben darstellt. Bei einem Spargesetz, das viele Gruppen in Anspruch nimmt, ist jeder Teilbeitrag von Bedeutung. Das gesetzgeberische Konzept würde zu Lasten anderer unterlaufen, wenn einzelne Gruppen sich darauf berufen dürften, dass ihr Anteil am Gesamtvolumen eines Spargesetzes für das gesamtwirtschaftliche Interesse minder bedeutsam sei.

Würde das Gesetz außer Kraft gesetzt und verhielten sich die Marktteilnehmer weiter wie bisher, wäre es letztlich unmöglich, nachträglich die an die Kunden weitergereichten Gewinne noch abzuschöpfen. Jedenfalls ist ein Wirtschaftszweig, der seinen Kunden auf einem teilregulierten Markt durchschnittlich in Höhe von 6 bis 7 vom Hundert des Umsatzes Rabatte einräumen kann, wirtschaftlich nicht gefährdet, wenn ihm ein 3%iger Rabatt zugunsten des größten, aber nicht einzigen Endabnehmers auferlegt wird, ohne dass in die Preisgestaltung im Übrigen eingegriffen wird. Diese Aussage bleibt richtig, auch wenn sich der 3%ige Abschlag auf eine andere Ausgangsgröße bezieht und gemessen am Einkaufsumsatz der Apotheker 4,2 vom Hundert - wie in einem der Anschreiben an die Apotheker angekündigt - oder 4,9 vom Hundert - wie von der Antragstellerin behauptet - ausmacht.

Ende der Entscheidung

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