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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 27.05.2004
Aktenzeichen: 1 BvQ 9/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 33 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvQ 9/04 -

In dem Verfahren

über den Antrag,

im Wege der einstweiligen Anordnung der Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu untersagen, die im Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. November 2001 ausgeschriebene Notarstelle in Erkelenz bis zur Entscheidung über die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde des Antragstellers gegen

a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22. März 2004 - NotZ 17/03 -,

b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 19. August 2003 - 2 VA (Not) 4/03 -,

c) den Bescheid der Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25. Februar 2003 - 3830 Erkelenz - 4.6 - anderweitig zu besetzen

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs-gerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Mai 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Der Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird untersagt, die im Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. November 2001 ausgeschriebene Notarstelle in Erkelenz bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, zu besetzen.

2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Antragsteller die notwendigen Auslagen für das Verfahren über die einstweilige Anordnung zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Ablehnung der Bewerbung um eine Notarstelle.

1. Der Antragsteller legte, nachdem er das Erste Juristische Staatsexamen mit 4,38 Punkten bestanden hatte, im Jahre 1983 die Zweite Juristische Staatsprüfung mit der Note "vollbefriedigend" (9,60 Punkte) ab. Seit Februar 1994 ist der Antragsteller, der zunächst als Rechtsanwalt sowie als Richter in Nordrhein-Westfalen tätig war, hauptamtlicher Notar in Sachsen. Er bewarb sich auf die im November 2001 zur Wiederbesetzung ausgeschriebene Notarstelle in Erkelenz.

Mit Schreiben vom 25. Februar 2003 wurde die Bewerbung des Antragstellers abschlägig beschieden. Die an erster Stelle vorgeschlagene Mitbewerberin legte das Erste Juristische Staatsexamen mit 10,50 Punkten und die Zweite Staatsprüfung mit 10,87 Punkten ab. Mit Wirkung zum 1. März 1998 wurde sie zur Notarassessorin in Bayern ernannt und war seit 1. Dezember 2002 dort Notarin; dieses Amt hat sie vorübergehend wegen der Erziehung eines Kindes niedergelegt.

Die Anträge des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung und auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. In Anbetracht der besseren Noten der vorgezogenen Mitbewerberin in den Staatsexamina sei die Präsidentin des Oberlandesgerichts ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die Mitbewerberin fachlich besser geeignet sei. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts habe im Rahmen des ihr zukommenden Beurteilungsspielraums auch die größere persönliche Eignung der Mitbewerberin in nicht zu beanstandender Weise bejaht.

Mit Beschluss vom 22. März 2004 hat der Bundesgerichtshof die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Die Einstufung der Mitbewerberin als fachlich Geeignetere sei nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf die Examensergebnisse bestehe eine signifikante Differenz zugunsten der erfolgreichen Mitbewerberin, so dass auch die langjährige Berufserfahrung des Antragstellers nicht zu einer annähernd gleichwertigen Einschätzung der Eignung der beiden Konkurrenten führen müsse.

Der sofortigen Beschwerde eines weiteren Mitbewerbers hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom gleichen Tage stattgegeben und die Präsidentin des Oberlandesgerichts verpflichtet, diesen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

2. Am 24. März 2004 beantragte der Antragsteller beim Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung; am 2. Mai 2004 legte er Verfassungsbeschwerde ein. Er rügt unter anderem eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG. Er sieht sich in der Freiheit seiner Berufsausübung verletzt, da er aufgrund seiner mittlerweile 10-jährigen Berufserfahrung als Notar und seiner über achtjährigen Berufserfahrung als Richter gegenüber der ausgewählten Mitbewerberin über die höhere fachliche Eignung verfüge.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfGE 88, 169 <172>; 91, 328 <332>; stRspr).

a) Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass die Präsidentin des Oberlandesgerichts aufgrund der der sofortigen Beschwerde eines weiteren Mitbewerbers stattgebenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs verpflichtet ist, eine neue Besetzungsentscheidung zu treffen. Der Antragsteller hat dennoch ein Rechtsschutzinteresse für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, da die ihm gegenüber ergangene ablehnende Entscheidung rechtskräftig geworden ist und seine Einbeziehung in die nunmehrige Besetzungsentscheidung ohne erfolgreiche Verfassungsbeschwerde und ohne Erlass einer sie sichernden einstweiligen Anordnung unzulässig wäre.

b) Die Verfassungsbeschwerde ist zumindest in Bezug auf die Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht offensichtlich unbegründet. Zum Schutz des wichtigen Gemeinschaftsgutes einer qualitätsvollen vorsorgenden Rechtspflege muss gewährleistet werden, dass im Auswahlverfahren zur Besetzung von Notarstellen derjenige zum Zuge kommt, der den Anforderungen des Amtes am ehesten entspricht (vgl. den Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 - 1 BvR 838/01 u.a. -). Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 der Bundesnotarordnung richtet sich die Reihenfolge bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern nach der persönlichen und fachlichen Eignung unter Berücksichtigung der die juristische Ausbildung abschließenden Staatsprüfung und der bei der Vorbereitung auf den Notarberuf gezeigten Leistungen. Eine Auswahlentscheidung auf dieser gesetzlichen Grundlage hat nur dann vor Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG Bestand, wenn sie eine konkrete und einzelfallbezogene Bewertung gerade auch der fachlichen Leistungen der Bewerber vornimmt und dabei die spezielle Befähigung für das Amt des Notars angemessen einbezieht. Ob dies im Falle des Antragstellers in Anbetracht seiner langjährigen Notartätigkeit in gebotenem Umfang erfolgt ist, ist einer Klärung in der Hauptsache vorzubehalten.

2. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, die der Präsidentin des Oberlandesgerichts aufgibt, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde von einer Besetzung der Notarstelle abzusehen.

Unterbliebe die einstweilige Anordnung, hat die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so könnte der Antragsteller den konkreten Amtssitz nicht mehr erhalten. Es bestünde zudem die Gefahr, dass auf absehbare Zeit keine freie Notarstelle mit dem Antragsteller besetzt werden könnte. Überdies wäre der Antragsteller dann auf ein neues Bewerbungsverfahren angewiesen, dem insofern ein neuer Lebenssachverhalt zugrunde läge, als er mit anderen Bewerbern konkurrierte.

Wird die einstweilige Anordnung erlassen, hat die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg, muss die vorübergehende Vakanz einer Notarstelle in Kauf genommen werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch diese Vakanz beeinträchtigt werden könnte, sind nicht vorhanden.

Ende der Entscheidung

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