Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.07.2001
Aktenzeichen: 1 BvR 1055/01
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 6 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1055/01 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Kammergerichts vom 21. Mai 2001 - 18 UF 6990/00 -,

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richterinnen Haas, Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 5. Juli 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer zu 1) - auch im Namen des Beschwerdeführers zu 2) - gegen eine instanzgerichtliche Sorgerechtsentscheidung.

I.

1. Der Beschwerdeführer zu 1) ist der Vater eines im Mai 1994 nichtehelich geborenen Kindes (= Beschwerdeführer zu 2). Die Eltern lebten seit 1994 zusammen. Im Januar 1999 gaben sie jeweils die Erklärung ab, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen. Ende Februar 1999 trennten sie sich. Im Juni 1999 beantragte der Beschwerdeführer zu 1) die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge und die Regelung des Umgangsrechts.

Das Amtsgericht holte ein Sachverständigengutachten ein. Dieses wurde unter dem 5. Februar 2000 erstattet. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass das Kind zu beiden Elternteilen eine sichere Bindung sowie eine liebevolle und innige Beziehung besitze. Er empfahl, das gemeinsame Sorgerecht bei den Eltern zu belassen und das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Beschwerdeführer zu 1) zu übertragen. Mit Beschluss vom 2. August 2000 übertrug das Amtsgericht daraufhin die elterliche Sorge auf den Beschwerdeführer zu 1).

Gegen diese Entscheidung legte die Mutter Beschwerde ein. Das Kammergericht forderte daraufhin einen erneuten Bericht des Jugendamtes an. Dieser wurde unter dem 14. Mai 2001 erstattet. Dabei äußerte das Jugendamt die Befürchtung, dass bei einer Sorgerechtsausübung durch den Beschwerdeführer zu 1) der Kontakt des Kindes zur Mutter weiter eingeschränkt bzw. unterbunden werde. Einem Antrag des Beschwerdeführers zu 1), den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden, kam das Beschwerdegericht nicht nach. Es hörte vielmehr am 18. Mai 2001 die Eltern, das Kind und die Mitarbeiterin des Jugendamtes an.

Mit der angegriffenen Entscheidung vom 21. Mai 2001 änderte das Kammergericht die Entscheidung des Amtsgerichts und übertrug die elterliche Sorge auf die Mutter. Zugleich traf es eine detaillierte Umgangsregelung zu Gunsten des Beschwerdeführers zu 1). Zur Begründung führte es insbesondere aus: Der Senat sei davon überzeugt, dass es dem Wohl des Kindes im Sinne von § 1671 Abs. 1 BGB am besten entspreche, wenn die Mutter für ihn die elterliche Sorge ausübe. Für die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Mutter sei entscheidend, dass die Mutter die besseren Voraussetzungen für die Betreuung des Kindes biete, weil sie nicht im Schichtdienst tätig sei und dadurch als Elternteil regelmäßiger und zuverlässiger für das Kind da sein könne, wenn es aus der Schule bzw. dem Hort heimkomme. Von letztlich ausschlaggebender Bedeutung sei aber die Einschätzung des Senats, dass die Mutter eine größere Gewähr dafür biete, dass das Kind den Kontakt zum Beschwerdeführer zu 1) pflegen könne. Die Anhörung habe deutlich gezeigt, dass Streitigkeiten um den Umgang in der Vergangenheit auf den Beschwerdeführer zu 1) zurückzuführen seien und dieser Schwierigkeiten habe, dies einzusehen. Zu dieser Entscheidung stehe nicht im Widerspruch, dass der Sachverständige im Rahmen der festgestellten innigen Bindung des Kindes zu beiden Eltern eine gewisse Präferenz zu Gunsten des Beschwerdeführers zu 1) beobachtet habe. Die bestehenden geringen Differenzen böten für den Senat keinen hinreichenden Anlass, um einen Vorschlag zu Gunsten des Beschwerdeführers zu 1) zu machen. Schließlich sei der Senat auf Grund der Anhörung des Kindes überzeugt, dass es mit dieser Regelung gut zurecht kommen werde, denn das Kind habe keine Präferenz zu Gunsten eines Elternteils geäußert und erklärt, dass es sich auch vorstellen könne, bei der Mutter zu leben.

2. Der Beschwerdeführer zu 1) rügt - auch im Namen des Beschwerdeführers zu 2), für den er beim Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Ergänzungspflegers beantragt hat - eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. So sei - trotz des bestehenden Interessenkonflikts zwischen den Eltern - die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind unterblieben. Die Entscheidung lasse nicht erkennen, warum das Kammergericht von den Feststellungen des Sachverständigen abgewichen sei. Zudem bleibe im Dunkeln, weshalb das Kammergericht davon abgesehen habe, den Sachverständigen zumindest anzuhören, wenn es meine, von dem Votum des Gutachtens abweichen zu müssen.

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme zur Entscheidung liegen nicht vor.

1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2) ist unzulässig. Der Beschwerdeführer zu 1) kann seinen Sohn, den Beschwerdeführer zu 2), bei der Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht wirksam vertreten. Der Beschwerdeführer zu 1) ist nicht im Sinne des § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB vertretungsberechtigt, weil er auf Grund der angegriffenen Entscheidung nicht mehr Sorgerechtsinhaber ist. Alleinige Inhaberin des Sorgerechts ist vielmehr die Mutter, die keinen Anlass hatte, gegen die aus ihrer Sicht günstige Entscheidung des Kammergerichts Verfassungsbeschwerde einzulegen. Vor diesem Hintergrund kann die Verfassungsbeschwerde für den Beschwerdeführer zu 2) in zulässiger Weise nur von einem Ergänzungspfleger im Sinne des § 1909 Abs. 1 BGB erhoben werden, dessen Bestellung beim Vormundschaftsgericht bereits beantragt ist.

2. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG. Die entscheidungserheblichen Fragen, insbesondere zur Vertretung Minderjähriger im Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl. BVerfGE 72, 122 <132 ff.>; 75, 201 <214 f.>), zum Einfluss des Grundrechtsschutzes auf die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts (vgl. nur BVerfGE 53, 30 <65>) sowie zu den Anforderungen an die Ermittlungstätigkeit der Fachgerichte in kindschaftsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>; 79, 51 <62>), sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt.

3. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) ist auch nicht im Sinne von § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt. Seine Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

a) Der Zulässigkeit der Rüge, das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 1) aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sei durch das Unterlassen der Instanzgerichte verletzt, für den Beschwerdeführer zu 2) einen Verfahrenspfleger zu bestellen, steht allerdings der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) entgegen. Wer es im fachgerichtlichen Verfahren unterlässt, einen Verfahrensmangel zu rügen, begibt sich der Möglichkeit, diesen Verstoß mit der Verfassungsbeschwerde als Grundrechtsverletzung geltend zu machen (vgl. nur BVerfGE 84, 203 <208> m.w.N.). Der Beschwerdeführer zu 1) hat die unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers im fachgerichtlichen Verfahren nicht beanstandet. Er hat sich damit zugleich der Möglichkeit begeben, eine hierdurch bedingte etwaige Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG wirksam mit der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen.

b) Soweit die Rüge der Verletzung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zulässig ist, ist sie unbegründet. Die angegriffene Entscheidung des Kammergerichts verletzt den Beschwerdeführer zu 1) nicht in seinem Elternrecht.

aa) Der Grundrechtsschutz beeinflusst auch die Gestaltung des Verfahrensrechts (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 55, 171 <182>; 79, 51 <66 f.>; 99, 145 <162>). Die Durchführung kindschaftsrechtlicher Verfahren wird dabei von der Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft geprägt, über Pflege und Erziehung des Kindes zu wachen (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Es bleibt jedoch auch hier bei dem allgemeinen Grundsatz, dass den Fachgerichten die Entscheidung darüber obliegt, welchen Weg sie im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet halten, um zu den für ihre Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Das Verfahren muss aber grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Dabei sind die Fachgerichte auch berechtigt, im Einzelfall von fachkundigen Feststellungen und fachlichen Wertungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen abzuweichen. Sie müssen dann aber eine anderweitige zuverlässige Grundlage für ihre am Kindeswohl orientierte Entscheidung haben (vgl. BVerfG, FamRZ 1999, S. 1417 <1418>).

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt das Kammergericht. Es hat sich in der angegriffenen Entscheidung nicht nur hinreichend mit dem Sachverständigengutachten auseinander gesetzt. Es hat seine Entscheidung auch auf einer anderweitigen zuverlässigen Entscheidungsgrundlage, insbesondere dem im Beschwerdeverfahren eingeholten aktuellen Jugendamtsbericht sowie der mehrfachen persönlichen Anhörung der Jugendamtsmitarbeiterin getroffen. Dabei hat das Kammergericht die vom Jugendamt im Rahmen des Beschwerdeverfahrens neu vorgetragenen Tatsachen und Wertungen herangezogen und zudem berücksichtigt, dass das Kind, das auch nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens zu beiden Elternteilen eine sichere Bindung sowie eine liebevolle und innige Beziehung besitzt, in der Anhörung vor dem Senat keine Präferenz zu Gunsten eines Elternteils geäußert hat. Vor dem Hintergrund dieser neuen Erkenntnisse im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat das Gericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von dem Ergebnis des in der Vorinstanz eingeholten Gutachtens abweichen können.

bb) Der Beschluss des Kammergerichts verletzt den Beschwerdeführer zu 1) auch nicht in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), weil das Beschwerdegericht seinem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nicht entsprochen hat.

(1) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (vgl. BVerfG, NJW 1998, S. 2273). Es besteht daher - auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit - grundsätzlich die Pflicht, dem Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen, wenn er nicht verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde (vgl. BVerfG, NJW 1998, S. 2273 <2274>). Dem Antrag auf mündliche Erläuterung eines Sachverständigengutachtens ist jedenfalls dann stattzugeben, wenn das Gericht die Aufklärung des Sachverhalts im Wesentlichen einem Sachverständigen überlassen hat (vgl. BVerfG, FamRZ 1992, S. 1043; NJW 1998, S. 2273 <2274>). Es ist aber verfassungsrechtlich nicht unter allen Umständen geboten, einem Antrag auf mündliche Erläuterung eines Sachverständigengutachtens nachzukommen und Sachverständige mündlich anzuhören (vgl. BVerfG, NJW 1998, S. 2273 <2274>). Denn in kindschaftsrechtlichen Verfahren ist der allgemeine Grundsatz zu berücksichtigen, dass das Fachgericht selbst über den Umfang seiner Ermittlungen bestimmt, ohne hierbei an etwaige Anträge der Verfahrensbeteiligten gebunden zu sein (vgl. BVerfGE 79, 51 <62>).

(2) Diesen Anforderungen genügt die Verfahrensgestaltung des Beschwerdegerichts. Zwar hat sich das Kammergericht mit dem Antrag des Beschwerdeführers zu 1) vom 6. Februar 2001 in der angegriffenen Entscheidung nicht auseinander gesetzt. Die unterbliebene Anhörung des Sachverständigen ist aber gleichwohl verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn unabhängig von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen hatte das Kammergericht auf Grund der eingeholten Jugendamtsberichte sowie der mehrfachen Anhörungen der Eltern und des Kindes eine hinreichende Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung. Es hat damit die Aufklärung des Sachverhalts nicht im Wesentlichen dem Sachverständigen überlassen.

Zudem scheidet ein Verfassungsverstoß auch deshalb aus, weil das Sachverständigengutachten letztlich für den Ausgang des Verfahrens ohne Bedeutung war und daher das Recht der Verfahrensbeteiligten, Einwendungen gegen das Gutachten vorzubringen und den Sachverständigen mit ihnen zu konfrontieren, eine mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen nicht verlangt hat (vgl. BVerfG, FamRZ 1992, S. 1043; NJW 1998, S. 2273 <2274>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

Zurück