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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 22.06.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 1070/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1070/02 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

1. unmittelbar gegen

a) das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 22. April 2002 - L 16 RA 129/94 W 99 -,

b) den Änderungsbescheid des Bundesverwaltungsamts - Außenstelle Berlin-Lichtenberg - vom 1. Oktober 1999 - VII B 4/ 210135 -

2. mittelbar gegen

§ 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Anlage 6 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsgesetz - 2. AAÜG-ÄndG) vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1939)

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Steiner, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Bryde gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. Juni 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen von Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS) der Deutschen Demokratischen Republik auf das jeweilige Durchschnittseinkommen im Beitrittsgebiet durch das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz.

I.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 28. April 1999 (BVerfGE 100, 138) § 7 Abs. 1 Satz 1 (in Verbindung mit Anlage 6) des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606, 1677) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG-ÄndG) vom 18. Dezember 1991 (BGBl I S. 2207) für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG unvereinbar und nichtig erklärt, soweit für die Rentenberechnung das zugrunde zu legende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt wird.

2. In Umsetzung dieses Urteils hat der Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 12 des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsgesetz - 2. AAÜG-ÄndG) vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1939) die Anlage 6 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz dahingehend geändert, dass die darin enthaltenen Werte dem im jeweiligen Jahr im Beitrittsgebiet erzielten Durchschnittsentgelt entsprechen. Über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wollte der Gesetzgeber nicht hinausgehen, um erneute ideologisch geführte Diskussionen zu vermeiden (vgl. BTDrucks 14/5640, S. 13).

Die Gesetzesänderung ist zum 1. Mai 1999 wirksam geworden. Für diejenigen Betroffenen, deren Überführungsbescheid am 28. April 1999 noch nicht bestandskräftig war, gilt die Änderung bereits ab dem 1. Januar 1992 (Art. 13 Abs. 8 Satz 1 des 2. AAÜG-ÄndG).

II.

1. Der 1935 geborene Beschwerdeführer war in der Deutschen Demokratischen Republik von 1976 bis Januar 1988 Angehöriger des MfS, zuletzt im Rang eines Obersten. Er gehörte dem Sonderversorgungssystem der Angehörigen des MfS/AfNS an. Seit Februar 1988 bezog er eine Invalidenrente in Höhe von 2.625 Mark monatlich. Dies entsprach einem Betrag von 75 % seines letzten Monatseinkommens.

Die im Zuge der Rentenüberleitung vorgenommene Begrenzung seiner Arbeitsentgelte auf 70 % des Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG in der Fassung von 1991 griff er erfolglos mit Widerspruch und Klage an. Während des Berufungsverfahrens erging das oben genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Beschwerdeführer legte daraufhin Gutachten von Professor Dr. Kaufmann und Dr. Napierkowski vor, die sich mit der Entlohnungs- und Besoldungsstruktur in der Deutschen Demokratischen Republik befassen. Nach Auffassung des Beschwerdeführers geht aus diesen Gutachten hervor, dass im Bereich des MfS nicht generell von der Zahlung überhöhter Arbeitsentgelte ausgegangen werden könne. Diese Tatsache sei dem Bundesverfassungsgericht am 28. April 1999 unbekannt gewesen, weswegen das Gericht sich erneut mit der Frage der zulässigen Höhe einer Entgeltbegrenzung nach § 7 Abs. 1 AAÜG zu befassen habe.

Mit Änderungsbescheid vom Oktober 1999 hat der zuständige Versorgungsträger festgestellt, dass die vom Beschwerdeführer während der Tätigkeit für das MfS erzielten Arbeitsentgelte nur bis zur Höhe des jeweiligen Durchschnittsentgelts berücksichtigt werden können. Die dagegen gerichtete Klage wurde vom Landessozialgericht abgewiesen.

2. Mit seiner gegen den Änderungsbescheid sowie die sozialgerichtlichen Urteile erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Er ist der Auffassung, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 auf einer falschen Tatsachengrundlage ergangen und daher zu korrigieren sei. Er verweist hierzu auf die im Berufungsverfahren vorgelegten Gutachten.

Das Bundessozialgericht hat die gleichzeitig mit der Erhebung der Verfassungsbeschwerde eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 24. April 2003 als unzulässig verworfen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 BVerfGG im Hinblick darauf erfüllt, dass die Nichtzulassungsbeschwerde vom Bundessozialgericht als unzulässig verworfen wurde. Sie hat jedenfalls keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Berücksichtigung der Arbeitsentgelte von Angehörigen des Sonderversorgungssystems des MfS/AfNS lediglich bis zur Höhe der jeweiligen Durchschnittsentgelte verfassungsrechtlich zulässig ist. Es hat weiter festgestellt, dass der Gesetzgeber zu einer weiter gehenden Berücksichtigung der Arbeitsentgelte verfassungsrechtlich nicht verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 100, 138 <182 f.>). Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durfte der Gesetzgeber für den MfS/AfNS davon ausgehen, dass in diesem Bereich deutlich überhöhte Entgelte gezahlt wurden.

2. Eine erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung der Vorschrift des § 7 Abs. 1 AAÜG ist zulässig, sofern neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen können (BVerfGE 33, 199 <204>; 65, 179 <181>; 70, 242 <250>). Der Vortrag des Beschwerdeführers und insbesondere die in Bezug genommenen Gutachten sind jedoch nicht geeignet, die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 in Frage zu stellen.

Die Gutachter nehmen selbst nicht für sich in Anspruch, eine sachlich und zeitlich umfassende, auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse erarbeitete Analyse des Besoldungs- und Versorgungssystems im Bereich des MfS/AfNS vorzulegen. Beide Gutachten erfassen nur begrenzte Zeiträume und stellen ihre Ergebnisse unter zahlreiche Vorbehalte. Die Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur sowie die Struktur der beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen waren in der Deutschen Demokratischen Republik - anders als in anderen Arbeitsbereichen - statistisch nicht hinreichend erfasst; dies wird in den vorgelegten Gutachten deutlich. Wegen dieser besonderen Situation hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Entgeltbegrenzung in § 7 Abs. 1 AAÜG das Recht zur pauschalen Einstufung und Bewertung zugestanden (vgl. BVerfGE 100, 138 <179 f.>). Das System der Staatssicherheit war darauf angelegt, Informationen auch über die Gehälter seiner Angehörigen geheim zu halten und hat dazu entsprechende Vorkehrungen getroffen (vgl. Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit, 2000, S. 367, 525).

Im Gutachten von Professor Dr. Kaufmann wird zudem nur ein Vergleich der Entgeltstrukturen und Entgelthöhe mit dem produzierenden Gewerbe der Deutschen Demokratischen Republik angestellt. Dieser Sektor war aber durch hohe Arbeitseinkommen gekennzeichnet. Das Gutachten von Dr. Napierkowski ist auf die für 1985 und 1989 feststellbaren Verhältnisse beschränkt. Es ist bekannt, dass sich in den 90er-Jahren der Abstand zwischen den Spitzeneinkommen im Staatsbereich der Deutschen Demokratischen Republik zu den Durchschnittseinkommen stark verringert hat (vgl. BRDrucks 209/96, S. 11). Im Übrigen kommen beide Gutachter zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter des MfS/AfNS überdurchschnittliche Arbeitsverdienste erzielt haben. Dies entspricht auch dem Stand der Forschung (vgl. Gieseke, a.a.O., S. 441). Die Vergütungs- und Versorgungsordnung des MfS/AfNS fügte sich in das Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung dieses Staatsbereichs ein (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 179). Der mit diesen Verhältnissen vertraute Gesetzgeber der Deutschen Demokratischen Republik hat dementsprechend die überhöhten Versorgungen im Bereich des MfS/AfNS in § 2 f. des Gesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit vom 29. Juni 1990 (GBl I S. 501) pauschal gekürzt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts konnte der Gesetzgeber daran anknüpfen (a.a.O., S. 179).

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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